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Sonstiges Gedichte und Experimentelles Diverse Gedichte mit unklarem Thema sowie Experimentelles.

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Alt 09.10.2008, 14:33   #1
männlich Ex Albatros
abgemeldet
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 1.227

Standard Schattenfinger

Die Liebe habe ich beim Wort genommen,
die sagt: Lass immer eine Brücke entstehen.
Doch auf der andern Seite angekommen
hab ich den Berg im Mittelpunkt erklommen,
um abgelegten Schatten zu entgehen.
Ex Albatros ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.10.2008, 11:31   #2
männlich Ex Rivus
abgemeldet
 
Dabei seit: 10/2007
Beiträge: 253

hi albatros,

"schattenfinger" ... können ambivalente gebilde sein. immerzu sind sie in unserem leben. greifen sie nach uns, können sie durchaus positives bewirken & die andere seite verdeutlichen, noch prominenter heben oder uns eben abkühlen, dass wir nicht zu sehr im grellen stehen. sie können einem aber auch einen gehörigen schreck einjagen, wenn sie sich zu unvorbereitet & gierig nach uns ausstrecken, um uns vielleicht zurückziehen in die schatten der vergangenheit, denen wir möglicherweise enteilen konnten ...

"die liebe habe ich beim wort genommen" ... vom ursprung her eine löbliche angelegenheit, eine emotionale selbstverständlichkeit, ein treueversprechen, das der liebe einen tiefen grund, einen sinn gibt. jedoch kommt mir da der sehr pragmatische schopenhauer in die quere: " dass dieses bestimmte kind erzeugt werde, ist der wahre ... zweck des ganzen liebesromans: die art & weise, wie der "sinn der liebe" erreicht wird, ist nebensache. - wie laut auch hier die hohen und empfindsamen, zumal aber die verliebten seelen aufschreien mögen, über den derben realismus meiner ansicht; so sind sie doch im irrthum. denn ist nicht die genaue bestimmung der individualitäten der nächsten generation ein viel höherer und würdiger zweck, als jene ihrer überschwenglichen gefühle und übersinnlichen seifenblasen? ja, kann es, unter solchen zwecken, einen wichtigeren und größeren geben? er allein entspricht der tiefe, mit welcher die leidenschaftliche liebe gefühlt wird, dem ernst mit welchem sie auftritt, und der wichtigkeit, die sie sogar den kleinigkeiten ihres bereiches und ihres anlasses beilegt." [aus metaphysik der geschlechtsliebe] doch schnell verlasse ich ihn wieder, denn die liebesfähigkeit ist viel größer & weiter und da kommt mir der erich fromm gut zupass, denn liebe ist nicht nur "echter kontakt und echtes gefühl", sondern bedeutet im spiel der hormone , auch immer wieder anstrengung, damit sie bestand hat und in einer beziehung wachsen kann. aber beim wort genommen birgt sie viel gefahren für das li, wenn eine eingrenzung passiert, eine fixation, ein zu hoher anspruch an das ld und am selbst des li, dass beide scheitern können, so dass nur noch eine flucht in emotionale sackgassen bevorsteht ... doch weiter am text

"die sagt: Lass immer eine Brücke entstehen" ... aufatmen beim leser, denn das li hat einen relativierten anspruch, das verzeihen, verfehlen mit einschließt, das arbeit an der liebe vorhersieht und ein brückenbild mit einbringt, der beiden liebenden die liebesrealisierung über eine brücke ermöglicht, bei aller unterschiedlichkeit und verschiedener uferzugehörigkeit des jeweils anderen. die schattenfinger, welche noch nicht ins lyrische bild dringen, bleiben zunächst außen vor. der leser schwelgt in hoffnung

"Doch auf der andern Seite angekommen" ... nun scheint aber das li, auf jener (wie auch immer gearteten & aus ungenannten gründen entstandenen) brücke den zugang zum ld gesucht haben, doch es ist erst angekommen und der leser wundert sich, da noch weit und breit kein ld in sicht ist ? existiert es überhaupt?

"hab ich den Berg im Mittelpunkt erklommen" ... aha, die andere seite ist zwar erreicht, doch musste das li noch einen kraftakt vollziehen - einen berg erklimmen - und doch fehlt das ld und langsam ahnt der leser die bedeutung der schattenfinger richtig einzuordnen ...

