Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Forum durchsuchen Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Geschichten, Märchen und Legenden

Geschichten, Märchen und Legenden Geschichten aller Art, Märchen, Legenden, Dramen, Krimis, usw.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 08.03.2018, 13:04   #1
männlich Lovepoet 1984
 
Benutzerbild von Lovepoet 1984
 
Dabei seit: 02/2018
Ort: In einer wundervollen Kleinstadt in Niedersachsen
Alter: 40
Beiträge: 51


Standard Des Königs gläubige Gemahlin

Es war einmal vor langer Zeit, da wohnten hier oben im Norden Deutschlands eine arme, bildhübsche Frau mittleren Alters und ihr Mann. Sie lebten in einem alten Bauernhaus, welches über die Jahre bereits leicht verwest war und sich in einer abgelegenen und einsamen Gegend befand. Die Frau hieß Agnetha, ihr Mann hörte auf den Namen Theobald. Sie lebten gerne dort und mochten die Abgeschiedenheit. Die beiden hatten vor dem Haus ein kleines Feld zum Gemüse- und Obstanbau. Jeden Morgen, wenn die Sonne aufging, marschierten die beiden hinaus und fingen ihr Tagwerk an. Es gab auch immer genug zu tun. Und sie machten es gerne. Kinder hatten sie keine. Und das war auch gut so. Denn Kinder, so fanden sie, waren doch eh nur hinderlich. Man hätte sie erziehen müssen und obendrein noch ernähren und durchfüttern. Das wollten Theobald und Agnetha nicht und das hätten sie auch gar nicht gekonnt.
Und so ging es viele Jahre, tagein, tagaus. Und sie arbeiteten viel. Theobald bewirtschaftete die Bäume und hackte die Erde auf. Im Frühling säte er die Samen für das Getreide aus und pflügte und bewässerte regelmäßig den Boden. Agnetha half ihm dabei tatkräftig. Sie bearbeitete auch einen kleinen Garten direkt vor dem Haus, wo sie ihr eigenes Gemüse anbaute. Darauf war sie immer mächtig stolz. Und wenn sie im Sommer auf den Markt unten im Dorf das frisch und selbst erzeugte Ergebnis an den Mann brachte, betonte sie das auch immer wieder gerne. Und die Leute kauften es und aßen es gerne zu einem ebenfalls frischen Brot oder einem saftigen Stück Fleisch, das man ebenfalls in der Gegend erstehen konnte.
Es existierte in der Nähe des Hauses auch ein kleiner Wald. Und es gab viele Gerüchte über ihn, weshalb die Leute ihn lieber meideten. Denn es war ein ganz besonderer Wald. Er bestand nämlich anstatt aus Kiefern- und sonstigen Tannen zum Großteil aus Apfel- und Birnenbäumen. Doch viele der Bäume trugen schon lange keine Früchte mehr und waren kahlgeschlagen. Und die Leute erzählten sich, dass es dort spukte. In dem Wald sollte ein Geist umhergehen. Denn es hieß, dass vor einigen Jahrzehnten einmal ein bettelarmer Fremder in die Gegend gekommen sein sollte. Er hatte all sein Hab und Gut verloren und hatte der Legende nach im Wald einen Baum gesehen, der ihm sehr gut gefiel. Es war der schönste und größte von allen. Der Fremde hatte eine Zeit lang im Dorf gelebt, und es war ihm dort sehr schlecht ergangen. So schlecht, dass er eines dunklen Abends in den Wald ging und dort an dem Baum seinem Leben durch einen Strick ein Ende setzte. Fortan trugen die Bäume im Wald Trauer. Sie wurden mit der Zeit leblos und kahl. Und seitdem, so sagten die Leute im Dorf, sollte der Geist des Fremden keine Ruhe gefunden haben und vor allem nachts erwachen und ziellos umherirren.
Doch auch die Geschichte von den schmackhaften Früchten hielt sich unter den Menschen. Viele der Leute trauerten dem Wald und ganz speziell diesem Baum nach. Denn es gab zwar viele Früchte in der Gegend, doch nur wenige schmeckten wirklich gut. Und da der Fremde seinerzeit selber für sein Leben gerne Äpfel gegessen haben sollte, ging das Gerücht um, das man einfach nur ein halbes Dutzend Äpfel am Fuße des Baumes einpflanzen müsste, damit der Geist des Mannes seine ersehnte Ruhe finden und der Wald wieder Früchte tragen würde.
Und so versuchte jedermann im Dorf durch seine eigenen Äpfel den Wald wiederzubeleben. Agnetha und Theobald wussten natürlich auch von der ganzen Geschichte. Doch sie kümmerten sich nicht viel darum. Denn sie hatten ja ihr eigenes Obst. Und der Wald war ihnen auch nicht sehr wichtig. Geschweige denn, dass sie etwas auf Geistergeschichten gaben. Nein, sie waren stolz auf ihre eigenen Errungenschaften und sahen nur mitleidig zu, wie einige der mutigen Dorfbewohner regelmäßig versuchten, durch ihre Ernte den Wald wieder zum Leben zu erwecken Doch es wollte einfach nicht gelingen. Sie gaben auch nicht besonders viel Acht bei ihrem Anbau. Sie streuten schlechten Dünger auf ihre Felder und schimpften auf ihre Pflanzen. Einige von ihnen fingen sogar an, einen richtigen Hass auf sich und ihre Arbeit zu haben und behandelten die Erzeugnisse immer missmutiger. Außerdem gruben sie die Äpfel immer an irgendwelche beliebigen Bäume im Wald. Denn viele von ihnen ahnten nicht, dass sie die Äpfel eben genau an den Baum pflanzen mussten, an dem sich der Fremde erhängt hatte. Und den Bewohnern ging es auch gar nicht darum, den Geist zu befreien. Denn sie hatten den Fremden gehasst für seine Lebens- und Andersartigkeit. Sie wollten einfach nur ihre guten, schönen Früchte wiederhaben.
