Das Leben weiß von Fairneß nichts

[Ilka-Maria]

Ich fand sie im Treppenhaus, im ersten Stock eines geräumten Hauses.

Standverloren, bodengeneigt und braun vor Durst - zurückgelassen.

Ich lud sie in mein Auto, fuhr sie zu mir nach Hause, hob sie aus ihrer Umkleidung und stellte sie in die wasserbefüllte Badewanne.

Drei Tage lang.

Das Braun wurde heller. Da wagte ich, sie in einen Topf mit Erde zu setzen. Und sie gedieh. Neue Blätter in saftigem Grün sprossen empor, und sie wuchs immer höher und höher.

Zu Weihnachten hatte ich ihr einmal Tannenzweige beigesteckt und all das Grün mit Schmuck behängt. Das kam gut an. Und sie nahm mir den Mißbrauch nicht übel.

Später rutschte ich sie vom Esszimmer ins Arbeitszimmer, direkt ans Fenster. Das bekam ihr bestens. Zwar verlor sie einen Zweig, grünte ansonsten aber in geradezu unverschämter Lebenslust.

Eine lange Zeit blieb es dabei.

Ich weiß immer noch nicht ihren Namen.

Als die Blattläuse sie fressen wollten, griff ich zur chemischen Keule – mit vollem Erfolg.

Jetzt sind wir fast dreißig Jahre zusammen. Ich bin alt geworden, aber sie ist noch jung. Sie hat begonnen, mir jeden Tag welke Blätter zuzuwerfen, während sie an den Spitzen immerneu grünt.

Ich hatte ihr einst das Leben zurückgegeben, meiner Botschafterin. Meines wird sie nicht retten können.

21. April 2013
by Ilka-Maria

[galapapa]

Liebe Ilka,
Deine Geschichte gefällt mir sehr, besonders auch die Art und Weise, wie Du sie erzählst.
Auch ich habe ein ganz besonderes Verhältnis zu Pflanzen und meine manchmal, ich könne fühlen, dass in Pflanzen eine geheimnisvolle Kraft steckt, dass Pflanzen Zuneigung spüren können.
Meine Tomaten ziehe ich jedes Jahr selber, betreue sie liebevoll rede mit ihnen und bin auch bei ihnen, wenn sie in der ersten Frostnacht sterben.
Sie werden immer über drei Meter hoch und versorgen mich das ganze Jahr mit ihren köstlichen Früchten, wenn auch streckenweise nur als eingefrorenes Tomatenmark.
Sehr gern gelesen!
Liebe Grüße!
galapapa

[Ilka-Maria]

Danke für Deine Aufmerksamkeit, galapapa. Die Pflanze ist so groß wie ich und steht zwischen meinem Arbeitsplatz und der Balkontür. Wenn ich am Computer sitze, habe ich sie immer im Blickfeld.

Liebe Grüße
Ilka