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Alt 09.10.2009, 07:45   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Certificate of Discharge

Das Leben meines Vaters währte knapp siebenundsiebzig Jahre. Nachdem er gestorben war, kam ich in den Nachlaß einiger seiner persönlichen Unterlagen. Darunter befand sich ein Dokument, das sehr alt war und meine Neugier weckte.

Es bestand aus zwei DIN-A4-Blättern dünnen Papiers, das zweimal gefaltet war und dessen Falze so brüchig geworden waren, daß die Seiten sich in jeweils vier Teile zu lösen drohten.

Was ich in der Hand hielt, war ein Entlassungsschein aus dem Heer, datierend vom 17.09.1948. Ein Datum, das mich seltsam berührte, denn der siebzehnte September ist der Geburtstag meines Sohnes.

Der Entlassungsschein war zweisprachig, englisch-deutsch, denn mein Vater war nicht von deutschen Gnaden aus dem Heer entlassen worden, sondern von den siegreichen Briten, in deren Gefangenschaft er sich zweieinhalb Jahre befunden hatte. In Italien hatten sie ihn erwischt, unweit des Monte Cassino, und ihn zu ihren Schiffen im Hafen nach Neapel gebracht. Sein Gewehr hatte er vor der Gefangennahme weggeworfen, damit die Briten nicht erfuhren, daß er zu den Scharfschützen gehört hatte, sonst wäre es ihm schlecht ergangen.

Das Lager war in Ägypten, und die Gefangenen konnten sich über die Behandlung durch die Briten nicht beklagen. Mein Vater verstand sich auf das Bauen von Gitarren und hatte keine Schwierigkeiten, das notwendige Material zu bekommen. Und wenn man Lust und Laune dazu hatte, spielten Deutsche und Briten gegeneinander Fußball.

Ich studierte das alte Dokument aufmerksam. Die erste Seite befaßte sich mit dem ärztichen Befund, der aus dem einfachen Wort "Fit" bestand und von einem deutschen Arzt unterzeichnet war.

Seite zwei schilderte die Stationen der Heimkehr und den Gang zu den Ämtern.

Der Stempel unter dem Entlassungsdatum ließ sich nicht entziffern, ein weiterer lautete auf "Transit Camp – Münsterlager", unterzeichnet von C. Potter SS.M., Datum nicht erkennbar.

Der nächste Stempel bestätigte: "Fahrkartenausgabe Fulda, 19.09.1948". Seit zwei Tagen auf dem Weg nach Hause, aber immerhin schon auf hessischem Boden.

Vom 22.09.1948 datiert folgender Stempel des Wohnortes, der zugleich die Geburtsstadt meines Vaters war: "Lebensmittelkarten für 7 Tage ausgegeben – Betreuungsstelle für Heimkehrer".

Unter gleichem Datum folgende Bestätigung: "Raucherkarte für Sept. 48 sowie Seifenkarten wurden ausgegeben – Betreuungsstelle für heimkehrende Kriegsgefangene".

Am 27.09.1948 wurde per Stempel quittiert: "Für den Empfang von Lebensmittelbezug ... [Rest unleserlich] ... städtisches Ernährungsamt, 30. September 1948".

Der letzte Eintrag erfolgte am 24.09.1955: "Nach dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz angemeldet ... Der Magistrat (Ausgleichsamt)". Da war ich bereits seit vier Jahren auf der Welt.

Als mein Vater zum Heer eingezogen wurde, war er siebzehn Jahre alt und sein Einsatz durch die Gefangennahme rasch für ihn zu Ende. Und doch dauerte es mehr als sieben Jahre, bis er mit den letzten Auswirkungen des Krieges abschließen konnte.

© 9. Oktober 2009
by Ilka-M.
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Alt 09.10.2009, 10:57   #2
daktary
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Standard correcting

"discharge paper" ...,

... denn ein 'Zeugnis', 'Attest', 'Diplom' etc. (certificate) ist es ja nicht.

Ihr Text: "Entlassungsschein".

Geändert von daktary (09.10.2009 um 11:15 Uhr) Grund: Wort-Korrektur
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Alt 09.10.2009, 11:04   #3
weiblich Ilka-Maria
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Das ist keine Erfindung von mir, sondern steht tatsächlich so auf dem Entlassungsschein meines Vaters - klar und deutlich: "Certificate of Discharge". Weil nämlich "certificate" mehr Bedeutungen hat als nur "Zeugnis" (es kann z.B. auch eine Beglaubigung sein). Außerdem ist davon auszugehen, daß die Briten ihre Sprache kennen. Wenn nicht, würde es auch nichts ändern, denn so steht es nun mal auf dem Schein. Obwohl mir Deine Übersetzung auch zusagt - sie klingt zeitgemäßer.
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Alt 09.10.2009, 11:19   #4
daktary
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Standard RE

Dafür - wieviel einem persönlich ein solches "Papier" bedeutet - gibt es vermutlich überhaupt keine passende Bezeichnung.
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Alt 09.10.2009, 11:45   #5
weiblich Ilka-Maria
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Und jede Zeit hat sowieso ihre eigene Sprache.
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