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Alt 29.07.2015, 20:54   #1
weiblich CeliZeb
 
Dabei seit: 07/2015
Beiträge: 11


Standard Blütenstaub

Es war so: Ich kam vom Schwimmen. Es war Mai und der Abend war mild und alles duftete nach Honig vom vielen Blütenpollenstaub. Meine Haare waren noch nass. Es hätte sich auch nicht mehr gelohnt, sie noch zu stylen. Ich wollte ja nur nach Hause.
Direkt neben dem Schwimmbad ist ein winziger Park. Nicht größer als ein Basketballfeld aber vollgestellt mit Bäumen und Gebüsch. Ein Weg führt durch und ein paar Bänke stehen drin.
Ich ging immer durch den Park, obwohl man leicht drum rumgehen hätte können. Ich mochte ihn irgendwie. Er war ein rechteckiges Stück Natur.

Als ich aus dem Schwimmbad kam, war es schon ganz schön spät und in dem Park ziemlich düster. Ich hatte meine Sporttasche umhängen und atmete ganz tief und bewusst die warme, süße Mailuft ein. Mir gings richtig gut. Ich hatte mich ausgepowert und mein ganzer Körper war erschöpft, aber zufrieden und ein ganz kleiner Wind zog durch meine nassen Haare, gerade so, dass es nicht zu kalt war. In meinen Gedanken war ich gerade beim Heuschnupfen von Julian. Ich dachte mir, was für ein verdammtes Glück das war, dass ich keinen Heuschnupfen hatte und dass ich diese Luft so ungebremst einatmen konnte. Einfach so. Ohne Probleme. Endlich, endlich Sommer. Ab nächste Woche nur noch Freibad. Kein Mensch würde mich nochmal ins Hallenbad bringen vor Oktober. So ein Zeug dachte ich, als ich checkte, dass ich den Typen vorne auf der vordersten Bank kannte. Oder? Doch. Das war er. Das war Mike. Er winkte mir schon, als hätte er mit mir gerechnet. Seine Kippe glühte rot im Halbdunkel.
Ich ging wortlos auf ihn zu und blieb einen Meter vor der Bank stehen.

"Echt jetzt? Stalkst du mich, oder was? Was sitzt’n du hier rum?"
"Nur so." Er lächelte ein bisschen. Ein bisschen zu schüchtern, so wie er immer lächelte. Aber dann summte sein Handy, das er auf dem Oberschenkel liegen hatte, und seine Aufmerksamkeit war sofort wieder weg. Er nahm mit einer ziemlich umständlichen Bewegung seine Zigarette von der linken in die rechte Hand, damit er dann sein Handy in die linke nehmen konnte. Ich stand einen Moment unschlüssig rum und war mir nicht sicher, ob ich weitergehen sollte und ihn mit seinem Telefon alleine lassen, oder ob ich noch etwas sagen sollte.
"Na dann, schönen Abend", sagte ich, so wie es mein Opa immer gesagt hat, wenn er am Kiosk sein Feierabend-Bier holte.
"Nein warte! Du musst hier bleiben!“, rief Mike und seine Stimme klang auf einmal als ginge es um Leben oder Tod.
Mike schnippte seine Zigarette weg und steckte sein Handy in die Hosentasche. Auch das machte er irgendwie ziemlich umständlich, weil die Hose wirklich eng war.
"Sag doch, wenn du was willst!“, meinte ich. Es klang viel genervter als ich es wollte. Mit dem zu reden war aber auch immer umständlich mit seinen wirren Gedankensprüngen und seiner Aufmerksamkeitsspanne einer Fruchtfliege.

