Bauer, Ritter, Tod und Teufel bei Poetry.de

Thing · 22.05.2015, 08:57

Der Lenzing. Ein Bauer so müd auf dem Esel und greulich
das Hundchen erlahmend die Rute gen Boden es schnattert
die Henne im Kistchen auf Dünger und Federn und Futter.
Der Käufer entbiete mir Heller und Gulden und Kupfer! ruft er.

Der Brachet. Ein Bauer so matt auf dem Esel und schwitzend
die Füße dem Brunnen gleich stinkend im drückenden Leder
die Sonne erbarmt sich des Kämpen nicht heiter und brennend.
Die Trulle entbiete mir Träne und Tropfen und Schinken! ruft er.

Der Scheiding. Ein Ackrer so träg auf dem Esel und einsam
der Stiefel so alt und das Auge so sinnlos erhoben
der Käse die Laibe sie rumpeln dem Hofe entgegen.
Die Trulla entbiete mir Suppe und Selcherns und Linsen! ruft er.

Der Windmond. Ein Schaffer so bleich auf dem Esel verrottet
der Kittel so fetzig das Zaumzeug vermodert im Schnee dort.
Gebot jenes Sein jenes Krauchen nicht Toden und Armut.
Gebot jener Kriecher sein Dasein dem würdigen Förschten der niemals erschien.

gummibaum · 22.05.2015, 12:43

Hallo Thing,

eine ungewöhnlich gestaltete Geschichte um Dürers Gemälde, die auf das bäuerliche Leben und Leiden fokussiert. Die alten Namen für den
3., 6., 9. und 12. Monat sind Stationen eines gleichbleibenden Dahinsterbens an schwerer, kaum vergüteter Arbeit.

Sehr gern gelesen, das Experiment.

LG gummibaum

gummibaum · 22.05.2015, 13:21

p.s.:

Der Ritter taucht bewusst erst im letzten Vers auf. Er ist als Arbeitgeber/Blutsauger ("würdiger Fürst"), der für den Bauer unsichtbar bleibt, der Erzeuger des Elends.

Die Sprache schleppt sich absichtlich (wie der Esel) durch die Verse (Versus, urspr. = Ackerfurche, in der man beim Pflügen die Richtung "umkehrt").

LG g

Thing · 22.05.2015, 16:39

Danke, lieber gummibaum,

für diesen wirklich wertvollen und wissenden Kommentar!

Lieben Gruß:
Thing

22.05.2015, 08:57	#1
Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Gedichte Meine Favoriten	Bauer, Ritter, Tod und Teufel Der Lenzing. Ein Bauer so müd auf dem Esel und greulich das Hundchen erlahmend die Rute gen Boden es schnattert die Henne im Kistchen auf Dünger und Federn und Futter. Der Käufer entbiete mir Heller und Gulden und Kupfer! ruft er. Der Brachet. Ein Bauer so matt auf dem Esel und schwitzend die Füße dem Brunnen gleich stinkend im drückenden Leder die Sonne erbarmt sich des Kämpen nicht heiter und brennend. Die Trulle entbiete mir Träne und Tropfen und Schinken! ruft er. Der Scheiding. Ein Ackrer so träg auf dem Esel und einsam der Stiefel so alt und das Auge so sinnlos erhoben der Käse die Laibe sie rumpeln dem Hofe entgegen. Die Trulla entbiete mir Suppe und Selcherns und Linsen! ruft er. Der Windmond. Ein Schaffer so bleich auf dem Esel verrottet der Kittel so fetzig das Zaumzeug vermodert im Schnee dort. Gebot jenes Sein jenes Krauchen nicht Toden und Armut. Gebot jener Kriecher sein Dasein dem würdigen Förschten der niemals erschien.

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22.05.2015, 12:43	#2
gummibaum Dabei seit: 04/2010 Alter: 70 Beiträge: 10.909 Meine Gedichte	Hallo Thing, eine ungewöhnlich gestaltete Geschichte um Dürers Gemälde, die auf das bäuerliche Leben und Leiden fokussiert. Die alten Namen für den 3., 6., 9. und 12. Monat sind Stationen eines gleichbleibenden Dahinsterbens an schwerer, kaum vergüteter Arbeit. Sehr gern gelesen, das Experiment. LG gummibaum

22.05.2015, 13:21	#3
gummibaum Dabei seit: 04/2010 Alter: 70 Beiträge: 10.909 Meine Gedichte	p.s.: Der Ritter taucht bewusst erst im letzten Vers auf. Er ist als Arbeitgeber/Blutsauger ("würdiger Fürst"), der für den Bauer unsichtbar bleibt, der Erzeuger des Elends. Die Sprache schleppt sich absichtlich (wie der Esel) durch die Verse (Versus, urspr. = Ackerfurche, in der man beim Pflügen die Richtung "umkehrt"). LG g

22.05.2015, 16:39	#4
Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Gedichte Meine Favoriten	Danke, lieber gummibaum, für diesen wirklich wertvollen und wissenden Kommentar! Lieben Gruß: Thing