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Alt 26.12.2016, 17:50   #1
männlich Heinz
 
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Beiträge: 7.879


Standard 32. Kapitel Urlaub in Jena

Noch 30 Kilometer, zwanzig, zehn - runter von der Autobahn, rein in den Stadtverkehr Wuppertals, noch drei Kilometer auf der B 7, die 400 Kilometer östlich durch Jena und Weimar führt, links ab und rauf Richtung Cronenberg und - o Wunder, „mein Parkplatz war frei. „Papa - da bist du ja endlich!“, meine Tochter flog mir um den Hals und - damit sich niemand wundert - meine Angetraute war nicht zuhause, wie schon seit einiger Zeit üblich, mit anderen Worten: Meine Ehe entsprach nicht mehr den Vorstellungen, die wir noch bis zur Rosenhochzeit hatten, mühsam versuchten aufrecht zu erhalten und dann doch zwei Jahre vor der Silberhochzeit beendeten. „Wo ist Jörg?“ - „Der pennt schon, los, erzähl erst mal, wie wars?“ Jörg, mein Jüngster, hatte auch auf mich gewartet, war aber beim Fernsehen eingeschlafen und mit seinen fünf Jahren hatte er gegen zehn die Segel gestrichen - „kannst mich ja wecken, wenn Papa kommt“ - und schlief den Schlaf des Gerechten und das Wecken konnten wir vergessen. Ich hatte natürlich jede Menge zu erzählen und das Ergebnis war:
„Papa, wenn du das nächste Mal fährst, must du mich aber mitnehmen!“ Das habe ich gern versprochen - und mein Versprechen dann auch eingehalten.
Meine Tochter zu beschreiben ist ein Ding der Unmöglichkeit. Damals zarte elf Jahre jung und schlicht gesagt, das Beste, was ich je im Leben in mitverantwortlicher Position zustande bekommen habe. Gegen Mitternacht war die beste aller Töchter dieser Welt aber auch müde und wir verkrümelten uns in unsere Betten, für mich war die Nacht um kurz nach sechs zu Ende, die Kleine hatte noch Ferien, aber für mich war um acht Dienstbeginn.
Sieben Uhr fünfundfünfzig, gemäß des Spruches „fünf Minuten vor der Zeit ist des Soldaten Pünktlichkeit“ - Anklopfen an der Tür des Chefs: „Herein, wenns kein Schneider ist!“, mein Chef gewährte Audienz und: „Herr Oberstleutnant, ich melde mich aus dem Urlaub zurück!“
(Die vorgeschriebene Formel: „...Hauptfeldwebel Köhler meldet sich...“, dieses Sprechen in dritter Person, konnte ich mir nie angewöhnen, wurde von meinem Chef aber hingenommen).
„Stehen sie bequem und setzen sie sich.“ („Bequem stehen“ - für Nichtgediente heißt das, man konnte die „Grundstellung“, Hacken zusammen, Füße im rechten Winkel, damals Fäuste an die Hosennaht, das Anlegen der rechten Hand an die Schläfe bei waagrecht angewinkeltem Arm - ab Feldwebel aufwärts - während des Sprechens beibehalten, aufgeben, den linken Fuß nach vorns links bewegen und die Hände locker fallen lassen). „Frau Weber, bringen sie uns doch bitte einen Kaffee, Hauptfeld - Feuer frei!“ Es wurde nicht geschossen - mein Chef war Kettenraucher wie ich und bei Kaffee und einer Zigarette, dann einer zweiten und dritten, konnte ich erzählen und Fragen beantworten. „Und - gabs Probleme wegen ihres Status?“
„Probleme - nein, aber ich wurde vom Stasi angequatscht.“ - „Erzählen sie mal.“ Nun, ich nehme das Ende des Gesprächs vorweg: „Sie können gleich von meinem Apparat aus anrufen.“
