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Alt 08.04.2013, 19:53   #1
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Standard Elena. Oder: Wie der Teufel meine Seele rettete.

Bei folgendem Text handelt es sich um einen Deutschaufsatz, den ich innerhalb von drei Stunden schreiben durfte. Die Aufgabenstellung war, eine Fortsetzung zu drei Träumen aus der Traum- und Erinnerungssammlung "Nilpferde unter dem Haus" von Hansjörg Schneider in Form einer Kurzgeschichte zu erstellen. Leider kann ich die genaue Aufgabenstellung und die drei vorgegebenen Träume, an denen ich mich stilistisch orientieren musste, hier nicht präsentieren, da ich diese nur analog besitze. Ich hoffe, meine Geschichte ist trotzdem einigermassen lesbar und verständlich, auch wenn der genauere Kontext fehlt...

Jedenfalls: Viel Spass beim Lesen und Rückmeldungen schreiben



Todtnauberg, 16. 5. 2008
Traum


Ich muss es erneut versuchen. Ich weiss, dass ich das Schliessfach finden muss, denn darin ist etwas versteckt. Irgendetwas überaus mächtiges. Ich muss es für Willy F. Holen – und auch für mich. Obwohl ich mir der Bedeutung dieses Gegenstandes nicht sicher bin, zieht es mich zu ihm hin. Ich sehe vor mir die alte Garagenhalle, aber ich kann sie nicht erreichen. Überall nur Dunkelheit: Über mir, in mir, um mich herum. Mir fehlt die Orientierung, ich taste. Dann höre ich Willy F.'s Stimme, ganz nahe an meinem Ohr: „Warum öffnest du nicht deine Augen?“, flüstert es. Verblüfft befolge ich die Anweisung und finde mich wieder in einer unendlichen, schneebedeckten Ebene. Der Wind bläst rau über meine Wangen, doch woher er kommt, erschliesst sich mir nicht. Ich wende meinen Blick nach allen Seiten, suche nach Bergen, Tälern, irgendeinem Anhaltspunkt. Doch da ist nichts, nur eine unendliche, flache, glitzernde Ebene. Auch der Himmel ist unangenehm hell und wolkenlos. Keine Sonne, keine Sterne – das Licht scheint von allen Seiten gleichzeitig zu kommen. Warum ist hier nichts mehr? Plötzlich ein Gedanke: Die Berge sind weggerutscht – die Häuser abgerissen. So muss sich Einsamkeit anfühlen. Mir bleibt nichts Anderes übrig: Ich grabe. Mit den Händen versuche ich, ein Loch in den Schnee zu buddeln, doch der Wind bläst stetig über die Ebene und zerstört immer wieder mein Werk – wie von einer mächtigen Hand gelenkt, befördert er den Schnee zurück in das Loch. So kann ich nicht weiterkommen. Ich blicke noch einmal um mich, doch nirgends kann ich einen Anhaltspunkt ausmachen. Schliesslich wandere ich einfach in eine Richtung los und während ich wandere, pfeife ich eine mir unbekannte, tief-melancholische Melodie. Stundenlang wandere ich weiter und die Leere wandert mit mir. Die Melodie ist schon lange zu bitterlichem Schluchzen verkommen und meine Tränen nässen den Schnee. Ich bin gefangen. Worin? In einem Traum? In mir selbst? Öffne die Augen. – Um dadurch was zu sehen? Völlig ermattet lege ich mich in den Schnee und schlafe ein. Als ich meine Augen zum zweiten Mal öffne, ist alles verändert. Ich bin nackt. Ich schwimme. Wasser in mir, Wasser um mich herum. Schockiert schnappe ich nach Luft – und atme ganz normal. Ich schwebe in einem unendlichen Ozean und merke, dass es keine Schwerkraft gibt. Ich falle nicht. Und wenn ich versuche, zu schwimmen, bewegt sich das Wasser mit mir. So komme ich nicht weiter. Ich schliesse die Augen und schlafe erneut ein. Als ich meine Augen zum dritten Mal öffne, entfährt mir ein Schrei. Kein verzweifelter Schrei – ein Schrei der Erleichterung. Wieder schwebe ich – nein, ich fliege! Und über mir und um mich herum: Luft. Und unter mir: Die Berge! Der See! Die grünen Landschaften und die kleinen Städtchen – Meine Heimat. Und wie ich mich dem Boden annähere, auch die Garagenhalle. Und vor ihr, mir zuwinkend: Willy F. „Endlich bist du gekommen!“, ruft er. „Ich wusste, dass du das schaffen kannst! Jetzt aber schnell, die Zeit wird knapp!