Agnetha und Theobald konnten wie gesagt von ihrem eigenen Anbau leben und das auch gut. Sie waren mit ihrem Leben zufrieden. Doch eines Tages wurde Agnetha schwer krank. Sie bekam Bauchkrämpfe und hatte so starke Schmerzen in den Beinen, dass sie nicht mehr gehen konnte. Sie wurde bettlägerig und bekam immer stärkeres Fieber. Theobald fing an, sich Sorgen zu machen. Ja, er konnte bald selber nicht mehr schlafen. Und Agnethas Zustand verschlimmerte sich zunehmend. Kein Arzt oder sonst jemand im Dorf konnte ihr helfen. Niemand fand heraus, was sie hatte. Da fiel Theobald die Geschichte um den alten Baum ein. Denn es hieß ja, dass die Äpfel nicht nur gut schmecken sollten, sondern auch ein Allheilmittel gegen die schlimmsten Krankheiten auf der Welt gewesen wären. Und anders als die andern Leute unten im Dorf hatte er keine Angst vor Geistern und dachte sich, dass seine Äpfel so gut wären, dass es für ihn kein Problem darstellen würde, den Baum wiederzubeleben.
Und so packte er eines Morgens seine Taschen voll mit seinen hausgemachten Erzeugnissen, nahm einen Spaten mit und zog in den dunklen, unheilvollen Wald. Ihm war selber nicht ganz wohl bei der Sache, doch die Sorge um Agnethas Zustand bedrückte ihn sehr. Und da der Wald nicht allzu groß war, dauerte es nicht lange, bis Theobald den Baum fand. Er war tatsächlich um einiges größer als die anderen Bäume und musste vor langer Zeit einmal prächtig geblüht und vor Früchten nur so gestrotzt haben. Doch nun war er kahl und leer. Außerdem raubte er mit seiner Höhe und mächtigen Gestalt den anderen Bäumen um ihn herum das eh schon gerade zu dieser Jahreszeit immer spärlicher werdende Licht, denn es war Herbst geworden und das Restlaub fiel langsam aber sicher auf den nassen Boden und bedeckte ihn fast gänzlich. Die Vögel, die im Sommer den Wald durch ihr Gezwitscher mit Leben füllten, waren bereits gen Süden geflogen und es war still. Und anderes Getier sah man hier eh kaum. Nein, wohl fühlte Theobald sich hier nicht. Ihm lag das düstere nicht sehr. Er bekam schon manchmal Angst, wenn es bei ihnen zu Hause dunkel war und er manchmal sogar im Bett sich erst an das Dunkel der Nacht gewöhnen musste. Und jetzt das hier. Aber die Angst um Agnethas Gesundheit trieb ihn voran. Theobald wusste nur nicht genau, was er jetzt tun sollte. So legte er die Äpfel vor den Baum, stand eine Zeit lang da und wartete, ob etwas passieren würde. Vielleicht würde der Geist des Fremden erscheinen und ihm sagen, was zu tun war. Er wartete und wartete. Doch es geschah nichts. Doch plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Wie konnte er das bloß vergessen haben. Er musste die Äpfel ja vergraben. Theobald hatte bei der Aufzucht seines Obstes immer sehr darauf geachtet, dass er es mit Liebe und Sorgfalt behandelte. So dachte er zumindest. Doch eigentlich kam es ihm nicht darauf an, wie häufig die Bäume bewässert wurden oder wie oft der Boden gepflügt wurde. Und schon gar nicht, ob er biologisch anbaute oder nicht. Aber trotzdem war er sich sicher, dass es funktionieren würde.
Und so fing er an, die Äpfel am Fuße des Baumes zu vergraben. Und da er wusste, dass einem der Geist erscheinen und der Baum bald wieder anfangen sollte zu blühen, wartete Theobald. Und er wartete und wartete. Eine Stunde. Zwei Stunden. Den ganzen restlichen Tag. Der Nachmittag verstrich und es wurde Abend. Doch als die Nacht anbrach und immer noch nichts geschehen war, wurde Theobald wütend. Enttäuscht sprang er auf, nahm seinen Spaten und stach damit in rasender Wut auf den Baum ein. Er verstand einfach nicht, warum nichts passiert war. Wollten der Baum und der Geist ihn und Agnetha einfach so im Stich lassen? Nein, das konnte und wollte er nicht verstehen. Und als er seine Wut an dem Baum ausgelassen hatte und er schon wütend und verzweifelt den Heimweg antreten wollte, hörte er auf einmal hinter sich eine Stimme. Theobald drehte sich um und sah den Geist des Fremden vor sich. Er erschrak und wich zurück. Doch der Geist sprach: “Mensch, der du einfach so in diesen Wald eindringst und diesen Baum, dem größten und ehemals schönsten hier im der ganzen Umgebung einfach etwas Böses antust. Was treibt dich hierher? Was muss dich so verzweifelt und enttäuscht machen, dass du einer Gottesgabe so etwas Schlimmes zufügst?“ Theobald wusste nicht, wie ihm geschah. Er war völlig überrumpelt. Er fing an zu stammeln und brachte nur mühsam Worte heraus. Doch dann erklärte er dem Geist seine verzweifelte Lage und dass er dringend die heilende Kraft der Äpfel bräuchte, um seine geliebte Frau vor dem Tod zu bewahren. Der Geist besänftigte ihn und sprach: “ Mensch, du hast große Sorgen und Leid. Und ich will dir deine Missetat verzeihen. Du sollst die schönsten, schmackhaftesten und heilvollsten Äpfel der ganzen Welt bekommen, wenn du mir selber von deinen Äpfeln die wirklich ebenso am besten schmeckenden und mit viel Liebe und Sorgfalt heran gezogenen bietest. Denn die, die du mir gabst, waren schlecht und mit Kälte gezogen. Doch ich will dir eine zweite Chance geben. Bring mir übermorgen Abend genau die besten deiner eigenen Ernte und dir soll alles Glück der Welt wiederfahren, wenn du mich von meinem Unheil erlöst.“

