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Alt 17.07.2016, 22:59   #1
weiblich Ilka-Maria
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Benutzerbild von Ilka-Maria
 
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Ort: Arrival City
Beiträge: 31.113


Standard Beethoven

Die Hausarbeit war erledigt, die Spüle geputzt, die Waschmaschine auf Feinwäsche eingestellt, und mein Sohn trieb sich in der Nachbarschaft bei seinen Freunden herum. Ich hatte mir einen Earl Grey aufgebrüht und Beethovens Pastorale aufgelegt. Gemütlich in die Couch geschmiegt blätterte ich in meiner neuesten Errungenschaft, einem Roman über Philippe Petit mit dem Titel „Let the Great World Spin“.

Ich war ungefähr bei Seite zwanzig angelangt und hatte die Pastorale nochmal von vorn spielen lassen, als die Wohnungstür aufgeschlossen wurde und Christoph hereinstapfte.

„Ist etwas passiert?“

„Nein, nichts. Ich hatte keinen Bock mehr.“

„Willst du auch einen Tee?“

„Gute Idee. Aber was ist das für eine grässliche Musik?“

„Beethoven. Ich wusste ja nicht, dass du früher als sonst nach Hause kommst.“

„Ach so? Hatte ich vielleicht Glück, dass ich es nur mit Beethoven statt mit einem Liebhaber zu tun habe?“

„Was redest du denn!“

„Na, was wohl? Was hast du denn gemeint mit ‚ich wusste ja nicht‘?“

„Na, dass dich klassische Musik nervt und ich sie nicht aufgelegt hätte, wenn ich gewusst hätte, dass du früher als sonst nach Hause kommst.“

„Verstehe. Hinter meinem Rücken führst du ein Eigenleben! Hat der Kerl, der dir diesen Beethoven-Firlefanz eingetrichtert hat, einen Namen?“

„Allerdings! Er heißt Johannes, und er ist mein Vater!“

„Ach ja, der alte Herr, der dir all das bedruckte Zeug anschleppt und dir damit das Gehirn vernebelt.“

„Es könnte dir nicht schaden, auch mal ein Buch zu lesen.“

„Ein Buch? Oder die dreihundert, die hier schon herumstehen? Irgendwann komme ich nicht mehr in meine Wohnung rein, weil sie eine einzige Bücherhalde ist!“

„Du übertreibst. Solange für deine Plattensammlung Platz ist, kommen meine Bücher auch noch gut unter.“

„Werd‘ bloß nicht frech! Noch bin ich derjenige, der das Geld nach Hause bringt.“

„Dafür wasche und bügele ich dir die Hemden, Majestät. Und soll ich dir mal zeigen, wie blitzblank geputzt die Fenster sind?“

„Wenn ich nicht so zivilisiert wäre, würde ich dir jetzt eins über dein Mundwerk ziehen! Wo ist übrigens unser Sohn?“

„Spielen.“

„Was: spielen?“

„Na, bei seinen Freunden. Zusammen spielen.“

„Um den kümmerst du dich also auch nicht. Was machst du eigentlich den ganzen Tag, außer auf der Couch zu liegen und zu schmökern?“

„Das kann ich dir sagen. Wenn der Haushalt erledigt ist und ich mit unserem Sohn die Hausaufgaben erledigt, das Auto gewaschen, deine Schuhe geputzt und das Abendessen vorbereitet habe, verbringe ich den Rest der Zeit mit Zittern davor, dass du nach Hause kommst, was mich täglich einige Pfund kostet und schlank genug erhält, dass mir morgen wieder mindestens zehn Männer Avancen machen, die im Gegensatz zu dir noch Haare auf dem Kopf und keinen Schmerbauch haben. Ganz nebenbei habe ich die Zeit genutzt, mit meinem Rechtsanwalt zu sprechen, dir deinen Koffer zu packen und dir ein Hotelzimmer zu buchen. Alles fix und fertig.“

„Das meinst du nicht im ernst?“

„Schlüssel gegen Koffer, sonst gehst du so, wie du bist. Das Zimmer ist für eine Woche bezahlt.“

„Aber …“

„Die Schlüssel …?“

„Das ist auch meine Wohnung!“

„Ab sofort nicht mehr – mit oder ohne Schlüssel.“
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Alt 17.07.2016, 23:29   #2
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909


Gut erzählt, Ilka. Wenig sensibel, der Mann (kein Einzelfall). Androhung häuslicher Gewalt ist nicht tolerabel.

Gern gelesen.

LG g
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
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