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Alt 04.10.2009, 13:34   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Die Wirkung des Augenblicks

Der Schlag saß. Er kam so unerwartet wie ein Blitz an einem klaren Sommertag, und sie wurde augenblick zu Stein. Ihre linke Wange brannte. Sie fühlte ein Stechen an der Unterlippe und einen feuchten Faden, der ihr langsam am Kinn hinunterlief. Das linke Auge schmerzte. Sie war nicht fähig zu protestieren, nicht einmal weinen konnte sie, so schockiert war sie über das, was ihr gerade widerfahren war. Sie begriff es nicht. Lähmung setzte ein.

Sie war noch nie geschlagen worden, weder von ihren Eltern, noch von ihren Paten oder Lehrern oder anderen Erwachsenen, auch nicht von den Jugendlichen in der Schule oder in der Nachbarschaft. Gewalt kannte sie nur aus Filmen: Mord, Totschlag, Schießereien, Prügeleien, oder auch Handgreiflichkeiten - wenn zum Beispiel ein Ehemann seine Frau schlug.

Und genau das war ihr eben widerfahren.

Auf ihren Ohren lag ein Druck, wie Reisende ihn im Flugzeug verspüren, wenn es in den Himmel hinaufsteigt. Sie hörte nichts mehr. Sie sah auch nichts mehr. Sie nahm ihre Umwelt wie durch einen wässrigen Schleier wahr, ohne daß die Bilder auch nur schemenhaft in sie drangen. Aber die Lunge gehorchte ihr noch. Kaum merklich, nur für einen Bruchteil einer Sekunde, hatte es ihr dem Atem verschlagen, dann hob und senkte sich ihr Brustkorb wieder gleichmäßig.

Sie amtete, obwohl sie tot war. Eis hatte in ihrem Inneren sofort eine Schicht gebildet, die blitzschnell nach außen wuchs. Körper und Geist formten einen Gletscher - blitzschnell. Sie war keines Gefühls mehr mächtig, und deshalb konnte sie ihm auch nicht verzeihen.

Die große Liebe. Beide wußten es, als sie sich zum erstenmal in die Augen sahen. Verliebt, verlobt, verheiratet. Glücklich über das zauberhafte Gefühl, füreinander bestimmt zu sein. Das übermütige Lachen, wenn beide gleichzeitig die Lippen öffneten und dieselben Worte hervorsprudelten und sie dann vor lauter Heiterkeit nicht mehr wußten, was sie zu Ende hatten sagen wollen. Es war eine spaßige, großartige, zärtliche Zeit. Sie hätte sich niemals träumen lassen, daß es anders sein könnte.

Nun war es anders. Mit einem einzigen Schlag.

Sie würde ihm nie verzeihen. Es brächte nichts. Ihrer besten Freundin war es so ergangen. Ihre Freundin wollte verzeihen, wollte kämpfen, aber es hatte nichts gebracht. Jahrelang ertrug sie die Schläge ihres Mannes. Aber sie wollte diese Ehe nicht scheitern lassen, um keinen Preis - glaubte daran, ihren Mann mit Reden, Analysen, Neuanfängen und Eheberatung schon noch zur Vernunft zu bringen. Schöne Kleider, neue Frisuren, Fitness, Diäten und Make-up, mondäne Hüte und aufreizend hohe Schuhe sollten das ihre dazu beitragen, ihn davon zu überzeugen, welch wertvollen Schatz er besaß. Es half alles nichts. Ihr Mann ließ sich nicht zähmen, er wurde noch aufsässiger, er trank immer mehr, er schlug immer mehr, und er schlug immer heftiger. Als sie eines Tages im Krankenhaus wieder zu sich kam, begriff sie, daß Liebe um nichts auf der Welt zu erzwingen war. Ihre Freundin war gescheitert. Sie gestand sich ihre Niederlage ein, bereute jedoch nichts, sondern nannte es „Lehrgeld“, und jagte ihren Peiniger zum Teufel. Sie fand ihre Freundin großartig, weil das nicht jede Frau schafft.

Mit ihr war das nicht zu machen. Kein Verzeihen – unmöglich. Da nützte es auch nichts, daß er um Vergebung bat, unbeholfen nach Worten suchte wie „Es tut mir leid“, „...wollte ich nicht“. Sie konnte ihn ja nicht hören. Ihn, den bis dahin so sanften, verständnisvollen Mann, gelassen und heiter, ruhig und besonnen, niemals laut, immer bedacht, sein Wesen so licht wie sein blondes Haar. Sie hatte geglaubt, ihn zu kennen, ihn, deren Göttin sie war.

Dann dieser Schlag ins Gesicht, und er wurde ihr so fremd und fern wie der weiteste Planet eines Sonnensystems. Das Glück der vergangenen Jahre zerschmettert, die gemeinsame Vergangenheit unwiderbringlich vernichtet. Sie würde ihn damit nicht durchkommen lassen. In ihm allein durfte ihre gemeinsame Vergangenheit nicht weiterleben, als wäre nichts geschehen. Er mußte die Konsequenzen tragen. Er mußte sterben und so tot sein wie sie.
Sie wußte wie.

Sie würde freundlich, aber distanziert zu ihm sein, und er würde sie nicht bedrängen, nicht nach diesem Schlag in ihr Gesicht, denn seelische Wunden brauchen ihre Zeit. Sie würde sich nach der Wirkung von Giften erkundigen, die man sich ohne Aufsehen besorgen kann. Sie würde darauf achten, daß diese Gifte geruchs- und geschmacklos sind oder sich Geschmack und Geruch neutraliserien ließen. Sie würde Gifte bevorzugen, die schleichend sind. Sie hatte Zeit. Sie war ja wie tot.

Sie würde ihm die leckersten Spesen bereiten, und bei jedem Schmaus würde er Hoffnung schöpfen, daß ihre Liebe zu ihm wieder erwacht. Was nicht falsch wäre. Sie würde ihn lieben für seine Leichtgläubigkeit. Mit jedem Bissen, den er zu sich nahm, ohne Verdacht zu schöpfen. Mit jedem Bissen, mit dem er den kulinarischen Künsten seiner Frau huldigte. Sie würde ihn lieben bis auf den Tod.

Er würde dahinsiechen, ohne daß jemand die Wahrheit ahnte. Kein Verdacht würde auf sie fallen, auf die liebende, fürsogliche Gattin. Vollkommen aggressionsfrei, immer vernünftig und diszipliniert. Da kann man überall nachfragen, bei den Verwandten, bei den Bekannten, bei den Schwiegereltern, bei Freunden und Kollegen, im Verein. Immer freundlich und zuvorkommend, diese Gattin. Niemand käme ihr auf die Schliche. Kein Kommissar, kein Gerichtsmediziner. Es gäbe keine Fragen und auch keine Untersuchung. Im Nachruf würde ungefähr stehen: Nach kurzer, tapfer ertragener Krankheit zu früh von uns gegangen.

Alles stand bildhaft vor ihr, nach diesem Schlag ins Gesicht. Es dauerte nur Sekunden. Dann war es beschlossen.

Seine Uhr begann abzulaufen. Er war so gut wie tot.

Beide schwiegen über den Vorfall. Ihr eiskalter Stolz hatte ihm jeglichen Mut genommen, sie anzusprechen. Er sah sie nur manchmal traurig und hilflos an, und wenn beide im Haus waren, bemühte er sich, geräuschlos die Räume zu durchqueren, als könne eine heftige Bewegung oder der geringste Laut einen bösen Geist aufschrecken. Er hatte sie geschlagen, und nun wußte er schlicht und einfach nicht, wie die aus den Fugen geratene Welt wieder an den richtige Haken zu hängen war.

Sie hatte ihren eigenen Grund zu schweigen. Sie wollte ihn nicht ermuntern zu sprechen. Sie wollte nichts hören, keine Erklärungen, keine Gründe, keine Entschuldigung. Denn jede Erklärung, die er abgeben würde, fiele auf sie zurück und gäbe ihr die Schuld daran, daß er außer Kontrolle geraten war. Sie habe ihn gereizt, ihn in die Enge getrieben, würde er behaupten. Er würde versuchen, sich reinzuwaschen und ihr den Schwarzen Peter zuzuschieben, und dieses Spiel wollte sie nicht mitmachen.