Und so ging Theobald nach Hause und berichtete seiner Frau, was er erlebt hatte. Agnetha hörte ihm geduldig zu und meinte anschließend: „ Theobald, wenn du mit den Äpfeln etwas erreichen willst, solltest du auf diesen Geist hören und dich vielleicht doch besser um die Aufzucht kümmern als bisher. Du behandelst sie allerdings auch wirklich schlecht.“
Darüber dachte Theobald lange nach. Bisher hatte er sich eigentlich immer für einen guten Gärtner gehalten. Und er war auch ein wenig enttäuscht und sauer, sauer auf den Geist, auf seine Frau und auch auf sich selbst. Wieso hatte der Geist seine Gabe nicht angenommen? Waren ihm seine, ausgerechnet SEINE Äpfel nicht gut genug? Und warum behauptete seine Frau, dass er ein schlechter Gärtner wäre und seine Früchte nicht gut behandeln würde? War sie denn blind? Fragen über Fragen , auf die er keine Antwort fand.
Doch Theobald machte sich die Tage danach wieder an die Arbeit. Er konnte allerdings seine Wut und Enttäuschung über seine Situation nicht verhehlen. Außerdem lief es mit der Ernte nicht gut. Und überhaupt: Wie sollte er innerhalb der kurzen Zeit, die der Geist ihm gegeben hatte, neue frische Äpfel heranziehen? Die Alten waren alle schon vergammelt oder ja „nicht gut behandelt worden“. Er wusste nicht, wie er das anstellen sollte. Hinzu kam noch, dass sich Agnethas Zustand immer mehr verschlechterte und die Zeit somit davon lief.
Theobald begann, Bücher über Apfelbäume und wie man sie aufzog zu lesen. Er fragte auch die Leute im Dorf, was er tun könnte. Doch die Bücher brachten nichts und die Dorfbewohner wiesen ihn ab. Doch dann fiel ihm ein, dass es da noch jemanden gab. Denn etwas außerhalb des Dorfes, auf einem Hügel auf der anderen Seite des Waldes, da wohnte eine sehr alte Frau in einem ebenfalls sehr alten, urigen Haus. Die Leute im Ort hatten Angst vor ihr. Man erzählte sich, sie wäre eine alte Hexe, die schon seit langer Zeit dort oben ihr Unwesen trieb. Auch Theobald zögerte etwas damit, zu ihr zu gehen. Denn einerseits glaubte er nicht an solche Geschichten, doch andererseits hatte er auch Angst. Doch er wusste keinen anderen Ausweg. Und so ging er am Tag kurz vor Ablauf der Frist zu ihr hin.
Theobald war etwas mulmig zumute. Er ging am Rande des Waldes entlang und brauchte eine Weile, bis er sein Ziel erreichte. Als er in der Ferne das Haus sah, bemerkte er gleich, wie alt und zerfallen es war. Es wirkte so, als würde dort seit Jahren keiner mehr leben. Die roten Ziegelsteine waren dreckig und schimmelig, die Holzrahmen der Fenster sehr morsch und das Dach war so krumm und schief, dass es aussah, als hätte der Wind es über die Jahre hinweg immer wieder halb weggeweht. Ja, es wirkte wie ein typisches, altes Hexenhaus, so wie Theobald es aus den Geschichten kannte, die ihm als Kind immer erzählt worden waren. Er war sich unsicher, da er nicht wusste, was er tun soolte. Aber dann ging er zur Vordertür und klopfte an. Lange Zeit passierte nichts. Er klopfte noch einmal. Und plötzlich hörte er von drinnen eine alte, krächzend hohe Frauenstimme. „Wer ist da? Was wollen Sie, dummer, grässlicher Mann?“ Theobald erschrak. Er wusste nicht recht, wie er reagieren sollte. „Wenn Sie einer dieser fürchterlichen, arroganten Menschen von unten aus dem Dorf sind und mich nur fertig machen wollen, dann verschwinden Sie. Ich bin alt und habe in meinem Leben schon genug gelitten.“ Aber Theobald versuchte, die Frau zu besänftigen. „Sie irren sich“, sagte er in ruhigem, etwas unsicherem Ton. „Ich bin nicht hier, um ihnen schlechtes zu tun. Ich brauche vielmehr ihre Hilfe. Meine Frau ist sterbenskrank und ich habe gehört, dass Sie sich mit heilenden Tränken und anderen Mitteln auskennen sollen.“ Dann geschah lange Zeit nichts. Theobald dachte schon, die alte Frau wäre umgekippt oder im Stehen eingeschlafen. Doch plötzlich ging die Türklinke langsam runter und die Tür öffnete sich mit einem lauten Knarzen. Und heraus kam eine kleine, alte Frau mit schneeweißem Haar und einem ebenfalls altem, schwarzem und zerrissenem Umhang, der ihr bis zu den Füßen reichte. Ihr rechtes Auge schien nicht mehr zu funktionieren, denn es rollte ständig im Kreis herum. Ihr Blick war schwach und müde und es hatten sich über die Jahre große Ringe um ihre Augen gebildet und starke Falten hatten sich in ihr Gesicht gegraben wie die Furchen in Theobalds Acker. Sie schien nicht mehr gut gehen zu können und stützte sich auf einen braunen, geschliffenen Handstock. Theobald wusste nicht, was er sagen sollte. Er brachte vor Angst kein Wort heraus. „Was wollen sie? Ich habe nicht ewig Zeit! Sprechen Sie oder gehen Sie!“ raunzte die alte Dame ihn an. Doch Theobald stand einfach nur da. Für einen Moment hatte er fast vergessen, warum er gekommen war. Er war von dem Anblick der Frau schockiert und fasziniert zugleich. Nur mühsam fiel ihm sein Anliegen wieder ein. Dann aber fasste er sich ein Herz und bat die Frau um Einlass. „Ich bitte darum eintreten zu dürfen, denn ich bin in Not. Meine Frau liegt im Sterben und ich weiß keinen Rat. Ich habe alle möglichen Mittel ausprobiert und nichts hat geholfen. Ich habe zwar nicht viel Gutes von ihnen gehört, doch irgendwie habe ich die Hoffnung, dass sie mir helfen könnten“, fasste er zusammen und war froh, überhaupt etwas gesagt zu haben.
Die alte Frau wirkte überrascht, so als wäre sie nicht gewohnt, so etwas auch nur ansatzweise positives von anderen über sie zu hören, beziehungsweise dass überhaupt jemand bei ihr an die Tür klopfte. Nein, sie kannte wahrlich keinen Besuch. Und dass jemand ihre Hilfe brauchte, schon gar nicht. Denn die Leute im Dorf hielten sie für eine Aussätzige, eine Ausgeburt des Teufels, wie sie es schon öfter zu hören bekommen hatte. Sie bespuckten oder traten sie, wenn sie sie sahen. Nur hier oben hatte sie ihre Ruhe. Deshalb war sie Theobald gegenüber auch zunächst etwas skeptisch. Nur zögernd ließ sie ihn herein.
