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Alt 27.04.2012, 17:10   #1
weiblich Carita
 
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Dabei seit: 11/2011
Ort: Hauptstadtinsel
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Beiträge: 80


Standard Die Macht der Worte

Katharina lernte von Anfang an leicht. Zwischen Buchstaben und Zahlen empfand sie Sicherheit. Es fühlte sich so selbstverständlich an, die Welt auf diesem Weg zu erkunden. Trotzdem war sie keine Lieblingsschülerin, das spürte sie genau. Irgendwie akzeptierte sie sogar, dass sie keine Anerkennung erhielt für das, was ihr ja ganz mühelos zugefallen war. So nahm sie ihre meist sehr guten Noten gleichmütig hin, ohne ihnen selbst einen Wert zu geben. Ihre Furcht konnten sie ohnehin nicht aufwiegen. Denn sie fürchtete sich sehr. Vor der Pause. Vor der Sportstunde. Vor dem Heimweg.

Wenn die Klasse zwischen den Stunden im Raum blieb, hatte sie meist ihre Ruhe. Bemühte sich um unauffälliges Benehmen. Nur nicht anecken, keinem auffallen. Zuschauen, wie die anderen schwatzten, lachten, manchmal tobten. Mussten sie dagegen zum Musik- oder Werkraum gehen, konnte es schon geschehen, dass ein Schüler – aus ihrer oder einer anderen Klasse – ihr rücklings einen Schlag verpasste oder sie grob anstieß. Mach Platz, Dicke...

Die Angst vor der Sportstunde wurde nur von der Realität übertroffen; wenn sie als Einzige nicht an der Stange hochklettern konnte, wenn sie wieder die Letzte war, die bei der Wahl der Mannschaftsmitglieder übrigblieb und bei den Wettspielen durch ihre Unbeholfenheit der Gruppe, die sie sowieso nicht dabeihaben wollte, den Sieg verdarb. Konnte sie es ihnen verübeln, dass sie sie beschimpften? Lahme Ente...

Nach Schulschluss die Hortzeit. Da standen sie dann im Halbkreis um sie herum, zeigten mit Fingern auf sie. Dicke, fette Arschbulette...

Den Heimweg trat sie in geduckter Haltung an, immer gewärtig, von hinten getreten, geschlagen, mit irgendetwas beworfen zu werden. Steif und zittrig setzte sie einen Fuß vor den anderen. Es konnte passieren, dass ein Stein knapp an ihr vorüberflog. Schüler, die sie nicht kannte, versperrten ihr den Weg, griffen nach ihrer Schultasche. Sie wusste, dass sie es niemals geschafft hätte, schnell genug zu laufen. Sprechen konnte sie auch nicht, ihre Stimme schien abhanden gekommen. Fette plumpsige Kuh...
Wenn sie endlich, endlich zu Hause war, schloss sie fest die Tür und hätte sie am liebsten nie mehr geöffnet.

Einmal, auf dem Schulhof, wehrte sie sich – Jungen und Mädchen ihrer Klasse hatten sie an einen Zaun gedrängt und genossen ihre Macht. Ein Bügel ihrer Brille zerbrach. Da trat und schlug und schrie sie um sich und hieß dann eine Zeit lang „Bella, die tollwütige Hündin“; frei nach einer gerade laufenden Vorabendserie.
Die Klassenlehrerin erklärte ihr und allen anderen noch am selben Tag, dass man niemals jemanden schlagen oder beschimpfen darf, selbst wenn der andere angefangen hat. Sie schrieb an Katharinas Eltern, die Katharina daraufhin fragten, was sie selbst zu dieser Situation beigetragen hatte. Katharina schwieg. Sie wagte nicht, es auszusprechen: Dicke, fette...
-ENDE-
Carita ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.04.2012, 17:19   #2
männlich Ex-Peace
abgemeldet
 
Dabei seit: 11/2011
Beiträge: 3.449


Liebe Carita,

mir gefällt deine Geschichte.
Sie ist sehr flüssig und gut geschrieben.
Besonders das Ende hat mir gut gefallen.
Die Tatsache, dass sie selbst diese Beschimpfungen nicht
wiederholen kann, da diese sie zu sehr schmerzen, ist ein toller
Endpunkt für deine Geschichte. Er lädt zum Nachdenken ein.

Ein wichtiges Thema.
Traurig, dass es solche Mobbing-Attacken an Schulen gibt.
Kinder und Jugendliche haben schon genug mit dem Selbstfindungsprozess
zu tun.

Liebe Grüße
Peace
Ex-Peace ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.04.2012, 19:22   #3
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.103


Liebe Carita,

wie Peace ebenfalls meint, ist Deine Geschichte in klarem, flüssigem Deutsch geschrieben. Sie könnte jedoch bildhafter und lebendiger wirken, wenn Du am Stil sorgfältiger gefeilt hättest. Füllwörter wie "ja" oder "irgendwie" gehören nicht in einen literarischen Text, Verknappungen sind ebenso schädlich, denn Verallgemeinerungen wirken leblos und langweilig.