Stellt euch vor - damals hatten die Telefone noch Wählscheiben - Finger ins vorgesehene Loch für die Null und: „Vermittlung, guten Morgen, was kann ich für sie tun?“ - „Bitte verbinden sie mich mit dem MAD in Düsseldorf.“ - „Augenblick, geht gleich los.“ Kurzes Tuten und :"MAD Düsseldorf, was gibts?“ - „Verbinden sie mich bitte mit dem Verantwortlichen für Kontaktaufnahmen fremder Geheimdienste mit Soldaten der Bundeswehr.“ - „Hauptmann Meier - mit wem spreche ich?“ Ich gab Namen, Dienstgrad und Dienststelle an. „Augenblick, ich verbinde.“ Zweimal Tuten und „Major Krüger, sie wollten mit mir sprechen.“ - „Ich habe einen Kontaktversuch des Stasi bei meinem Besuch in der DDR zu melden.“ - „Von wo rufen sie an?“ - „Aus dem Dienstzimmer meines Chefs.“ - „Ich rufe in zehn Minuten zurück.“
Zehn Minuten Zeit, den Lesern/Leserinnen eine kurze Erklärung zu geben: Seit acht Jahren war ich Soldat, war nach der eigenen Ausbildung selbst Ausbilder geworden, Spezialgebiet ABC-Abwehrfeldwebel, Feldkanonen-Zugführer, diverse andere Bereiche wie Psychologische Kriegsführung bzw. deren Abwehr, Filmvorführerlehrgang, selbstverständlich beinahe Führerschein für Pkw und Lkw, „zivile“ Weiterbildungen, d.h. Absolvierung von Lehrgängen, die nicht militärisch von Bedeutung waren (Erlangung der Ausbilderqualifikation im industriellen Bereich an der IHK Köln, Betriebswirtschaftskunde (mit einem für Heiterkeitsausbrüche sorgenden Besuch, wie es hieß „eines Wirtschaftsbetriebes in Flensburg“, bei dem wir von Beate Uhse in ihrem Hauptbetrieb empfangen wurden), Erste-Hilfe-Lehrgängen und noch ein paar anderen Weiterbildungsangeboten. Ich war, wie man so sagt, ein „guter“ Soldat, bin in der Stufenleiter des Unteroffizierkorps ziemlich flott hoch geklettert und war stolz darauf, der erste „Zeitsoldat“ (Soldat mit zeitlich befristeter Dauer - bei mir waren es zwölf Jahre) gewesen zu sein, der zum Hauptfeldwebel, damals dem höchsten Unteroffiziersdienstgrad, befördert worden war. Und diesen vereidigten Hauptfeldwebel wagte der Staatssicherheitsdienst anzubaggern, um ihn zu einem „Kundschafter des Friedens“, wie die Spione betitelt wurden, zu machen. Das konnte doch wohl nicht wahr sein!
Das Telefon klingelte, mein Chef hob ab, gab mir den Hörer: „Für sie - ich komme gleich wieder.“ - „Hauptfeld...“, ich wollte mich ordentlich melden, wurde unterbrochen: „Ja, hier Krüger. Morgen, 10.00 Uhr werden zwei unserer Mitarbeiter zu ihnen in die Dienststelle kommen. Bitte zu niemanden ein Wort - ihr Chef ist informiert.“ - „Jawohl, Herr Major - morgen um zehn...“, - „Danke für ihren Anruf, auf Wiederhören.“ Aufgelegt. Mein Chef kam wieder in sein Büro: „Hauptfeld (den vollen Titel sprach kaum einer aus), gleich ist Nato-Pause - kein Wort zu den Kameraden in Sachen MAD und - zu mir auch nicht mehr.“
Dass meine Kameraden, wir waren inklusive Chef und Stellvertreter gerade mal zehn Mann plus einer Zivilangestellten im Büro und einem Zivilkraftfahrer in einer Dienststelle des Heimatschutzkommandos, dem ein einbeiniger Oberst vorstand, mir Löcher in den Bauch fragten - kein Wunder, war ich doch der erste Soldat, der die Neuregelung, dass Soldaten ohne besondere Geheimhaltungsstufe in den Staaten des Warschauer Paktes Urlaub machen durften, für sich in Anspruch genommen hatte. Der Kontaktversuch des Stasi zu mir unterlag gemäß Befehl der Geheimhaltung und: Befehl ist Befehl - also war Klappe halten angesagt.