Drinnen im Haus brannte ein Feuer im Kamin. Davor standen ein paar alte, leicht zerfetzte Sessel. Theobald betrat den Raum erst etwas zögerlich, doch dann setzte er sich auf den ihn am nächsten stehenden freien Platz und wartete, was passieren würde. Die alte Frau musterte ihn erst misstrauisch, aber dann ging sie langsam in die an die Stube angrenzende Küche und setzte in einem kleinen Kessel Wasser auf. Anschließend goss sie für sie beide einen Tee auf und setzte sich noch etwas unsicher auf den Platz neben dem Fremden, der vorgab ihre Hilfe zu benötigen. „Wissen Sie, es kommt nicht oft vor, dass jemand mich um Hilfe bittet oder mich überhaupt freundlich behandelt“, sagte sie leise mit krächzender Stimme. „Und ich glaube auch nicht, dass ich ihnen helfen kann. Aber um was geht es denn genau?“ Und dann schilderte Theobald ihr seine Not. Als er fertig war, nickte die Frau und sah ihn ein wenig ratlos an. „Das hört sich sehr ernst an. Ich hoffe sehr, dass es ihrer Frau bald besser geht. Doch was genau denken Sie kann ich für Sie tun?“ „Ich hatte gehofft, Sie wüssten ein Mittel, wie man den Geist des Fremden retten und die Bäume wieder zum Blühen bringen könnte. Denn meine Äpfel waren ihm ja nicht gut genug. Und ich brauche ihre heilenden Kräfte, damit meine Frau wieder gesund wird. Vielleicht wissen Sie ja einen Weg, den Wald wieder von dem Fluch zu befreien?“ Die alte Frau war skeptisch und dachte lange nach. Dann aber sagte sie: „Wissen Sie, Theobald, die Leute denken sehr schlecht über mich. Sie meinen, nur weil ich viel mit Kräutern und Pflanzen mache und auch sonst viel mit Esoterik zu tun habe, sei ich eine Hexe. Früher habe ich oft versucht, die Leute aus dem Dorf zu heilen, wenn es ihnen schlecht ging. Doch es ist mir meistens nicht geglückt. Wissen Sie, die Leute haben eben viel von mir erwartet, zu viel. Es wurde immer ein großes „Trara“ darum gemacht, wie gut ich wäre und was ich nicht alles könnte. Doch oft haben meine natürlichen Methoden einfach nicht gewirkt und die Leute wurden immer kränker. Einige starben auch. Es war bloß nicht meine Schuld. Nach einiger Zeit wurden die Leute ungeduldig und wütend auf mich. Sie gaben mir die Schuld an den Krankheiten und den Toten und dass ich sie nicht heilen konnte. Doch ich bin eben nicht allmächtig. Meine Mittel sind eben auch nur begrenzt. Die Leute im Dorf fingen an, mir nachzusagen, ich würde Böses über sie bringen und von dem Teufel abstammen. Sie verfluchten mich und spucken und treten auch heute noch nach mir, wenn sie mich sehen. Deswegen verlasse ich kaum noch das Haus. Doch was soll ich machen? Ich bin eben nur eine einfache alte Frau, die sich für Kräuter und Naturheilmittel interessiert. Das sind auch einige der wenigen Dinge, die ich wirklich kann. Und Sie meinen, ich könnte was für Sie tun? Nun, ich hoffe, sie haben keine allzu hohen Erwartungen. Denn wie gesagt: Viel bewirkt habe ich selten und wenn doch, dann nicht nur Gutes. Aber mal sehen. Vielleicht kann ich ihnen und ihrer Frau ja helfen.“
„Das will ich hoffen“, sagte Theobald. „Denn ich weiß bald nicht mehr weiter“. „Nun, dann will ich sehen, was sich machen lässt“, meinte die alte Dame ruhig. „Aber heute Abend wird das nichts mehr, denn ich bin müde und hungrig“, sagte sie mit leiser Stimme und bot Theobald an, mit ihr zu Abend zu essen. Theobald überlegte kurz, doch dann willigte er ein.
So ging die alte Frau in die Küche, deckte im Wohnzimmer den Tisch und Theobald half ihr dabei. Sie war dankbar für seine Gesellschaft. Und als sie so da saßen und aßen, erzählte die Frau Theobald ihre Geschichte. Man merkte ihr an, dass sie wirklich schon sehr lange allein sein musste. Denn sie sprach zwar sehr brüchig und leise, aber trotzdem schien es, als wollten die Worte endlich aus ihr heraus, so als hätte ihr schon seit Jahrzehnten keine Menschenseele mehr zugehört. „Wissen sie, Theobald“, fing sie an, „Ich bin wirklich schon sehr lange hier oben und auch schon ewig allein. Zumindest fühlt es sich so an. Ich habe hier viele Dinge kommen und gehen sehen. Einige Phasen vergingen langsam, die anderen schnell. Wenn ich ihnen erzählen würde, wie alt ich bin und wie lange ich schon hier oben lebe, sie würden es mir eh nicht glauben. Jedenfalls schon sehr lange. So lange schon, dass ich in meiner Kindheit und frühen Jugend die Bäume des Waldes noch blühen sehen habe. Und ich sage ihnen eines: Er war wunderschön.“ „Aber dann müssen sie ja schon an die 100 Jahre oder älter sein. Wie kann das hinkommen?“ fragte Theobald ungläubig. „Ach, Theobald, Sie haben ja keine Ahnung, wie sich das anfühlt. Um die Wahrheit zu sagen: Ich bin tatsächlich bereits 105 Jahre alt. Ich kannte sogar den Fremden noch. Ich kannte ihn sogar sehr gut. Er kam hier in der Gegend an, als ich noch jung war und noch unten im Dorf gelebt habe. Ich mochte ihn, sogar sehr. Wir verstanden uns sehr gut, ja, wir waren sozusagen seelenverwandt. Und ich begann schnell, mich in ihn zu verlieben. Doch die anderen im Dorf mochten ihn nicht, denn er hatte bereits viel Schlimmes erlebt und war deswegen oft sehr traurig und betrübt. Er war früher ein König gewesen und stammte aus einer Gegend weit fort von hier. Doch er wurde von seinem Thron gestürzt, weil er anders dachte als sein Volk. Denn er mochte die Menschen. Und träumte immer von der Einheit und Gleichheit der Menschen in seinem Volk und auf der ganzen Welt. Genau wie ich. Deswegen verbannten sie ihn. Und so kam er hierher. Doch hier mochten ihn die Leute genauso wenig. Sie mochten uns beide nicht. Denn auch ich habe viel Schlechtes erlebt, unter anderem durch diese Menschen. Aber ich schweife ab. Jedenfalls fingen die Leute an zu glauben, wir beide würden Unheil über das Dorf bringen und verfluchten uns dafür.“ „Aber warum war das so? Ich meine, Sie haben doch offensichtlich niemandem etwas getan, oder?“ wiederholte Theobald seine Frage ungläubig. „So sind die Leute eben“ meinte die Frau nur erschöpft. „Und ich war noch einigermaßen stabil. Ich ließ vieles an mir abprallen und war oft sehr stark. Aber der König hielt es nicht aus. Die Bewohner quälten ihn wirklich sehr. Eines Tages wartete ich hier auf ihn. Stunde um Stunde. Doch er kam nicht. Auch am nächsten Tag nicht. Wenig später fand man seine Leiche an dem von ihnen bereits erwähnten Baum. Seit dieser Zeit wachsen in diesem Wald keine dieser wunderbaren Früchte mehr. Und für mich ging da die Leidenszeit erst richtig los. Denn jetzt schickten sie mir wirklich einen Fluch auf den Hals. Und seitdem bin ich hier oben, einsam und zu ewigem Leid und Qual verdammt.“
