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Sonstiges Gedichte und Experimentelles Diverse Gedichte mit unklarem Thema sowie Experimentelles.

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Alt 17.06.2007, 11:06   #1
Arno
 
Dabei seit: 04/2007
Beiträge: 224

Standard Ihr seid das Volk

Ihr seid das Volk

Ihr, das Volk, denkt:
Wir sind die
Ohn_____mächtigen.
Wir können nichts ändern.
Die Weichen sind gestellt.
Unser Schicksal
entscheiden andere.
Wir können nur die Fäuste
in den Taschen ballen.

Bedenkt aber:
Die Mächtigen sind
mächtig nur,
wenn ihr euch
ent_____mächtigen
lasst.
Ihr
seid das Volk.
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Alt 17.06.2007, 12:16   #2
Jeanny
 
Dabei seit: 04/2007
Beiträge: 660

Standard RE: Ihr seid das Volk

Hallo Arno,
diese These gab es schon oft und ist doch immer
wieder wahr und wichtig für die, die noch hinhören.
Aber wer hört noch hin wenn die Macht längst nicht mehr
den wirklich "Mächtig" seienden gehört`?
Liebe Grüße Jeanny
Jeanny ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.06.2007, 20:42   #3
weiblich ravna
 
Benutzerbild von ravna
 
Dabei seit: 04/2005
Ort: Berlin
Alter: 38
Beiträge: 732

Standard RE: Ihr seid das Volk

Hallo Arno,

ich habe mit deinem Gedicht mehrere Schwierigkeiten.
Die erste Verwirrung bei mir ist die Distanzhaltung des lyr. Subjektes: es inkludiert sich zwar in S2 (oder auch nicht, wenn man von einem reinen Gedanken-Zitat des "Volkes" ausgeht), spricht ansonsten jedoch aus einer anderen Stellung zum "Volk", ein Widerspruch der sich für mich nicht ganz mit dem Text decken will: ein -nehmen wir mal an- intellektuell erhöhtes Subjekt spricht hier zu einer Masse von Subjekten, welche es als "Volk" bezeichnet (erinnert ein wenig an Brecht, welcher an diesem Vorhaben so grandios gescheitert ist) und versucht diese Menschen davon zu überzeugen, dass sie die Fähigkeit hätten, die Macht in sich zu kanalisieren anstatt sie bei den "Mächtigen", d.h. den Personen/Institutionen in welchen die Macht schein-manifest wurde, zu belassen. Wie also verhält sich das lyr. Subjekt zu den Adressaten? Ist es eines dieser Bildungsbürgerkinder, welches mit dem Proletariat sympathisiert, weil es ein bisschen Marx gelesen hat? Ist es ein Sprecher aus dem Proletariat, welcher auf wundersame Weise das Konstrukt 'Gesellschaft' entschlüsselt hat und nun zur Dekonstruktion bereit ist? Ist es eine Art höhere Eingebung?

Mein zweites Problem ist der sprachliche Stil des Textes: Schon in S1 müsste der Konjunktiv stehen, damit das Ganze Sinn ergibt ("Ihr, das Volk, denkt, / ihr wäret / ..."). S2 schließt etwas unglücklich an S1 an, wie oben bereits erwähnt vermute ich hier ein Gedanken-Zitat des Volkes. Dabei dürfte es sich allerdings bei dem "ihr seid ohnmächtig" auch schon handeln. Insofern fände ich es angebrachter, würdest du entweder den Doppelpunkt hinter das "denkt" setzen oder wahlweise S2 auch in der "ihr" - Form handhaben, dann könnte der Doppelpunkt bleiben wo er ist, denn er würde quasi die Definition der Ohn-Mächtigkeit darstellen (was ich präferieren würde).

Die dritte Anmerkung ist ein stilistisches Problem mit der Darstellung von ohn-mächtig und ent-mächtigen. Hier fände ich einen parallelen Aufbau deutlich stärker, mein Vorschlag wäre, S1 zu ändern in: 'Ihr, das Volk, denkt, / ihr wäret die / Ohn_____mächtigen:').

