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Alt 08.09.2016, 23:18   #1
männlich Heinz
 
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Standard 4. Kapitel - Urlaub in Jena

„Auf den Bergen, da wohnet das Leben.
die Hoffnung, die Freude das Glück,
da fühlst du dem Himmel dich näher,
möchtst niemals zum Tale zurück.“

Das war eine der Strophen, die einzige, die ich noch auswendig weiß, die an die Wände der Gaststube „Zum Fuchsturm“ geschrieben waren. Sie sind einer gründlichen Renovierung zum Opfer gefallen. Der Fuchsturm ist ein alter Bergfried, ein erhaltener Überrest der „neuen“ Burg Kirchberg auf dem „Hausberg“. Das klingt kompliziert, also noch einmal: Einer der vielen Berge um Jena heißt Hausberg. Auf diesem Berg gab es eine Burg und die hieß Burg Kirchberg. Von dieser Burg gibt es den erhaltenen Bergfried und der wird Fuchsturm genannt.
Die alte Burg Kirchberg gibt es nur noch in einer Urkunde aus dem Jahr 937; die neue Burg wurde um 1100 n.Chr. errichtet. Seit über 150 Jahren kümmert sich eine Fuchsturmgesellschaft um den Erhalt des Fuchsturms, der Pflege der Wanderwege und um kulturelle Angelegenheiten. Kann man, muss man aber nicht alles wissen. Für mich war ein Ausflug zum Fuchsturm, in dem die Familie Eisenschmidt ein Restaurant betrieb, immer eine großartige Belohnung. Da durfte ich die Wendeltreppe im Bergfried raufkraxeln und oben, etwa 400 m über dem Meeresspiegel, einen tollen Blick auf die umliegenden Muschelkalkberge und auf die Stadt werfen. Unten im Hof war eine alte Kanone mein Kletterobjekt, noch weiter unten waren Wildschweine in einem weiteren Hof zu sehen, bis sie dann irgendwann zu Wildschweingulasch verarbeitet wurden.
Der „Remter“ - ein sehenswerter Speisesaal in der Gaststätte des Fuchsturms - war den Tagungen der Fuchsturmgesellschaft vorbehalten. Im Schlepptau meines Opis, er war mit dem „Burgherrn“ Eisenschmidt befreundet, durfte ich diese heilige Halle betreten.
In einer Raumecke „überwachte“ ein riesiger Auerhahn den Remter. Der war für mich viel spannender als die kunstvoll geschnitzten, mit Fantasiewappen und den Namen der ehrwürdigen Mitglieder der Fuchsturmgesellschaft versehenen Rückenlehnen der Stühle.
Bei meinem nächsten Besuch muss ich unbedingt nachschauen, ob dieser Auerhahn immer noch darauf aufpasst, was in diesem Raum so vor sich geht.
Die Anstrengung, die es kostete, den Fuchsturm zu erreichen (wir mussten immer zu Fuß gehen, weil die Endstation des Busses unterhalb des Dörfchens Ziegenhain war), wurde mit Limonade und Kuchen belohnt.
Die letzte große Feier, die ich als Erwachsener auf dem Fuchsturm erlebte, fand am 30. Juni 1990 statt. Am nächsten Tag war Schluss mit den Aluminiumchips der DDR, da wurde in DM umgetauscht, was man so umtauschen konnte. Alles, was darüber war, wurde von den Feiernden im Fuchsturm „auf den Kopp gehauen". Von der Fete werden noch Generationen sprechen und Audangse - so wünschte ein Jenenser Mädel namens Hortense angesprochen zu werden.
Der „Vulpecula Turris“ , also der Fuchsturm ist eines der sieben Wunder Jenas. Mein Opi zeigte sie mir alle, bis auf das Weigelsche Haus, weil es dieses Haus des Mathematikprofessors Weigel nicht mehr gab. Opi erzählte mir, dass die Besucher des Hauses durch archtitektonische Kniffe am Tage die Sterne sehen konnte und er erzählte mir auch, dass der Professor Weigel wohl recht faul gewesen sei. Der hatte ich doch tatsächlich eine Wein-Leitung aus dem Keller bis in die Wohnstube legen lassen.
Das fand ich bemerkenswert schlau.
Die sieben Wunder musste ich auswendig daher beten können. Außer den beiden genannten gibt es da noch den „Jenzig“, ein knapp 400 m hoher Berg mit einer beeindruckenden „Nase“. Die ganz oben betriebene Gaststätte - nee, das war nichts für mich, weil der Anstieg recht anstrengend war und es außer dem Wanderweg keine Möglichkeit gab, da hinauf zu kommen.
Spannender war es, den „Schnapphans“ zu beobachten. Diese Figur einer Turmuhr tauchte jede volle Stunde auf und versuchte, eine goldene Kugel zu schnappen. Die goldene Kugel sei ein Thüringer Kloß, so lernte ich, und wenn es dem Schnapphans gelänge, den Kloß zu schnappen - dann: Gute Nacht Jena - dann bist du dem Untergang geweiht.
Im Museum bestaunte ich „Draco“, den siebenköpfigen Drachen, der seine Entstehung einem Studentenulk verdankt.
Habe ich schon gesagt, dass Jena eine ziemlich alte Universitätsstadt ist? Es gibt ältere wie Erfurt, Heidelberg, Leipzig, Trier, Mainz oder Königsberg - Bürger und Bürgerinnen der nicht aufgeführten Universitätsstädte mögen mir verzeihen -, aber die „Friedrich-Schiller-Universität Jena“, auch Alma Mater Jenensis genannt, hat auch schon über 450 Jahre auf dem Buckel. Die Namen Goethe, Schiller, Hegel, Fichte, Schelling, Hardenberg, Brentano, Tieck und Karl Marx, letzterer hat in Jena - in absentia - seinen Doktortitel erworben, sind auf die eine oder andere Weise mit der „nährenden Mutter Jenas“ unauslöschlich verbunden. Die zahlreichen Studentenulke müssen dem jungen Goethe und seinem Weimarer Chef und acht Jahre jüngeren, engen Freund, dem Herzog Karl August Herzog von Sachsen-Weimar und Eisenach sehr imponiert haben. Sie scheuten sich nicht, selbst bei ihren Ausritten die verrücktesten Sachen zu veranstalten.
Einmal, so erzählt man sich, ritten sie bei sommerlicher Hitze von Weimar nach Dornburg, kamen an einem Bauernhof vorbei und erblickten die Bäuerin beim Buttern - sie stellte in einem hölzernen Gerät mit einem Stampfer Butter her. Die beiden jungen Kerle hatten es sich zur Angewohnheit gemacht, bei ihren Ausflügen gewöhnliche Kleidung zu tragen, um nicht als Herzog und Staatsminister erkannt zu werden.
„Gute Frau, wir sind erhitzt und bitten Sie um einen Schluck Wasser.“ Die „gute Frau“ zeigt sich erkenntlich, stellt ihr Buttergefäß ab, geht ins Haus, um etwas Trinkbares zu holen. Derweil schnappen die beiden sich eine herum streunende Katze, nehmen den Deckel des Geräts ab und stopfen die Katze rein. Die Bäuerin kommt mit zwei Bechern, gefüllt mit kühlem Wasser, die beiden trinken, bedanken sich und reiten weiter. Nach drei Tagen, auf dem Rückweg von Dornburg, packt sie dann doch das schlechte Gewissen. Sie reiten zum Hof der Bäuerin, um sie für die unbrauchbare Mischung von Milchrahm und Katze zu entschädigen.
„Das ist nicht nötig, meine Herren, ich hab die Butter in Weimar an den Hof verkauft.“ - „Ja, gute Frau, aber da war doch die Katze drin.“
„Ach, das macht nichts, die am Hof, die fressen sowieso alles.“

