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18.05.2021, 10:47 | #1 |
Dabei seit: 05/2021
Ort: OFW
Beiträge: 3
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Mediterranes Idyll
Reisetagebucheintrag, unzensiert.
Sachte tropfe etwas Regenwasser in den Räumen nebenan auf die Ziegelsteine am Boden. Das gelblich- violette Licht der Warmfrontwolkendecke strahlt zwischen den halbvermoderten Holzplatten die als Fensterersatz dienen. Draussen in einiger Entfernung tönen leise Fahrzeuge auf der Strasse hinter dem Eukalyptuswäldchen und in der alten Fabrikhalle in der Nähe arbeitet man etwas. Im Ofen, aus Ziegelsteinen und vorhin schnell gebaut, brennt ein schön wärmendes und trocknendes Kiefernzweigfeuer und die Flammen knattern leise während daneben im rußgeschwärzten Chinastahltopf der Kaffee dampft. Einige bunte Zeichnungen und Namen schmücken die sonst weißen Wände. Der Boden ist schön orientalisch gemustert und gekachelt und auf der ebenfalls vollständig bunt gekachelten Terrasse mit den Säulen sitzen die Freunde; ein paar junge Spanier, und rauchen. Leise spanische Stimmchen in der Stadt; sonst hört man nur ab und zu eine Taube singen oder einen mediterranen Hund leise bellen. Die feuchtwarme Meeresluft duftet stark nach Kiefernharz und honigsüßen und subtropischen Frühlingsblumen. Das Haus wird bereits seit Jahrzehnten von Sonne und Wind gereinigt. Viel fehlt ihm nicht und es ist eine wunderbare Villa im orientalischen Stil mit einem parkähnlichen Garten wo große Eukalyptus und knorrige uralte Kiefern sowie Johannisbrotbäume wachsen. Dazwischen blühen violett der Rosmarin und Thymian im weichen Frühlingsgras und der saubere Sandboden ist von duftenden, wärmenden und desinfizierenden Kiefernnadeln zugedeckt. Zerbrochene Mauern, rostige Nägel und etwas sauberer Müll ändern nichts an der Tatsache das auch dieser Moment nichts als Paradies in einer weiteren Variante ist. Häuser sind Fallen, vor allem wenn sie nicht von Wind und Sonne gereinigt wurden. Nur ein Haus dessen Türe immer offen ist, betrete ich. Spuren der Menschen die vor mir hier waren sind Momentaufnahmen ihres Zustandes. Geschriebene Worte an den Wänden und in altersfleckigen Papierstapeln der Vergangenheit; Zeichnungen, Kunstwerke, Kleidung, versteinerte Essensreste, alte Bilder, Photos, Gutes und Ungutes liegen verstreut und teils noch geordnet. Das Leben der Hausbewohner bleibt für mich bruchstückhaft doch ich durfte als erster diesen Ort unbeschwert bewohnen. Wandzeichnungen von den Menschen vor mir, sonst sind ihre Spuren eher unzentriert und unorganisiert. Was wohnt im Zentrum des Chaos? Wer ist sein Gegenteil? Wessen Welt ist größer und mächtiger? Spuren von Leben. Abgenutzte Hölzer, Besteck, Werkzeuge, Uraltes und fast Neues. Ich bin nur in Häusern in denen auch die Vögel wohnen. Ein Haus ohne freie Vögel oder Gewächse darin ist mir eine Falle, ein Grab. Ein dicht verschlossenes Haus ist eine Gruft. Nur das Haus dessen Wände der Horizont und dessen Dach das Firmament ist, gefällt mir und langeweilt mich nicht. Entspricht meiner Seelengröße wie ein Paar Schuhe. Häuser an Stellen wo das Wasser wohnt, meide ich. Je höher, je trockener, je sonniger, desto besser. Wer Wohnraum mietet oder besitzt, verliert das Hausrecht am Rest der Welt der mir und einigen weiteren Königen in diesem Sinne, gehört. Dies hast Du unterschrieben und jenes steht in Deinem Pass. Das duftende Kiefernholz knistert im Feuer, der harzhaltige gelbviolette Rauch hat die weiße Wand etwas eingefärbt und eine letzte undichte Stelle im Haus tropft sich aus, lange nach dem letzten warmen Regenschauer draußen. Wie winzige Schneeflocken schweben Ascheteilchen in der Luft. Atmen, Knistern, Kritzeln und Tropfen bilden die Klangkulisse. Das Holz im Feuer duftet süß aromatisch wie Räucherstäbchen und einige Eukalyptusblätter sowie lange Kiefernnadeln haben den Weg ins Haus gefunden und bedecken den Boden nebst Mauerbruchstücken, bedecken den ockerroten Sandboden draußen. Etwas unterhalb im Park steht ein großer, aromatischer Lorbeerbusch ind im feinen spanischen Frühlingsgras davor blühen blauviolette, riesige Lilien. Die Nacht ist dämpfig und mild, die Luft steht still und bis auf die jungen Spanier, eine Katze und die Tauben war niemand da heute. Ein Paradies das sich beliebig oft in beliebig vielen Varianten wiederholt. Leben ohne Elektrizität. Die Kulissen dazu variieren von postapokalyptisch romantisch bis paradiesisch exotisch. Mit einigen schrillen Sprenkeln moderner Zivilisation als krasser Kontrast. Die Schauspierler sind heimgegangen, die Kulissen stehen erwartungsvoll leer, die Geckos im Haus beobachten alles genauestens und oft viele Stunden regungslos getarnt an Wänden und Decken. Nachts singt das Käuzchen in seinem alten Baum am Berghang nebenan. Orangeviolett pulsiert die Glut in der Feuerstelle die vielleicht einmal ein Schlafzimmer oder Schreibbüro war. geschrieben am 09.April 2021 irgendwo in Spanien. |
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