Als eine leichte sprachliche Inkohärenz empfinde ich die Satzstellung in S3, welche recht antiquiert wirkt, was ich wiederum nicht mit den intendierten Adressaten verbinden kann.

S4 finde ich ebenfalls etwas misslungen, ich frage mich, ob diese Wiederholung des Titels nötig ist und, wenn ja, ob er dann so zerhackstückelt werden muss. So wie es da steht hat das nämlich etwas von einem Menschen, welcher während er brüllt "Wir sind das Volk" nach jedem Wort geohrfeigt wird.

Achja, bevor ich's vergesse: S2, die letzen zwei Zeilen - hier fände ich es gelungener, würdest du die Taschen äquivalent zu den Fäusten ins Plurals setzen, alle Fäuste in eine Tasche hat zwar vom Bildgehalt etwas, passt aber mE nicht in den Text.

Lieben Gruß,
Ravna
ravna ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.06.2007, 08:11   #4
Arno
 
Dabei seit: 04/2007
Beiträge: 224

@ravna:

Vielen Dank für deine ausführliche Kritik. Du nennst viele überlegenswerte Dinge, und ich werde das Gedicht auch sicherlich
noch revidieren.
Zum wichtigsten Punkt:
Ich hatte mir auch die Alternative überlegt, einen "Wir"-Sprecher
zu wählen. Dann wäre das Volk Sprecher des Gedichts.
Es würde dann so lauten: "Wir, das Volk denken, wir sind (oder wären) ohnmächtig."
Dann müsste es aber weiter heißen: "Lasst uns aber bedenken..." usw.
Hinter der letzten Aussage stünde versteckt wieder ein einzelner, isolierter Sprecher, der den Irrtum des Volkes aufdeckt.
Ein kollektiver Sprecher kann schlecht den Irrtum des Kollektivs, also den eigenen Irrtum, aufdecken, das ist unlogisch.

So habe ich von Anfang an einen Sprecher gewählt, der das Volk anspricht, sich also in gewisser Distanz zum Volk befindet (aber sich mit dem Volk solidarisiert).
Man muss sich den Sprecher vielleicht nicht als konkrete Figur vorstellen, sondern als „Stimme der emanzipatorischen Vernunft“ .


Mein zweites Problem ist der sprachliche Stil des Textes: Schon in S1 müsste der Konjunktiv stehen, damit das Ganze Sinn ergibt ("Ihr, das Volk, denkt, / ihr wäret / ...").

Die Kritik ist berechtigt. Mir ist aber noch eine weitere Möglichkeit eingefallen.
Ich lasse das ‚Gedankenzitat’ des Volkes bereits nach „denkt“ in der Wir-Form beginnen. Damit würden Str. 1 und 2 zusammengezogen.

Die dritte Anmerkung ist ein stilistisches Problem mit der Darstellung von ohn-mächtig und ent-mächtigen. Hier fände ich einen parallelen Aufbau deutlich stärker, mein Vorschlag wäre, S1 zu ändern in: 'Ihr, das Volk, denkt, / ihr wäret die / Ohn_____mächtigen:').

Gut, wird übernommen.;-)

Als eine leichte sprachliche Inkohärenz empfinde ich die Satzstellung in S3, welche recht antiquiert wirkt, was ich wiederum nicht mit den intendierten Adressaten verbinden kann.

Die „antiquierte“ Satzstellung würde ich gerne so lassen, die Aussage erhält dadurch eine besondere Nachdrücklichkeit. Die Alternative („Die Mächtigen sind nur mächtig, wenn“) erscheint mir zu lapidar.

S4 finde ich ebenfalls etwas misslungen, ich frage mich, ob diese Wiederholung des Titels nötig ist und, wenn ja, ob er dann so zerhackstückelt werden muss. So wie es da steht hat das nämlich etwas von einem Menschen, welcher während er brüllt "Wir sind das Volk" nach jedem Wort geohrfeigt wird.

Ich habe mir eher vorgestellt, dass nach jedem Wort von „Wir sind das Volk“ mit der Faust auf den Tisch gehauen wird. ;-)
Folgende Variante könnte ich mir auch vorstellen:
Ihr
seid das Volk.