So schwiegen beide beharrlich.

Sie setzten ihren Alltag fort, als wäre nichts geschehen. Jeden Morgen fuhren sie zur Arbeit in die Stadt, er in die Bank, sie ins Institut. Im Labor des Instituts zeichnete sie die Entwicklung angelegter Kulturen auf und analysierte Substanzen für neue Arzneimittel. Sie liebte ihren Beruf, und die Freude, die sie daran hatte, sprang auf ihre Mitarbeiter über und verbreitete gute Laune. Da sie sehr sorgfältig und gewissenhaft arbeitete, genoß sie seit langem das Vertrauen ihrer Vorgesetzten, das ihr den Schlüssel und damit den ungehinderten Zugang zum Laborschrank verschaffte. Das Labor war ihr Reich, hier war sie die Königin.

Nach Feierabend kaufte sie, wenn es nötig war, schnell noch etwas im Supermarkt für das Abendessen ein, bevor sie nach Hause fuhr. Sie bereitete nur Kleinigkeiten zu, weil beide mittags in der Kantine bereits eine warme Mahlzeit hatten, eine Suppe, einen gemischten Salat oder eine Pizza, die sie sich teilten. Nur an den Wochenenden, vor allem an den Sonntagen, pflegte sie ein größeres Menu zusammenzustellen. Wichtiger als das Abendessen war an den Wochentagen immer die Flasche Rotwein gewesen, das man abends zusammen im Wohnzimmer genossen hatte, um sich zu entspannen und über die Ereignisse des Tages zu plaudern. Das war jetzt anders. Jetzt aß jeder für sich allein, sie in der Küche neben dem Radio, vor sich auf dem Tisch ein Glas Rotwein, er vor dem Fernsehgerät im Wohnzimmer, wo bereits eine Flasche Whisky und ein Glas bereitstanden. Wenn sie es nicht vermeiden konnten, äußerten sie sich nur einsilbig über das Notwendigste.

Sie hatte sich im Gästezimmer eingerichtet und das Schlafzimmer ihm überlassen. Er hatte es wortlos hingenommen, weil er nicht wußte, wie er sie hätte aufhalten können. Ihre abweisende Kälte ließ ihn frösteln, und manchmal dachte er, es wäre besser, auszuziehen. Aber die Situation war zu frisch, noch hatte er Hoffnung. Und so blieb er.

Ihr selbst war alles gleichgültig. Nichts tat ihr leid oder weh. Sie nahm es klaglos hin, daß sie nichts mehr fühlte. Sie verspürte nicht einmal Haß. Sie hatte nur den einen Gedanken, daß ihr bis dahin wundervolles Leben ein zerbombtes Haus war und daß auch er, der daran die Schuld trug, nichts mehr fühlen durfte. Es störte sie, daß er litt und herumschlich wie ein geprügelter Hund, daß er winselnd seine Demut zur Schau stellte, daß er seine Würde abgeworfen hatte, als wäre sie ein lichterloh brennendes Hemd. Sie mußte sein Leiden beenden. Einen Weg finden.

Sie könnte sich Arsen aus dem Laborschrank des Instituts besorgen. Das wäre einfach, aber der plötzliche Tod eines kerngesunden Mannes im besten Alter würde Verdacht erregen. Arsen war im Körper nachweisbar, und man würde sie schnell der Tat überführt haben. Sie mußte einen anderen Weg finden.

Am Samstag nachmittag - ihr Mann war mit einem Freund zum Fußballspiel gegangen und sie hatte die Zeit genutzt, auf der Terrasse bei einer Tasse Kaffee die Sonne zu genießen – bannten die satten Farben der Stauden ihren Blick, die ihr Mann an der rechten Seite der Terrasse gepflanzt hatte. Es war ein schöner warmer Frühsommertag, und die helmförmigen Blüten hatten ihre volle Pracht entfaltet. In zwei Farben standen sie dort: in leuchtend dunklem Blau und ebenso intensivem Rot. Eisenhut! Eine hochgiftige Pflanze, giftig die Wurzeln, die Blätter, einfach alles an ihr. Er hatte Arbeitshandschuhe beim Pflanzen getragen, weil das Gift des Eisenhuts selbst durch die heile Haut in den Körper dringt. Wunderschön, diese Blüten, aber Vorsicht, nicht mit bloßen Händen anfassen! Sie erinnerte sich, gelesen zu haben, daß das Gift des Eisenhuts in der Antike ein klassisches Mittel gewesen war, unliebsame Zeitgenossen ins Jenseits zu befördern. Sie fand das verwunderlich, denn der Wirkstoff des Eisenhuts, das Aconitin, ist ein bitter schmeckendes Alkaloid, das Speisen oder Getränke ungenießbar macht. Vielleicht kam es auf die Dosis an, ob man das Gift schmeckte oder nicht. Acht bis zehn Milligramm würden genügen, um einen Mann normalen Körpergewichts sofort zu töten.
Aber es sollte langsam und unauffällig geschehen. Mit niedrigen Dosierungen in Speisen und Getränken, die bereits einen bitteren oder herben Eigenschmack haben. Etwas Alkoholisches vielleicht. Ihr Mann trank abends gerne ein Glas Whisky. Er durfte aber nicht zu der Überzeugung gelangen, er vertrage plötzlich keinen Whisky mehr und sollte ihn besser meiden. Sie mußte variieren. Aber das würde sie schon hinbekommen.

Das ganze brauchte Zeit. Wenn dann schließlich alle Welt überzeugt war, er sei unheilbar krank, könnte sie zum Arsen greifen. Arsen war geruch- und geschmacklos, er würde es nicht merken. Nichts könnte ihn mehr retten, es wäre das Ende.

In den nächsten Wochen ging es ihm oft schlecht. War sein psychischer Zustand schon bejammerswert, kamen jetzt noch heftige körperliche Beschwerden hinzu. Gerne hätte er sich ausgesprochen und mit ihr versöhnt, um wenigstens das seelische Leid abzuwerfen. Aber abgesehen davon, daß sie ihm auswich, fühlte er sich so elend, daß er nicht die Energie dazu aufbrachte. Nicht nur, daß ihm übel war und er erbrechen mußte, er bekam häufig Krämpfe im Unterleib, brach in Schweiß aus und litt an Atemnot. Vor seinen Augen flimmerte es, und ihm war entsetzlich kalt.

Der Hausarzt untersuchte ihn mehrmals, konnte aber außer einem niedrigen Blutdruck nichts feststellen. Auch dem Internisten blieb die Herkunft der Symptome ein Rätsel. Alle Organe waren gesund. Falsche Ernährung? Nein, gewiss nicht. Tabak, Zigaretten? Nein, nie im Leben geraucht. Alkohol? Nur mäßig. Stress bei der Arbeit? Nein, alles in Butter, gutes Verhältnis zum Chef und zu den Kollegen. Ärger in der Familie, Streit mit Freunden? Nein, alles im Lot.

Daß er sie geschlagen hatte und ein angespanntes Verhältnis zwischen ihnen herrschte, verschwieg er den Ärzten. Er hielt es nicht für notwendig, intime und zudem beschämende Sachverhalte auszuplaudern, die in keinen Zusammenhang mit seiner körperlichen Erkrankung standen. Und er verschwieg auch, daß er, wenn die Krämpfe zu stark wurden, aus schierer Verzweiflung immer öfter zum Whisky griff und erst mit dem Trinken aufhörte, wenn die halbe Flasche leer war. Dann war er so sturzbetrunken, daß er die Schmerzen ertragen und eine Weile schlafen konnte. Was ihn wunderte, denn früher war eine halbe Flasche Whisky oder Cognac für ihn eine leichte Übung gewesen, ein Kinderspiel. Wie konnte er auch ahnen, daß sie dem Alkoholgehalt des Whiskys mit einigen weiteren Prozenten nachgeholfen hatte!