„Waren die Menschen wirklich so grausam zu ihnen? Ich hätte ehrlich gesagt nicht gedacht, dass die Leute im Dorf so schräg drauf sind. Ich dachte, die Menschen wären hier zivilisierter.“ „Ach, Theobald,“ sagte die alte Dame ruhig, „Viele Leute denken oft schlecht über andere. Und das meistens ohne wirklichen Grund. Den König mochten sie nicht, da er anders war als die meisten. Eben nicht so oberflächlich und aufgesetzt fröhlich wie die anderen. Und ich war ihm da eben sehr ähnlich. Sie waren neidisch aus uns. Wissen Sie, es hat schon immer in der Geschichte der Menschheit wegen Neid Gewalt und Unrecht gegeben. Das war von Anfang an so. Es steht sogar in der Bibel. Ich meine, warum hat Kain Abel erschlagen? Warum wurde Jesus gekreuzigt? Alles wegen Neid und Andersartigkeit. Das war schon immer so und das wird auch immer so bleiben. Haben Sie die Bibel gelesen? Glauben sie an Gott?“ Darüber musste Theobald lange nachdenken. „Nein“, sagte er schließlich, „Nein, wenn ich genauer darüber nachdenke, glaube ich so etwas nicht. Ich habe mir allerdings auch noch nie so richtig Gedanken darüber gemacht. Der Glaube spielt bei mir keine sehr große Rolle. Ich beurteile aber auch niemanden danach. Ich denke, jeder sollte an das glauben, was er will und was für ihn richtig ist. Das war schon immer meine Meinung.“ „Sie sind ein kluger Mann, Theobald,“ raunte die alte Dame, stand auf und kam auf ihn zu. „Es ist durchaus schlau, so zu denken“ krächzte sie und hielt ihren Kopf mit starrem Blick an sein Ohr. „Doch mit so einer lapidaren Einstellung kommen sie nicht weit. Was glauben sie passiert nach dem Tod?“ keifte sie und wurde lauter. „ Was glauben sie, passiert mit ihrer Frau, wenn sie stirbt?“ Wird ihre Seele weiterexistieren? Irgendwo bei dem Herrn im Himmel? Oder wird sie einfach nur in der Erde verrotten und es bleibt nichts mehr von ihr übrig als Staub für die Würmer? Was ist mit meinem Freund, dem König? Existiert sein Geist noch? Hören Sie, Theobald, die meisten Menschen heutzutage sind töricht und können nicht an mehr glauben als an das, was sie sehen. Sie leben ihr Leben tagein, tagaus, völlig normal, sinnlos und der Gesellschaft angepasst. Und am Ende, wenn sie dann ganz unverhofft vor ihrem Schöpfer stehen, werden sie sich fragen, wofür das Ganze eigentlich gut war. Diese ganze Sinn- und Lieblosigkeit, die sie nicht nur sich selbst, sondern auch ihren Mitmenschen gegenüber empfunden haben. Diese endlose Gier nach Geld, Ruhm und Macht wird am Ende, wenn sie wie alle Erdenwesen wieder abgerufen werden, auf allerherrlichste Art und Weise verpuffen, ja sich in allerfeinste, eiskalte Luft auflösen. Und daher sage ich ihnen, Theobald, wenn ihre Frau stirbt, und das wird sie aller Wahrscheinlichkeit nach, dann wird ihre Seele da oben weiterleben. Es wird ihr gut gehen dort. Wahrscheinlich wird sie mit den anderen toten Seelen rauschende Feste feiern und in Eintracht leben bis in alle Ewigkeit. Aber wenn sie von dort oben herunterschaut, dann wird sie auch jemanden sehen, der einsam ist und den Rest seines Lebens alleine sein wird. Und dieser Jemand werden SIE sein, Theobald, SIE. Und das nur, weil sie nicht auf ihre innersten Gefühle hören wollen genauso wie diese anderen, „normalen“ Leute. Theobald“ sagte die Dame jetzt wieder ruhiger.“ Sein sie nicht so arrogant. Hören Sie auf ihr Herz. Sie glauben doch auch an das Gute im Menschen. Oder wollen sie einsam sterben und auf ewig hier auf Erden dahin vegetieren? Geben Sie sich einen Ruck. Noch gibt es Hoffnung für Sie und ihre Frau! Vielleicht kann ich ihnen helfen. Und das, obwohl ich genauso einsam bin wie sie es wohl bald sein werden. Und dann ist niemand mehr da, der ihnen oder ihrer Frau helfen könnte. Dann werden Sie einsam sein, einsam und mutterseelenallein! Und zwar für immer!!!“ Theobald erschrak. „Nein“ schrie er. „ Sie lügen. Sie lügen wie gedruckt. Sie sind einfach nur alt. Alt, einsam und allein. Ich dachte, Sie könnten mir helfen. Sie waren eine Hoffnung für mich. Aber wenn sie so eine Einstellung haben, dann brauche ich ihre Hilfe nicht!“ rief er, stieß die alte Frau beiseite und rannte zur Tür. „Wie können Sie nur so denken. Sie sind ja nicht mal in der Lage, sich selbst zu helfen. Wie wollen sie dann anderen Menschen behilflich sein?“ rief er heulend, riss die Tür auf und rannte hinaus. „Ich brauche keine Hilfe. Von niemandem“ rief er und rannte, was er konnte. „Sie werden schon sehr bald merken, dass Sie meine Hilfe brauchen werden“ rief die alte Frau ihm hinterher. „Denn sonst ist hier niemand, der ihnen helfen kann und wird. Von den Menschen hier in der Gegend sowieso keiner“ schrie sie Theobald hinterher, doch das hörte er nicht mehr. Er war bereits in der Dunkelheit verschwunden.
