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Philosophisches und Nachdenkliches Philosophische Gedichte und solche, die zum Nachdenken anregen sollen.

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Alt 20.08.2012, 16:21   #1
Thing
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Beiträge: 34.998

Standard Irritation

Tritt man aus der Zeit? Dann: w o hinein?
Fügt sich ein andrer Kosmos dem Gebein,
dem noch-Lebendigen, nicht-mehr-ganz-Sein?
Verharrt man im Gehäuse wider Schein,
als Neben-Zeit-Geborener, darein
nun andre Zeiten gelten?

Beharrt als Ewig-Ich die Geistesmacht
in andrer Stille, andrer Nacht,
in die man phoenixgleich hinauferwacht,
nicht mehr gefühlt, noch nicht gedacht,
jedoch genauso dargebracht
wie in bekannten Welten?

Was hält noch stand? Bleibt mir ein Schauen?
Sind andre Sinne zu erbauen,
die jenseits irdisch-leerem Grauen
in andre Sphären eingehauen
und gestanzt sein werden? Blauen
mir dort neue Firmamente? Lockt ein neuer Rebus?

Wird Geist vergehen und entschwinden?
Bleibt ihm Tiefendunkel zu ergründen?
In welches Meer wird abgetaner Zeitenfluß wohl münden?
Wird mich ein a n d r e s Geistgefüge binden,
neu gesetzt, neu zu ertasten, zu befinden?

Wird ein König? Wird ein Rebus?
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Alt 22.08.2012, 14:44   #2
weiblich Daisy
 
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Hallo Thing,

viele Fragen ohne Antwort, aber von Dir wie gewohnt sehr tiefschürfend und philosophisch verpackt.

Sicher wird sich jeder irgendwann mal fragen: Wird Geist vergehen und entschwinden?
Mein Großvater hat kurz vor seinem Tod gemeint: Und wofür war das jetzt alles?

Wir können nur abwarten und uns überraschen lassen, bin schon gespannt was dabei herauskommen.

LG
Daisy
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Alt 22.08.2012, 14:52   #3
männlich Desperado
 
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Bist schon ein Meister Deines Faches, Thing, gar keine Frage.
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Alt 22.08.2012, 18:57   #4
Thing
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Hallo Daisy und Desperado -

danke für die Kommentare und das Lob


von
Thing
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Alt 22.08.2012, 19:51   #5
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Tritt man aus der Zeit?
Diese Frage hätte mir schon genügt.

Aber das ist ein philosophisches Gedicht, und da ergibt eine Frage die nächste. Fragen, die sich die meisten - oder zumindest viele - Menschen immer wieder gestellt haben.

Aber: Wenn ich schon die erste Frage nicht beantworten kann, wie sollte ich deren "Kinder" und "Enkel" beantworten können?

Ich bräuchte eine erste Antwort. Wer kann sie geben?
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Alt 22.08.2012, 19:55   #6
Thing
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I c h nicht.

Angeregt wurde ich von Th. Mann (Zauberberg), der diese Frage anschnitt, aber ebenfalls unbeantwortet lassen mußte.
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Alt 23.08.2012, 00:42   #7
männlich Walter
 
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Hallo Thing, hallo alle miteinander,

wir werden zu Lebzeiten nie eine Antwort auf diese Frage finden, und ob wir sie danach finden, möchte ich, solide gesagt, erst einmal dahingestellt lassen. Wenn wir keine Antwort finden, brauchen wir nicht traurig darüber zu sein, weil wir es nicht vernehmen, da wir ja nicht mehr sind. Wenn wir eine Antwort finden, brauchen wir das nicht mehr zu hinterfragen, weil die Lösung vor uns liegt.

Von Epikur (341-271 v. Chr.), einem der ersten Existenzphilosophen, wurde der Todesbegriff schon formuliert
Ich erinnere mich heute noch genau an meine schulische Übersetzung von Epikurs Worten: "Der Tod ist ein Nichts in Bezug auf uns."
Solange wir da sind, ist der Tod nicht da; und ist der Tod da, dann sind wir nicht mehr da.
Bei Epikur ist das ganze Streben nach Glück auf das endliche Leben beschränkt und findet seine Erfüllung im Erlebnis des Augenblicks.