Mike wischte sich die Handinnenfläche an den Oberschenkeln ab, kniff die Lippen zusammen und sagte dann: "Ne. Das geht nicht. Echt nicht."
"Was geht nicht?"
"Es sagen."
"Wozu soll ich dann hier bleiben?"
Ich fragte mich, warum ich nicht einfach weiterging. Da kommt eh wieder nur Krampf dabei rum.
"Kannst du dich jetzt mal bitte hinsetzen!", sagte Mike ziemlich streng, als hätte er mich dazu schon mindestens dreimal aufgefordert. Sein Befehlston hörte sich irgendwie witzig an. Es war einfach nicht besonders authentisch bei ihm.
Ich setzte mich neben ihn auf die Bank. Mikes Augen suchten am Boden herum, aber nicht weil er was verloren hatte. Ich kannte das bei ihm. Seine Augen suchten so rum, wenn er einen nicht anschauen wollte, wenn er angespannt war.
"Was ist denn los? Hast du Stress?"
"Ja."
"Ok. Mit wem?"
Bestimmt wieder Julian, dachte ich. Der verarschte ihn ständig. Der dachte, es wäre der Running-Gag, Mike als Schwuchtel hinzustellen. Dabei war das langsam echt schon ausgelutscht und außer Julian fand es niemand mehr witzig. Mike am wenigsten.

"Mit dir“, sagte Mike.
Ich musste kurz den Anschluss wieder finden. Was „mit mir“?. Ach so: Stress. Wieso mit mir?!
"Hä? Wieso? Ich hab doch nix gesagt?!“
Mike, die Mimose, echt. Der kriegt doch alles in den falschen Hals. Ich war mir sicher, dass er wegen gestern beleidigt war, weil ich ihn Pussy genannt hab, als ich ihm seine Wasserflasche aufdrehen musste. Und weil Julian dann dreckig gelacht hat. Mir hat das ja auch gleich leid getan, aber es war auch irgendwie nicht schlimm genug um sich zu entschuldigen. Wegen so ner Lapalie. Außerdem hatte ich Mike bestimmt schon hundert Mal vor Julian in Schutz genommen, also brauchte ich mir da eigentlich echt keine Vorwürfe zu machen wegen diesem einen Wort.

Mike sah mich immer noch nicht an. Er hatte die Augen an den Boden geheftet und ich hatte das Gefühl, sein Oberkörper wollte sich in seinen Kapuzenpulli zurückziehen, wie eine Schnecke in ihr Haus.
"Ne. Nix. Ich hab auch keinen Stress mit dir, sondern wegen dir. Also - du bist der Stress."
"Ähm. Das musst du mir jetzt schon irgendwie erklären“, sagte ich, obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich das wirklich erklärt haben wollte.
Mike sah hoch und in mein Gesicht. Mir wurde etwas mulmig.
"Warum bin ich dein Stress?", fragte ich, doch in dem Moment war es mir so klar, dass ich mich für die Frage hasste. Mich packte die Nervosität. Ich hatte das Gefühl, das Herz in meinem Hals klopfen zu hören. Mike starrte mich an und das machte es nicht besser.
"Ok", sagte er und holte Luft, aber dann sagte er nur "Oh Gott" und guckte wieder auf den Boden.

Am liebsten wäre ich weggelaufen. Ich wollte das nicht hören. Ich wollte nicht, dass er es sagte, weil ich nicht wusste, wie ich dann hätte reagieren sollen.
Mike guckte jetzt wieder zu mir hoch. Guckte hervor. Tastete sich aus seinem Schneckenhaus.
"Flo?", flüsterte er.
Ich hob nur die Augenbrauen, wollte wortlos überlegen aussehen. In Wahrheit brachte ich nichts mehr raus.
Mike öffnete die Hände vor sich, als würde er etwas Heiliges empfangen. Er betrachtete seine Handflächen und sagte:
"Meine Hände fühlen sich leer an, verstehst du?"
Ich bewegte meinen Kopf langsam hin und her. Es sollte ein Kopfschütteln sein, aber Mike sah eh nicht hin.
"Meine Hände fühlen sich leer an, weil sie deine nicht halten dürfen."
Wusch.
Das war es.
Jetzt war es draußen und es war auch noch sehr schön gesagt. Ich meine, er hätte auch irgendein plumpes "ich hab mich in dich verliebt" rauslassen können. Aber Mike war halt unser Poet.
Sein Blick war immer noch auf seine Hände gerichtet. Mir kam es vor, als würden sie ein kleines bisschen zittern, aber vielleicht zitterte eher mein Blickfeld.
Als er den Kopf zu mir drehte, sah ich schnell von ihm weg. Suchte den Punkt auf dem Boden, den Mike vorhin angestarrt hatte.
"Krass", sagte ich.
Toller Kommentar, dachte ich.