"um abgelegten schatten zu entgehen" ... und siehe da, das li ist diesen beschwerlichen weg gegangen, um eben jenen doch furchteinfössenden schattenfingern zu entkommen, um vielleicht dem gefühlten liebesverlust eine echte begegnung mit dem ld entgegenzusetzen? jedoch bleibt der leser im ungewissen, ob der gang des li zur liebe des ld führt. leider ist das ld, welches der leser als mögliche option assoziert zu unbestimmt und diese offenheit des ausgangs fasziniert mich doch außerordentlich ...

danke für diese zeilen

lg andreas
Ex Rivus ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.10.2008, 23:42   #3
weiblich solou
 
Dabei seit: 07/2008
Ort: WIEN
Beiträge: 41

sorry,
aber ich habe nicht viele worte für dich.
mir gefällt der text sehr gut.
brücke, schatten, mittelpunkt,... für mich lässt sich viel interpretieren.
wenige, aber wahre worte.

lg,
solou
solou ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 21.10.2008, 16:52   #4
widerworte
Gast
 
Beiträge: n/a

Hallo,

Zunächst lese ich einen Rückblick aus dem, was das LI anfangs aussagt, es habe die Liebe "beim Wort genommen", indem es wohl damit begonnen hat, eine Brücke zu bauen. Ich interpretiere den Rest dann unter dem Aspekt des Endes der Geschichte. Wer nämlich in der anfänglichen Naivität die Brücke frohen Mutes beschreitet, geht einen bedrohlichen Weg, umgeben von "Schattenfingern", die alsbald nach Allem trachten, was das LI auf die andere Seite mitnehmen will, sodass die Liebe sich zur Last entwickelt. Auf der anderen Seite angekommen, wird ein "Berg erklommen", um gänzlich zu entfliehen, auch dem LD zu entfliehen, welches nur noch in Form der "Schattenfinger" zu existieren scheint, die auf dem Gipfel neuer Möglichkeiten endlich abgelegt werden können. So erweist sich die Liebe als Illusion, als illusorisches Ziel auf einem gefährlichen Weg und nur dieser Weg ist das einzige brüchige Ziel, die einzige unfassbare, von den Schattenfingern nicht erfassbare, nur für die Dauer des Weges aufflackernde Substanz von Liebe, die je erreicht werden können, denn das eigentliche Ziel, das LD als Solches, entschwindet, vergeht, verschmilzt mit den Schatten unterwegs, ist von Ihnen nicht mehr zu unterscheiden, sodass alsbald die neuen Möglichkeiten offensichtlich zum überraschenden Ziel werden.

Wie ich finde, ein bitterer, zynischer Text.

ww
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Alt 04.11.2008, 23:02   #5
männlich Ex Albatros
abgemeldet
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 1.227

Standard Hallo Ihr Dreie,

zunächst entschuldige ich mich, dass die Antwort so lange auf sich warten ließ.

@rivus


Zitat:
sie können einem aber auch einen gehörigen schreck einjagen, wenn sie sich zu unvorbereitet & gierig nach uns ausstrecken, um uns vielleicht zurückziehen in die schatten der vergangenheit, denen wir möglicherweise enteilen konnten ...
Das war in etwa meine Intention hierzu.



Zitat:
"die sagt: Lass immer eine Brücke entstehen"
Auch hier triffst du erstaunlich genau meine Absichten. :thumbsup:

Wiewohl ich noch ein kleines Bonmot eingebaut habe. Schaue dir einmal den Ausspruch: Lass immer eine Brücke entstehen, genauer an. 8)

Die Schattenfinger gibt es nur auf der anderen Seite. Zu bedenken möchte ich geben, dass das lyrI früher in diesem anderen Bereich lebte, ja sich dort sogar wohl fühlte. Aber mehr möchte ich nicht verraten.

@solou

Mit der Interpretation kannst du zunächst rivus folgen, wiewohl unsere Interpretationen hinsichtlich des Schlusses voneinander abweichen. Schön aber, wenn es dir zusagen konnte.

@widerworte



Zitat:
Auf der anderen Seite angekommen, wird ein "Berg erklommen", um gänzlich zu entfliehen.
Das lyrI will nicht unbedingt dem lyrD entfliehen, aber hat Angst, in "Altes"(abgelegte Schatten) zurückzufallen, upps, da habe ich vielleicht schon zuviel verraten. 8)

Deine kommenden Ausführungen finde ich jedenfalls sehr interessant, auch wenn sie nicht meinen Absichten entspricht.

Jedenfalls danke ich Euch Dreien recht herzlich für Euer entgegengebrachtes Interesse.

LG Albatros
Ex Albatros ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.11.2008, 01:15   #6
männlich Ex Rivus
abgemeldet
 
Dabei seit: 10/2007
Beiträge: 253

Hallo Albatros,

man kann ja die Dinge so verschieden interpretieren, das Pferd (die Brücke) praktisch von hinten aufzäumen , aber dank deines Upss, dem Hinweis an widerworte, sind die "Schattenfinger" & LI + LD nun richtig plaziert. 8|

Danke & LG

Ri
Ex Rivus ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.11.2008, 11:43   #7
Kamil
 
Dabei seit: 07/2007
Beiträge: 140

Ein ausgezeichneter Text, mit viel Interpretationsmöglichkeit :thumbup:
Kamil ist offline   Mit Zitat antworten
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