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Alt 12.03.2013, 16:19   #1
männlich Ringelroth
 
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Standard Gebrochene Flügel

Teil 1

Andreas Folkerts stand in seiner Küche an die Arbeitsplatte gelehnt, und sortierte das Bündel Briefe, das er eben aus seinem Postkasten gefischt hatte. Rechnungen und Werbung. Dazwischen fiel ihm ein großer, brauner Umschlag auf, in dem sich etwas Schweres, und ungewöhnlich Dickes befand. Neugierig und skeptisch zugleich riss er ihn auf. Ein von Hand beschriebenes Blatt eines Notizblockes, ein Diktiergerät älterer Bauart und ein weiterer kleiner Umschlag kamen zum Vorschein. Er las den Zettel, wobei er die Handschrift seines Bruders Bernhard erkannte:
Hallo Andreas, konnte dich weder in deinem Betrieb, noch zu Hause erreichen, stecke in Schwierigkeiten. Habe ungeheuerliches über meine Chefin Irene Silvanus herausbekommen. Bin davon überzeugt, dass sie und mein Kollege Arnie Ferring deswegen Dennis entführt haben. Ich versuche, ihn da raus zu holen. Zur Polizei habe ich kein Vertrauen. Außerdem haben mich die Entführer davor gewarnt, sie einzuschalten. In dem kleinen Umschlag ist das Beweismaterial. Verstecke es gut. Es kann Dennis' Leben retten. Wenn alles klappt, melde ich mich bei dir, sollte mir etwas zustoßen, kümmere dich um Dennis.

Von was schreibt er da? Andreas hoffte, dass das alles nur ein schlechter Scherz war. Wieso war ausgerechnet Bernhard, der es nicht mal wagte, sein Auto im Halteverbot abzustellen, in so einen Mist geraten? Warum sollte die Leiterin einer der bekanntesten deutschen Werbeagenturen, zusammen mit einem ihrer Fotografen, den neunjährigen Sohn eines ihrer Mitarbeiter entführen? Aber da sein Bruder sich nicht persönlich bei ihm gemeldet hatte, begann Andreas sich nun Sorgen zu machen. Seit dem Unfalltod von Dennis’ Mutter vor drei Jahren, war der Kleine Bernhards Ein und Alles.
Er legte die Nachricht und das Gerät auf den Küchentisch und nahm den kleinen Umschlag. Ein USB-Stick kam zum Vorschein, als er ihn aufgerissen hatte. Andreas setzte sich an den Tisch. Er griff in die Brusttasche seines Hemdes und öffnete die zweite Packung Marlboro für diesen Tag. Mit zitternden Fingern zündete er sich eine Zigarette an und drückte den Startknopf des Diktiergerätes.

