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Alt 26.12.2016, 03:25   #1
männlich Heinz
 
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Standard 31. Kapitel Urlaub in Jena

„Sagt mal, lebt ihr eigentlich nur von Luft und Liebe? Ich hab einen Kohldampf und könnte einen halben Ochsen verdrücken!“ - „Das möchte ich sehen!“, kam von Diana, die beiden anderen waren vernünftiger und gestanden, dass sie auch so ein leeres Gefühl im Magen hätten. „Und - wo kriegt man jetzt was Ordentliches? Ich möchte am liebsten in der Grünen Tanne...“ - „Kannste vergessen, da gibts seit Jahren nichts mehr.“, die ortskundige Diana klärte uns auf: „Eigentlich eine Schande, dabei hat dein Idol da mal eine zeitlang gewohnt und so nebenbei den „Erlkönig“ da geschrieben, aber wahrscheinlich fehlt das Geld, um das Haus zu renovieren.“ - „Und was liegt am nächsten?“ - „Entweder das „Kupferhütchen“ oder der „Schwarze Bär“.“ - „Ich bin für den schwarzen Bär“, gluckste Jaqueline. „Ja, du wieder, aber dann müssen sie die Kneipe umtaufen auf „Schwarzes Herz.“ - „Also, das Kollektiv stimmt ab: Wer ist für das Kupferhütchen, wer für den Schwarzen Bären?“ - „Ich bin für den Bär - heute ist Sonntag, da haben die Stasifritzen auch frei und wir finden da einen Platz.“ - „Egal, wenns zu voll ist, gehen wir ins Kupferhütchen.“ - „Schön, dann fahren wir jetzt los und nach dem Essen gehts raus zur Einhügelquelle.“ - „Und danach?“
„Kinder - ich muss mein Auto noch beladen, bei Ursel und Gerhard noch tschüss sagen und ihr beiden müsst um sieben am Bahnhof sein.“ Betretenes Schweigen, zum ersten Mal wurde das Ende des Urlaubs angesprochen. In den Abendstunden wollte ich meine Rückfahrt antreten und eigentlich wollten wir gar nicht darüber reden.
„Lässt du mich noch mal fahren?“ - „Na klar - auf gehts!“
Nach knapp zwanzig Minuten waren wir an der Camsdorfer Brücke - ich wollte wenigstens einen Blick auf die Grüne Tanne werfen. Den hätte ich mir ersparen können, es sah zum Weinen aus. Im Eingang der Gaststätte „Zum Schwarzen Bären“ das übliche „Stoppschild“, das dazu anhielt, auf die Platzanweisung durch den Restaurantleiter zu warten - mindestens dreißig Plätze waren unbesetzt, vor uns warteten aber nur zwei Pärchen und unsere Wartezeit war nicht sehr lange. Komisch - der Hunger war auf einmal gar nicht mehr so groß, scheinbar hatte der Gedanke an den baldigen Abschied eine appetithemmende Wirkung. „Wenn du ein Bier trinken willst - ich kenne den Weg in den Münchenrodaer Grund.“ - „Elischa, du bist ein Engel!“
Ich verkrümelte mich auf den Rücksitz und so konnte Elischa ihrem Töchterchen erklären, was da so links und rechts der Fahrtstrecke zu sehen ist. „Da rechts - das ist die alte Papiermühle und guck mal, da oben links, der olle Bismarckturm und jetzt - da vorne an der Straßengabel gehts rechts nach Weimar.“ Nach wenigen Minuten waren wir am Brunnenhäuschen der Einhügelquelle, Elischa stellte den Wagen ab und wir legten die letzten 100 Meter zur Gaststätte zu Fuß zurück.