Dienstag, pünktlich um zehn Uhr: „Hauptfeld - zum Chef!“
Rein in die gute Stube, zwei Herren in Zivil, unsere Büroangestellte brachte drei Tassen Kaffee und verließ mit dem Chef das Dienstzimmer. Anfangs ein bisschen small talk, erster Eindruck: Sympathische Kerle, die sich als Beitmann und Seefeld vorstellten (und ich keine Sekunde daran glaubte, dass dies ihre „Klarnamen“ waren) und nach ein paar Minuten fragten, ob ich die Autobahnraststätte bei Remscheid kenne. Natürlich kannte ich die, sie war ja nur eine Viertelstunde von meiner Kaserne aus in Richtung Köln zu erreichen. „Sind sie mit ihrem Fahrzeug hier?“ - „Ja, natürlich.“ - „Dann treffen wir uns da, sagen wir um zwölf Uhr dreißig, ihren Kameraden sagen sie, sie müssten mit ihrem Auto zur Werkstatt - ihr Chef ist unterrichtet. Haben sie Zivilkleidung hier, oder müssen sie erst nach Hause?“ - „Nein, alles am Mann.“ - „Gut, bis nachher und - bringen sie Hunger mit.“
Kurze Verabschiedung - rüber zu meinen Kameraden: „Oberfeld Brehm, übernehmen sie, ich muss mal mit meiner Karre in die Werkstatt.“ - „Kann ich ihren Wagen nicht checken?“ -
„Nee, gecheckt ist er schon, die Lichtmaschine ist im Eimer - bis dann.“ Jeder von uns hatte seine „Stube“, rein in die Stube, Stiefel in die Ecke, Hemd und Hose gewechselt, zivile Halbschuhe und ab gings zur Autobahnraststätte.
Beitmann, der schmalere, dunkelhaarige und jüngere der beiden und Seefeld, ein Riese von Gestalt und schütterem Blondköpfchen, warteten in einer Ecke des Restaurants, einer fragte:
„Ein Bier?“ - „Nein, nur ein Alsterwasser, ich muss ja noch fahren.“ Der Kellner brachte die Speisenkarte und es gab tatsächlich Matjesfilet nach Hausfrauenart - eines meiner Leibgerichte.
„Na, dann erzählen sie mal!“ Ich schilderte die Kontaktaufnahme durch „Helmut“ in allen Einzelheiten, auch dessen letzte Stippvisite und meinen Versuch, ihn um Hilfe beim Zoll zu bitten, damit ich mein Bürgeler Blau durch bekäme. „Und - gab es Probleme?“ - „Nee, lief alles wie am Schnürchen.“ - „ Ihnen ist klar, dass es sich um eine Fühlungsnahme durch den Staatssicherheitsdienst handelte?“ - „Natürlich, sonst hätte ich sie ja nicht angerufen.“ Das Essen war lecker, das Gespräch zog sich über zwei Stunden hin und endete vorerst mit der Bemerkung: „Ja, das war ein eindeutiger Versuch an sie heran zu kommen. Das schließt weitere Besuche in ihrer alten Heimat aus.“ Das hatte ich befürchtet! Nach zehn Jahren Abstinenz konnte ich Jena besuchen, konnte Weimar, Dresden, Dornburg, die Moritzburg, die Feengrotten in Saalfeld wieder sehen oder kennen lernen, konnte - was ich den beiden nicht erzählte - drei Göttinnen kennen und lieben lernen und „Nun vergiss leises Flehn, süßes Kosen und das Flattern von Rosen zu Rosen“ - warum mir dieser Text aus einer Mozartoper einfiel, weiß ich nicht, jedenfalls muss ich ein ziemlich betröppeltes Gesicht gemacht haben.