“ Bevor ich etwas erwidern kann, bläst mich ein heftiger Windstoss durch das monströse Tor der Halle, welches sich sogleich mit einem lauten Knall schliesst. Wieder bin ich in der Dunkelheit. Über mir, unter mir, um mich herum. In mir? – Nein! In mir fühle ich eine ungewohnte Wärme. Ja, ich kann das schaffen, ich kann das Schliessfach finden! Voller Enthusiasmus taste ich mich voran, entlang den Bänken und Regalen und grossen, metallenen Objekten, die ich beim Eintritt kurz erblicken konnte. Bis ich auf eine Treppe stosse, die in die Tiefe führt. Ich folge ihr hinunter und versuche, die Tritte zu zählen. Hunderte, tausende Tritte. Und je tiefer ich hinuntersteige, desto wärmer wird es. Bis ich nach etwa 20'000 Tritten auf einem erdigen Untergrund zu stehen komme. Noch immer ist es sehr dunkel. Die einzige Lichtquelle ist der Boden selbst, der ganz schwach zu pulsieren scheint – ein rötliches Licht aus der Tiefe. Ich taste den Wänden entlang und entdecke einen Gang, der, weiterhin sanft abfallend, in die Tiefe führt. Je weiter ich ihm folge, desto wärmer wird die Erde und das rötliche Pulsieren wird stärker. Schliesslich endet der Gang und vor mir öffnet sich eine Grotte von unermesslicher Grösse. Wie ganze Gebirgszüge ragen Stalagmiten vom Boden in die Höhe, geformt von Jahrtausenden tropfenden Wassers. Ich richte meinen Blick in die Höhe, doch ich kann keine Decke ausmachen. In der Ferne erblicke ich den Ursprung des Leuchtens: Ein gigantischer See aus Lava. Und inmitten des Sees: Eine Erhebung. Und wie ich näherkomme erblicke ich, auf dem Hügel stehend, mit erwartungsvollem Blick: Willy F.! Ich bin in der Hölle. „Ganz genau, mein Lieber. Oder, um es genau zu nehmen: Im Fegefeuer.“ Irgendwie hab ich das erwartet. Und was tu ich hier? „Du bist hier, weil du ein Verbrechen begangen hast.“ Ich erinnere mich schleierhaft. Eine dunkle Vergangenheit, für die ich nichts kann. Ein gefährliches Geheimnis, in das ich wegen meiner Gutmütigkeit hineingeschlittert bin. „Ein Geheimnis, an welches du jede Erinnerung verlieren musstest, nachdem du es preisgegeben hast!" Er starrt mich mit seinen funkelnden Augen an. Trotzig starre ich zurück. Das ist alles nur ein Traum. Ich muss einfach nur meine Augen schliessen, um aufzuwachen. „Falsch! Zuerst musst du meinen Auftrag erfüllen! Du weisst, wovon ich spreche.“ Ich weiss, wovon er spricht. Neben ihm steht ein Schrank mit einem einzigen Schliessfach. Und in dem Schliessfach befindet sich die Antwort. Zwischen mir und der Antwort: Ein Lavasee und auf dem Hügel mit dem Schliessfach: Der Teufel. Ohne weiter nachzudenken, werfe ich mich in die glühende Lava und beginne, mit den Armen zu rudern. Ich war in der Dunkelheit, im unendlichen Weiss, im weiten Ozean – dann werde ich auch das schaffen! Die Lava ist höllisch heiss. Ich erreiche trotzdem den Hügel, erklimme ihn. Stelle mich dem Teufel Willy F. mit seinen lodernden Augen gegenüber. Ich öffne das Schliessfach. Spüre des Teufels Blick auf meiner Schulter. In dem Schliessfach liegt ein gefalteter Zettel. Auf dem Zettel steht ein Name. Elena. „Sie war es, die wegen dir sterben musste. Und jetzt sollst du dafür büssen.“ Er hält mir ein Messer hin. Es ist nur ein Traum. Gehorsam ergreife ich das Messer und steche es in meine Brust. Mit schnellen, kraftvollen Bewegungen öffne ich die Haut, zersteche meinen linken Lungenflügel und reisse nacheinander den Magen, die Leber, das Herz hinaus. Diese lege ich in das Schliessfach. Die Schmerzen werden bald vorbei sein. Wie ich mich dem Teufel wieder zuwenden will, ist er verschwunden. Stattdessen erblicke ich Elena. Sie schenkt mir einen flehenden Blick und ein Lächeln. Dann ist alles vorbei.

Heute Morgen bin ich mit einem rasenden Pochen in der Brust aufgewacht. Mein Bett war schweissgetränkt und meine Beine waren müde, wie nach einer tausendjährigen Wanderung. Nervös blickte ich um mich, doch ich war zuhause. Erst, als ich mir den Schweiss von der Stirne wischen wollte, bemerkte ich das gefaltete Zettelchen in meiner Hand. Darauf stand, in rot geschrieben, ein Name: Elena.

Und ich wusste, dass der Traum endlich vorbei war.
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