"Lieblingsschülerin": Wessen? Der Lehrerin, der Schule, einer Schulhofbande? Warum nicht "Trotzdem war sie in ihrer Schulklasse (bei ihren Mitschülern / an ihrer Schule) nicht beliebt." ... ?

"Irgendwie akzeptierte sie sogar, dass sie keine Anerkennung erhielt für das, was ihr ja ganz mühelos zugefallen war": Wer "irgendwie" schreibt, ist zu faul, darüber nachzudenken, wie ... Das stammt nicht von mir, sondern von einem Experten für Stilkunde. Auch ist die Aussage des Satzes nicht deutlich. Gemeint ist wohl: "Sie nahm es sogar hin, keine Anerkennung zu erhalten, weil ihr alles mühelos zufiel, wofür ihre Mitschüler büffeln mussten."

"rücklings": Das Wort hat die Bedeutung von "rückwärts", auch wenn es sich so wie hier verwendet im Sprachgebrauch durchgesetzt hat; "von hinten" hielte ich für passender.

"Die Angst vor der Sportstunde wurde nur von der Realität übertroffen: Der Sinn von "nur" erschließt sich mir nicht.

"... schloss sie fest die Tür ...": Was bedeutet hier "fest"? Hat sie die Tür mit beiden Händen zugedrückt, hinter sich ins Schloß geworfen oder gar verriegelt?

"... hatten sie an einen Zaun gedrängt und genossen ihre Macht. Ein Bügel ihrer Brille zerbrach.": Wie ist die Brille zerbrochen? Wurde dem Mädchen ins Gesicht geschlagen? Wurde sie mit dem Kopf an die Mauer gestoßen? War die Brille beim Schubsen runtergefallen, so daß jemand auf sie trat? Wollte jemand die Brille wegnehmen und hat durch Grobheit den Bügel zerbrochen? Mit einer genaueren Schilderung, wie die Brille ramponiert wurde, wäre gleichzeitig auch ein Bild entstanden, wie sich die Macht der Mitschüler darstellt.

Soweit zum Stil, nun zum Inhalt:

Die Geschichte ist stringent erzählt, scheinbar mit positiver Einführung, die jedoch schnell der Ernüchterung Platz macht: Gute Schülerin, aber ein häßliches Entlein, dazu furchtsam und hoffnungslos introvertiert. Das ist eine hübsche Kurve: Erst mal dem Leser ein gutes Gefühl geben und dann ein "hättest Du wohl gerne gehabt."

Erzählt wird aus der Sicht des nicht wertenden, außenstehenden Beobachters. Dadurch gelingt es dem Leser nicht, sich in das Mädchen einzufühlen, Mitleid will sich nicht einstellen. Es ist eine Sache, zu schildern, wie ein Mensch furchtsam und gebückt nach Hause eilt, aber eine andere Sache, was dabei im Inneren vor sich geht. Letzteres bleibt hier außen vor, und ich nehme an, daß dies von Dir beabsichtigt war.

Als sich das Mädchen erstmals wehrt, keimt im Leser Hoffnung auf - aber das ist eine leere Versprechung. Es geht nicht so weit, die Mitschüler zu denunzieren. Das ist eine edle Haltung, nur leider nicht glaubwürdig vermittelt. Keine Schimpfwörter in den Mund nehmen zu wollen ist kein Motiv, denn das wäre zur Klärung der Sachlage nicht unbedingt nötig gewesen. Hier wäre eine Schlüsselszene in der Geschichte schön gewesen, die den Entschluß zum Schweigen (oder die Hemmung zum Reden) plausibler an den Leser gebracht hätte. Das Mädchen könnte zum Beispiel in der Vergangenheit erlebt haben, daß ihr ein Mitschüler etwas gestohlen hatte, ihr das aber niemand glauben wollte, weil der Mitschüler beliebt war.

Damit lasse ich es genug sein, sonst artet mein Kommentar in Arbeit aus. Es hat mich aber gereizt, weil sich die Geschichte, wie anfangs erwähnt, flott lesen läßt. Vielleicht ist mein Kommentar für Dich umgekehrt ein Anreiz, noch ein bißchen weiter zu fabulieren.

Lieben Gruß
Ilka
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.04.2012, 22:16   #4
weiblich Carita
 
Benutzerbild von Carita
 
Dabei seit: 11/2011
Ort: Hauptstadtinsel
Alter: 60
Beiträge: 80


Danke Dir, Peace, für den ermutigenden Blick und
Dir, Ilka-Maria, für den kritischen Blick und die wertvollen stilistischen und inhaltlichen Überarbeitungshinweise. Ich werde da auf jedne Fall nochmals drangehen.

Liebe Grüße
Carita
Carita ist offline   Mit Zitat antworten
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