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Alt 03.11.2012, 16:17   #1
weiblich Tony97
 
Dabei seit: 08/2012
Alter: 26
Beiträge: 30

Standard Manchmal muss es Alfred sein

Nun stehe ich hier, mit meinen andauernd wechselnden Temperaturschwankungen, von senkender Hitze zur Reise in die Antarktis, warte schon eine geschlagene halbe Stunde auf ein verflixtes Taxi, oder die Bürgerbusse, wie sie sie hier nennen und meine Füßen beschweren sich, dass sie mein Übergewicht nicht länger tragen wollen. Meine Stimmung ist also in Bestform und ich weiß, oder besser erahne, dass es noch besser kommen wird. Ich bin hier, weil mir mein Hausarzt geraten hatte, eine Pause
in meinem Leben zu machen und zu verreisen, denn das würde, was seine Überzeugung war, meinem Körper und meiner Seele sehr wohl tun. Diese Idee hatte ich zuerst nicht besonders prickelnd gefunden, denn ich verreiste so gut wie gar nicht. Das letzte Mal, als ich verreist war,
war mit meiner damaligen Freundin nach dem Studium gewesen, das war nun auch schon über 20 Jahre her und es war nicht besonders mit schönen Erinnerungen verbunden. Und dann war da noch der Umstand, dass Wasser nicht so besonders mein Ding ist. Genau genommen habe ich Angst, panische Angst vor Wasser, das mir höher geht als bis zu meinen Knien, denn ich kann nicht schwimmen. Ich weiß, das ist furchtbar peinlich, ein erwachsener Mann der nicht schwimmen kann, doch früher hatte ich mich
immer vor dem Schwimmunterricht gedrückt und danach war es mir zu peinlich gewesen das Seepferdchen zu machen, mit all den kleinen 5 und 6jährigen, die im Wasser tollen, wie wildgewordene Haifische. Nun ja, ich weiß gar nicht mehr genau, wie mein Hausarzt mich überreden konnte, doch jetzt stehe ich hier und bereue es zu tiefst. Das Reisen ist
einfach nur ansträngend und meine Nerven sind bereits zum überreißen gespannt, ich verstehe die Leute nicht, die sich in all dem so wohl fühlen können. Mich freut es dagegen lieber zu Hause zu sein, in meinen 4 Wänden, mit all dem vertrauten und gewohnten Sachen um mich herum. Oder ich gehe in meinem Beruf auf, in einer Anstalt geistlich verstörten Menschen in die Seele zu blicken. Das Analysieren von Menschen ist mein sechster Sinn und so gut ausgeprägt wie die Nase eines Spürhundes von der Polizei. Jetzt hier zum Beispiel am Treffpunkt von was- weiß- Gott- wo,
konnte ich mit einem Blick sagen, was das für Menschen waren. An sogenannten Touristenorten gab es immer die Japaner, die alles und jeden, selbst Kaugummis und Vogeldreck fotografieren, mit diesem lächelnden „hoi, hoi“. Dann die auseinander reißenden Familien, wo die Eltern versuchten mit einem Urlaub, alles ganz normal aussehen zu lassen, dabei
wissen die dauernd Musik hörenden Kinder, das die Ehe in die Brüche geht und wollen einfach nur verschwinden. Und dann die allerschlimmsten unter ihnen. Die alleinstehenden alten Damen, die jeden wegen belanglosem versuchen anzuquatschen, nur damit sie sich anderen mitteilen können. Meistens noch, mit einem Queen Elisabeth Outfit und Spitzenhandschuhen, drei Trollies und einem kleinen kläffenden Quälgeist.
So ein Exemplar steht nicht weit entfernt von mir, das sich suchend nach seinem nächsten unschuldigen Opfer umschaut. Ich versuche noch, mich weg zu drehen, doch da ist es schon zu spät. Sie hat mich entdeckt. Die alte Dame kommt geradewegs auf mich zu, da hält direkt vor meiner Nase einer der Bürgerbusse und als sich die Tür öffnet steigt eine Rauchwolke voll Zigarettenrauch aus dem Bus heraus. Wie aus einem
