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Alt 05.02.2019, 14:35   #1
männlich dr.Frankenstein
 
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Standard Julia II (dr.Frankenstein)

War sie es?

Ich zweifelte zwei Sekunden, ob es die Julia war oder nur ein aufflammendes Bild meiner vergangenen Obsession. Sie ist nicht mehr das dürre Teeniegirl mit den kleinen Möpsen, bisschen mehr Titt und ein richtig geiler runder Popo, aber immer noch irgendwie zierlich. Und dann ihre selbe bekloppte Farbverirrung: eine russisch-grüne Hose, kotz, darüber einen Pullover in kräftigem Orange. Wie eine Orangenblume oder sowas, die oben vertrocknet
in ihrem kastanienfarbenen, auf der rechten Seite gescheiteltes Haar, welches in weichen Locken auf ihre Schultern fiel– nicht gerade eine durchschnitts Frisur, vielmehr der Look einer Hollywood-Göttin der vierziger Jahre. Ihr Klamottenstil war schon immer der Hammer, nicht wie diese Modenutten aus den Katalogen. Sie hatte ihren eigenen Stil, den sie, wie ich sehen konnte, scheinbar auch nach zwanzig Jahren nicht geändert hatte. Sie muss es einfach sein.

Ihr eingekauftes Zeug scheint so, als ist sie auf der Jagd. Nur Make-up, Lippenstifte, Lidschatten, Kajal-Dings, all das schmiss sie schnell in den Shopper. Sie bemerkte das ich sie anstarrte, als hätte jemand ihren Namen gerufen, schaute sie auf und direkt in mein Gesicht. Da war mir klar das sie es ist. Ich lächelte ihr zu, und sie lächelte scheu zurück, Irritation und Abwehr in den Augen, die mich wohl lieber nicht gesehen hätten. Zu mindest dachte ich einen Moment lang, sie hätte mich ebenfalls erkannt, doch sie wandte ihren Blick starr Richtung Ausgang, nahm ihren Shopper und eilte zur Kasse von Rossman.

Ich folgte ihr.

*****


„Willst du mich heiraten, mit mir durchbrennen, lass es ewig weitergehen, Julia?“

„Sei nicht albern. Du weißt, dass ich Morgen David heiraten werde.“

„Aber es ist doch alles gut zwischen uns, der Sex ist der Hammer und ich mag die Zeit mit dir. Warum heiratest du ihn?“

„Du bist ein heißer Liebhaber, mehr nicht, sieh das doch ein. Ich meine, ich habe es dir von Anfang an gesagt. Du hast ja gesagt.“

„Aber du betrügst David.“

„Noch bin ich nicht verheiratet und außerdem ist das nicht dein Problem. Rede nicht soviel. Lass uns doch den letzten Tag genießen.“

„Warum dieser beschissene David? Du liebst ihn doch gar nicht und sagst selbst das er eine Niete im Bett ist.“

„Er passt zu mir und er steht mit beiden Beinen im Leben, im Gegensatz zu dir.“

„Aber ich liebe dich. Und du liebst mich.“

Sie setzte das sphinxhafte Lächeln auf, das ich an ihr hasste und ihr am liebsten aus dem Gesicht geprügelt hätte.

„Wie naiv du noch bist. Zu einer Ehe gehört mehr als Liebe. Ich glaube du wirst nie erwachsen. Und du wirst keine Frau jemals glücklich machen. Aber ich werde jeden Mann auf dieser Erde glücklich machen.“

Sie schlug die Bettdecke zurück und gab ihren nackten Körper preis. Wir rochen nach dem Schweiß einer durchlebten Nacht und fühlten die feuchten Laken unter unseren Schenkeln. Ich verzichtete auf weitere Argumente und begann in einem neuen Aufflammen von Begehren, ihre Brüste zu streicheln. Doch sie setzte sich auf und schwang sich aus dem Bett.

„Ich muss bald gehen.“

Sie raffte ihre Kleidung zusammen und verschwand im Badezimmer.

„Happy breakfast,“ rief ich ihr hinterher, denn ich wusste, dass sie mit David in Suzies Café verabredet war. Während ich dem Rauschen des Wassers lauschte, das sie aus der Dusche laufen ließ, malte ich mir tausend Todesarten für sie aus. Am Romantischsten erschien mir, sie im Wahn zu erwürgen, aber als sie aus dem Badezimmer kam und an mein Bett trat, den grazilen Leib in ein smaragdgrünes, enganliegendes Kleid gehüllt, und sich zu mir beugte, um mir einen Abschiedskuss zu geben, wollte sich kein Wahn einstellen. Ich war von den Haarwurzeln bis zu den Zehen ein einziges Bündel verzweifelter Ohnmacht.