*

Etwa drei Kilometer Luftlinie von Andreas’ Wohnung entfernt, erwachte ein Mann neben einem Forstweg im Wald unter einem Berg von nassem Laub, kleinen Zweigen und modrigen Erdklumpen. Seine Kleidung war völlig durchnässt. Seine Füße waren nackt und er fror. Es war November, stockfinster und die Luft war lausig kalt. Den ganzen Tag über hatte es geregnet, und immer noch fiel ein zarter Nieselregen durch das Gewirr der nackten Äste über ihm. Der Mann fühlte einen brennenden Schmerz unter der linken Brust und konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, was passiert war und wie er in diese Lage geraten konnte. Von Panik erfasst sprang er auf und klatschte im gleichen Moment der Länge nach auf den nassen Waldboden. Langsam, um die Schmerzen nicht noch zu steigern, setzte er sich und lehnte sich gegen einen Baum, der hinter seinem Blättergrab stand. Das Gefühl, als seien seine Knochen und Gelenke gegen Silikon ausgetauscht worden, ließ ihn seine Schwäche deutlich spüren. In seinem Schädel schien sich ein Hammerwerk eingenistet zu haben. Seine Finger ertasteten eine Beule am Hinterkopf und seine linke Gesichtshälfte schmerzte, wie nach einem Besuch beim Kieferchirurgen. Unvermittelt fühlte er etwas in seinem Mund. Er spuckte ein kleines Blatt und etwas Klumpiges aus. Den aufkommenden Würgereiz konnte er nur mühsam unterdrücken. Seine Geschmacksnerven registrierten einen fauligen Geschmack nach Schimmel und Moder.
Den Kopf in den Nacken gelegt, den Mund, so weit es die Schmerzen zuließen, aufgerissen, saß er da wie ein Fisch auf dem Trockenen, und versuchte etwas Regenwasser aufzufangen, mit dem er ausspülen konnte. Ruhig bleiben und konzentrieren, die Gedanken sammeln und die Lage analysieren, ermahnte er sich, um wieder die Kontrolle zurück zubekommen. Als er die Stelle links, knapp unterhalb der Brust, abtastete, ging der Schmerz tief ins Innere seines Körpers. Er fühlte eine frische Wunde.
Hatte jemand auf ihn geschossen? Oder ihn mit einem Messer verletzt? In seiner Erinnerung klaffte ein tiefes Loch. Da war kein Name, keine Adresse, kein Datum – keine Antwort. Er schaute auf seine Armbanduhr. Mit einem Druck auf den seitlichen Knopf des Uhrengehäuses wurde der Hintergrund des Displays schwach erleuchtet. 23 Uhr 04. Hektisch begann er nach seinem Handy zu suchen, aber er fand es nicht. Hatte er es verloren, oder wurde es ihm gestohlen?
Er dachte nach: Ob er es glauben wollte, oder nicht, es sah so aus, als hätte ihn jemand töten wollen. Und dieser jemand hatte ihn hier im Wald unter das Laub gelegt, weil er dachte, sein Opfer sei tot. Aber welchen Grund sollte er jemandem gegeben haben, ihn brutal ermorden zu wollen?
Ich muss schnellstens in ein Krankenhaus und die Polizei verständigen, trieb er sich an und schaute sich um. Da stieß sein Fuß an etwas Hartes. Er bückte sich. Es war einer seiner Schuhe, in den eine Socke hineingedrückt war. Nach zwei Minuten hatte er auch den anderen gefunden. Als er beide Schuhe gebunden hatte, schaute er sich um. Links von ihm, in einer Senke, sah er Straßenlaternen und erleuchtete Fenster. Sie schienen nur wenige hundert Meter entfernt zu sein. Langsam, mit schmerzverzerrtem Gesicht stand er auf. Sich von Baum zu Baum schleppend, schlurfte er dem Ort entgegen.

*

Andreas erkannte die Stimme seines Bruders:

Freitag, 11. November:
Habe schlimmen Verdacht. Habe Zufällig ein Gespräch zwischen Irene und Arnie mitbekommen. Hörte sich an, als fotografiere Arnie im Auftrag unserer Chefin nackte Kinder für irgendwelche geilen Wichser. Kann es nicht glauben. Weiß nicht, was ich tun soll.
(Fortsetzung folgt)
Ringelroth ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.03.2013, 09:33   #2
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909


Hallo Ringelroth,

zwei recht unterschiedliche Texte einer Geschichte. Der erste reißt vieles gleichzeitig an und öffnet Fragen, der zweite, der mir gut gefällt, sondiert und sortiert in kleinen Schritten die ungereimte Situation.

Mal sehen, wie dieser Krimi weitergeht.

LG gummibaum
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.03.2013, 15:32   #3
männlich Ringelroth
 
Benutzerbild von Ringelroth
 
Dabei seit: 05/2010
Ort: Völklingen
Alter: 73
Beiträge: 414


Hallo gummibaum,
es freut mich, dass ich dich neugierig gemacht habe.
Dann will ich dich auch nicht länger auf die Folter spannen
und poste die Fortsetzung.
Gruß
Ringelroth
Ringelroth ist offline   Mit Zitat antworten
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