Theobald rannte. Er lief schnell und merkte kaum, wie ihm vor lauter Wut und Verzweiflung die Tränen aus den Augen liefen. Die alte Frau war seine letzte Hoffnung gewesen. Wie sollte er jetzt seiner Frau helfen? Er lief und merkte vor Hast in der aussichtslosen Lage gar nicht, wie er ein paar Mal fast gestolpert wäre. Als er zu Hause ankam, war er ganz außer Atem und bemerkte auch die Seitenstiche erst jetzt. Er keuchte heftig und lies sich auf einem Stuhl in der Küche nieder, um bei einem Glas angenehm kühlen Wassers erst einmal zu sich zu kommen. Theobald schwitzte stark, so dass ihm die Schweißperlen nur so runterliefen. Seine Frau brachte ihm zu dem kühlen Wasser noch einen heißen Becher Tee und setzte sich neben ihm. Er atmete schnell und tief und konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Er kam nur langsam zur Ruhe. „Ach, Liebling, was ist denn nur los?“ versuchte Agnetha ihn zu beruhigen. Sie sprach mit ruhiger Stimme. „Ist etwas schief gelaufen? Was war bei der alten Frau? Was hat sie gesagt?“ fragte sie vorsichtig. Doch Theobald rang weiter nach Atem. Dann , ganz langsam, erzählte er ihr, was er erfahren hatte. „Mach dir nichts draus“ fing Agnetha wieder an. „ Sie kann wahrscheinlich nichts dafür. Wir finden schon einen anderen Weg, mich zu heilen. Uns wird schon etwas einfallen.“ „Nein!“ schrie Theobald auf. „Nein. Was meinst du denn? Was soll uns noch einfallen? Es funktioniert doch nichts. Der König und die alte Dame sind nur auf sich bedacht und wollen ihren eigenen Nutzen daraus ziehen. Und von den Leuten unten im Dorf wird uns sowieso keiner helfen. Die sind einfach nur herzlos und egoistisch. Die denken doch nur an sich. Was sollen wir denn nur tun?“ rief Theobald hysterisch und die Tränen stiegen ihm in die Augen. „ Ganz ehrlich, Agnetha, ich habe nicht die leiseste Ahnung, wer oder was uns jetzt noch helfen soll. Du wirst sterben und davor habe ich Angst. Ich will dich nicht verlieren!“ sagte er panisch. „Aber sei dir sicher“, sagte er fast flüsternd und sah ihr dabei tief in die Augen. Sein Blick war angsterfüllt, aber glasklar. „Wenn dir etwas zustößt, wenn du stirbst, dann gehe ich mit dir. Denn ohne dich will ich nicht mehr leben. Diese Welt wäre einfach zu grau für mich ohne dich.“ „Ach, Theobald, denk doch nicht so“ versuchte Agnetha Ihn zu beruhigen. „ Wer sagt denn, dass es nicht doch noch einen Weg gibt, mich zu heilen. „ Agnetha,“ keuchte Theobald. „Die alte Dame hat mich als schlecht und arrogant bezeichnet“, sagte er. „Sie sagte, ich hätte vom Leben keine Ahnung, da ich nicht gläubig sei und zu Gott im Himmel beten würde. Was bringt das denn auch?“ meinte Theobald zornig. „Ehrlich, Agnetha, in meiner Kindheit wurde viel gebetet. Meine Eltern waren beide sehr gläubig, gingen jeden Sonntag in die Kirche und auch öfters zum Abendmahl. Wir haben auch immer vor dem Essen gebetet. Und was hat es uns gebracht? Sie sind beide früh gestorben, meine Mutter an Krebs, mein Vater an Aids. Und jetzt noch du. Sieh doch der Tatsache ins Auge. Du wirst sterben und das auch nicht gerade spät. Die alte Frau war falsch, einfach falsch. Sie ist eine Lügnerin.“ „Aber was ist, wenn sie Recht hat mit ihrem Glauben. Vielleicht gibt es ein Leben nach dem Tod. Ich meine, vielleicht gibt es wirklich einen Ort, wo unsere Seelen nach dem Tod ruhen und sich wieder vereinen. Wer weiß das schon?“ „Du glaubst diesen Quatsch doch nicht etwa, oder?“ meinte Theobald jetzt etwas ruhiger. „Nein, nicht wirklich. Jedenfalls bin ich mir nicht sicher. Es ist wohl mehr so eine Art Hoffnung. Weißt du, vielleicht wirke ich oft ruhig und gefasst, auch momentan. Aber eigentlich ist das nur Fassade. Denn auch ich habe in den letzten Tagen oft Angst. Angst um mich, um mein Leben. Oder wie es mit dir weitergeht, wenn ich jetzt gehe. Und auch um unseren Hof. Um das, was wir uns die ganzen Jahre über aufgebaut haben. Obwohl das zugegebenermaßen sehr banal ist, aber es beschäftigt mich. Du würdest den Hof nicht alleine schaffen. Du bräuchtest eine Hilfskraft, vielleicht sogar eine weibliche. Und dann würdest du mich vergessen. Irgendwann.“ meinte Agnetha. Und jetzt liefen auch ihr die Tränen über das Gesicht. „ Du würdest mich vergessen, wer weiß, vielleicht wegen irgendeines billigen Weibsstückes unten aus dem Dorf, irgendeine dumme, blöde Nutte, die du dann vögelst, nur weil ich nicht mehr da bin und du Ersatz brauchst, billigen Ersatz,“ sagte sie und erschrak selbst über ihre eigenen, harten Worte. Theobald war bleich vor Entsetzen. „Agnetha, das glaubst du doch nicht wirklich, oder? Du weißt, dass ich das niemals tun würde. Ich liebe dich doch. Es wird niemals einen Ersatz für dich geben. Wie kommst du darauf?“ „Ach, ich weiß es nicht. Ich bin einfach durcheinander. Ich glaube, ich bin einfach nur müde und will ins Bett, “ meinte sie, stand auf und ging mit ihrem heißen Becher Tee in der Hand in das Schlafzimmer und schlief auch bald ein. Theobald aber blieb noch ein wenig in der Stube sitzen. Er war noch zu unruhig, um zu schlafen. Die Gedanken um sich, um die Situation der beiden drehten sich in seinem Kopf. Er hatte wirklich Angst, Agnetha zu verlieren. Er wippte aufgebracht auf seinem Stuhl hin und her, so dass der laut knarzte. Was sollte er nur tun? Er wusste es nicht. Er hatte alles getan, was ihm einfiel und in seiner Macht stand. Er dachte an die alte Hexe. Hatte er ihr vielleicht Unrecht getan? Er war zwar der letzte, der sich auf so einen religiösen Mist einlassen würde, doch er entschied sich, es noch einmal bei der Alten zu probieren. Er dachte sich : „Was haben wir schon zu verlieren. Vielleicht kann sie uns ja doch irgendwie helfen.“ Dann stand auch er auf und ging in sein Bett.
Und so machte Theobald sich am nächsten Abend nach getaner Arbeit noch einmal auf den Weg zu dem alten abgelegenen Haus am Waldesrand, in dem die alte Dame wohnte. Er fühlte sich ein wenig unsicher, denn er wusste nicht, was ihn diesmal erwartete, etwa wie die Frau ihm gegenüber reagieren würde. Vielleicht war sie immer noch wütend auf ihn und irgendwie war er es auch noch. Zumindest ein bisschen. Denn Theobald hatte sich zwar wieder etwas abgeregt, doch auf das Thema Glauben würde er sich auch diesmal nur schwer einlassen können. Vielmehr hoffte er, wohl doch noch etwas genauer erfahren zu können, ob und wie die alte Dame ihm vielleicht doch noch würde helfen können.