Zwischendurch gab es Phasen, in denen es ihm besser ging. Aber nach ein oder zwei Tagen der Ruhe kamen die Attacken zurück, so daß der Hausarzt seine Krankmeldung immer wieder verlängern mußte, Woche um Woche. Als er dachte, er halte es nicht mehr aus, ließen die Symptome plötzlich nach. Die Atmung wurde wieder kräftig, der Blutdruck stieg auf Normalwert und er konnte klar sehen. Nachdem er fast vier Wochen lang krank gewesen war und sich über seine Weiterbeschäftigung in der Bank schon Sorgen gemacht hatte, war er so weit hergestellt, daß er Montags morgens, zwar von der Krankheit gezeichnet, aber ausgenüchert und fröhlich pfeifend, das Auto aus der Garage holte und in die Bank fuhr. Die Krankheit schien besiegt.

An diesem Montag nahm er sich vor, nie mehr Alkohol zu trinken. Vielleicht war es ja dieses Teufelszeug gewesen, das seine Krankheit zwar nicht verursacht, aber möglicherweise schlimmer gemacht oder zumindest die Heilung verzögert hatte. An diesen Vorsatz hielt er sich fast eine Woche lang.
Am Samstag abend setzten die Symptome wieder ein, heftiger als er sie bis dahin kannte, und sie hielten hartnäckig an. Wiederum waren die Ärzte ratlos. Am Sonntag reisten seine Eltern an, besorgt und bemüht, ihrem Sohn mit Ratschlägen und Vermutungen zu helfen, die freilich ohne Sachverstand waren. Sie war freundlich zu ihren Schwiegereltern, spielte die perfekte Krankenschwester und leistete sich nicht den mindesten Fehler, Verdacht zu erregen, es könne zwischen den Eheleuten nicht stimmen. Als ihre Schwiegereltern arglos Abschied nahmen, legten sie das Wohlbefinden ihres Sohnes in ihre vertrauensvollen Hände.

An diesem Abend begann er wieder zu trinken. Als sie ins Wohnzimmer kam, um nach ihm zu sehen, war die Flasche Whisky bis zum Boden geleert, und auch im Glas, das er neben der Couch auf den Teppich gestellt hatte, war kein Tropfen mehr. Er schlief. Sie ging zurück in das Gästezimmer und stellte das Fernsehgerät an.

Am Montag morgen war er nicht fähig, in die Bank zu fahren. Er meldete sich wieder krank, dann telefonierte er mit der Arztpraxis und ließ sich einen Termin geben. Es sei erst am Nachmittag etwas frei, und auch nur, weil jemand kurzfristig abgesagt hatte. Ob es nicht früher ginge, fragte er, er fühle sich hundeelend. Nein, leider nicht, aber sie verstehe die Dringlichkeit. Er möge doch um drei Uhr da sein, das sei eine Stunde vor dem offiziellen Beginn nach der Mittagspause, aber dann sei der Arzt schon da und nähme ihn gleich dran. Mehr könne sie im Augenblick nicht für ihn tun. Er griff zum Glas und nahm einen vollen Zug Whisky.

Am frühen Nachmittag war er so betrunken, daß er nicht mehr fähig war, gerade zu stehen, geschweige denn Auto zu fahren. Er rief sie im Labor an, wollte fragen, ob sie ihn fahren könne. Sie sei nicht da, informierte ihn ein Mitarbeiter. Mittagspause. Gerade in die Stadt gegangen und erst in etwa einer Stunde wieder zurück. Ob er etwas ausrichten könne? Nein, danke, es habe sich erledigt.

Er machte eine neue Flasche Whisky auf, füllte das Glas randvoll und spülte mit den ersten hastigen Schlucken drei Schmerztabletten hinunter. Den Rest des Glases leerte er in einem Zug. Er sollte den Arzttermin absagen, überlegte er kurz, in diesem Zustand könne er sich dort ohnehin nicht blicken lassen, auch wenn er jemanden fände, der ihn zur Praxis fuhr.

Einerlei.

Er machte das Glas noch einmal voll, und noch einmal, und jedesmal leerte er es gierig bis auf den Grund. Hauptsache die Schmerzen nicht spüren. Als die Flasche leer war, legte er sich auf die Couch und schlief in Ohnmacht ein.

Es war das letztemal, daß er um einen Termin beim Arzt ersucht hatte. In demselben Grad, wie sein Unwohlsein zunahm, wurde sein Körper schwächer. Er aß nur noch wenig und magerte rapide ab. Sein Alkoholkonsum nahm stetig zu. Er wußte, daß dieses unmäßige Trinken falsch war, aber ohne Whisky konnte er die Krämpfe, die Übelkeit, die Schweißausbrüche und das Frieren nicht ertragen. Er ließ es sich schließlich gefallen, daß sie einen Heilpraktiker ins Haus bestellte, der ihn untersuchte, sozusagen als letzte rettende Möglichkeit, aber auch das war vergeblich. Der Heilpraktiker verließ ihn mit zwei gut gemeinten Ratschlägen, nämlich in diesem schweren Fall auf den Whisky zu verzichten und im übrigen auf die Schulmedizin zu vertrauen. Er fühlte sich verhöhnt.

Wochenlang hielt er aus, ohne daß die erhoffte Linderung eintrat. Dann versuchte er, autosuggestive Kräfte wachzurufen, die ihm helfen sollten, sein Leiden zu ertragen. Wie hieß es doch: „Wenn man mit einem Leiden leben muß, dann behandle es nicht wie einen Feind, sondern mache es zu deinem Freund.“ Seine autosuggestiven Kräfte waren indessen, wie er schnell feststellte, schwach entwickelt. Er hätte schreien können vor Verzweiflung.

Zwei Monate nach Beginn seiner Erkrankung rief ihn ein Kollege an, der ihm freundschaftlich verbunden war und ihm verriet, daß die Bank ein Inserat aufgegeben hatte, um Ersatz für ihn zu finden. Noch während des Gesprächs griff er zur Flasche und füllte das noch halbvolle Glas Whisky auf bis zum Rand. Alles aus, alles vorbei. Als er das Glas an die Unterlippe kippte, schwappte die Flüssigkeit über und benetzte sein Hemd. Er tauchte die Lippen tiefer in das Glas und leckte den Rand ab, damit nicht noch mehr Whisky verloren ging. Alles vorbei, arbeitslos. Danke, er wisse die Information zu schätzen, er wisse Bescheid, und er würde sich, wenn er erst wieder gesund wäre, anderweitig orientieren. Danke für den Freundschaftsdienst, man hätte jetzt Klarheit, und man halte natürlich Kontakt. Ein Schulterklopfen durchs Telefon: Halt die Ohren steif, alter Freund, man hört voneinander.
Seine Hand zitterte. Er wollte den Hörer auflegen, aber er entglitt ihm und blieb neben der Konsole am Spiralkabel wippend hängen. Sein Job war verloren – zumindest so gut wie. Ein wahrlich lukrativer Job. Dickes Gehalt. Alles, auf das er jahrelang hingearbeitet hatte, was er aufgebaut hatte, war mit einem Schlag vernichtet.

Ein Szenario tat sich vor ihm auf: Frühinvalidität, Schmerzklinik, Gefangener in einem Haus angefüllt mit weißen Kitteln, mit Siechtum, mit Geräten und Schläuchen, mit Flüssigkeiten und Pillen. Warum war gerade er mit dieser Krankheit geschlagen, warum gerade er ...?

Tausend Fragen. Warum gerade er? Und woran litt er? Weshalb fand das kein Arzt heraus? Warum behandelte seine Frau ihn so kalt und abweisend, wo sein Zustand doch ihr Mitleid erregen müßte?

Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, aber es trieb ihn an die frische Luft. Gekrümmt vor Pein, den linken Arm auf den schmerzenden Unterleib gepresst, in der rechten Hand die Whiskyflasche, arbeitete er sich vor zur Terrassentür, trat hinaus in die sommerliche Wärme und ließ sich auf die Gartenbank fallen.

Als sie von der Arbeit nach Hause kam, saß er noch immer dort, in Ohnmacht versunken. Er hatte sich nicht der Qual ausgesetzt, nochmal ins Haus zu gehen, um ein Glas zu holen, sondern den Whisky aus der Flasche getrunken. Die Strahlen der untergehenden Sonne bleichten sein blondschimmerndes Haar und ließen seine Haut so blaß und geisterhaft aussehen, als sei er gerade verstorben. Es berührte sie nicht.

