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Alt 01.01.2017, 03:41   #1
männlich Heinz
 
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Standard Intermezzo (Kapitel 2)

2. Kapitel

Zwischen zwei Rechnungen und einem Brief meiner Schwester ein weiterer Brief, ohne Absender. Inhalt: Außer vier Hundertmarkscheinen nur ein kleiner Zettel mit dem maschinen-geschriebenen, dürren Text „Reisekostenerstattung“.
Ein kleiner Unfall meines Sohnes, er war mit dem Fahrrad eine abschüssige Straße runter gesaust und in einen Pkw gebrettert, lag ein paar Tage im Krankenhaus, hatte die erste Ge-hirnerschüt´terung seines Lebens, war aber guter Dinge, war der Fingerzeig von oben, dass ich endlich ein Telefon brauchte. Das wurde binnen dreier Tage geliefert und angeschlossen.
Eben dieses Telefon klingelte zwei Tage nach Erhalt des Briefes. „Hallo, spreche ich mit Herrn Köhler?“ - „Ja, wer ist da bitte?“ - „Ich soll einen schönen Gruß von Helmut bestellen, er würde sich freuen, wenn Sie am Freitag. ... Oktober zu seinem Geburtstag kommen.“ -
„Nach ...“, der Anrufer unterbrach mich, - „Nein, er feiert seinen Geburtstag wo anders, sagt Ihnen aber noch genau, wann es los geht und wo.“ Aufgelegt. (Die Pünktchen beim Datum unterliegen nicht der Geheimhaltung - ich weiß das Datum einfach nicht mehr).
In die Stadt musste ich sowieso, weil dort ein Buch auf mich wartete. Ab in die Stadt, Buch geholt und - ab in die nächste Telefonzelle (die es zu der Zeit noch an vielen Stellen gab).
Die Nummer, die mir der MAD gegeben hatte, war schnell gewählt, ich meldete mich:
„Hallo, Schiller hier, bitte verbinden Sie mich mit Herrn Seefeld.“ Mein „Führungsoffizier“ meldete sich, hörte sich meinen Kurzbericht an und: „Wenn er mit Ihnen Uhrzeit und Ort der „Geburtstagsfeier“ durchgegeben hat, rufen Sie mich noch mal an.“
Helmut meldete sich ein paar Tage später, ich erfuhr, dass besagte Fete im Interhotel in der Hauptstadt der DDR, also Ostberlin, um zehn Uhr begänne. Am besten wäre es, wenn ich am Tag zuvor nach Berlin Tegel fliegen würde, mir da ein Hotel suche, um am nächsten Vormittag da zu sein. „Da gibt es eine Hotelbar, da kannst Du was trinken - ich komm dann schon zu Dir.“
Wieder: Telefonzelle aufsuchen - MAD anrufen. „Wir besprechen das alles in der Cafeteria des Kaufhofes in Elberfeld. Wann können Sie sich loseisen?“ - „Jederzeit.“ - „Gut, dann um zwölf in der Cafeteria - ich bin dann schon da.“
Die „konsperativen“ Regeln bei künftigen Treffen wurden immer eingehalten. Ich wusste (und ich wollte es auch gar nicht wissen) nie, woher mein FO (Führungsoffizier - ich werde diese Abkürzung der Einfachheit halber beibehalten) kam, wusste auch nie, wohin er nach einem Treffen ging, weil ich immer der erste war, der den Raum verließ, übrigens immer Räume, die mindestens zwei Ausgänge hatten. Die unmittelbar zu den Restaurants gehörenden Parkplätze oder -häuser waren tabu, die letzten 300 Meter gings entweder zu Fuß oder mit Bus, Straßen- oder Schwebebahn.
Da ich noch nie mit einem Flugzeug geflogen war und natürlich wusste, dass ich nicht zu einem Geburtstag eingeladen war, hatte ich eine Menge Fragen. „Herr Schiller, Sie stellen sich jetzt einfach mal dumm und machen alles so, wie es Ihnen in den Kopf kommt. Das Dumm-Stellen müssen Sie nicht übertreiben, das nehmen „die“ Ihnen sowieso nicht ab. Sie verhalten sich so, als würden Sie auf die Angebote des Stasi eingehen, lassen Ihre Geldknapp-heit anklingen und wir beobachen das mal. Kontakt mit uns nehmen Sie nie aus Ostberlin oder der DDR auf, immer nur von Telefonzellen aus der Bundesrepublik. Außerdem müssen Sie ja immer vorsichtig sein, damit der MAD Ihnen nicht auf die Schliche kommt.“
