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Alt 27.10.2006, 17:33   #1
tempestrider
 
Dabei seit: 10/2006
Beiträge: 39


Standard Funkstille

Der Tempest für heute ist etwas länger - sollte also auch mehr daran zu kritisieren geben :

Kleine Anmerkung zum Inhalt: Die Story spielt 2004 - insbesondere aus fussballerischer Perspektive sähe sie heute wohl anders aus...

Funkstille

Ob Janine noch anruft, könnte den Unterschied machen. Oder ob der Regen noch aufhört und Mirko noch mit auf den Platz kommt. Im Zweifelsfall ob heute noch was Ordentliches im Fernsehen kommt. Das könnte den Tag noch retten.
Andererseits könnte auch nichts davon passieren – vielleicht bin ich wirklich wieder solo, vielleicht kann ich das Kicken knicken und vielleicht muss ich mich am Ende entscheiden zwischen dem Musikantenstadel und Deutschland sucht den Puberstar. Ehrlich gesagt erscheint das sogar wahrscheinlich. >Don’t base your joy on the deeds of others, ´cause what is given can be taken away.< Kluger Satz, stammt bezeichnenderweise von jemandem, der sich daran hält und trotzdem etwa soviel Lebensfreude ausstrahlt wie der junge Werther eine Seite vor Schluss. >World coming down<. Er meint wohl die ganze Welt, aber ich kann es gerade plastisch an meiner beobachten.

Ich schalte das Kopfkino an. Meine Homevideos aus Zeiten vor der Rezession. Konservierte Zufriedenheit, nahe am Verfallsdatum. Mirko und ich in seinem Peugeot, der alte von seinem Vater. Zum ersten mal selbst entscheiden, wann, wo und wie schnell. Wir sind den ganzen Abend und bis tief in die Nacht mit offenen Fenstern rumgerast und die Welt gehörte Metallica und uns.
Mirko und ich in Holland 2000. Berties Jungs waren eine Schande, aber wir gaben uns als Engländer aus und hatten Spaß wie kleine Kinder.
Letztes Jahr auf dem Oktoberfest, Janine und ich auf dem Freifallturm. Sie quiekend vor Freude, ich still vor Staunen über unser kleines Glück.
Thoms Geburtstag ´99. Ich frage eine Fremde nach Feuer, und sie fragt zurück, ob ich mir für sie zumindest für einen Abend das Rauchen abgewöhnen würde.
Unsere letzte Versöhnung vor knapp drei Wochen.

Und ich bin zurück in der Realität, immer noch unzufrieden. Ich denke, dass ich eigentlich gar nicht so viel erwarte – ich rechne nicht mit einer Neuauflage von Italien ´90 oder auch nur mit „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Ich erwarte keine große Versöhnung und fünf Sterne Sex. Ich will einfach nur einen kleinen Grund, heute zufrieden ins Bett zu gehen.
Die Extreme, in die ich in Momenten wie diesen– denen aus meiner Erinnerung und dieser jetzt gerade - verfalle, erstaunen mich oft selbst: Ich kann von Kleinigkeiten in den Himmel geschossen werden. Wenn zwischen uns alles stimmte, konnten ein Lächeln und ein Kompliment mich zum König der Welt machen. Und als Franz zu Kaiser Franz wurde, sind wir zu dritt durch unser Wohngebiet gerannt und haben bei den Nachbarn geklingelt um ihnen schreiend zu erzählen, wie Brehme uns alle zu Helden gemacht hatte, obwohl es wohl jeder selbst gesehen hatte.
Heute will ich nicht mehr leben. Es ist dieser Erfahrungswert, dass es schon wieder aufwärts gehen wird, der die Selbstmordphantasien unterdrückt, aber wäre mein ganzes Leben so, wie es sich heute anfühlt, ich würde es nicht geschenkt wollen. Es ist nicht wirklich schlimm, aber es ist auch nicht wirklich lebenswert.

