Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Geschichten, Märchen und Legenden

Geschichten, Märchen und Legenden Geschichten aller Art, Märchen, Legenden, Dramen, Krimis, usw.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 15.08.2011, 17:46   #1
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.122


Standard Nikolausabend

Die Wohnung riechat alt und verschwitzt. Es gäbe viel zu tun, aber ich bin schon froh, wenn ich die Spülmaschine ausgeräumt und das nächste stinkende Geschirr eingeräumt habe. Die Hausarbeit fällt immer schwerer und kostet mehr Kalorien, als man zu sich nehmen kann. Trotzdem verliere ich kein Gewicht – na, irgendwann schon, es ist nur eine Frage der Zeit.

5. Dezember – ich erinnere mich. Ich bin ein Schulmädchen und habe eine zündende Idee: Ich will meinem Cousin eine Freude machen. Er wohnt in derselben Straße, nur wenige Meter von mir entfernt, deshalb sehen wir uns oft, verbringen viel Freizeit miteinander und spielen den Erwachsenen Streiche, "Schellenkloppen" ist einer der harmloseren davon.

Ich habe ein paar Pfennige Taschengeld übrig, gehe zum nächsten Kiosk und lasse mir eine Anzahl zuckerüberzogener Lakritzstäbchen in eine spitze Tüte abzählen. Die lege ich meinem Cousin vor die Tür, klingele kurz und stürze hinab wie der Wind – vom vierten Stock auf die Straße, gucke kurz zum Balkon hinauf, aber zum Glück hat mich niemand gesehen.

Zuhause erzähle ich stolz von meiner Heldentat: Taschengeld geopfert, um dem Cousin eine Nikolaus-Freude zu machen, großes Geheimnis – wer war das wohl mit der spitzen Tüte? Ich war ziemlich aufgeregt!

Die Schelte meiner Eltern tritt mich in den Boden: "Das ist unser Patenkind, wir sind längst dabei, ihm ein ordentliches Päckchen zu packen – was fällt Dir Gör eigenlich ein? Was denken die jetzt überhaupt von uns? Lakritzstäbchen!"

Den Rest den Abends verbringe ich allein zu Hause mit angelegten Ohren und vor meinem dicken, fetten Nikolausteller, von dem mir nichts schmecken mag.

Oh ja, wir sind verwöhnt. Wenige Jahre nach dem Krieg ist das möglich. Und alles kommt von Herzen und in voller Üppigkeit: Der Nikolausteller genauso wie meine mit Lakritzstäbchen gefüllte 15-Pfennig-Tüte.

Noch fünf Pfennige mehr, und es hätte für eine Kinokarte gereicht.

15.08.2011
by Ilka-M.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Nikolausabend




Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.