1497.

[Kurt]

Der Tag dämmerte neblig, wie es für diese Jahreszeit typisch ist, aber trotzdem auch meistens schönes Wetter verheißend. Einzelne Windstöße wirbelten bunte Blätter auf; es roch nach Herbst und vom Rathaus klang ein helles Glockengeläut. Aber irgendwie lag trotzdem noch etwas anderes in der Luft. War es eine gewisse Spannung, eine trügerische Unruhe?...
Als es gegen neun Uhr zuging strömten schon mehrere Personen in Richtung Marktplatz, denn dort sollte das von manchen schon ungeduldig Erwartete stattfinden. Das läutende Glöckchen nannte man das Arme-Sünder-Glöcklein. Jeder kannte die Bedeutung desselben: Es läutete zum letzten Gang eines Menschen.
"Glaubt ihr, dass sie eine Hexe ist?" fragte Klas, der Schmied-Geselle einen anderen, den er zufällig auf dem Gang zum Marktplatz traf.
"Ja sie ist eine Hexe", antwortete der Angesprochene mit großem Eifer."Ich war Gehülfe * des Scharfrichters. Sie hat nie gestanden. Die Kuh einer Nachbarin hat sie verzaubert; die Kuh hat keine Milch mehr gegeben und ist dann gestorben. Kröten gekocht hat die Frau auch".
Klas, den alle nur mit seinem Vornamen ansprachen, schüttelte den Kopf: "Ich glaube das nicht. Ihr habt doch das bestimmt nie beweisen können".
Er kannte die Frau und hatte schon mehrmals mit ihr gesprochen, als diese in der Schmiede wegen der Anfertigung eines Schürhakens nach dem Preis dafür nachfragte. Nachdem er gehört hatte dass die Frau wegen Hexerei angeklagt war, konnte er das nicht glauben und war kurz davor, beim Bürgermeister dagegen Einspruch zu erheben, was er sich aber als einfacher Schmied-Geselle nicht so ganz traute.
"Sie ist eine Hexe, der Teufel hat ihr beigestanden, die fünf Foltergrade zu überstehen. Sie ist bei der Wasserprobe oben geschwommen und ist schuldig, weil sie beim Wiegen als zu leicht befunden wurde." fügte der Gehülfe mit verbissenem Gesicht noch hinzu.
Klas hätte gerne mehr von den fünf Graden gewusst, aber er zog es vor nicht danach zu fragen. Er hatte irgendwann nur mal etwas von einem spanischen Stiefel und dem dazugehörigen vierten Grad gehört. Auch von einem gespickten Hasen, von dem er aber wusste, dass dies nicht der erste Grad war, da vielen dazu die Daumenschrauben bekannt waren, die ganz zu Anfang der Folterungen zur Anwendung kamen.
Auf dem Marktplatz hatte sich nun eine erwartungsvolle, schier unübersehbare Menschenmenge angesammelt; ein lautes Stimmengemurmel lag in der Luft.
Die Glocke war nach längerem Läuten nun verstummt, die Zeit verstrich lähmend langsam, als sich plötzlich zwei Ratsherren neben dem Scheiterhaufen einfanden.
Einer davon erhob die Stimme: "Bürger! Die verurteilte Deliquentin ist in letzter Minute freigesprochen und wird nicht gerichtet. Drei honorige Handwerker, der Bürgermeister und der Landesherr haben den ganzen Prozess begutachtet und sind zu dem Schlusse gekommen, dass die Deliquentin nicht schuldig und nur von der Nachbarin grob verleumdet worden sei."
In kleinen und größeren Gruppen, eifrig diskutierend, entfernte sich die groß angesammelte Menschenmenge. Klas ging erleichtert, weil sich seine Vermutung bestätigt hatte, und mit niemanden mehr sprechend nach Hause.
Der Scheiterhaufen blieb stehen.
Am nächsten Tag sollte eine Hexe verbrannt werden.


*(absichtl."mittelalterlich" geschrieben)