Wie befürchtet bleibe ich am Ende mit dem Fernseher allein, und das beste Angebot, dass er mir für meine Abendverbringung machen kann, ist Conan, der Barbar. Es braucht eine Weile, bis ich mich selbst dazu überredet habe, doch im Verlauf des Filmes fühle ich mich tatsächlich immer wohler. Ich genieße diese Romantik einer Welt, in der nichts Undurchschaubares liegt: Conan hat ein Schwert, eine Freundin, einen Gefährten und einen Feind. Wenn der Feind besiegt ist, ist der Film zu Ende. Wenn das Ganze gut genug war, gibt es ein Sequel. So einfach ist das.
Bei dieser Betrachtungsweise gewinnt die von einigen Charakteren zur Schau gestellte Schicksalsergebenheit etwas geradezu Komisches: diese Geschichte hat wenigstens eine logische Richtung und arbeitet kontinuierlich auf ein Ziel hin. Mein Leben hingegen erscheint mir von schicksalhaften Faktoren abhängig, dem Wetter, Janines Laune oder dem Fernsehprogramm.
Dann klingelt das Telefon, und alles ist wieder ganz unromantisch und realistisch. Mein wahres Leben in bedrohlicher Nähe.
-Hallo?
-Hi. Ist Janine da?
Susanne. Ihre Schwester.
-Nein, die müsste eigentlich bei euren Eltern sein.
-Oh, schon wieder?
Danke, Susanne. Sehr einfühlsam. Wenn ich Conan wäre, würde ich Dir jetzt Dein blödes Maul spalten.
-Ja, schon wieder.
Stille.
-Die Nummer müsstest du ja haben. Grüß sie von mir.
-Kann ich irgendwas für dich tun?
-Nee Du, geht schon, grüß sie einfach.
Weil sie es nicht tut, lege ich auf. Unter diesen Umständen kann mir das wohl niemand übel nehmen. Susanne sowieso nicht. Sie würde es mir wohl nicht mal übel nehmen, wenn ich ihr ins Gesicht sagen würde, was für ein Nichts sie in meiner Welt ist. Conan verbrennt gerade seine Freundin. Der Feind hat sie mit einem vergifteten Pfeil erschossen. Da es bereits auf elf zugeht, begrabe ich die Hoffnung, noch von Janine zu hören, und beschließe, dass das mit dem Freundin verbrennen eine gute Idee ist. Postkarten von Kreta. Korsika. Aus Tunesien. Konzerttickets für HIM. Depeche Mode und Sisters of Mercy. Type O’ Negative. Ein paar Briefe. Ein Plüschhase mit Strumpfmaske. Eine Linkin Park CD. Brennt wahrscheinlich nicht. Wird wohl eher der Soundtrack zum Abschied. Mit einer Flasche Bacardi, einem alten Kochtopf und einem Feuerzeug setze ich mich auf den Balkon und fange mit den Karten an. Zuerst die von Sizilien 2002/03:
„Ich vermisse Dich.“
Ein erster kräftiger Schluck.
-I am / a little bit of loneliness/ a little bit of disregard
-I am/ what I want you to want / what I want you to feel
rapt meine Anlage. Das will ich hören. Und:
-I let go / watching you / turn your back like you always do
„Einsamkeit und Ruhe rücken vieles in eine andere Perspektive.“
„Manchmal merkt man erst aus der Distanz, dass die gemeinsamen Probleme kleiner sind, als sie aus der alltäglichen Nähe aussehen.“
Ein Fraß der Flammen. Ich mochte ihren allgemeinen „man“-Stil nie besonders. Ich fühlte mich mit meinen Fragen und Problemen (vor allem seit das unsere Fragen und Probleme bedeutete) schon völlig ausgelastet, ohne mich um die aller anderen zu kümmern. Außerdem schien es mir immer, als wollte sie sich einreden, dass sie große, allgemeine Probleme löste, als hätte sie keine eigenen. Vielleicht war das einer der Gründe. Ein weiterer Schluck. Nun Kreta 2002:
„Du solltest mir beibringen, ein Fußballfan zu sein. Ich will nicht alle zwei Jahre getrennt Urlaub machen.“
Ich wollte das schon. Und auch darauf trinke ich einen.
„Es gibt hier viel zu sehen, so viel Geschichte, dass man sich richtig klein vorkommt. Fast wie in Deinen Armen :-).“
-I can’t feel / the way I did before / don’t turn your back on me
schreien meine Boxen mich an.
„Ich liebe Dich. Und ich bin eifersüchtig auf Deinen Bruder.“
Das beruhte auf Gegenseitigkeit. Ich sage das so vor mich hin: „Es beruhte auf Gegenseitigkeit“, aber es übertönt nicht, was ich denke. Ich schmeiße noch die Depeche Mode Karten hinterher (war eh nicht so toll), aber es hilft nicht. Ab heute werde ich wieder alleine einschlafen müssen. Ich, nicht man. Und es fängt an, ein konkretes Gefühl zu werden. Ich setze den Plüschhasen ins Feuer, aber er verschmort sich nur stinkend den made-in-Taiwan-Hintern.
-I swear for the last time/ I won’t trust myself with you
tönt es zum Abschluss aus meinen Boxen. Aber es hat keine Wirkung mehr. Die rituelle Offensive hilft nicht. Der Kampf mit der Angst beginnt, der Angst, wieder allein zu sein. Janine ist Geschichte. Mirko hat nichts von sich hören lassen. Wenn Liebe und Fußball nicht mehr helfen, sind Musik und Alkohol der letzte treue Rest meines Lebens. Und ich frage mich, woher ich denn wirklich wissen will, dass es wieder gut wird. Dass ich wieder leben wollen werde.


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Ich sehe selbst noch einige Probleme - vor allem wenn jemand gute Vorschläge hätte, wie ich die wörtliche Rede, die Gedanken, die Songtexte und die Postkarten sauber voneinander abheben kann, das wäre klasse.

Viel Spass beim Kritisieren!

Adios

Tempestrider
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