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Alt 22.04.2007, 18:49   #1
Pnin
 
Dabei seit: 04/2007
Beiträge: 10

Standard Weder Tag noch Nach

Weder Tag noch Nacht

Der Tag besteht aus zwei Halbkreislinien: Einer von Sonnenauf- bis Untergang und einer anderen, die der Nacht gewidmet ist. Zusammen ergeben sie, hälftengleich, einen ganzen erfahrungsreichen Tag, von dem wahrlich erst nach dem lückenlosen Zusammenschluss beider Teile rückblickend gesprochen werden kann. In der Lückenlosigkeit besteht nun eine Täuschung: Am Punkt des Übergangs beider Linien besteht eine minimale Öffnung, die nicht einmal das kleinste Wesen zu passieren fähig wäre. Gemeint ist damit jene Dauer, die wir nicht mehr zur Nacht und längst noch nicht zum Tag zählen können. Sie kann wenige Minuten umfassen, aber ebenso gut Stunden füllen oder bis in den Mittag hineinreichen. Ihren Anfang findet sie mit dem Erwachen: Glücklich schätzt sich, wer bei ihm nicht auf donnernde, den nächtlichen Erholungsritus beinahe wieder zerstörende Weckerlaute angewiesen ist, sondern im besten Falle von selbst aus der Nacht zur Öffnung in den Tag findet. Vielleicht lässt er sich dabei von den zärtlichen Klängen der Natur, die durch geöffnete Fenster ihren Wegen in des Schlafenden Ohrs finden, behilflich sein. Doch sehen sich alle, gleich wie erwacht, vor der nun immer gleichen Herausforderung: die geborgene Vertrautheit des Bettes zu verlassen. Den aus dem schlechten Traum Gerissenen, den durch die sommerliche Hitze im Feuchtbiotop Nächtigenden und auch dem im Blick auf den Tag ungemein Erwartungsfreudigen gelingt dieser Akt des Wegfindens eher, wenn auch nicht leichter, als den im weichen Nest Gehaltenen. Es hält ihn der schöne Traum, dem er nur zu gern länger beiwohnen will, die winterliche Kälte, der anziehende, nach einem selbst verlangende Bettgefährte oder die angstvolle Erwartung des anbrechenden Tages. Das ist die Auswahl der innerlichen Rechtfertigung der Bleibenden – auch wenn sie nur für wenige Minuten gilt und letztlich der täglichen Verpflichtung unterliegt. Und doch ist das Ergebnis aller Weckrufe gleich: Der Weg führt hinaus aus dem kleinen Gemach wohliger Wärme geradewegs in den erwartungsvollen Tag. Spätestens mit dem Hinausfinden aus unserem Bett – oder einem anderen der Nacht geschenkten Ort – beginnt nun der Lauf in den Tag. Der morgendliche Lauf kann uns seine Freundlichkeit erweisen, indem er uns einen guten Song im Radio schenkt, die Post mit besten Nachrichten bestückt und den Bäcker das frischeste Brot in der Auslage bereit halten lässt. Genauso kann er uns die Flucht zurück in die Nacht ersehnen lassen, wenn wir von ihm erfahren, dass die Dusche wieder einmal nur Kaltwasser entlässt und die unabdingbare Kaffeedose geleert ist. Er kann den Türschwellentritt in den Tag, auf den er uns vorbereiten will, zur Qual machen, wenn er uns den Lärm der Straße ungehindert, verstärkt durch früh werkende Arbeiter oder geräuschvolle Motoren zu Ohren kommen lässt. Kurzum: Er kann so böse sein wie er lieb ist. So können wir gestärkt, gesäubert oder hungrig, mit Schmutz der vergangenen Nacht noch behaftet – je nach seiner Fasson – aus dem Schnittpunkt der Kreise hinaustreten, sie dabei schließen und einen neuen Halbkreis, einen neuen Tag beginnen.
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Alt 24.04.2007, 22:48   #2
männlich Roan Eck
 
Dabei seit: 01/2007
Ort: München
Beiträge: 168

Standard RE: Weder Tag noch Nach

hey
finde den text klasse. Informativ, gute beschreibungen und ein bisschen lautmalerisch.
Das einzige was mch interessiert ist, wenn esso eine Öffnng am morgen gibt wie siehst dann beimAbend aus? theorethischmüste es sie dorta uch geben, oder wei siehst du es?
2 identische kreisläufe, ener bei tag einer bei nacht, lässt man 2 kreise sichschneiden bekommt man immer (bis auf einen einzellfall) immer 2 schnittpunkte.
mit dieser erkenntnis beende ichmein comment und leg mich schlaen um den nächsten schnittpunkt zu erwaten
gruß roan
Roan Eck ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.04.2007, 20:42   #3
Pnin
 
Dabei seit: 04/2007
Beiträge: 10

Standard RE: Weder Tag noch Nach

hallo,
vielen dank für deinen kommentar. recht hast du mit der zweiten öffnung - die habe ich erst einmal ganz außer acht gelassen. bei gelegenheit werde ich mich dem aber auch widmen, sozusagen als zweiten teil.

vg pnin
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