Nichts in ihr war wehmütig. Ihre glückliche Vergangenheit war weggewischt, nicht mehr vorhanden, ihr Inneres getötet. Sie sah sich beide nur noch wie Figuren in einem Film, einem Drama, das konsequent seinem Ende zustrebte. Die Zeit lief ab.

Sie ging in die Küche und goß Milch in ein Glas. In iher Handtasche hatte sie ein Röhrchen, das sie hervorholte und aus dem sie ein paar Tropfen in die Milch zählte. Sie nahm das Glas und ging auf die Terrasse, stellte es auf den Gartentisch und schüttelte ihren Mann leicht an der Schulter. Er war augenblicklich wach, und die Schmerzen ergriffen sofort Macht von ihm, trotz des Alkohols, mit dem er sie zu betäuben suchte. Er äße zu wenig, sagte sie ihm, er sollte wenigstens ein Glas Milch trinken, um einigermaßen bei Kräften zu bleiben. Er gehorchte, aber die Milch schmeckte ihm bitter. Er führte das auf den Alkoholgehalt in seinem Körper zurück. Milch und Whisky, das paßte eben nicht zusammen. Er leerte das Glas nur halb und stellte es auf den Tisch zurück.

Er hatte Milch nie gemocht, weil sie ihm Bauchschmerzen und Durchfall bereitete. Aber er wollte seine Frau nicht verärgern. Er wollte sich mit ihr versöhnen, später, wenn die Krankheit überwunden war und er sich erholt hatte. Und so führte er das Glas abermals an den Mund und trank die Milch trotz ihrer Bitterkeit bis zur Neige.

Die Symptome kamen mit voller Wucht: Ihm wurde so übel, daß er alle Gedärme hätte ausspeien mögen; sein Unterleib war wie ein Vulkan, der kurz vor der Eruption stand, in seinem Schädel hämmerten tausend Schmiede und sein Körper, an dem der Schweiß in dicken Tropfen perlte, war wie in Eis gepackt.

Augenblicklich bereute er, die Milch getrunken zu haben. Er wollte aufstehen, um sich eine neue Flasche Whisky zu holen, sank aber gekrümmt vor Schmerzen auf die Gartenbank zurück. Als er auf den Terrassenboden hinunterglitt, glaubte er, in der Hölle zu sein.

Er lag neben den Stauden, die er rechts neben der Terrasse gepflanzt hatte, roter und blauer Eisenhut, in dessen satte Farben er sich auf den ersten Blick verliebt hatte. Andere mochten Rosen züchten, er liebte den Eisenhut, den er hingebungsvoll pflegte.

Aber da war etwas, das seine Aufmerksamkeit erregte!

Er sah, daß mit dem Mulchwerk etwas nicht stimmte. Der Eisenhut brauchte Feuchtigkeit. Wer Eisenhut hegt, sorgt für kalkhaltigen Boden und hält die Mulche feucht. Dafür hatten sie beide immer gesorgt. Hier hatte aber jemand am Mulchwerk hantiert, denn es lag nicht so ordentlich und gleichmäßig gehäuft um die Pflanzen herum, wie er es angelegt hatte. Es war breiter und flacher, und Teile davon waren im Gras verstreut. Auch schien ihm der Boden, in dem die Pflanzen saßen, locker zu sein.

Und da begriff er!

Er wurde vergiftet.

Von der Frau, die er liebte.

Seit wann, wie lange schon?

Er würde sterben – oh Gott! Hatte er noch Minuten – oder nur noch Sekunden?

Die Erkenntnis ließ ihn auf aufbäumen, und er robbte ins Wohnzimmer, um die Polizei und seinen Anwalt anzurufen.

Als sie aus dem Gästezimmer kam, lag er am Boden vor der Konsole, die Hand um den Hörer gekrampft. Sie hörte das Freizeichen. Sein Körper bewegte sich spastisch. Sie wand ihm den Hörer aus der Hand und legte auf. Dann ging sie in die Küche, goß sich ein Glas Rotwein ein, setzte sich an den Tisch und wartete. An der Wand tickte die Uhr.

Drei Tage später wurde er beerdigt. Sie war die erste, die nach der Trauerrede des Pfarrers nach der Schaufel griff, ein wenig Erde aufnahm, sie auf den Sargdeckel regnen ließ und mit einem "Ruhe in Frieden" auf den Lippen zwei in Cellophan gehüllte und mit weißen Schleifen verzierte rote und blaue Blüten ins Grab warf. Ihr Geheimnis war der Erde anvertraut, die den Sarg für immer umschloß.

Ilka-M.
September 2006
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.10.2009, 16:59   #2
daktary
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Dabei seit: 09/2009
Beiträge: 116


Standard der Augenblick nach der Wirkung

Zitat:
Der Schlag saß. Er kam so unerwartet wie ein Blitz an einem klaren Sommertag, und sie wurde augenblick
(f)
Zitat:
zu Stein. Ihre linke Wange brannte. Sie fühlte ein Stechen an der Unterlippe und einen feuchten Faden, der ihr langsam am Kinn hinunterlief. Das linke Auge schmerzte. Sie war nicht fähig zu protestieren, nicht einmal weinen konnte sie, so schockiert war sie über das, was ihr gerade widerfahren war. Sie begriff es nicht. Lähmung setzte ein
(dafür folgt aber noch allerhand Vitales).

Zitat:
Sie war noch nie geschlagen worden, weder von ihren Eltern, noch von ihren Paten oder Lehrern oder anderen Erwachsenen, auch nicht von den Jugendlichen in der Schule oder in der Nachbarschaft. Gewalt kannte sie nur aus Filmen: Mord, Totschlag, Schießereien, Prügeleien, oder auch Handgreiflichkeiten - wenn zum Beispiel ein Ehemann seine Frau schlug.

Und genau das war ihr eben widerfahren.
(Wiederholung).

Zitat:
Auf ihren Ohren lag ein Druck, wie Reisende ihn im Flugzeug verspüren, wenn es
(„es“? Wer? Was?)

Zitat:
in den Himmel hinaufsteigt. Sie hörte nichts mehr. Sie sah auch nichts mehr. Sie nahm ihre Umwelt wie durch einen wässrigen Schleier wahr,
(? sie sah doch nichts mehr – siehe oben)

Zitat:
ohne daß die Bilder auch nur schemenhaft in sie drangen. Aber die Lunge gehorchte ihr noch. Kaum merklich, nur für einen Bruchteil einer Sekunde, hatte es ihr dem Atem verschlagen, dann hob und senkte sich ihr Brustkorb wieder gleichmäßig.

Sie amtete, obwohl sie tot war.
(tatsächlich?)

Zitat:
Eis hatte in ihrem Inneren sofort eine Schicht gebildet, die blitzschnell nach außen wuchs. Körper und Geist formten einen Gletscher – blitzschnell.
(Wiederholungsfehler)

Zitat:
Sie war keines Gefühls mehr mächtig, und deshalb konnte sie ihm auch nicht verzeihen.

Die große Liebe. Beide wußten es, als sie sich zum erstenmal in die Augen sahen. Verliebt, verlobt, verheiratet. Glücklich über das zauberhafte Gefühl, füreinander bestimmt zu sein. Das übermütige Lachen, wenn beide gleichzeitig die Lippen öffneten und dieselben
(die gleichen; es sind zwei Münder)

Zitat:
Worte hervorsprudelten und sie dann vor lauter Heiterkeit nicht mehr wußten, was sie zu Ende hatten sagen wollen. Es war eine spaßige, großartige, zärtliche Zeit. Sie hätte sich niemals träumen lassen, daß es anders sein könnte.

Nun war es anders. Mit einem einzigen Schlag .