Ein schwarzbraunes Ungetüm jagte uns bellend entgegen, es erkannte mich , stellte das Bellen ein - Arko kam schwanzwedelnd heran gefegt und gab zu erkennen, wie sehr er sich freute. Elischa wurde begrüßt und schnell trauten sich auch Diana und Jaqueline ihm das Fell zu kraulen. Tante Berta, vom Bellen vor die Tür gelockt kam uns entgegen, nahm uns der Reihe nach in die Arme, ich stellte ihr die beiden jungen Damen vor und dann war ich dran, herzlich gedrückt zu werden - und - ich fühlte mich zuhause. „Ich hab schon auf euch gewartet, der Kaffee ist gleich fertig und für dich habe ich deinen Lieblingskuchen gebacken. Das konnte nur ein Käsekuchen sein und so war es auch. Tante Bertas Käsekuchen ist eine Legende und wir haben dieser Legende den Garaus bereitet. Als weitere Gäste eintrafen, meldeten wir uns für ein Stündchen ab, ich zeigte meinen Damen die nähere Umgebung: „Da drüben habe ich mit meinem Opi immer Pilze gesammelt und da drüben, bei den ganz dicken Fichten hatte ich Knirps mal einen kindskopfgroßen Pilz gefunden; zumindest hatte ich das angenommen und habe mit meinem Stöckchen ein Loch hinein gebohrt. Das Ergebnis war, dass ich erfuhr, wie schnell der alte Mann noch laufen konnte. Er nahm mich an die Hand und wir flüchteten vor hunderttausend (so kam es mir vor) Wespen, die mit der Zerstörung ihres Nestes überhaupt nicht einverstanden waren. Ich bin mit ein paar Stichen, die verteufelt weh taten, noch glimplich davon gekommen. Meinen Opi hatten sie auch paarmal erwischt, aber wir haben es beide überlebt. „Und da drüben am Hang, da wachsen immer ganz viele Silberdisteln, ich glaube, die stehen unter Naturschutz, ein bisschen weiter, da finden wir Walderdbeeren, und wenn ihr Lust habt, dann klettern wir den Hang rauf - da oben steht eine kleine Hütte und von da aus können wir den Esel rufen.“ - „Wieso läuft denn hier ein Esel herum?“ - „Kommt mal mit.“
Bei der Hütte angekommen - fragende Blicke. „Kennt ihr das Städtchen Wesel?“ - „Nee, wo ist das denn?“ - „Am Niederrhein.“ - „Und wie sollen wir zum Niederrhein kommen?“ Das war, ich gebe es zu, ein nicht zu lösendes Problem. „Jaqueline, ruf mal ganz laut „Wesel“!“ Jaqueline formte aus ihren erdbeerklebrigen Fingern einen Schalltrichter und ließ ihre Stimme erschallen: „WESEL!“ - Ganz deutlich kam die Antwort: „Esel-Esel-Esel“, ein paarmal mit abnehmender Lautstärke - wir hatten das Phänomen des Echos entdeckt!!
„Wir gehen noch paar Erdbeeren sammeln - treffen wir uns hier oder unten in der Gaststätte?“ - „Elischa und ich - wir bleiben noch ein bisschen hier, sammelt mal schön und wenn wir Glück haben, finden wir in der Hütte eine Schüssel oder was ähnliches - ihr braucht nicht mehr hier rauf zu kraxeln - unten gibt es was zu trinken, wir kommen dann runter - ihr braucht ja nur zu winken.“ Wir fanden ein kleines Blecheimerchen und die beiden verwandelten sich zu Sammlerinnen dieser aromatischen Waldfrüchte. Ich gab ihnen noch eine Warnung mit auf den Weg: „Passt bloß auf, dass euch die kleinen roten Waldameisen nicht erwischen!“
Elischa und ich waren allein, setzten uns auf die kleine Holzbank vor der Hütte, hatten einen wunderschönen Blick ins Tal, ganz weit unten das Dach der Gaststätte, die Menschen auf der Terrasse gnaz klein, das Bellen Arkos mehr zu ahnen als zu hören, ansonsten Stille, ganz leises Wispern aus den Wipfeln der Bäume, die Wehmut war greifbar und wir fanden erst einmal keine Worte.
„Hier bist du also als Kind gewesen?“ - „Ja, sehr oft und sehr gern und das Rauschen der Bäume, der Geruch frisch gesägten Holzes, das Gezeter des Gockels, das Harz von den gesammelten Fichtenzapfen an den Händen und sein Geruch, das Quellwasser der Einhügelquelle, das Echo - alles hat sich so tief eingeprägt, dass ich hier, wenn ich mal gestorben bin, begraben sein möchte.“ - „Aber ans Sterben denkst du hoffentlich noch nicht!“ - „Nee, natürlich nicht, ich denke hier eher an das Gegenteil.“
Nein, Elischa fragte nicht danach, woran ich denke. Wir waren allein - hier herauf kam niemand und wenn jemand auf die Idee käme - wir würden ihn früh genug sehen.
„Komm, ich will, dass wir uns hier lieben und du musst mir sagen, dass du bald einmal wieder kommst!“ - „Ich komme wieder und...“, - „versprich nicht zu viel, nimm mich in die Arme, küss mich, sag mir, dass du mich liebst, dass ich für dich...“ - „du bist die Schönste, die Beste, du bist...“ - der Rest war Stammeln, Schweigen, Versinken und Fliegen.
„Die beiden winken.“ - „Nu, dann winken wir zurück und machen uns an den Abstieg". Das machten wir mit wackligen Beinen, auf der Terrasse wartete ein frisch gezapftes Bier auf uns und eine Schüssel Erdbeeren mit Schlagsahne. „Trink du mal, ich fahre dann zurück.“
Meine Tante gesellte sich zu uns und am liebsten wäre ich hier geblieben, aber der Urlaub war unwiderruflich zu Ende, die Aufenthaltsgenehmigung reichte noch bis Mitternacht und - die Pflicht rief mich zurück nach Wuppertal.