Ich selbst lasse die Frage, ob wir eine Antwort finden, im Gegensatz zu Epikur, der es verneint, und den Theologen, die es bejahen, offen.

Wie Du schon sagtest, lieber Thing, musste auch Thomas Mann in seinem Roman "Der Zauberberg" diese Frage unbeantwortet lassen. Doch daß der Autor hier zumindest eine Annäherung versucht, müssen wir ihm sehr zugute halten:
Isoliert von der Welt "unten" (im Tal), ist das Sanatorium auf dem Zauberberg ein Reich, in dem ein anderes Zeitsystem existiert. Der Monat ist hier die kleinste Zeiteinheit, und der Berg ist in seiner Bestimmung als "Zauber-Berg" von den Gesetzen des alltäglichen Lebens "im Tal" unabhängig. Das Sanatorium lebt in einer Welt der Zeitlosigkeit.
Hans Castorp, Protagonist des Romans, der aus dem Flachland von Hamburg ins Gebirge reist, um seinen Vetter Joachim Ziemßen für drei Wochen in dem Bergsanatorium zu besuchen, kann schon bald seine zeitlich festgelegten Pläne vergessen, weil er, wie alle in diesem Sanatorium, der Zeit enthoben wird.
Er fragt seinen Vetter nach dem Grund für den Übermut der Menschen hier, und der hat gleich die Antwort parat:

"...sie sind so frei...Ich meine, es sind ja junge Leute, und die Zeit spielt keine Rolle für sie, und dann sterben sie womöglich. Warum sollen sie da ernste Gesichter schneiden. Ich denke manchmal: Krankheit und Sterben sind eigentlich nicht ernst, sie sind mehr so eine Art Bummelei. Ernst gibt es genaugenommen nur im Leben da unten. Ich glaube, daß du das mit der Zeit schon verstehen wirst, wenn du erst länger hier oben bist!" (Thomas Mann, Der Zauberberg, S.75)

Vielleicht wollte uns Thomas Mann damit auch andeuten, daß wir etwas erst verstehen, wenn wir länger dort sind. Die Antwort auf die Frage nach dem, was "danach" kommt, konnte er uns, wie Du bereits sagtest, lieber Thing, auch nicht geben.

Lieber Thing, wenn auch meine Ausschweifungen relativ lang waren, so es es zugleich auch ein Beleg dafür, was Deine Lyrik alles vermag:
Den Sinn unserer Existenz zu hinterfragen, indem man ganz einfach die Frage nach dem Danach stellt und dem Sinn und Zweck des Davor, nämlich unseres irdischen Lebens.

Aber nicht nur das, mein Lieber ist es, was mich zu keinem Ende kommen läßt.
Es ist die Sprachgewalt Deiner Worte, von denen viele fast schon eine Macht für sich sind, ein Phönix aus der Asche...

Der langen Rede kurzer Sinn: ich bin begeistert, tausend Dank!!!

Liebe Grüße
Walter
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Alt 23.08.2012, 07:03   #8
Thing
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Beiträge: 34.998

Lieber Walter,

von den Vorsokratikern haben eben Epikur aber auch Chilon den größten Eindruck auf mich gemacht.
Du hast Dich offensichtlich intensiv mit Philosophie befaßt, wenn sie nicht gar Dein Beruf ist, was ich vermute.

Hab Dank für Dein großes Lob, das mir sehr gut tut und mich wieder ein wenig aufbaut.

Herzlichen Gruß
von
Thing
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Alt 23.08.2012, 12:38   #9
weiblich simbaladung
 
Dabei seit: 07/2012
Alter: 67
Beiträge: 3.073

Hallo, Thing,

da ich mir gerade Schweigen verordnet habe, schick ich nur ein stilles
"Danke" für dieses Gedicht ... dafür, dass du es mit uns teilst ...

simbaladung
simbaladung ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.08.2012, 14:57   #10
Thing
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Dann ein ebenso kurzes "Dankeschön"


von
Thing
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