Und so ging Theobald mit gemischten Gefühlen seines Weges am Waldesrand entlang. Er zweifelte wirklich, ob er sich noch einmal darauf würde einlassen wollen. Aber er wusste nicht, was er sonst noch tun sollte. Als er an dem Haus ankam, wurde ihm erst recht bewusst, wie unsicher er wirklich war und es überkam ihn ein merkwürdiges Gefühl. Als er sich das Haus noch einmal genauer von außen ansah, bemerkte er einen kleinen Garten, der um das Haus herum verlief, aber nicht regelmäßig bewirtschaftet wurde. Das erkannte Theobald bei näherem Hinsehen. Auch fiel ihm erst jetzt erst auf, wie alt das Haus wirklich wirkte. Die Holzbalken zwischen den alten Ziegelsteinen waren mit Moos überwachsen und sehr feucht. Das Dach wirkte nicht nur schief, sondern alt und brüchig. Hätte Theobald es nicht besser gewusst, dann hätte er sich nicht vorstellen können, dass hier noch jemand wohnte. Theobald nahm all seinen Mut zusammen und klopfte an die Tür. Es dauerte ein wenig, doch dann machte die alte Frau auf. „Sie“, raunte die Dame. „Was wollen Sie denn schon wieder hier?“ „ Ich brauche ihre Hilfe. Ich weiß einfach nicht mehr weiter. Bitte helfen Sie mir und meiner Frau.“ „ Na gut“, meinte die Frau ruhig. „Wenn Sie denken, dass ich ihnen helfen kann. Es gibt eine Möglichkeit, ihre Frau zu heilen und auch meinen Gemahlen zu retten. Haben Sie noch ihre Äpfel dabei?“ „ Ja“, sagte Theobald und warf ein Blick auf seine Tasche, die er mitgebracht hatte. „Ja. Ich habe sie dabei“. „Dann lassen Sie uns zu dem Baum gehen“, sagte die Frau und sie marschierten hinaus in den Wald.
Und so gingen die beiden los. Es dauerte allerdings auch ein bisschen, denn die alte Frau hatte Schwierigkeiten, mit dem Tempo von Theobald mitzuhalten. Doch schließlich kamen sie an. Sie hielten inne. Die Frau stand da und blickte ehrfürchtig empor. „Schade“, sagte sie leise. „Sehr schade, dass dieser große, stolze Baum und seine Gefährten so lange keine Früchte mehr getragen haben. Aber das wird sich jetzt ändern. Geben sie mir die Äpfel.“ Theobald wusste nicht, was Sie vorhatte. Nach einigem Zögern aber griff er in die Tasche und reichte ihr die Früchte. Die Frau hielt sie in den Händen und fing an, ihnen etwas zuzuflüstern. „ Liebste Freunde“, raunte sie. „Da ihr die größten und gesundesten Früchte auf dieser grauen Welt seid. Es ist so lange her, dass ihr in all eurer Pracht und Vielfalt erblühen durftet. Heute ist die Nacht, in der alles wieder gut wird. Befreit mich und meinen Gemahlen heute von unserem Leid und bringt uns wieder zusammen. Und lasst all die Leute, die uns Unrecht getan haben, wissen, dass ihre Taten schlecht waren und dass sie so etwas nie wieder tun sollen.“ Dann küsste sie jeden der Äpfel innig und liebevoll und streichelte sie sanft. Dann legte Sie die Früchte in das Loch, das Theobald vor ein paar Tagen gegraben hatte und sie warteten. Eine Zeit lang geschah nichts. Bis auf einmal ein gewaltiger Donner ertönte und die Erde zu beben anfing. Dann erschien der Geist des Königs. „Liebe Gemahlin“, rief er. Deine Tat war weise. Dank dir werde ich nun von meinem Leid befreit. Komm nun zu mir. Viel zu lange habe ich auf dich gewartet. Offenbar musste erst der richtige Mann kommen, der die Hilfe von den Früchten braucht. Ich danke dir Fremder, der du uns erlöst hast. Friede und Gesundheit sollen dich und deine Frau von nun an begleiten. Nun komm, meine Frau, der Herr Gott wird uns aufnehmen.“ Die Erde bebte immer mehr und Theobald bekam Angst. Er sah die alte Frau noch einmal an und sie blickte mit Glück und Zuversicht in den Augen zurück. „Danke“, sagte Sie. „Danke für alles. Auf dass du und deine Frau noch lange glücklich seid.“ Dann auf einmal erschien ein greller Blitz, gefolgt von einem Donnern. Theobald erschrak und hielt sich die Augen zu. Als er sie wieder öffnete, waren die Frau und der Geist fort.
Der Lärm war ganz bis nach unten ins Dorf gedrungen und hatte die Bewohner erweckt. Sie sammelten sich in panischer Angst am Rande des Ortes und starrten zum Himmel hinauf. Und plötzlich passierte etwas, dass keiner von ihnen für möglich gehalten hätte und was sie nie vergessen würden. Denn über dem Wald erschien der Geist der alten Frau und die Erde bebte noch lauter. Und Sie sprach: „ Liebe Bürger und Bewohner des Dorfes. Lange haben ich und mein Mann gelitten. Gelitten unter euch, euer Ignoranz und euer Selbstherrlichkeit. Viele Jahre habt ihr und eure Vorfahren mich und meinen Mann tyrannisiert und gepeinigt. Doch das hat nun ein Ende. Wir wurden erlöst. Erlöst von unserem Leben, unserem Dasein, das ihr uns so schwer gemacht habt. Doch euch sei verziehen. Denn der Mensch und somit auch ihr habt manchmal Angst. Angst vor fremden Dingen. Vor Veränderung und Unbekanntem. Das wird auch der Grund für euren Hass und eure Missbilligung mir und meinem Mann gegenüber gewesen sein.“ Die Dorfbewohner wussten nicht recht, was sie sagen sollten. Sie standen da und warfen sich unsichere Blicke zu. Sie waren sich der Qual und des Leides der Frau und ihrem Mann nie richtig bewusst gewesen. Und auf einmal empfanden sie Mitleid. Der Geist sprach weiter: „ Sorgt euch nicht um uns. Dort, wo wir hingehen, wird es uns besser gehen. Doch ihr könnt eines tun, damit so etwas wie mit uns nicht mehr vorkommt. Kümmert euch umeinander und haltet zusammen in guten, aber auch in schlechten Zeiten. Und seid offen für die Probleme und Andersartigkeit eines jeden von euch. Denn nur so könnt ihr in Frieden leben, ohne Leid und Kummer!“ Dann gab es ein lautes Donnergrollen und der Geist war verschwunden.
Die Leute waren verstört. Es war ihnen nie richtig bewusst gewesen, was sie und ihre Vorfahren der alten Frau und ihrem Mann angetan hatten. Sie schworen sich, in Zukunft besser auf einander Acht zu geben und sich nicht untereinander auszugrenzen. Und sie lebten fortan in Freundschaft und liebevollem Miteinander weiter.
Und auch Theobald war glücklich. Denn bereits in den Wochen nach dem Ereignis trug der Wald wieder Früchte. Und es wurden tatsächlich die besten und gesündesten, die man sich vorstellen konnte. Seine Frau wurde wieder gesund und fortan lebten die beiden mit den Dorfbewohnern in Eintracht. Denn eines hatten alle gelernt: Das Leben ist zu kurz, um sich zu streiten. Und sie leben dort bis heute.
Lovepoet 1984 ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.03.2018, 13:23   #2
weiblich DieSilbermöwe
 