Gangsterfilm nimmt der Mitte 50jährige Fahrer langsam wie bedeutend seine unnütze Sonnenbrille ab und lächelt uns mit einem etwas abschreckenden Zähne fletschen entgegen, das jedem Zahnarzt Albträume bescheren würde. Ich überlege einen Moment, was schlimmer ist, in diesen Bürgerbus zu steigen, oder auf den nächsten zu warten und große Gefahr an zu laufen, von der alten Dame totgequatscht zu werden. Nachdem ich mich vergewissere, dass die Dame hier nicht einsteigen wird, helfe ich dem Fahrer meine Koffer hinein zu hieven. Obwohl schmeißen
ein besserer Ausdruck dafür ist, was dieser Mann dort mit meinen Sachen tut. Nachdem alle mehr oder weniger gemütlich in den Bürgerbus eingestiegen sind, kann es endlich losgehen. Sie sind alle ganz aufgeregt und haben sich viel zu erzählen, dabei fängt der Urlaub gerade erst an.
Ein Umstand, den ich wegen meines so geliebten Schweigens nicht verstehen kann und werde. Der Bus setzt sich nach ein paar seltsamen Willkommensgrüßen vom Gansterbusfahrer in Bewegung. Ich schaue aus dem Fenster und bewundere die Landschaft, lasse es aber gleich, nachdem ich den Fahrstil des Gansterbusfahrers feststelle, sein. Allein nach den ersten Minuten fahrt ist mir übel, und ich bin nicht der Einzige. Die heitere Stimmung im Bus ist geplatzt wie eine Luftblase und die ersten stoßen flehende Gebete gegen Himmel, dass sie heil und unversehrt ankommen mögen.
Ein kleines Kind, das auf dem Schoß seiner Mutter sitzt, fängt an zu quengeln und eine andere Dame, komplett in Pink, versucht ihren kleinen Dackel zu beruhigen, der einen ganz gequälten Gesichtsausdruck macht, was nicht zu verdenken ist, mit seinen Rosa Schleifchen im Fell und dem passenden pinken Outfit zu seiner Besitzerin, die gleich ganz Paris Hilton tut und den Ruf aller blonden Frauen auf unterste Niveau runterstuft.
Als eine der Bürgerbusinsassen sich wagt, den Gansterbusfahrer zu bitten, langsamer und bedächtiger zu fahren, zeigt er sich seltsamerweise ganz verständlich, hat es aber spätestens nach 2 Minuten wieder vergessen. Man kann sein Gehirn richtig denken hören, mit einem knackenden Rauschen, wie zwischen den Radiosendern. Es quietscht jedes Mal, ganz fürchterlich, wenn er mit seinem Fuß abwechselnd aufs Gaspedal und die Bremse drückt, und das in einem Stopp and go! Man könnte das Gefühl bekommen, dass er wirklich aus einem Actionfilm stammt, aber der Böse von der Mafia ist, mit seiner nicht vorhanden Hygiene und den klimpernden Goldkettchen. Der gerade verfolgt wird und nun in einem Affenzahn zwischen den Autos hindurch flitzt. Aus reiner Panik drehe ich mich um, um hinter
uns aus dem Busfenster, nach heulenden Polizeiautos Ausschau zu halten. Doch es ist keine Hilfe in Sicht. Schweren Herzens drehe ich mich wieder um und mein Kopf schnellt nach vorne, als der Gangsterbusfahrer die nächste Vollbremsung macht. Es ist mir ein Rätzel wie er damals den Führerschein geschafft haben soll oder wieso er ihn jetzt noch hat.
Irgendwie bin ich heile an meinem Hotel angekommen, zwar habe ich Kopfweh und es dreht sich alles noch ein bisschen, aber ich habe
keinen Hirntrauma oder einen Schädelbasisbruch. Froh darüber endlich weg von diesem Gansterbusfahrer zu sein, betrete ich die Rezeption des Hotels „ Wiesental“. An der Theke sitzt eine Frau in einem schwarz-weißen Dress Code und telefoniert ganz entspannt und ausgelassen. Sie hat sich in ihrem Stuhl zurück gelehnt und bemerkt mich nicht einmal, als ich mich räuspere. Die Stimme auf der anderen Seite ist so laut, dass ich fast alles mitbekomme, und genau weiß, dass das kein geschäftliches Telefongespräch ist. Ich bekomme mehr mit, als ich eigentlich will und nachdem sie das Telefongespräch beendet hat, weiß ich, dass ihre Freundin Tina gleich ein Date hat, vor dem Spiegel steht und nicht weiß was sie anziehen soll und von dem netten Lächeln und dem gut geformten Körper des Mannes schwärmt. Die Rezeptionistin wendet sich nun mir zu und fragt ganz höflich,
