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Alt 04.01.2008, 23:01   #1
triforium
 
Dabei seit: 01/2008
Beiträge: 13


Standard Müller und die Mäuse (erster Teil)

Müller fand die Mäuse, als er die Blumen gießen wollte und in der Gartenkiste kramte. Der Schlauch lag ganz unten und er riss daran, als es ihm schien, als ob etwas Weiches seinen nackten Fuß streifte. Es ist eine Maus, fuhr es ihm durch den Kopf und da sah er, was er angerichtet hatte. Unten auf dem Boden der Kiste lagen verstreut die kleinen nackten Würmer, mehrere an der Zahl. Müller geriet in Panik, nicht schon wieder, dachte er und schlug die Hände über dem Kopf zusammen und wusste nicht, was er tun sollte. Nachdem er sich ein wenig beruhigt hatte, klaubte er die kleinen Wesen zusammen zu einem kleinen Häuflein. Hoffentlich hast du jetzt keinen Fehler gemacht, fuhr es ihm durch den Kopf, Tiere sollen ja ihre Jungen nicht mehr annehmen, wenn sie von Menschen berührt worden sind. Vorsichtig schloss er die Kiste, ließ aber einen Spalt frei, damit die Maus wieder zu ihren Jungen konnte. Die Gartenutensilien lagen verstreut um die Kiste herum, das musste jetzt so bleiben, nichts durfte er mehr berühren, damit die Mäusemutter ja nicht wieder verscheucht würde.
Müller trat einen Schritt zurück, betrachtete die Unordnung, die er angerichtet hatte und starrte auf die Gartenkiste. Neben der Sorge um die Tiere nistete sich nun der Gedanke ein, was seine Frau wohl sagen würde, wenn sie diese Unordnung auf der Terrasse sähe. Immerhin war die Terrasse, insbesondere bei dem jetzt endlich schönen Wetter nach den nicht enden wollenden Regentagen, ihr liebster Aufenthaltsort, gerade zum Wochenende hin. Plötzlich sah er aus dem Augenwinkel die Maus auf der anderen Seite der Terrasse in ein vor kurzem dort abgestelltes Vogelhäuschen springen. Müller wagte sich kaum zu bewegen und beobachtete das scheue Tier, wie es einen Sonnenblumenkern zwischen seinen Pfoten hielt und daran nagte, als sei nicht eben etwas entsetzliches geschehen. Immerhin ging es ja um seine Jungen, die nun auf der gegenüberliegenden Seite der Terrasse hilflos und nackt über den Boden verteilt in der Gartenkiste lagen.
Seiner Frau erzählte er am Telefon, was geschehen war, wobei er sich nur auf das Notwendigste beschränkte. Auf keinen Fall dulde sie Mäuse auf ihrer Terrasse, sie habe keine Lust darauf, dass die Tiere ins Haus kämen. Müller versuchte zu beschwichtigen mit dem vorsichtigen Hinweis auf die beiden Kaninchen oben im Haus, die ja auch Nagetiere seien und bei weitem größer als die Mäuse. Das interessiere sie nicht, auf jeden Fall müssten die Mäuse weg, es gehe ja wohl nicht an, dass sie ihr eventuell über die Liege sprängen, wenn sie sich am Wochenende auf der Terrasse sonne. Müller wechselte das Thema und lenkte das Gespräch auf einige Belanglosigkeiten. Er fühlte sich nicht verstanden, er konnte ja schließlich nichts dafür, dass die Maus gerade auf seiner Terrasse ihre Jungen bekommen hatte. Überhaupt kannte er diesen Ton nicht an seiner Frau, obwohl sie ja immerhin schon neun Jahre verheiratet waren.
Er schloss vorsichtig die Terrassentür und setzte sich von innen vor die Glasscheibe, immer die Gartenkiste im Auge behaltend. Vielleicht kommt sie ja doch zurück und sammelt ihre Jungen ein, dachte er, vielleicht trägt sie diese dann an einen anderen Ort, vielleicht in des Nachbars Garten unter den Kaninchenstall, wo es sicher ein warmes Plätzchen gäbe. Möglicherweise ist das Problem morgen schon erledigt, morgen mache ich die Kiste auf, sehe nach und die Mäuse sind verschwunden. Er war sich nicht darüber im Klaren, wie lange er warten sollte, bis er in die Kiste schauen dürfte, sollte er schon am nächsten Morgen nachschauen oder erst am Abend nach der Arbeit? Eigentlich müsse die Nacht ja ausreichen, um die Jungen im Schutz der Dunkelheit in ein neues Versteck bringen zu können, sinnierte Müller. Vielleicht aber würde sie sich auch erneut in der Gartenkiste einrichten, was ein Nachteil wäre, da diese dann über Wochen hinaus blockiert wäre. Dann aber wäre es äußerst unklug, erneut den Deckel zu öffnen, da die Gefahr bestand, dass die Mäusemutter wiederum verscheucht werden würde. Müller hatte ein ungutes Gefühl, ahnte er doch jetzt bereits, was auf ihn zukommen würde.
