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Alt 07.10.2012, 15:43   #1
männlich Desperado
 
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Standard Moonshiner's Ground

Undurchdringlich bleierne Finsternis presst die feuchte Luft zu einer dichten Masse zusammen, die schwer auf die Lungen drückt.

Schwarzer Matsch und Schlamm saugt an den Stiefeln und schmatzt bei jedem mühsamen Schritt, den ich auf das knarrende Gefährt zu stapfe, das wie aus dem Nichts aus der Düsternis taucht, von einem schwarzen Stier mit lang geschwungenen spitzen Hörnern und einem fahlen Klepper gezogen. Seine eiernden Räder graben tiefe Furchen in den aufgeweichten Boden der Gasse, in der sich der stumpfe Schein einer schmutzigen Straßenlaterne in öligen Pfützen spiegelt.

Der alte Kutscher sitzt gebeugt und in sich zusammengesunken auf dem Bock, die Kapuze seinen triefenden Mantels tief über sein Gesicht gezogen, das, im Schatten verborgen, nur den struppig verfilzten Vollbart zum Vorschein kommen lässt. Als mich der quietschende Karren erreicht, bleibt das seltsame Paar der Zugtiere stehen, ohne dass ich ein Kommando gehört oder die schlaffen Zügel sich gespannt hätten.

Wortlos klettere ich zu dem unheimlichen Alten auf den Kutschbock, der kein Lebenszeichen von sich gibt und den Kopf nicht nach mir dreht, Stier und Pferd aber ziehen mit einem leichten Ruck an und setzen ihren beschwerlichen Weg mit stoischer Ruhe fort. Früher murrte der Alte noch ein „hinten einsteigen“ durch kaum geöffnete Lippen, aber da ich mich nie drum scherte, spart er sich inzwischen diesen unnötigen Kraftaufwand. Sitzt nur da und starrt vor sich hin, mit tief in seine Schädelhöhlen gesunkenen Augen.

Hinten auf der Ladefläche lehnen ein paar Gestalten an den schrägen Seitenwänden, stumm in ihre Mäntel und Umhänge gewickelt, mit leeren Augen und bleichen Gesichtern, man könnte sie fast für Tote halten. „Scheißwetter heute“, ruf ich nach hinten, aber sie zeigen keinerlei Reaktion. Ab und zu schüttelt ein Schlagloch ihre Körper durch und hin und her, sie zerren sich das nasse Zeug enger um die frierenden Leiber, ansonsten ist nichts zu vernehmen von der fröhlichen Reisegesellschaft, nicht einmal ein Zähneklappern.

Nur die kleinen Fässer, gut unter alten Säcken verborgen und halb unterm Kutschbock versteckt, rumpeln leise vor sich hin.

„Sag mal, Kutscher, wie lange willst du deine arme Mähre eigentlich noch schinden?“, frage ich ohne eine Antwort zu erwarten, denn außer einem missmutigen Brummen ab und zu gibt der mürrische Kerl keinen Ton von sich. Der Regen rinnt in feinen Strömen von meiner Hutkrempe und raubt mir jede ohnehin nicht vorhandene Sicht, aber ich kenne den Weg und das Ziel ebenso auswendig wie der ziehende bullige Stier und die lenkende alte Stute und schließe schicksalsergeben die Augen.

Es gibt keinen anderen Zugang zu den gedrungenen Baracken mit den hohen Kaminschloten tief unten in der Talsohle als diesen geheimen Hohlweg, der sich bei Regen in einen Bachlauf verwandelt, und wenn du dein Pferd liebst, lässt du es am Eingang zu diesem Nadelöhr stehen und wartest geduldig auf das klapprige Fuhrwerk, das dich irgendwann hinunterbringt und irgendwann wieder rauf, so du Glück hast und der Kutscher nüchtern genug ist.

Ein unwirkliches fast gespenstisches Gefühl ist’s jedesmal, den kleinen Raum kurz zu betreten für den Handel, den zwielichtig vertrauten Ort, an dem ein Mensch seine Würde samt Seele verlieren kann, es ist erschreckend, dass es jedesmal die selben aufgeschwemmten Gesichter sind, die da besoffen am Tresen rumhängen mit immer den selben trostlosen Zügen und geistreichen Gesprächen, in der selben milchigen Räucherkammer, dem gleichen alten Fettgeruch, der aus der schmierigen Küche hereinwabbert, vergessene Schemen im schummrigen Licht verrußter Laternen.

Vermutlich kann mancher der Verlebten, Gesicht und Kleidung gleichermaßen abgetragen und verknittert, nicht einmal mehr so genau sagen, hinter welcher Tür er ist und wo, ja an wen er seine gebrabbelten Worte richtet, aber bei dem Pegel wird das schon mal erlaubt sein. Der Wirt wirkt nüchtern und trocken, vorläufig zumindest, hat den ersten Schritt auf festen Grund gemacht, ohne sich dessen vermutlich bewusst zu sein und ohne zu wissen wofür und warum, er tut es einfach, so läuft das Leben und so spielt es sich ab. Eines ist sicher, es war offenbar höchste Zeit dafür, allerhöchste sogar, sonst ging’s ihm wie jenem Kumpan, der sich an sein Glas klammert um nicht nach hinten zu fallen und ihm mürrisch seinen Lebensüberdruss entgegenmault.