ob sie mir helfen könne. So ganz sicher bin ich mir nicht mehr, doch ich versuche es. Ich sage ihr, dass ich ein Einzelzimmer gebucht hatte, im Erdgeschoss, damit ich keine Treppen steigen muss. Sofort
macht sie sich daran, mit ihren überdimensionalen Fingernägeln, die die Farbe von einem neongrün besitzen auf die Tastatur ihres Computers zu hauen. Nach einem Blick in die Register meint sie entschuldigend, dass der Gast, der im Moment noch in diesem Zimmer ist, noch nicht ausgecheckt hat und das Zimmer somit noch nicht frei sei. Großzügig bietet sie an, mir schon einmal das Gepäck ab zu nehmen, damit ich mich im Salon solange entspannen kann, während sie Kontakt, das klingt so, als würde sie Funkwellen ins Weltall senden, mit dem Gast aufnehmen würde. Ich erkläre mich missmutig einverstanden da ich ja sowieso keine andere Wahl
habe und lass mir beschreiben, wie ich zum Salon komme. Im Salon angekommen setzte ich mich erst einmal auf das Sofa und hebe meine schimpfenden Füße in die Höhe, dass mir ein selbstzufriedenes stöhnen entlockt. Atem holend schließe ich die Augen und versuche mich nicht auf zu regen, umsonst. Ich koche. Ich sollte unbedingt den
Hausarzt wechseln, denke ich. Da könnte jetzt mir nicht einmal mehr ein Long Island Icetea helfen und zwar einer mit extra viel Alkohol.
Ich versuche es allerdings trotzdem, bestelle mir einen, nehme ihn mit auf einen Platz an einer Panoramascheibe, die einen Blick auf den Badeort bietet und setze mich hin. Von hier oben sieht es eigentlich ganz schön aus, bis auf die vielen Menschenmassen und die ganzen kreischenden Kinder. Zum ersten Mal, seitdem ich aufgebrochen bin, entspanne ich mich, wobei es eher an dem Alkohol als an meiner momentanen Situation liegen muss, denn die kann man nicht gerade als relaxed bezeichnen. Außerdem habe ich das Gefühl, dass es vielleicht doch noch ganz passabel hier werden könnte und bin gegen meinen Hausarzt nicht mehr ganz so missmutig gestimmt. Irgendwann spricht mich ein Mann mittleren Alters von der Seite an und fragt,
ob er sich zu mir setzten könne. Beflügelt vom Alkohol stimme ich freudig zu und das Gespräch kommt ohne Umschweife sofort ins Rollen. Irgendwie komisch, da ich zu Fremden so viel sage wie ein Rotbarsch zur Forelle. Was mich sonst gestört und genervt hat, von Fremden angesprochen zu werden, ist mir im Moment piep egal. Der Mann heißt Alfred, und so
wie sein Name schon klingt, ist er auch. Er hat kein sonderlich gutes Selbstbewusstsein, wird von seiner Mutter immer noch verhätschelt und ist Single. Was mich nicht weiter verwundert. Nach einem zweiten Long Island Icetea, diesmal zusammen mit Alfred, fange auch ich an, etwas über mich zu erzählen. Es wundert mich selbst, was aus meinem Mund kommt.
Ich bin Dr. Katzenberger für Psychologie, habe mich mit meinen Eltern zerstritten und beschäftige mich den ganzen Tag mit Sorgen und Problemen von anderen Leuten, anstelle mich um meine eigenen zu kümmern. Und ich fühle mich allein und nutzlos. Da brauch Alfred erst einmal einen weiteren Schluck und nachdem ich das gesagt habe, geht es mir gleich viel besser. Er nickt verständnisvoll, sagt aber nichts, kein, das tut mir leid oder so, was mich irgendwie erleichtert. Nicht mehr ganz klar im Kopf, säusle ich vor mich hin, dass Alfred mein Leben verändert hat und von nun an mein bester Freund wird.