Benutzerbild von DieSilbermöwe
 
Dabei seit: 07/2015
Alter: 60
Beiträge: 6.687


Hallo Lovepoet,

zuerst das, was mir positiv aufgefallen ist: Man merkt dir die Lust am Erzählen an. Ich finde, du hast durchaus Potenzial, verzettelst dich dann aber immer mehr, je weiter die Geschichte fortschreitet. Man hätte hier den Focus auf das Ehepaar und den Geist bzw. die alte Frau legen können und sich weniger mit den übrigen Dorfbewohnern beschäftigen können, das Ganze also etwas strukturierter aufziehen können. Ich habe nämlich dreimal versucht, die Geschichte ganz durchzulesen, ohne abzubrechen und jedes Mal den roten Faden verloren. Du hast viel zu viel auf einmal in die Geschichte reingepropft.

Dann ist mir noch diese Kleinigkeit aufgefallen:
Zitat:
Man hätte sie erziehen müssen und obendrein noch ernähren und durchfüttern.
Ernähren und durchfüttern ist dasselbe.

LG DieSilbermöwe
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.03.2018, 14:42   #3
männlich Lovepoet 1984
 
Benutzerbild von Lovepoet 1984
 
Dabei seit: 02/2018
Ort: In einer wundervollen Kleinstadt in Niedersachsen
Alter: 40
Beiträge: 51


Hallo, Silbermöwe,

Danke erstmal für deine angenehm konstruktive Kritik. Ja, ich habe das öfters in meiner Kunst, dass ich viel reinpacke, weil ich eben gerne auch viel ausdrücken möchte. Dem einen oder anderen mag das dann vielleicht ein bisschen viel Inhalt auf einmal sein.
Ich predige vielleicht auch manchmal ein bisschen viel, das wird mir jedenfalls manchmal ganz gerne nachgesagt. Das liegt eben einfach an meinem Lebenslauf, der nicht immer einfach war, deswegen hier auch diese wie ich finde, klare Stellungnahme zum Thema Mobbing bei der Frau und dem König. Bei solchen Themen sage ich einfach klar meine Meinung, sorry, da kann ich eben nicht anders. Aber trotzdem danke für deine Worte. Ich werde vielleicht beim nächsten Mal mehr darauf achten, den Fokus noch stärker auf das Kernthema zu legen

Liebe Grüße Lovepoet
Lovepoet 1984 ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Des Königs gläubige Gemahlin

Stichworte
ausgrenzung, märchen, religion

Themen-Optionen Thema durchsuchen
Thema durchsuchen:

Erweiterte Suche


Ähnliche Themen
Thema Autor Forum Antworten Letzter Beitrag
Der (un)gläubige Mensch fsami Düstere Welten und Abgründiges 3 09.03.2017 18:35
Des Königs Hofnarr Puschkel Nutzer-Neuvorstellungen 16 10.03.2016 20:26
Boten des Königs - der Außenseiter [Hauptgeschichte] Sinfonia Geschichten, Märchen und Legenden 0 29.07.2014 15:24
Königs Haupt blacky Fantasy, Magie und Religion 1 21.01.2013 09:20
Die Appetenz des Königs dead_poet Sonstiges Gedichte und Experimentelles 5 10.08.2006 16:48


Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.