„That’s it,“ meldet sich ein weiterer Guy im Rund zu Wort, eingetaucht in das schummrige Nichts wie die andern auch, „nobody knows you when you ’re down and out“, ein Stadtstreicher mit zerlumpten Kleidern, die noch in ihrem verknittert schmuddeligen Zustand von einem ehemals behüteten Leben inmitten bürgerlicher Sicherheit erzählen. Unrasiert verhärmt und mit verschwollenen Augen spricht er zu einer nurmehr in seiner Erinnerung vorhandenen Gesellschaft nicht Anwesender. Oh yeah man, that’s it, denk ich betroffen, that’s it and nothing else. Wer magst du gewesen sein, wer hat dich gekannt, was ist geworden aus all den Leuten, die dich so bitterlich verraten haben? Was wirst du ihnen zu sagen haben am Tag der Abrechnung?

Ein nicht mehr ganz junger Dandy mit schmuckem Halstuch, karierter Jacke und Baskenmütze beglückt die Bardame mit Trinkerpoesie, wehmütig gefühlsüberschwänglich trägt er sie vor in der Ecke, in der er sein blutendes Herz klammheimlich in seinem Whiskeyglas ersäuft, wer damit gemeint ist, vermag ich beim besten Willen nicht zu sagen, spielt ja auch keine Rolle, wird schon irgendein Frauenzimmer sein, vielleicht auch nur ein Gespenst, wer kann das schon mit Gewissheit sagen, ich jedenfalls mal nicht. Alles was ich sagen kann ist, dass es mein alter Kumpel Bukowski nicht schöner hätte sagen können, es ist aber auch so erschütternd und beschämend genug, was der Suff aus einem Menschen machen kann.

Irgendwas Aufbauendes flüstert ihm die grellbemalte Lady ins Ohr, die sich recht offenherzig über den Tresen zu ihm hinübergebeugt hat und ihm zärtlich die Wange streichelt. Mag sein, dass es Worte waren wie diese, die mir damals die Kraft gegeben haben, da irgendwie wieder rauszukommen. Denn dass ich es geschafft haben muss, steht zweifelsfrei fest, sonst könnte ich das Elend nicht als Beobachter mitverfolgen, sondern wäre eine der tragischen Figuren dieses Trauerspiels.

In Moonshiner’s Ground ist vom Mondschein auch in klaren Nächten nichts zu sehen, dicker schwarzer Qualm, der unentwegt aus den Schloten steigt, verschluckt sein milchiges Licht. Manchmal glaube ich, dass die Spione der steuerpflichtigen Brennereien das Drecksnest längst ausgemacht haben, aber sich niemand findet, der bereit ist, den halsbrecherischen Aufwand einer Aushebung auf seine Kappe zu nehmen. Und wer weiß, vielleicht finden sich genug öffentlich rechtliche Brenner, zuständige Politiker und namhafte Persönlichkeiten unter der flüssigen Stammkundschaft, um derlei überflüssige Maßnahmen zerfließen zu lassen. Denn der Fusel, den die verschrobenen Kerle, drei Brüder an der Zahl, destillieren, stellt alle legalen Erzeugnisse weit in den Schatten, in dem sie den Großteil ihres Lebens verbringen.

Sei’s drum, so lange der Bartel weiß, wo er seinen Most holt und der Desperado seinen Malt, brauchen mich derlei gesetzliche Ungenauigkeiten nicht weiter zu kümmern. Ich brauch ja auch kein Fässchen, mir reichen zwei glänzende Flaschen für den mäßigen Schluck zur rechten Stunde, weil ich nur allzu gut weiß, welcher Teufel in dem Zeug steckt, wenn man den Fehler macht, denselben durch übermäßigen Genuss desselben zu rufen, oder besser herauf zu beschwören.

Meine Mitreisenden hat er fest am Nacken, die haben drei Tage durchgesoffen, ehe sie sich auf den eigentlichen Grund ihrer Höllenfahrt besannen, das kann man ihnen unschwer ansehen. Einer ist sogar mal in einer Pfütze gleich vor der Tür der Kundenspelunke ersoffen, aber in diese Pinte bringen mich kein Stier und keine Schindmähre mehr rein, weil ich meine Seele ganz gut anderweitig loswerden kann wenn mir danach ist. Wer sein Lebenswasser, wie es die Indianer in Wahrheit nennen, aus der Hölle schöpft, muss sich nicht wundern, wenn er eines Tages in der selben landet.

Ach was soll’s, bei dem Mistwetter gönn ich mir erst mal einen kräftigen Schluck.
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