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Sonstiges und Experimentelles Andersartige, experimentelle Texte und sonstige Querschläger.

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Alt 19.02.2008, 21:23   #1
lyrwir
 
Dabei seit: 06/2007
Beiträge: 449

Standard Freie Wahl

Strassen in warmem Sonnenlicht, die Trottoirs gepflastert mit polierten, perfekt zugeschnittenen Platten aus Granit. Eine fröhliche Menschenmenge in maßgeschneiderten Kostümen und passenden Anzügen, viele tragen Tüten mit farbenfrohen Aufdrucken. Die Schaufenster zeigen die neuesten Kreationen, die letzten Erfindungen, alles geschmackvoll dekoriert. In Terrakottatöpfen blühen bunte Blumen, von Gärtnern liebevoll gepflegt. Futuristische Fassaden, spiegelnde Glasflächen, dazwischen renovierte Jugendstilvillen in Stadtgärten. Kleine Parks und Plätze laden zum Verweilen ein auf grünen Holzbänken, von Springbrunnen glitzernde Wasserfontänen, Vogelsang an Teichen.
Über den gepflegten Belag der Fahrbahnen rollen elegante, pastellfarbene Limousinen, nahezu lautlos. Durch Fachleute programmierte Software regelt und lenkt, alles fließt, gleitet. Selbst ein hohes Verkehrsaufkommen bereitet keinerlei Probleme.
Ich laufe seit Stunden, verzaubert vom Charme dieser Stadt werde ich nicht müde, ihre Wunder zu schauen. Allmählich schiebt sich ein Schleier vor die Sonne, das Licht wird fahler, erst etwas Ocker, dann in ein Violett changierend. Die Bürgersteige werden schmaler, der Verkehr nimmt zu, im Bodenbelag zeigen sich feine Risse, von den Fassaden der grau gewordenen Häuser bröckelt der Putz, in den Rinnsteinen der von Schlaglöchern übersäten Strassen fließt eine ölige Flüssigkeit, aus zerborstenen Waschbetonkübeln hängt verdorrtes Unkraut, der Weg führt zunehmend hinab. Die Dunkelheit nimmt zu, schon ist eine Hälfte des Himmels von sternlosem Schwarz bedeckt. Hinter den dichter werdenden Dunstschleiern wabert kaum sichtbar ein blasser Halbmond, die Straßenbeleuchtung schafft es nicht, durch die Schatten zu dringen. Über ungleichmäßiges Kopfsteinpflaster stolpere ich weiter, durch enge Gassen, in denen sich windschiefe Gemäuer eng drängen, die Luft wird dicker und ein Geruch nach Fäulnis und Verwesung zieht auf, gemischt mit Abgasen und dem Rauch von Schornsteinen, die sich über halb verfallenen Fabriken erheben. Eine farb- und formlose Masse von Menschen zieht mich weiter hinunter, hinein in einen niedrigen Durchlass, abgetretene Treppen führen steil bergab, ein Weg zwischen roh behauenem Gestein führt abwärts, ich finde mich wieder in einer unterirdischen Halle von unermesslichen Ausmaßen.
Ich werde hinein geschoben in eine hin- und herwogende Menge, ich höre einen anschwellenden Gesang: "Töte meinen Dämon! Töte meinen Dämon!"
Flutlichter strahlen auf, blendend, beleuchten eine Figur auf einer Plattform, ein Mann wird sichtbar, gekleidet wie ein gut situierter Geschäftsmann. Ich zähle sieben Strahler, die ihn gleichmäßig ausleuchten, er wirft Schatten zu allen Seiten, um ihn herum sieben Lanzen, in den Boden eingelassen, auf denen Köpfe aufgespießt sind, erschreckte Fratzen in grellem Schein. "Köpfen und pfählen," schreit der Illuminierte, "Köpfen und pfählen!" antworten wir, eng zusammengerückt gegen die Dunkelheit. "Da sind sieben", tönt es, "sieben Dämonen. Feigheit, Faulheit, Aberglaube, Tücke, Unwissenheit und Desinteresse. Der schlimmste aber, das Oberhaupt, ist das absolute Wissen. Befreit euch von euren Dämonen. Köpfen und pfählen"! Ein ohrenbetäubender Schrei gellt auf, ich quäle mich durch die Menge, hinauf, lege ein Gelübde ab, empfange mein Schwert, mein Gewand, die Lanzen.
Ich werde Dämonen jagen.
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Alt 20.02.2008, 00:51   #2
Garfield
 
Dabei seit: 01/2008
Beiträge: 20

Hi lyrwir

Deine Geschichte hat mir ganz gut gefallen. Am Anfang beschreibst du sehr schön und verständlich die Stadt, aufgrund dieser Perfektheit haber ich geahnt, dass das wohl bald umschwenken wird. Diesen Wechseln fand ich dann leider etwas plötzlich. Von perfekter Stadt ging es fast ohne Übergang hin zur kaputten Stadt. Ich denke da könnte man mehr Spannung reinbringen, wenn man diesen Wechseln lnagsamer aufbaut.
Tja und dann gehts ab in die Höhle. Das kam sehr überraschend, ich fands gut. Die ganze Zeit habe ich nun auf etwas erwartet, was mir zeigt worum es hier geht, aber leider muss ich gestehen keine Ahnung zu haben, was du aussagen willst. Geht es dir vielleicht um den Fortschritt? Die Gier der Menschen nach dem absolutem Wissen, was sie, wie der Wandel der Stadt zeigt ja doch nie erreichen...nuja, bei dieser Interpretation passt nicht alles
Wie gesagt, dein Ausdruck gefällt mir, ich finde die Geschichte sehr spannend, aber die Aussage finde ich nicht.

Gruß Garfield
Garfield ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.02.2008, 23:57   #3
lyrwir
 
Dabei seit: 06/2007
Beiträge: 449

Hallo Garfield,
danke für deine Antwort. Ja, der Wechsel ist etwas plötzlich, aber so ist es im Leben oft. Ich habe erst versucht, ihn weicher zu gestalten, das schien mir dann aber zu langatmig. Da der zweite Teil (in der Höhle) fast komplett auf einem Traum beruht, weiß ich nicht viel über seine Aussage. Aber welcher Teil der Stadt ist kaputt und welcher perfekt? Für mich hängen beide aneinander.
LG,
LW
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