Ich mache die Aufzählung der sieben Jenenser Wunder vollzählig: Da gibt es noch eine Altarunterführung, das heißt, unter dem Altar der Jenaer Stadtkirche gibt es eine (Straßen-) Unterführung. Na, wenn das kein Wunder ist!
Als letztes Jenenser Wunder: Die Camsdorfer Brücke, die zu ihrer Bauzeit ca. 1480 zu den größten Steinbrücken Deutschlands zählte.

So viel gäbe es noch zu erzählen - vom Geruch und Geschmack der Thüringer Bratwürste, die nicht auf einem Grill, sondern, weil sie Rostbratwürste heißen, auf einem Rost über Holzkohle gebraten werden, vom Geschmack des „Rostbrätels“ und dem Genuss des Essigs, der von Jenensern „Wein“ genannt wird und eigentlich nur als Bestandteil einer Salatmarinade taugt. Wobei - eine Flasche Saale-Unstrut-Wein, die ist schon was für Genießer. Die Muschelkalkberge um Jena wären eigentlich gut geeignet, aber die Weinstöcke wurden im Krieg zweckentfremdet und dienten als Feuerholz. Wie gut der Boden ist, bezeugen die leckeren Pfirsiche, sie Birnen und Äpfel und anderes sonnenhungriges Obst. Grund genug, mich auf den bevorstehenden Urlaub zu freuen.

Geändert von Heinz (09.09.2016 um 00:34 Uhr)
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