Sie würde ihm nie verzeihen. Es brächte nichts. Ihrer besten Freundin war es so ergangen. Ihre Freundin wollte verzeihen, wollte kämpfen, aber es hatte nichts gebracht. Jahrelang ertrug sie die Schläge ihres Mannes. Aber sie wollte
(Wiederholungsfehler)

Zitat:
diese Ehe nicht scheitern lassen, um keinen Preis –
(Satzzeichen fehlt)

Zitat:
glaubte daran, ihren Mann mit Reden, Analysen, Neuanfängen und Eheberatung schon noch zur Vernunft zu bringen. Schöne Kleider, neue Frisuren, Fitness, Diäten und Make-up, mondäne Hüte und aufreizend hohe Schuhe sollten das ihre dazu beitragen, ihn davon zu überzeugen, welch wertvollen Schatz er besaß. Es half alles nichts. Ihr Mann ließ sich nicht zähmen, er wurde noch aufsässiger, er trank immer mehr, er schlug immer mehr, und er schlug immer heftiger. Als sie
(in der Folge „sie“ und „sie“ besser auseinander halten)

Zitat:
eines Tages im Krankenhaus wieder zu sich kam, begriff sie, daß Liebe um nichts auf der Welt zu erzwingen war. Ihre Freundin war gescheitert. Sie gestand sich ihre Niederlage ein, bereute jedoch nichts, sondern nannte es „Lehrgeld“, und jagte ihren Peiniger zum Teufel. Sie fand ihre Freundin großartig, weil das nicht jede Frau schafft.

Mit ihr war das nicht zu machen. Kein Verzeihen – unmöglich. Da nützte es auch nichts, daß er um Vergebung bat, unbeholfen nach Worten suchte
(woher weiß sie das?)

Zitat:
wie „Es tut mir leid“, „...wollte ich nicht“. Sie konnte ihn ja nicht hören. Ihn, den bis dahin so sanften, verständnisvollen Mann, gelassen und heiter, ruhig und besonnen, niemals laut, immer bedacht, sein Wesen so licht wie sein blondes Haar. Sie hatte geglaubt, ihn zu kennen, ihn, deren
(dessen!!)

Zitat:
Göttin sie war.

Dann dieser Schlag ins Gesicht, und er wurde ihr so fremd und fern wie der weiteste Planet eines Sonnensystems. Das Glück der vergangenen Jahre zerschmettert, die gemeinsame Vergangenheit unwiderbringlich vernichtet. Sie würde ihn damit nicht durchkommen lassen. In ihm allein durfte ihre gemeinsame Vergangenheit nicht weiterleben, als wäre nichts geschehen. Er mußte die Konsequenzen tragen. Er mußte sterben und so tot sein wie sie.
Sie wußte wie
(??).

Zitat:
Sie würde freundlich, aber distanziert zu ihm sein, und er würde sie nicht bedrängen, nicht nach diesem Schlag in ihr Gesicht, denn seelische Wunden brauchen ihre Zeit
(wofür?).

Zitat:
Sie würde sich nach der Wirkung von Giften erkundigen, die man sich ohne Aufsehen besorgen kann. Sie würde darauf achten, daß diese Gifte geruchs- und geschmacklos sind oder sich Geschmack und Geruch neutraliserien ließen. Sie würde Gifte bevorzugen, die schleichend sind. Sie hatte Zeit. Sie war ja wie tot.
(Unlogisch)

Zitat:
Sie würde ihm die leckersten Spesen
(was hätte er von „Spesen“)

Zitat:
bereiten, und bei jedem Schmaus würde er Hoffnung schöpfen, daß ihre Liebe zu ihm wieder erwacht
(erwachen möge).

Zitat:
Was nicht falsch wäre. Sie würde ihn lieben
(tatsächlich?)

Zitat:
für seine Leichtgläubigkeit. Mit jedem Bissen, den er zu sich nahm, ohne Verdacht zu schöpfen. Mit jedem Bissen, mit dem er den kulinarischen Künsten seiner Frau huldigte. Sie würde ihn lieben bis auf
(in)

Zitat:
den Tod.

Er würde dahinsiechen, ohne daß jemand die Wahrheit ahnte. Kein Verdacht würde
(Wiederholung)

Zitat:
auf sie fallen, auf die liebende, fürsogliche
(fürso r gliche)

Zitat:
Gattin. Vollkommen aggressionsfrei, immer vernünftig und diszipliniert. Da kann man überall nachfragen, bei den Verwandten, bei den Bekannten, bei den Schwiegereltern, bei Freunden und Kollegen, im Verein. Immer freundlich und zuvorkommend, diese Gattin. Niemand käme ihr auf die Schliche. Kein Kommissar, kein Gerichtsmediziner. Es gäbe keine Fragen und auch keine Untersuchung. Im Nachruf würde ungefähr stehen: Nach kurzer, tapfer ertragener Krankheit zu früh von uns gegangen.

Alles stand bildhaft vor ihr, nach diesem Schlag ins Gesicht. Es dauerte nur Sekunden. Dann war es beschlossen.

Seine Uhr begann abzulaufen. Er war so gut wie tot.

Beide schwiegen über den Vorfall. Ihr eiskalter Stolz hatte ihm jeglichen Mut genommen, sie anzusprechen. Er sah sie nur manchmal traurig und hilflos an, und wenn beide im Haus waren, bemühte er sich, geräuschlos die Räume zu durchqueren, als könne eine heftige Bewegung oder der geringste Laut einen bösen Geist aufschrecken. Er hatte sie geschlagen, und nun wußte er schlicht und einfach nicht, wie die aus den Fugen geratene Welt wieder an den richtige Haken zu hängen war
(die Welt hängt nie an irgendeinem, also auch nicht an einem „richtigen“ Haken).

Zitat:
Sie hatte ihren eigenen Grund zu schweigen. Sie wollte ihn nicht ermuntern zu sprechen. Sie wollte nichts hören, keine Erklärungen, keine Gründe, keine Entschuldigung. Denn jede Erklärung, die er abgeben würde, fiele auf sie zurück und gäbe ihr die Schuld daran, daß er außer Kontrolle geraten war. Sie habe ihn gereizt, ihn in die Enge getrieben, würde er behaupten. Er würde versuchen, sich reinzuwaschen und ihr den Schwarzen Peter zuzuschieben, und dieses Spiel wollte sie nicht mitmachen.

So schwiegen beide beharrlich.

Sie setzten ihren Alltag fort, als wäre nichts geschehen. Jeden Morgen fuhren sie zur Arbeit in die Stadt, er in die Bank, sie ins Institut. Im Labor des Instituts zeichnete sie die Entwicklung angelegter Kulturen auf und analysierte Substanzen für neue Arzneimittel. Sie liebte ihren Beruf, und die Freude, die sie daran hatte, sprang auf ihre Mitarbeiter über und verbreitete gute Laune. Da sie sehr sorgfältig und gewissenhaft arbeitete, genoß sie seit langem das Vertrauen ihrer Vorgesetzten, das ihr den Schlüssel und damit den ungehinderten Zugang zum Laborschrank verschaffte. Das Labor war ihr Reich, hier war sie die Königin.

Nach Feierabend kaufte sie, wenn es nötig war, schnell noch etwas im Supermarkt für das Abendessen ein, bevor sie nach Hause fuhr. Sie bereitete nur Kleinigkeiten zu, weil beide mittags in der Kantine bereits eine warme Mahlzeit hatten, eine Suppe, einen gemischten Salat oder eine Pizza, die sie sich teilten. Nur an den Wochenenden, vor allem an den Sonntagen, pflegte sie ein größeres Menu zusammenzustellen. Wichtiger als das Abendessen war an den Wochentagen immer die Flasche Rotwein gewesen, das man abends zusammen im Wohnzimmer genossen hatte, um sich zu entspannen und über die Ereignisse des Tages zu plaudern. Das war jetzt anders. Jetzt aß jeder für sich allein, sie in der Küche neben dem Radio, vor sich auf dem Tisch ein Glas Rotwein, er vor dem Fernsehgerät im Wohnzimmer, wo bereits eine Flasche Whisky und ein Glas bereitstanden. Wenn sie es nicht vermeiden konnten, äußerten sie sich nur einsilbig über das Notwendigste.

Sie hatte sich im Gästezimmer eingerichtet und das Schlafzimmer ihm überlassen. Er hatte es wortlos hingenommen, weil er nicht wußte, wie er sie hätte aufhalten können. Ihre abweisende Kälte ließ ihn frösteln, und manchmal dachte er, es wäre besser, auszuziehen. Aber die Situation war zu frisch, noch hatte er Hoffnung. Und so blieb er.
(Woher weiß die Autorin, die das alles berichtet, was der Mann denkt und fühlt?)