Selbst nachdem ich meinen Kater am nächsten Morgen ausgeschlafen habe, bin ich immer noch derselben Meinung und freue mich auf das nächste Treffen mit Alfred, wie etliche Jahre später auch im selben Hotel und Badeort „ Wiesental“ und bedanke mich in Gedanken bei meinem Hausarzt, der es mir nicht hätte besser beibringen können, meinem Leben endlich wieder einen Sinn zu geben.

Ende
Tony97 ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.11.2012, 23:19   #2
weiblich Poetibus
 
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Beiträge: 562

Hallo, Tony97,

ich bin, sage ich ganz offen, was das "Wissen" anbelangt, in der Welt der Gedichte "zu Hause". Daher kann ich natürlich nicht mehr anbieten als die Rückmeldung eines Lesers, der gerne Geschichten liest.

Ganz kurz: "sengender Hitze", da ist ein Vertippser.

Die Idee finde ich gut, ein Psychologe, der sich (so, wie die Geschichte auf mich wirkt, wohl schon seit längerer Zeit) so mit den Problemen anderer beschäftigt hat, dass er in seiner Konzentration "sich selbst aus dem Auge verloren hat", und daher mit seinen eigenen Problemen nicht mehr fertig wird - was der Hausarzt (der manchmal auch in die Rolle eines Psychologen "schlüpfen muss", je nach Patient) wohl erkannte und ihm daher einen "Tapetenwechsel" verordnet hat.

Die Geschichte fand ich gut zu lesen. Lediglich ein paar Anmerkungen zum "Formalen", soweit wie ich als reiner Leser dazu "befähigt" bin, möchte ich allerdings hinterlassen.

Die Formatierung hat wohl nicht ganz geklappt, es finden sich Zeilenumbrüche "mitten im Text", das kenne ich ebenfalls, wenn ich mit dem Texteditor arbeite, ich habe gelernt, darauf zu achten.
Generell fällt es mir schwerer, mich zu konzentrieren bzw. dem Inhalt zu folgen, wenn eine Geschichte keine Absätze hat, es würde mir mehr gefallen, wenn es diese für Leser hilfreichen "Pausen" gäbe.

Und eine letzte inhaltliche Anmerkung: Der "Umschwung" kommt für mich (ist aber nur meine persönliche Laienmeinung!) etwas zu plötzlich, sozusagen "über Nacht". Der Psychologe betrinkt sich, redet einmal kurz über sich, und ist am nächsten Morgen ein "Anderer". Mir fehlt hier ein wenig eine Art "Übergang", da ich eher erwarte, dass etwas, das sich über eine längere Zeit hin entwickelt hat, auch mehr Zeit braucht, um sich zu ändern. Aber, wie gesagt, nur mein "Gefühl".

Gerne gelesen, mir hat die Geschichte gefallen.

Freundlichen Gruß,

Poetibus
Poetibus ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.11.2012, 16:26   #3
weiblich Tony97
 
Dabei seit: 08/2012
Alter: 26
Beiträge: 30

danke Poetibus,
dass du dir die Zeit genommen hast meine Kurzgeschichte zu lesen und zu kommentieren. Ich freue mich, dass dir die Geschichte gefallen hat, trotz ihrer Fehler. Ich werde sie das nächste Mal berücksichtigen.

Für deine ehrliche Antwort bin ich dir sehr verbunden.
Tony97 ist offline   Mit Zitat antworten
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