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Alt 22.09.2020, 18:51   #1
männlich Jason
 
Dabei seit: 09/2020
Beiträge: 31


Standard Das Kino

M. war in einem verlassenen Kino. Wie überdimensionale Dornen guckten verrostete Sprungfedern aus roten Kinosesseln. Dort, wo einmal die Leinwand hing, präsentierte sich jetzt ein tiefes schwarzes Loch. Unergründlich finster war das. Eine vergilbte Eintrittskarte „Die Nacht der lebenden Toten“, lag am Boden. 7,90 € und freie Platzwahl. Merkwürdige Eindrücke.

Die großen Cineplexe waren die letzten, die bankrottgingen. Ganz zum Schluss zeigten die Betreiber Klassiker vor fast leerem Publikum. Dabei konnte man hier am meisten erleben. Das Kino als Rückzugsort des Geistes und als Platz unausgesprochener Wahrheiten. Horrorfilme, die heimlichen Stars des alten Vergnügens waren zuerst verboten worden, weil man das Politische darin nicht ertragen hatte. Es wurde versucht die Menschen mit seichten Liebesgeschichten, die immer ohne Sexszenen auskamen zufriedenzustellen. Meistens küssten sich Mann und Frau vor der aufgehenden Sonne am blauen Meer und irgendwo fielen leise Blätter auf den Waldboden, Vögel zwitscherten die Zauberflöte. M. übergab sich. Er fühlte irgendwie befreiter.

An einigen Stellen des Daches tropfte das Wasser die bereits verschimmelte grün- und gelbmarmorierte Wand herunter. Der Geruch nach verrottetem Holz und organischen Abbauprodukten war trotz Knebel für M. zu riechen. Sein Speichel lief auf seine Jeans. Die Entführer hatten ihn sanft auf einen Sessel gesetzt und von hinten war ihm ein Knüppel oder der Schaft einer Pistole an die Schläfe gehalten worden. So genau wusste M. das nicht. Sein Verstand befand sich im Zustand des nicht Realisierens. Er hätte genauso jeder Zeit aufwachen können, das Gefühl für Raum und Zeit war aufgehoben. Nichts zu machen. Sein Körper schien unverletzte. Nicht Mal ein kleiner Kratzer, keine blauen Flecken, keine Veränderungen.

Nur ekelhafte Übelkeit, als hätte er einen Kater nach einer durchzechten Nacht. Wenn er sich leicht nach vorne beugte, kam die Kotze langsam hoch. Er versuchte relativ gerade zu sitzen und dann ging es einigermaßen gut.
„Wir wissen, dass du mit der ganzen Sache nichts zu tun hast. Du kannst nur hier sein in der Zeit im Raum, auch dieser Raum ist nicht ohne Zeit. Du bist nicht ohne Zeit. Wer bist du?“, sagte einer Stimme und M. Knebel wurde ihm vorsichtig aus seinem Mund entfernt. Eine warme Hand strich liebevoll über seine Haare. Er bekam eine Gänsehaut.

„Was soll die Scheiße. Was wollt ihr von mir. Ihr Idioten. Was für eine Zeitsache?“ M. Halskette rutschte fast von seinem Hals, so aufgebracht war er. Seine Halsschlagader pulsierte, sein Kopf stand kurz vor dem zerbersten.

„Mein Gott, wir haben dich aus diesem Wagen geholt. Das war eine verdammt gute Inszenierung!“

„Ich erinnere mich daran, dass ich den Wagen verlassen hatte und dass es regnete. Ich glaube danach habe ich mich schrecklich übergeben und mir fast in die Hose geschissen“

„Du bist ganz durcheinander. Bitte bringt, dem armen Sünder etwas zu trinken, ein Handtuch und frische Kleidung. Achtet besonders auf seine Füße. Die müssen trocken sein, die müssen trocken sein“

„Seid ihr von der Polizei?“

„Nein verdammt, die gibt es hier nicht. Das, was du gesehen hast, das waren nur Kostüme!“
Jemand kam und reichte M. Wasser und frische Kleidung. Komisch war, dass M. mit einem Handtuch trocken gerubbelt wurde. Ganz gründlich. Das Handtuch fühlte sich weich und warm an. War das nicht etwas übertrieben, dachte M.

„Weshalb ist das alles hier so kaputt?“. M wusste nicht, weshalb er genau das fragte.

„Es ist kaputt, es war kaputt. Ganz egal, wie du das siehst. Es bleibt alles so, wie es ist. Und glaube nicht, dass du irgendwie auserwählt bist. Du hast Glück gehabt, dass wir Lust darauf hatten, so eine Show abzuziehen. Auch wir haben Feinde, die keine sind. Ach vielleicht doch, sorry!“

M. wurde ein Stapel mit Formularen gereicht. Selbst an diesem menschenleeren, gottverlassenen Ort herrschte noch ein gewisses Maß an Bürokratie.

„Ah, soll ich das ausfüllen. Ich habe keinen Stift!“

„Ja, bitte, alles ausfüllen. Fragen bitte direkt an mich. Du hast 20 min!“. Jemand reichte M. einen langen Füller. Die Tinte war gelb. M. überflog alle Formulare. Er stand auf. „Bei Jesus, setzt dich wieder hin“ sagte eine leise Frauen Stimme. Zu dieser Zeit herrschte ein fast grenzenloser Verkehr im Kino. Wer waren diese Menschen. M. verstand nicht.
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