Zitat:
Ihr selbst war alles gleichgültig. Nichts tat ihr leid oder weh. Sie nahm es klaglos hin, daß sie nichts mehr fühlte. Sie verspürte nicht einmal Haß. Sie hatte nur den einen Gedanken, daß ihr bis dahin wundervolles Leben ein zerbombtes Haus war und daß auch er, der daran die Schuld trug, nichts mehr fühlen durfte. Es störte sie, daß er litt und herumschlich wie ein geprügelter Hund, daß er winselnd seine Demut zur Schau stellte, daß er seine Würde abgeworfen hatte, als wäre sie ein lichterloh brennendes Hemd. Sie mußte sein Leiden beenden.
(Unlogisch)

Zitat:
Einen Weg finden.

Sie könnte sich Arsen aus dem Laborschrank des Instituts besorgen. Das wäre einfach, aber der plötzliche Tod eines kerngesunden Mannes im besten Alter würde Verdacht erregen. Arsen war im Körper nachweisbar, und man würde sie schnell der Tat überführt haben. Sie mußte einen anderen Weg finden.

Am Samstag nachmittag - ihr Mann war mit einem Freund zum Fußballspiel gegangen und sie hatte die Zeit genutzt, auf der Terrasse bei einer Tasse Kaffee die Sonne zu genießen – bannten die satten Farben der Stauden ihren Blick, die ihr Mann an der rechten Seite der Terrasse gepflanzt hatte
(Satzbau beachten).

Zitat:
Es war ein schöner warmer Frühsommertag, und die helmförmigen Blüten
(welche?)

Zitat:
hatten ihre volle Pracht entfaltet. In zwei Farben standen sie dort: in leuchtend dunklem Blau und ebenso intensivem Rot. Eisenhut! Eine hochgiftige Pflanze, giftig die Wurzeln, die Blätter,
(ergänzen: giftig)

Zitat:
einfach alles an ihr. Er hatte Arbeitshandschuhe beim Pflanzen getragen, weil das Gift des Eisenhuts selbst durch die heile Haut in den Körper dringt. Wunderschön, diese Blüten, aber Vorsicht, nicht mit bloßen Händen anfassen! Sie erinnerte sich, gelesen zu haben, daß das Gift des Eisenhuts in der Antike ein klassisches Mittel gewesen war, unliebsame Zeitgenossen ins Jenseits zu befördern. Sie fand das verwunderlich, denn der Wirkstoff des Eisenhuts, das Aconitin, ist ein bitter schmeckendes Alkaloid, das Speisen oder Getränke ungenießbar macht
(Quellenangabe!).

Zitat:
Vielleicht kam es auf die Dosis an, ob man das Gift schmeckte oder nicht. Acht bis zehn Milligramm würden genügen, um einen Mann normalen Körpergewichts sofort zu töten.
Aber es sollte langsam und unauffällig geschehen. Mit niedrigen Dosierungen in Speisen und Getränken, die bereits einen bitteren oder herben Eigenschmack haben. Etwas Alkoholisches vielleicht. Ihr Mann trank abends gerne ein Glas Whisky. Er durfte aber nicht zu der Überzeugung gelangen, er vertrage plötzlich keinen Whisky mehr und sollte ihn besser meiden. Sie mußte variieren. Aber das würde sie schon hinbekommen.

Das ganze
(Fehler.- Außerdem besser: das alles ...)

Zitat:
brauchte Zeit. Wenn dann schließlich alle Welt überzeugt war, er sei unheilbar krank, könnte sie zum Arsen greifen. Arsen war geruch- und geschmacklos, er würde es nicht merken. Nichts könnte ihn mehr retten, es wäre das Ende.

In den nächsten Wochen ging es ihm oft schlecht. War sein psychischer Zustand schon bejammerswert,
(bejammer n swert)

Zitat:
kamen jetzt noch heftige körperliche Beschwerden hinzu. Gerne hätte er sich ausgesprochen und mit ihr versöhnt, um wenigstens das seelische Leid abzuwerfen. Aber abgesehen davon, daß sie ihm auswich, fühlte er sich so elend, daß er nicht die Energie dazu aufbrachte. Nicht nur, daß ihm übel war und er erbrechen mußte, er bekam häufig Krämpfe im Unterleib, brach in Schweiß aus und litt an Atemnot. Vor seinen Augen flimmerte es, und ihm war entsetzlich kalt.
(Er sagt ihr das doch nicht. Woher also will sie das wissen?)

Zitat:
Der Hausarzt untersuchte ihn mehrmals, konnte aber außer einem niedrigen Blutdruck nichts feststellen. Auch dem Internisten blieb die Herkunft der Symptome ein Rätsel. Alle Organe waren gesund. Falsche Ernährung? Nein, gewiss nicht. Tabak, Zigaretten? Nein, nie im Leben geraucht. Alkohol? Nur mäßig. Stress bei der Arbeit? Nein, alles in Butter, gutes Verhältnis zum Chef und zu den Kollegen. Ärger in der Familie, Streit mit Freunden? Nein, alles im Lot.

Daß er sie geschlagen hatte und ein angespanntes Verhältnis zwischen ihnen herrschte, verschwieg er den Ärzten. Er hielt es nicht für notwendig, intime und zudem beschämende Sachverhalte auszuplaudern, die in keinen Zusammenhang mit seiner körperlichen Erkrankung standen. Und er verschwieg auch, daß er, wenn die Krämpfe zu stark wurden, aus schierer Verzweiflung immer öfter zum Whisky griff und erst mit dem Trinken aufhörte, wenn die halbe Flasche leer war. Dann war er so sturzbetrunken, daß er die Schmerzen ertragen und eine Weile schlafen konnte. Was ihn wunderte, denn früher war eine halbe Flasche Whisky oder Cognac für ihn eine leichte Übung gewesen, ein Kinderspiel.
(Dto.: woher will sie das wissen?)

Zitat:
Wie konnte er auch ahnen, daß sie dem Alkoholgehalt des Whiskys mit einigen weiteren Prozenten nachgeholfen hatte!

Zwischendurch gab es Phasen, in denen es ihm besser ging. Aber nach ein oder zwei Tagen der Ruhe kamen die Attacken zurück, so daß der Hausarzt seine Krankmeldung immer wieder verlängern mußte, Woche um Woche. Als er dachte, er halte es nicht mehr aus, ließen die Symptome plötzlich nach. Die Atmung wurde wieder kräftig, der Blutdruck stieg auf Normalwert
(vor vollständigem Satz: Komma)

Zitat:
und er konnte klar sehen. Nachdem er fast vier Wochen lang krank gewesen war und sich über seine Weiterbeschäftigung in der Bank schon Sorgen gemacht hatte, war er so weit hergestellt, daß er Montags
(Montag)

Zitat:
morgens, zwar von der Krankheit gezeichnet, aber ausgenüchert und fröhlich pfeifend, das Auto aus der Garage holte und in die Bank fuhr. Die Krankheit schien besiegt.

An diesem Montag nahm er sich vor, nie mehr Alkohol zu trinken. Vielleicht war es ja dieses Teufelszeug gewesen, das seine Krankheit zwar nicht verursacht, aber möglicherweise schlimmer gemacht oder zumindest die Heilung verzögert hatte. An diesen Vorsatz hielt er sich fast eine Woche lang.
Am Samstag abend setzten die Symptome wieder ein, heftiger als er sie bis dahin kannte, und sie hielten hartnäckig an. Wiederum waren die Ärzte ratlos. Am Sonntag reisten seine Eltern an, besorgt und bemüht, ihrem Sohn mit Ratschlägen und Vermutungen zu helfen, die freilich ohne Sachverstand waren. Sie war freundlich zu ihren Schwiegereltern, spielte die perfekte Krankenschwester und leistete sich nicht den mindesten Fehler, Verdacht zu erregen, es könne zwischen den Eheleuten nicht stimmen. Als ihre Schwiegereltern arglos Abschied nahmen, legten sie das Wohlbefinden ihres Sohnes in ihre vertrauensvollen Hände.
(schlechtes Deutsch).