„Na, und wann kommst du mal wieder?“, fragte Tante Berta. „Dieses Jahr habe ich keinen Urlaub mehr, aber nächstes Jahr bin ich bestimmt wieder hier.“ - „Nächstes Jahr - ob ich das noch erlebe?“ Tante Berta ist gegen Ende des Jahres gestorben, wir saßen das letzte Mal zusammen und haben das natürlich nicht gewusst. Ihr Sohn Kurt hat das Anwesen verkauft, der neue Besitzer richtete eine Schäferhundzucht ein - als Gaststätte gibt es die Einhügelquelle nur noch in der Erinnerung.
Elischa fuhr uns nach Jena zurück, die nächsten zwei Stunden waren von Hektik erfüllt - Auto beladen, Gartenhütte sauber machen, runter zu Ursel und Gerhard: „Mensch, komm ja bald mal wieder!“ - „Versprochen!“ Abschied, rein ins Auto, Winken und ab zum Bahnhof.
„Komm, lass uns nicht lange herum machen, Diana fährt mit dem Bus und du machst dich auf die Strecke; gleich kommt unser Zug und ich hasse Abschiedsszenen auf dem Bahnsteig".
Der Abschied - beinahe hastig und die Sonne wollte nicht dabei zuschauen. Es begann zu regnen - Jaqueline und Elischa griffen nach ihren Koffern, noch ein Kuss auf die tränennassen Augen Jaquelines, ein Kuss auf Elischas zitternden Mund und sie verschwanden in der Bahnhofshalle. „Diana, es war wunderbar mit dir, halt die Ohren steif und sieh zu, dass du noch zu deinem Mathestudium...“ - „zu meinem Physikstudium!“ Und mehr konnte sie nicht mehr sagen. Einen Klaps auf den Hintern bekam ich noch und dann:
„Machs gut, Grenadier!“, - ich stand allein, 50 Meter bis zum Auto und dann 420 Kilometer nach Wuppertal.
An der Grenze - na ja, die Prozedur kannte ich ja schon: Kofferraum auf, Rückbank herunter klappen (das konnte ich ja nun schon), Tankdeckel abschrauben, Reisepass abgeben, ernste Blicke (ich habe nie einen Grenzsoldaten oder Zöllner der DDR lächeln gesehen) und die Aufforderung, die Koffer und Reisetaschen zu öffnen. „Was haben wir denn da?“ (Die „Nagelprobe“ - das Bürgeler Blau - stand an). „Das sind Musterstücke, für die bei der Firma („Firma“ - das war so etwas wie ein Zauberwort, weil jeder wusste, dass damit der Stasi gemeint war) eine Genehmigung vorliegt“. - „Fahren sie mal da vorne links ran und kommen sie mit.“ Erster Gedanke: „Scheiße!“ In einem Raum, immerhin stand da ein Aschenbecher und ich konnte mir eine Kippe zwischen die Lippen stecken, hatte ich zu warten. Nach einer Zigarettenlänge kam ein Major (ein Mann mit „Panzerketten“ - geflochtenen, silberfarbigen Epauletten) betrat den Raum, in der Linken meinen aufgeschlagenen Reisepass: „Wo kommen sie her?“ - „Aus Jena.“ - „Was war der Zweck ihres Besuches?“ - „Urlaub und Verwandtenbesuch.“ - „Was ist ihr Reiseziel?“ „Wuppertal, Bundesrepublik Deutschland.“ - „Nehmen sie Platz, ich bin gleich wieder bei ihnen.“
Bummbumm, bummbumm, bummbumm - nee da bumste nichts, das waren die Geräusche, die direkt von meiner Pumpe ins Ohr wanderten. Also - noch eine Zigarette. Der Major kam wieder, Reisepass in der Linken wie gehabt, diesmal zugeklappt. „Wir wünschen ihnen eine gute Fahrt.“
Raus aus der Hütte, rein ins Auto - „Geh gefälligst gemessenen Schrittes und fahr nicht los wie ein Henker!“ (Das war meine innere Stimme).
Ich gehorchte ihr, ging betont „gemessenen Schrittes“ zu meinem Auto, setzte mich rein, ließ den Motor an und - ein Zöllner hielt mich auf: „Sie haben (kurzzeitiger Herzstillstand) ihre Zigarettenpackung vergessen.“ (Herz setzte wieder ein) - „O, danke und auf Wiedersehen.“ Auto noch mal angelassen, langsam zum letzten Schlagbaum - der ging hoch und ich war 100 Meter weiter in der Bundesrepublik. Dass ich mir schon wieder eine Zigarette anzündete, ist hoffentlich nachvollziehbar.
Nach 50 Kilometern begann ich den Kampf mit meinen Augenlidern, fuhr auf einen Parkplatz - Motor aus, Musik leise, Sitzlehne zurück und weg war ich, habe eine Stunde geschlafen und war dann fit für die restlich knapp 250 Kilometer.

Geändert von Heinz (26.12.2016 um 05:57 Uhr)
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