Die Nacht über schlief er unruhig und den ganzen nächsten Tag über im Büro konnte er sich nicht richtig konzentrieren. Immer wieder musste er an die Mäuse denken, die jetzt wohlmöglich hungernd in der Gartenkiste lagen und auf Hilfe warteten. Immer wieder schlich sich der Gedanke ein, was er wohl tun werde, wenn die Mäusemutter nicht zurückkäme. Solle er etwa die Jungen ihrem Schicksal überlassen, sie einfach nicht zur Kenntnis nehmen und sie irgendwann einmal, nach dem Öffnen der Kiste unauffällig entsorgen? Nein, das würde er auf keine Fall tun, da war sich Müller ganz sicher, auf keinen Fall würde er dieses Mal wieder einen Fehler machen, er würde die Sache professionell angehen, schließlich sei er ja ein Mensch und kein Ungeheuer.
Bei der Rückfahrt fiel ihm auf, dass seine Frau merkwürdig gut gelaunt neben ihm im Auto saß. Es war Freitag, und das Wochenende stand vor der Tür. Auf der Autobahn berührte sie sacht seinen Arm und strahlte ihn an: Wo fahren wir denn jetzt mal hin? Lass uns doch mal nach einer neuen Gartenkiste Ausschau halten, das alte Plastikding muss unbedingt durch was Schöneres ersetzt werden. Nur widerwillig stimmte er zu. Sie verließen die Autobahn und fuhren in ein großes Möbelhaus. Wie immer wurde Müller müde, nur diesmal war es ganz besonders schlimm. Es fiel ihm ein, dass er den ganzen Tag nichts richtiges gegessen hatte und dass diese bleierne Schwere in seinen Knochen wohl auf einen falsch eingestellten Blutzuckerspiegel zurückzuführen sei. Schließlich war er nicht mehr der Jüngste und musste von Jahr zu Jahr mehr auf seinen Körper achten.
Auf der wasserumspielten Erlebnisinsel des Möbelhauses bestellte er ein Glas Wasser und ein Sandwich, während seine Frau nach Expressotassen Ausschau hielt. Sie hatten sich vor einigen Tagen eine vollautomatische Expressomaschine gekauft, womit ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung gegangen war. Seit dem wir die Expressomaschine haben, sagte seine Frau, seit dem wir die Expressomaschine haben kannst du den normalen Kaffee vergessen. Müller kaute an seinem Sandwich und regte sich innerlich darüber auf, dass sie jetzt schon im Kaufhaus Carraramarmor für die Dekoration des Wasserbeckens verwendeten, ein Material, dass normalerweise doch Genies wie etwa Michelangelo vorbehalten war.
Du willst sicher sofort nach Hause, sagte seine Frau, und Müller fragte sich, ob hinter dieser Frage die Sorge um das Wohlergehen der Mäuse oder etwa die Angst steckte, mit etwas konfrontiert zu werden, das den Frieden des verdienten Wochenendes stören könnte. Es hörte sich an, als ob sie ihn anwies: Geh‘ du vor und erledige das leidige Problem, ich gehe derweilen Einkaufen. Müller fühlte sich in diesem Augenblick ganz elend, weil auch er Angst vor den Konsequenzen hatte, die mit dem Öffnen der Gartenkiste auf ihn zukommen würden. Jedenfalls war ihm schlagartig klar geworden, dass er ganz alleine damit fertig werden müsse, dass sich seine Frau nur im äußersten Notfall bereit erklären würde, ihn bei der Aufzucht der kleinen Mäuse zu helfen. Wo kämen wir denn hin, hörte er sich sagen, wenn man sich jetzt auch noch um Mäuse kümmern müsste, als ob es nichts wichtigeres zu tun gäbe.