Zitat:
An diesem Abend begann er wieder zu trinken. Als sie ins Wohnzimmer kam, um nach ihm zu sehen, war die Flasche Whisky bis zum Boden geleert, und auch im Glas, das er neben der Couch auf den Teppich gestellt hatte, war kein Tropfen mehr. Er schlief. Sie ging zurück in das Gästezimmer und stellte das Fernsehgerät an.

Am Montag morgen war er nicht fähig, in die Bank zu fahren. Er meldete sich wieder krank, dann telefonierte er mit der Arztpraxis und ließ sich einen Termin geben. Es sei erst am Nachmittag etwas frei, und auch nur, weil jemand kurzfristig abgesagt hatte. Ob es nicht früher ginge, fragte er, er fühle sich hundeelend. Nein, leider nicht, aber sie verstehe die Dringlichkeit. Er möge doch um drei Uhr da sein, das sei eine Stunde vor dem offiziellen Beginn nach der Mittagspause, aber dann sei der Arzt schon da und nähme ihn gleich dran. Mehr könne sie im Augenblick nicht für ihn tun. Er griff zum Glas und nahm einen vollen Zug Whisky.

Am frühen Nachmittag war er so betrunken, daß er nicht mehr fähig war, gerade zu stehen, geschweige denn Auto zu fahren. Er rief sie
(wen?)

Zitat:
im Labor an, wollte fragen, ob sie ihn fahren könne. Sie sei nicht da, informierte ihn ein Mitarbeiter. Mittagspause. Gerade in die Stadt gegangen und erst in etwa einer Stunde wieder zurück. Ob er etwas ausrichten könne? Nein, danke, es habe sich erledigt.

Er machte eine neue Flasche Whisky auf, füllte das Glas randvoll und spülte mit den ersten hastigen Schlucken drei Schmerztabletten hinunter. Den Rest des Glases leerte er in einem Zug. Er sollte den Arzttermin absagen, überlegte er kurz, in diesem Zustand könne er sich dort ohnehin nicht blicken lassen, auch wenn er jemanden fände, der ihn zur Praxis fuhr.

Einerlei.

Er machte das Glas noch einmal voll,
(„vollmachen“: besseres Deutsch wählen)

Zitat:
und noch einmal, und jedesmal leerte er es gierig bis auf den Grund. Hauptsache die Schmerzen nicht spüren. Als die Flasche leer war, legte er sich auf die Couch und schlief in Ohnmacht ein.
(in Ohnmacht einschlafen: wie geht das vor sich?)

Zitat:
Es war das letztemal, daß er um einen Termin beim Arzt ersucht hatte. In demselben Grad, wie sein Unwohlsein zunahm, wurde sein Körper schwächer. Er aß nur noch wenig und magerte rapide ab. Sein Alkoholkonsum nahm stetig zu. Er wußte, daß dieses unmäßige Trinken falsch war, aber ohne Whisky konnte er die Krämpfe, die Übelkeit, die Schweißausbrüche und das Frieren nicht ertragen. Er ließ es sich schließlich gefallen, daß sie einen Heilpraktiker ins Haus bestellte, der ihn untersuchte, sozusagen als letzte rettende Möglichkeit, aber auch das war vergeblich. Der Heilpraktiker verließ ihn mit zwei gut gemeinten Ratschlägen, nämlich in diesem schweren Fall auf den Whisky zu verzichten und im übrigen auf die Schulmedizin zu vertrauen. Er fühlte sich verhöhnt.

Wochenlang hielt er aus, ohne daß die erhoffte Linderung eintrat. Dann versuchte er, autosuggestive Kräfte wachzurufen, die ihm helfen sollten, sein Leiden zu ertragen. Wie hieß es doch: „Wenn man mit einem Leiden leben muß, dann behandle es nicht wie einen Feind, sondern mache es zu deinem Freund.“ Seine autosuggestiven Kräfte waren indessen, wie er schnell feststellte, schwach entwickelt. Er hätte schreien können vor Verzweiflung.
(Erneut: woher weiß „sie“ das?)

Zitat:
Zwei Monate nach Beginn seiner Erkrankung rief ihn ein Kollege an, der ihm freundschaftlich verbunden war und ihm verriet, daß die Bank ein Inserat aufgegeben hatte, um Ersatz für ihn zu finden. Noch während des Gesprächs griff er zur Flasche und füllte das noch halbvolle Glas Whisky auf bis zum Rand. Alles aus, alles vorbei. Als er das Glas an die Unterlippe kippte, schwappte die Flüssigkeit über und benetzte sein Hemd. Er tauchte die Lippen tiefer in das Glas und leckte den Rand ab, damit nicht noch mehr Whisky verloren ging. Alles vorbei, arbeitslos. Danke, er wisse die Information zu schätzen, er wisse Bescheid, und er würde sich, wenn er erst wieder gesund wäre, anderweitig orientieren. Danke für den Freundschaftsdienst, man hätte jetzt Klarheit, und man halte natürlich Kontakt. Ein Schulterklopfen durchs Telefon: Halt die Ohren steif, alter Freund, man hört voneinander.
Seine Hand zitterte. Er wollte den Hörer auflegen, aber er entglitt ihm und blieb neben der Konsole am Spiralkabel wippend hängen. Sein Job war verloren – zumindest so gut wie. Ein wahrlich lukrativer Job. Dickes Gehalt. Alles, auf das er jahrelang hingearbeitet hatte, was er aufgebaut hatte, war mit einem Schlag vernichtet.

Ein Szenario tat sich vor ihm auf: Frühinvalidität, Schmerzklinik, Gefangener in einem Haus angefüllt mit weißen Kitteln, mit Siechtum, mit Geräten und Schläuchen, mit Flüssigkeiten und Pillen. Warum war gerade er mit dieser Krankheit geschlagen, warum gerade er ...?
(Woher weiß „sie“=die Autorin das?)

Zitat:
Tausend Fragen. Warum gerade er? Und woran litt er? Weshalb fand das kein Arzt heraus?
(Gute Frage, betrifft (Un-)Wahrscheinlichkeit der Geschichte)

Zitat:
Warum behandelte seine Frau ihn so kalt und abweisend, wo sein Zustand doch ihr Mitleid erregen müßte?

Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, aber es trieb ihn an die frische Luft. Gekrümmt vor Pein, den linken Arm auf den schmerzenden Unterleib gepresst, in der rechten Hand die Whiskyflasche, arbeitete er sich vor zur Terrassentür, trat hinaus in die sommerliche Wärme und ließ sich auf die Gartenbank fallen.

Als sie von der Arbeit nach Hause kam, saß er noch immer dort, in Ohnmacht versunken.
(Bei Ohnmacht hätte er wohl neben der Bank gelegen.).

Zitat:
Er hatte sich nicht der Qual ausgesetzt, nochmal ins Haus zu gehen, um ein Glas zu holen, sondern den Whisky aus der Flasche getrunken. Die Strahlen der untergehenden Sonne bleichten sein blondschimmerndes Haar und ließen seine Haut so blaß und geisterhaft aussehen, als sei er gerade verstorben. Es berührte sie nicht.

Nichts in ihr war wehmütig. Ihre glückliche Vergangenheit war weggewischt, nicht mehr vorhanden, ihr Inneres getötet. Sie sah sich beide nur noch wie Figuren in einem Film, einem Drama, das konsequent seinem Ende zustrebte. Die Zeit lief ab.

Sie ging in die Küche und goß Milch in ein Glas. In iher Handtasche hatte sie ein Röhrchen, das sie hervorholte und aus dem sie ein paar Tropfen in die Milch zählte. Sie nahm das Glas und ging auf die Terrasse, stellte es auf den Gartentisch und schüttelte ihren Mann leicht an der Schulter. Er war augenblicklich wach, und die Schmerzen ergriffen sofort Macht von ihm, trotz des Alkohols, mit dem er sie zu betäuben suchte. Er äße zu wenig, sagte sie ihm, er sollte wenigstens ein Glas Milch trinken, um einigermaßen bei Kräften zu bleiben. Er gehorchte, aber die Milch schmeckte ihm bitter. Er führte das auf den Alkoholgehalt in seinem Körper zurück. Milch und Whisky, das paßte eben nicht zusammen. Er leerte das Glas nur halb und stellte es auf den Tisch zurück.