Das war alles nicht schwer zu verstehen: Ich sollte also ein „Kundschafter des Friedens“ werden, der aus Geldgeilheit seinen Fahneneid bricht, für die Stasi arbeiten - und das alles mit Wissen und Erlaubnis des MAD. Später kam dann doch eine Einschränkung: „Wenn Sie auch über Personen berichten sollen, sagen Sie einfach, dass es zu schwierig sei, an Personal-daten heran zu kommen.“ (Das war ein Witz, wenn man die Interna der Bundeswehr kennt: Der Tresor unseres Kompaniefeldwebels, in dem die Personalakten lagen, war für mich kein Hindernis - aber es war durchaus glaubhaft zu behaupten, dass ich nach meiner Freistellung vom militärischen Dienst keine Gelegenheit mehr hatte, das Allerheiligste der Diensstelle zu betreten.
Das per Post bei mir eingetrudelte Geld nahm mein FO an sich. Ich bekam es aber bald in anderen Scheinen wieder, denn ich musste ja mindestens den Flug und die Hotelübernachtung bezahlen.
Donnerstagvormittag gings per Bahn nach Düsseldorf zum Flughafen, Ticketkauf und fast eine Sunde vor Abflug in die Wartezone. Mit einer Maschine der BA war ich dann in einer knappen Stunde in Berlin Tegel, stieg in ein Taxi und: „Bitte zum KuDamm.“ _ „Der KuDamm ist lang...“, - „Setzen Sie mich an der Gedächtniskirche ab.“ Mit 10 DM - das waren noch Preise! - war ich dabei und kurze Zeit später am KuDamm an der Gedächtniskirche. Von da aus fand ich schnell den Weg zur Pension „Carola“, die in einer Seitenstarße des KuDamms ihr Dasein fristet. Wieso Pension „Carola“? Weil ich da schon mal war, vor einigen Jahren, aber die Pension Carola hatte sich mir eingeprägt. Im Rahmen einer Veranstaltung zur Deutsch-Französischen Freundschaft hatte wir (eine Jugendgruppe, der Leiter ich war) eine Folklore-Gruppe aus Korsika eingeladen. Berlin-Besuche wurden ziemlich gut finanziert, Bedingung war ein Programm und mindestens ein Besuch Ostberlins.
In der Pension Carola war die ganze Bande, fast 40 Franzosen (und Französinnen) und die gleiche Anzahl deutscher Jugendlicher untergebracht. Jaqueline und Francoise waren meinem Freund und mir aufgefallen, zwei tänzerisch sehr begabte, außerordentlich hübsche Achtzehn-jährige, die genauso wenig Deutsch wie wir Französisch konnten. Es reichte aber für die Vereinbarung eines Rendezvous nach Mitternacht im Zimmer der beiden. Irgenwie muss der Leiter der französischen Gruppe von unserem unmoralsischen Vorhaben Wind bekommen haben, denn als Karlheinz und ich ohne Licht zu machen über den Flur schlichen, stolperten wir beinahe über ein Feldbett, das vor der Zimmertür der Heißbegehrten stand und mit dem schlafenden Gruppenleiter belegt war.
Sollte es die Pension Carola noch geben - schaut euch mal die Balkons auf der straßenabge-wandten Seite an und ihr werdet bewundernd auf die Knie sinken. Wie Karlheinz und ich, beide hatten wir zum ersten Mal schwarze Oliven gegessen und die mit Rotwein runter gespült, diese Klettertour, immerhin in der zweiten Etage, unfallfrei überstanden haben, grenzt noch heute für mich an ein Wunder. Nach den griechischen Oliven und dem dazuge-hörigen Wein kamen dann aber die französischen Belohnungen - ich sags doch: Berlin ist allemal eine Reise wert.
Also - diese Pension Carola hatte ich schnell gefunden, bummelte noch ein bisschen über den KuDamm, bat später die Dame an der Rezeption, mich um sieben Uhr zu wecken und schlief den Schlaf der Gerechten.
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