Als er in die Gartenkiste schaute, waren alle Jungen noch da, jedes in einer anderen Ecke. Vorsichtig entfernte er die Utensilien, die noch in der Kiste lagen, um ja keines der gekrümmt am Boden liegenden Jungen zu verletzen. Nachdem er alles peinlich genau durchsucht hatte, lagen sieben hilflose nackte Mäusejunge in seiner Hand. Sie piepsten und wanden sich und suchten mit dem Köpfchen nach der Mutterbrust. Müller wunderte sich über die Robustheit der Jungen, sie hatten vierundzwanzig Stunden in der kalten Kiste überlebt, die Mutter hatte sich offensichtlich nicht mehr zu ihnen zurückgewagt. Ihre nackten Leiber mit der blass durchscheinenden Haut waren bläulich verfärbt vor Kälte. Ihre Augen waren noch geschlossen und Müller wirkte etwas hilflos, hatte er doch in dem Augenblick, als er die Gartenkiste öffnete, die Verantwortung für das Leben dieser kleinen Wesen übernommen.
Müller hatte zunächst keine Vorstellung, was zu tun war und in welcher Reihenfolge er vorzugehen hatte. Ruf doch die Tierärztin an, hörte er seine Frau sagen, die weiß bestimmt, was zu tun ist. Müller nahm das Telefon und wählte die Nummer auf der Visitenkarte, die seine Frau von der Innenseite der Schranktür abgelöst und ihm gegeben hatte. Dort hing sie für alle Fälle, falls den beiden Kaninchen in der ersten Etage etwas zustoßen sollte und man schnell einen Tierarzt brauchte. Mit etwas verunsicherter Stimme rief Müller also an, erreichte aber niemanden, nur das Tonband lief mit dem üblichen Text und mit dem Hinweis, dass im Falle eines Notfalls auf das Band gesprochen werden könne. Er war sich nicht ganz sicher, ob es sich hier tatsächlich schon um einen Notfall handelte, entschloss sich aber schließlich, eine Nachricht zu hinterlassen. Mühsam rang er sich die Worte ab, fühlte sich peinlich verlegen und stammelte etwas von Mäusejungen und dass die Mutter sie verlassen hätte und er nicht wisse was er tun solle, er könne sie ja schließlich nicht einfach verrecken lassen und bat um Rückruf.
Etwas ratlos blickte er seine Frau an, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte. Nun hab doch etwas Geduld, sie wird schon zurückrufen, schließlich ist es Freitag Nachmittag und irgendwann muss sie ja auch mal einkaufen gehen, sie hat bisher immer zurückgerufen, wenn wir ihr auf Band gesprochen haben. Müller nickte nur leicht mit dem Kopf, gab sich aber mit dieser Antwort nicht zufrieden. Er konnte es sich nicht leisten, bis zu Sankt Nimmerleinstag zu warten, so viel Zeit hatte er nicht, schließlich ging es hier um das Überleben der Jungen und da konnte er keine Kompromisse machen. Auf den Rat seiner Frau hin rief er eine weitere Tierärztin in der benachbarten Stadt an, erzählte von den Mäusen und fragte schließlich, was er tun solle. Füttern, sagte die Ärztin prompt, mit Katzenmilch. Schlagartig fühlte sich Müller erleichtert, hatte er doch eine eindeutige Antwort erhalten, mit der er in der allgemeinen Ratlosigkeit nicht gerechnet hatte.
Ich fahre los und hole die Milch, hörte er sich sagen und saß bereits im Auto, noch ehe seine Frau antworten konnte. Jetzt bloß keinen Unfall bauen, schoss es ihm durch den Kopf als es mit etwas überhöhter Geschwindigkeit den Berg hinab fuhr. Jetzt muss gehandelt werden, dachte er, während er in die Straße einbog, in der die Tierärztin wohnte. Als es aus dem Wagen ausstieg, beobachtete er einen Möbelwagen, der schon fast ausgeräumt war. Gerade trug eine junge Frau den letzten Stuhl ins Haus, lächelnd als wolle sie sagen, dass nun eine neue Zeit beginne. Müller erinnerte sich an den Umzug vor zwei Jahren, als es sich ähnlich glücklich gefühlt hatte, voller Erwartung, was die Zukunft wohl bringen würde in dem neuen Haus und wie ihnen beiden die Landluft bekommen würde.