Er hatte Milch nie gemocht, weil sie ihm Bauchschmerzen und Durchfall bereitete. Aber er wollte seine Frau nicht verärgern. Er wollte sich mit ihr versöhnen, später, wenn die Krankheit überwunden war und er sich erholt hatte. Und so führte er das Glas abermals an den Mund und trank die Milch trotz ihrer Bitterkeit bis zur Neige.

Die Symptome kamen mit voller Wucht: Ihm wurde so übel, daß er alle Gedärme hätte ausspeien mögen; sein Unterleib war wie ein Vulkan, der kurz vor der Eruption stand, in seinem Schädel hämmerten tausend Schmiede und sein Körper, an dem der Schweiß in dicken Tropfen perlte, war wie in Eis gepackt.

Augenblicklich bereute er, die Milch getrunken zu haben. Er wollte aufstehen, um sich eine neue Flasche Whisky zu holen, sank aber gekrümmt vor Schmerzen auf die Gartenbank zurück. Als er auf den Terrassenboden hinunterglitt, glaubte er, in der Hölle zu sein.

Er lag neben den Stauden, die er rechts neben der Terrasse gepflanzt hatte, roter und blauer Eisenhut, in dessen satte Farben er sich auf den ersten Blick verliebt hatte. Andere mochten Rosen züchten, er liebte den Eisenhut, den er hingebungsvoll pflegte.

Aber da war etwas, das seine Aufmerksamkeit erregte!

Er sah, daß mit dem Mulchwerk etwas nicht stimmte. Der Eisenhut brauchte Feuchtigkeit. Wer Eisenhut hegt, sorgt für kalkhaltigen Boden und hält die Mulche feucht. Dafür hatten sie beide immer gesorgt. Hier hatte aber jemand am Mulchwerk hantiert, denn es lag nicht so ordentlich und gleichmäßig gehäuft um die Pflanzen herum, wie er es angelegt hatte. Es war breiter und flacher, und Teile davon waren im Gras verstreut. Auch schien ihm der Boden, in dem die Pflanzen saßen, locker zu sein.

Und da begriff er!

Er wurde vergiftet.

Von der Frau, die er liebte.

Seit wann, wie lange schon?

Er würde sterben – oh Gott! Hatte er noch Minuten – oder nur noch Sekunden?
(Das alles kann die Autorin nicht wissen.)

Zitat:
Die Erkenntnis ließ ihn auf aufbäumen, und er robbte ins Wohnzimmer, um die Polizei und seinen Anwalt anzurufen.

Als sie aus dem Gästezimmer kam, lag er am Boden vor der Konsole, die Hand um den Hörer gekrampft. Sie hörte das Freizeichen. Sein Körper bewegte sich spastisch.
(Wie bewegt sich ein Körper s p a s t i s c h ?)

Zitat:
Sie wand ihm den Hörer aus der Hand und legte auf. Dann ging sie in die Küche, goß sich ein Glas Rotwein ein, setzte sich an den Tisch und wartete. An der Wand tickte die Uhr.

Drei Tage später wurde er beerdigt. Sie war die erste, die nach der Trauerrede des Pfarrers nach der Schaufel griff, ein wenig Erde aufnahm, sie auf den Sargdeckel regnen ließ und mit einem "Ruhe in Frieden" auf den Lippen zwei in Cellophan gehüllte und mit weißen Schleifen verzierte rote und blaue Blüten ins Grab warf. Ihr Geheimnis war der Erde anvertraut, die den Sarg für immer umschloß.

comment:

Die Autorin führt sich von Anfang an als Erzählerin ein. Daher fragt man sich, weshalb sie so viel von den Gedanken und Gefühlen des Mannes, den sie beschreibt, wissen will.

Einige Rechtschreib-, Grammatik- und Formulierungs-Fehler. Ein paar gedrechselte Sätze. Ansonsten flüssiger Stil.

Inhaltlich etwas unglaubwürdig: den geliebten Ehemann wegen eines einzigen Schlages zu töten trotz einer als innig beschriebenen gemeinsamen Vergangenheit.

Résumée: hat Spaß gemacht ...
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Alt 04.10.2009, 18:03   #3
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Anmerkung zu meinen Geschichten und Gedichten im allgemeinen:

Ich schreibe grundsätzlich nicht nach der neuen "Schlechtschreibung", weil damit zuviel Unsinn verzapft wird. Es hat auch einen guten Grund, daß sehr viele juristische Fachzeitschriften wieder zur altbewährten Rechtschreibung zurückgekehrt sind, denn die neue enthält zuviel Unklarheiten und Widersprüche, und das geht nun mal in der Gesetzgebung nicht. Außerdem ist eine Menge von diesem Unfug inzwischen zurückgefahren worden, so daß hauptsächlich Unsicherheit übriggeblieben ist. Das wird mir von meinen Kolleginnen täglich bestätigt, aber auch von den Zeitungen und Büchern, die ich lese: Es kommt gehäuft vor, daß auf einer Seite ein Wort in der neuen Rechtschreibung steht, und nur eine Seite weiter steht es in der alten Rechtschreibung.

Ich richte mich, wenn überhaupt, nach den Empfehlungen des Sprachwissenschaftlers Professor Ickler, der als einziger Fachmann in der KMK gesessen hat, auf den aber leider nicht gehört wurde.

Besondere Anmerkung an Daktary:

Jeder Erzähler kann unter verschiedenen Erzählperspektiven wählen, und ich habe mich bei dieser Geschichte für den auktorialen Erzählstil entschieden. Und da weiß der Erzähler - im gegensatz zum Beobachter - nun mal alles.

Auch muß an einer Geschichte nicht alles logisch sein. Die Krimis von Agatha Christie sind es auch nicht und werden trotzdem gerne gelesen. Übertreibungen wie "sie war tot" zur Beschreibung einer neuen, unbekannten Gefühlswelt, während die vorherige vollkommen verschwunden ist, sind nicht unüblich. Gerade diese Freiheiten bereiten ja das Lesevergnügen, sonst könnte man ja gleich ein Polizeiprotokoll oder einen Zeitungsartikel schreiben.

Wenn Dir meine Geschichte Spaß gemacht hat, ist das Ziel ja erreicht.

Danke für das gründliche Lesen.

Gruß
Ilka-M.
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Alt 04.10.2009, 19:45   #4
daktary
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Standard RE

Da in der vorliegenden Geschichte der Erzähler zur Geschichte selbst gehört ("sie"), handelt es sich nicht um den sog. "auktorialen" Erzählstil.


Zitat:
"Wenn Dir meine Geschichte Spaß gemacht hat, ..."

Dazu habe ich mich nicht geäußert .
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Alt 04.10.2009, 20:01   #5
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Stimmt nicht, der Erzähler gehört nicht dazu. Er hat sich nirgends zu erkennen gegeben.
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Alt 04.10.2009, 20:25   #6
daktary
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Standard RE

Zitat:
Zitat von Ilka-Maria Beitrag anzeigen
Stimmt nicht, der Erzähler gehört nicht dazu. Er hat sich nirgends zu erkennen gegeben.
Hat er auch nicht.
Weil es eine "sie" ist.
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Alt 04.10.2009, 20:37   #7
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Stimmt auch nicht, denn sie berichtet ja nicht über sich selbst. Es wird über sie berichtet. Die Geschichte ist auktorial erzählt.
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Alt 04.10.2009, 21:02   #8
daktary
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Standard grübel

Zitat:
Zitat von Ilka-Maria Beitrag anzeigen
Stimmt auch nicht, denn sie berichtet ja nicht über sich selbst. Es wird über sie berichtet. ...
Sie haben recht.

Aber da ist noch etwas, was diese Geschichte beim Leser auslöst. Muß nachdenken, um es richtig zu formulieren. Hat irgendwie mit Identifikation zu tun ... Mit Vordergrund und Hintergrund. Sehr seltsam ... Sehr interessant. Bin selbst erstaunt.

Diese Wirkung haben Sie als Autor bestimmt nicht beabsichtigt. Sie ist rein zufällig und wird vermutlich nicht von jedem Leser derart empfunden.
daktary ist offline   Mit Zitat antworten
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