Jetzt war Schweigen.
Ich wusste, dass der nächste Schritt war, den Kopf zu heben und ihn anzusehen. Ihm in die Augen zu sehen und ihm eine Ansage zu machen. Sowas wie "Ey sorry, Mann, aber ich bin nicht schwul" oder "Hey tut mir leid, Alter. Im nächsten Leben vielleicht“. Irgendetwas, was ihn eben nicht zu sehr verletzte, was sein weiches, großes Herz nicht gleich völlig platt machte. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich meine Hände gerade genauso hielt wie Mike seine. Leer vor mir, mit den Handflächen nach oben. Als würde ich warten, dass Gott mir ein Brot vom Himmel sendet. Gerade als ich alle Kraft gesammelt hatte, gerade als ich meinen Kopf hob um zu sagen "Sorry" oder irgendwie sowas, gerade da legte Mike einfach seine linke Hand in meine rechte. Einfach so. Mein Hals ging zu. Ich wusste nicht mehr wie atmen geht. Schon gar nicht mehr wie sprechen geht. Mit meinem letzten Mut sah ich Mike an.
Ich hörte ein „Sorry“. Geflüstert und zittrig. Aber es kam nicht aus mir. Mike sagte es, als er seine Hand wieder weg zog. Sein Blick war gesenkt. Dann stand er hektisch auf.
„Also, ich hau dann lieber ab.“

Ich schaute ihm nach, wie er durch die milde Mai-Nacht davon ging.
Ich atmete ein. Ganz tief und bewusst. Mikes Duft hing noch in der Luft, nach frischer Wäsche und Zigaretten und ich dachte daran, was für ein verdammtes Glück das war, dass ich keinen Heuschnupfen hatte und dass ich diese Luft so ungebremst einatmen konnte. Einfach so. Ohne Probleme.
CeliZeb ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.07.2015, 02:00   #2
weiblich Litteralia
 
Dabei seit: 01/2013
Beiträge: 538


Herzlich Willkommen hier bei poetry!

Ich finde deine Geschichte sehr schön. Ich kann die Technik dahinter nicht beurteilen, da ich eher Gedichte schreibe und keine Ahnung hab, was in eine gute Geschichte gehört, aber ich mag die Art, wie du den Inhalt darstellst.
Als eine Art kleinen Apell, mal nachzudenken, über sich und seine Gefühle.

Liebe Grüße
Jana
Litteralia ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 31.07.2015, 14:53   #3
weiblich CeliZeb
 
Dabei seit: 07/2015
Beiträge: 11


Hallo Litteralia,

danke für die nette Rückmeldung. Weil ich das erste Mal was in ein Forum gestellt hab, war das für mich sehr ermutigend! Merci
CeliZeb
CeliZeb ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.08.2015, 13:59   #4
männlich thadodga
 
Dabei seit: 03/2015
Ort: Kassel
Alter: 33
Beiträge: 15


Finde die Story stark, weil man ja oft nicht weiß wie man damit umgehen soll, wenn einer einen liebt, man aber nicht. Dachten erst, dass der Protagonist eine Protagonistin ist. Story gut, aber die Sätze sind mir nicht stark genug. Das lebt noch nicht. Ist das eine Short Story oder wird das was längeres?
grüße, dodga
thadodga ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.08.2015, 17:21   #5
weiblich DieSilbermöwe
 
Benutzerbild von DieSilbermöwe
 
Dabei seit: 07/2015
Alter: 61
Beiträge: 6.727


Eigentlich egal, ob der Protagonist ein Er oder eine Sie ist. Schöne Story, die offen lässt, wie es witergeht. Der letzte Satz gefällt mir besonders.
DieSilbermöwe ist gerade online   Mit Zitat antworten
Alt 20.08.2015, 16:15   #6
männlich Trubadix
 
Benutzerbild von Trubadix
 
Dabei seit: 03/2013
Alter: 38
Beiträge: 35


"Nicht größer als ein Basketballfeld aber vollgestellt mit Bäumen und Gebüsch."
"Er war ein rechteckiges Stück Natur."
Schön formuliert.
Trubadix ist offline   Mit Zitat antworten
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