*****


Sie hatte recht behalten. Alle meine Versuche, eine Frau glücklich zu machen, endeten in einem Desaster. Anfangs wunderte ich mich nicht darüber, dass mich meine Auserwählten eine nach der anderen verließen. Eine Frau spürt den Schatten einer großen, unerfüllten Liebe, die einen Mann ständig begleitet, und wer will für den Rest seines Lebens gegen einen Schatten kämpfen? Einzig Christine hatte sich dieser Herausforderung gestellt, ihre ganze Energie in unsere Beziehung gepackt und mich sogar zum stolzen Vater einer bezaubernden Tochter gemacht, die ich über alles liebe. Aber mehr und mehr merkte ich das Christine nicht Julia war, und nach zehn Jahren einer mehr schlechten als rechten Ehe ließen wir uns im Einvernehmen scheiden.

*****


Julia betrat das Café und setzte sich an den Tisch am Ende des Panoramafensters. Ich war seit einer Ewigkeit nicht mehr hier gewesen und verwundert, dass es das Café noch gab. Es hieß jetzt nicht mehr „Suzies Café“, sondern dem Zeitgeist entsprechend „Bob’s Coffee Bar“ und hatte ein Fernsehgerät über dem Tresen hängen, in dem die Skispringer sich die Kante gaben. Sie schossen durch die Luft wie Superhelden und ich als verzweifelter Abklatsch eines unsinnigen Lebens verfolge eine Liebe aus der Vergangenheit. Immernoch besser als die Leere der endlosen Tage.

Julia gab der Bedienung zu verstehen, mit der Bestellung noch zu warten. Offensichtlich war sie mit jemandem verabredet. David natürlich. Ich hatte ihn vor über zwanzig Jahren nur zweimal gesehen und war gespannt, wie er aussehen mochte. Ob er wie ich an Gewicht zugelegt und an Haaren verloren hatte.

Ich schätzte mal der Typ da draußen war David, ein ganzes Stück größer als in meiner Erinnerung, immer noch der dürre Hämpftling mit seiner hässlichen Mähne, die nicht mehr dunkelbraun, sondern weiß-meliert war. Ohne Zweifel sah er auch mit fast fünfzig Jahren immernoch wie ein Frauenschwarm aus.

Zu meinem Erstaunen ging er nicht in das Café, sondern verharrte hinter so einem Pfeiler außerhalb von Julias Sichtweite. Seine Körperhaltung erinnerte mich an einen jener Beschatter, wie ich sie aus den film noires kannte, und ich fühlte eine eigenartige Spannung in mir aufsteigen. Irgendetwas braute sich hier zusammen.

Meine innere Stimme sagte mir, dass ich in das Café gehen und mich Julia zu erkennen geben sollte. Mich zu ihr setzen, mit ihr sprechen, mit ihr über alte Zeiten lachen. Oder auch weinen. Was auch immer. Nur bei ihr sein, bei ihr, der verflossenen großen Liebe meines Lebens. Irgendwie lächerlich das ganze, die Julia dort, hat mein Leben versaut und ich bin ihr noch nicht mal böse. Ein Wort von ihr und ich wäre wieder voll drin.

Doch ich regte mich nicht und beobachtete David, wie er dort stand, im Schatten einer Platane, beide Hände in den Taschen seines Mantels vergraben, regungslos und mit starrem Gesicht.

Der dünne, hochaufgeschossene Mann, der das Café betrat, war keine dreißig Jahre alt, trug enge Jeans und einen schwarzen Schlapperpullover. Das Haar hatte er zu einem Pferdeschwanz gebunden. Er schritt schnurstracks auf Julias Tisch zu, beugte sich zu ihr und küsste sie leidenschaftlich, ehe er sich ihr gegenübersetzte. Ein verliebtes, glückliches Paar, schoss es mir durch den Kopf, und ich verspürte einen maßlosen Neid auf diesen Hippie, den ich am liebsten samt seinem Stuhl durch das Panoramafenster gekickt hätte.

Im Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr. David näherte sich gemessenen Schrittes dem Café. Aus seiner Manteltasche zog er einen Gegenstand, der mir das Blut gefrieren ließ. Ich wollte schreien, aber mein Mund formte nur den Namen „Julia“, ehe ich mich umdrehte und rannte und rannte. Ich wollte es nicht sehen. Nein sie sollte im Ganzen in meiner Erinnerung bleiben. Als lebende lachende Julia. Diesmal war ich es der weg ging.

*****
Endlich ist sie tod, ich bin frei.
Wer wäre ich, hätte es sie nie gegeben?

Eine klare Antwort wird sich nie greifen lassen.

David bekam lebenslänglich. Zweifacher Mord aus niederem Motiv. Noch während der Urteilsverkündung beharrte er darauf, der glücklichste Mann auf Erden zu sein.

Julia hatte recht behalten.
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Alt 05.02.2019, 14:47   #2
männlich dr.Frankenstein
 
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Tut mir leid aber der Charakter ist so schön widersprüchlich
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