„Ja, so ist es, - es sei denn, sie haben gute Nerven...“, ich horchte auf und: "Nerven - ich weiß gar nicht was das ist - wozu brauche ich Nerven?“ - „Nun, sie könnten auf die Avancen eingehen - ihre Geldsorgen haben sie diesem Helmut ja schon geschildert - wir beobachten das und schauen mal, was die so mit ihnen vorhaben.“ - „Das heißt...“, - „Das heißt, sie machen alles, was die von ihnen verlangen, berichten ausführlich über ihre Gespräche, Aufträge und vermeiden alles, was sie mal so über die Tätigkeiten eines Agenten gehört haben. Sie machen keine Fotos, fragen keine dummen Sachen, enthalten sich irgendwelcher Saufgelage - kurz, sie benehmen sich wie ein normaler Mensch, der a) sehr heimatverbunden und b) immer knapp bei Kasse ist. Sie machen keine Notizen und lassen sich keine wilden Weiber ins Bett legen. Unsere Telefonnummer lernen sie auswendig, rufen nie vón zuhause aus an (was sowieso nicht möglich war, weil ich zu der Zeit noch kein Telefon hatte). Bei Treffen mit uns fahren sie nicht mit ihrem Auto, nehmen sie den Bus, steigen sie immer mindestens dreimal um und besteigen den Bus oder die Schwebebahn immer als Letzter“.
Wow! Das war sozusagen die erste Lektion für einen James Bond in Lauerstellung! Zum Schein auf die Lockrufe des Stasi eingehen und denen zeigen, wo Bartel den Most holt und denen ihre Suppe versalzen - das war mein erster Gedanke. Der zweite galt nicht vermuteten erotischen Eskapaden, da war ich ja bestens versorgt. Der dritte Gedanke: Teure Heimat, bald seh ich dich wieder! „Wenn sie von den Stasileuten Geld bekommen - immer dran denken: Das gehört Vater Staat, neben Spesen gibts da nichts, und noch etwas: Ab sofort kein Wort mehr zu irgendjemand - auch nicht zu ihrem Chef, ihrer Frau, ihrem besten Freund! Außerdem - wir haben einen hübschen Namen für sie - ab jetzt und gleich heißen sie für uns Schiller.“ - „Goethe geht nicht?“ - „Wir freuen uns, dass sie Humor haben, werden sie bloß nicht übermütig!“
„So, Herr Schiller, ihr Auto ist repariert, kommen sie gut nach Hause - sie melden sich, wenn irgend etwas passiert, Post bei ihnen ankommt oder sonst was Auffälliges geschieht. Wir melden uns bei ihnen - und, schaffen sie sich ein Telefon an.“ - „Aber ich soll doch nicht von meinem Telefon aus...“, - „Gut aufgepasst, setzen - eins!“
Wie auch später - ich verließ die beiden, setzte mich in mein „repariertes“ Auto und hatte sogar eine Quittung für den Lichtmaschinenaustausch.
„Herr Oberstleutnant, ich melde mich zurück - Auto wieder in Ordnung!“ Mein Chef schaute mich an und: „Hauptfeld, auf sie wurde schon gewartet, ich denke, sie wissen, was zu tun
ist.“ Das war doppeldeutig und ich weiß bis heute nicht, was und wie viel mein damaliger Chef wusste.
Schiller - vor kurzer Zeit stand ich noch vor seinem leeren Sarg und jetzt hieß ich Schiller - und wusste, was zu tun war.

Geändert von Heinz (26.12.2016 um 20:39 Uhr)
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Alt 26.12.2016, 22:44   #2
männlich dr.Frankenstein
 
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Langsam wirds ja richtig spannend. Da verfluchten sich mehrere Stränge.
dr.Frankenstein ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.12.2016, 23:37   #3
männlich Heinz
 
Benutzerbild von Heinz
 
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Hallo dr. Frankenstein,
so isses - ich glaube, bei allen Schwächen des 1. Teiles (Kap.1 - 31 inkl. Intermezzo) brauchte es dieses langen "Anlaufs", um die seelische/körperliche/geistige Verfassung des Protagonisten, seine handlungsleitenden Motive, seine Einstellung zum Leben kennen zu lernen.
Schaun wer mal, wie es weiter geht.
Gruß,
Heinz
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