Die Tierärztin überreichte ihm die Katzenmilch mit den Worten: Eigentlich ist es viel zu viel, aber ich habe keine kleinere Packung. Müller bezahlte zwanzig Mark und fragte, welche Chancen die Jungen wohl hätten, zu überleben. Neulich war eine Frau hier, sagte die Ärztin, die hat ein Junges, das noch ganz klein und rosa war, durchgebracht. Geben sie den Jungen alle zwei Stunden mit einer Spritze etwas Milch und legen sie die Jungen auf eine Wärmflasche. Müller war erleichtert, hatte er doch jetzt ein wenig Hoffnung, das Leben der Jungen retten zu können. Und wo soll ich in der kommenden Woche mit den Jungen hin, fragte er. Geben Sie sie meiner Kollegin, die wird sich um die Tiere kümmern, erwiderte die Ärztin mit einem feinen Lächeln. Müller glaubte in diesem Lächeln einen leichten Anflug von Spott entdeckt zu haben. Auf dem Heimweg überkam ihn neue Sorge, was er denn mit den Jungen machen sollte, wenn sie überlebten. Schließlich handelte es sich um Feldmäuse, die sich mit rasender Geschwindigkeit vermehrten und er wusste, dass er sie auf keinen Fall behalten konnte, wollte er nicht eine Mäuseplage in Haus und Garten riskieren.
Wieder Zuhause angekommen, suchten sie gemeinsam nach einem geeigneten Behälter, in den sie die Jungen legen konnten. Seine Frau brachte die Wärmflasche, die auch schon bei den Kaninchen geholfen hatte. Müller kochte Wasser ab und mischte das Milchpulver entsprechend der Anleitung auf der Packung. Hoffentlich machte er jetzt alles richtig. Eilig zog er die dünne weiße Flüssigkeit mit der Spritz auf und legte alles auf dem Tisch zurecht. Die Mäuse zappelten und quiekten in der Schachtel, als er sie berührte. Vorsichtig und mit zitternden Fingern nahm er eines der Jungen aus der Schachtel. Wie klein und hilflos sie doch waren. Erst jetzt bemerkte er, dass die Öffnung der Spritze viel zu dick für die kleinen Mäuler der Mäuse war, auch ließ sich die Milch mit der Spritze nicht richtig dosieren. Müller war ratlos und suchte im Haus nach einer geeigneten Spitze. Klein und weich musste sie sein, etwa so, wie früher die Gummispitzen auf den Fläschchen für die Liebesperlen, die er aus seiner Kindheit kannte. Er probierte vieles aus, feilte die Kanüle einer Spritze rund, doch unmöglich konnte er den Jungen eine Stahlspitze in die kleinen Mäuler zwängen. Schließlich kam ihm eine Idee. Er nahm einen Schrumpfschlauch aus dem Werkzeugkasten und formte mit dem Feuerzeug ein Spitze, die klein genug für die winzigen Mäuler war. So konnte er die Milch wie mit einem Strohhalm aufsaugen, und der ersten Maus die Spitze behutsam in das winzige Mäulchen stecken, was wegen der pendelnden und von einem lauten Piepsen begleiteten Kopfbewegung gar nicht so einfach war.
Hatte er es geschafft, saugte die Maus gierig an dem Halm. Er beobachtete die Schluckbewegung des kleinen Kehlkopfes und die in Erwartung der Mutterbrust nach vorne rudernden Bewegungen der winzigen Pfoten. Nach dem säugen reinigte er die kleinen nackten Körper der Mäuse mit einem feuchten Tuch, trocknete sie ab und legte sie vorsichtig in die Schachtel zurück. Was muss das wohl für eine Arbeit sein, Siebenlinge zu versorgen, sagte er zu seiner Frau. Bei zwei Kindern ist es schon Arbeit genug, antwortete sie. Voller innerer Unruhe ging er dann auf der Terrasse auf und ab. Ihn plagte der Gedanke an die nächste Woche, wer sollte dann die Kleinen versorgen. Er konnte sie doch nicht mit auf die Dienstreise nehmen, insbesondere dann nicht, wenn er übernachten musste. Sei doch nicht so unruhig, sagte seine Frau, es ist wichtig, dass wir jetzt einen kühlen Kopf bewahren. Zwei Stunden später schüttete Müller erneut Wasser in einen Topf, ließ es aufkochen, füllte einen geringen Teil in ein kleines Gefäß für die Milch, den größeren Teil in eine Wärmflasche. Er hörte die Stimme der Tierärztin in seinem Kopf, die Jungen müssen unbedingt warm gehalten werden, am besten mit einer Wärmflasche. Ich kannte mal eine Frau, die hat so ein kleines Junges, dass noch ganz rosa war, durchgebracht.
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Alt 04.01.2008, 23:26   #2
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007


-verschoben, da es kein Theaterstück ist-
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Lesezeichen für Müller und die Mäuse (erster Teil)




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