Damit würde noch einmal „Ihr“ betont.

Achja, bevor ich's vergesse: S2, die letzen zwei Zeilen - hier fände ich es gelungener, würdest du die Taschen äquivalent zu den Fäusten ins Plurals setzen, alle Fäuste in eine Tasche hat zwar vom Bildgehalt etwas, passt aber mE nicht in den Text.

Ja, wird übernommen.

Es ergibt sich folgende Fassung:

Ihr seid das Volk

Ihr, das Volk, denkt:
Wir sind die
Ohn_____mächtigen.
Wir können nichts ändern.
Die Weichen sind gestellt.
Unser Schicksal
entscheiden andere.
Wir können nur die Fäuste
in den Taschen ballen.

Bedenkt aber:
Die Mächtigen sind
mächtig nur,
wenn ihr euch
ent_____mächtigen
lasst.
Ihr
seid das Volk.



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Zusammengefügt von jule
Arno ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.06.2007, 14:58   #5
weiblich ravna
 
Benutzerbild von ravna
 
Dabei seit: 04/2005
Ort: Berlin
Alter: 38
Beiträge: 732

Hallo Arno,

sieht gut aus, so, die Änderung der letzten Zeile finde ich annehmbar, auch wenn für mich die Frage nach ihrer Notwendigkeit bestehen bleibt.
Noch zwei Überlegungen, welche ich angestellt haben:

1."Über unser Schicksal / entscheiden andere."

hier habe ich überlegt, ob es nicht eine bedrohlichere Formulierung wäre, das "über" zu streichen, denn dann ist es nicht mehr, das Schicksal, welches von anderen entschieden wird iS eines Fremdeingriffes, sondern das Entreißen des Schicksals, also kein "Du musst dies und das machen" sondern ein "Du hast keine anderen Optionen, als dies und das zu tun".

2. Fände ich es schöner, wenn du den dritten Doppelpunkt durch ein "-" ersetzt, da die zwei anderen Doppelpunkte Gedankengänge makieren, das letzte jedoch eine differenzierte Meinungsäußerung darstellt, welche ein Streben nach Veränderung makiert, welche nicht in den Köpfen bleiben soll / kann / darf / wird. Alternativ könntest du auch die beiden anderen Doppelpunkte in Kommata ändern und den letzten lassen.

Nochmals Grüße,
Ravna
ravna ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.06.2007, 15:15   #6
Arno
 
Dabei seit: 04/2007
Beiträge: 224

Zitat:
Original von ravna
1."Über unser Schicksal / entscheiden andere."

hier habe ich überlegt, ob es nicht eine bedrohlichere Formulierung wäre, das "über" zu streichen, denn dann ist es nicht mehr, das Schicksal, welches von anderen entschieden wird iS eines Fremdeingriffes, sondern das Entreißen des Schicksals, also kein "Du musst dies und das machen" sondern ein "Du hast keine anderen Optionen, als dies und das zu tun".

Hm, es sieht so aus, dass es eine Arno-ravna-Koproduktion wird.;-)
Deine Ideen sind gut. Ja, du hast Recht. Ein guter Vorschlag.

Zitat:
2. Fände ich es schöner, wenn du den dritten Doppelpunkt durch ein "-" ersetzt, da die zwei anderen Doppelpunkte Gedankengänge makieren, das letzte jedoch eine differenzierte Meinungsäußerung darstellt, welche ein Streben nach Veränderung makiert, welche nicht in den Köpfen bleiben soll / kann / darf / wird. Alternativ könntest du auch die beiden anderen Doppelpunkte in Kommata ändern und den letzten lassen.
Mit dem Schluss hadere ich auch.
Die ersten beiden Doppelpunkte möchte ich auf jeden Fall so lassen, da sich dann auch eine schöne Klammer ergibt: "Ihr...denkt:" und "Bedenkt aber:".
Eventuell werde ich die letzten Verse an die zweite Str. fügen.

@ravna: Die jetzige VErsion siehe im vorherigen Beitrag.
Ich denke, so lasse ich's.
Arno ist offline   Mit Zitat antworten
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