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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt.

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Alt 04.06.2023, 21:21   #1
weiblich Die Preussin
 
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Dabei seit: 03/2021
Ort: Schwaben
Beiträge: 158

Standard Unverdienst

Was kann ein Mensch verdienen ?
Er arbeitet ein Jahr.
Sind es ein paar Millionen
oder Milliarden gar.

Was muss man dafür leisten,
dass man soviel erhält ?
Wohl vielmehr als die meisten,
die meisten auf der Welt.

Mehr als ein Tischler, Maurer
der Häuser lässt ensteh'n.
Mehr als ein Straßenbauer
dort wo wir täglich geh'n.

Mehr als ein Krankenpfleger
der wacht, dann wenn es tagt.
Mehr als ein Kammerjäger
der tötet was uns plagt.

Mehr als ein Hauptschullehrer,
die Nerven liegen blank.
Mehr als ein Bürgermeister
von jeder Stadt im Land.

Mehr als ein Architekt noch
der Städte uns gebiert.
Mehr als ein Bundeskanzler
der diesen Staat regiert.

Man muss nicht bauen, pflegen,
nicht lehren und regier'n;
man muss nur an der Börse
auf all dies spekulier'n.
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Alt 04.06.2023, 21:45   #2
männlich Georg C. Peter
 
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Beiträge: 834

Liebe Preussin,

Deine Zeilen gefallen mir sehr gut,
es ist prima gereimt und der Aufbau und die Steigerung am Ende erhöhen die Spannung.
Einzig würde ich am Ende nicht nur die Börse als das Keim allen Übels bezeichnen. Die Börse birgt für den Anleger durchaus auch Risiken.

Ich fände es passender, wenn Du den gesamten Finanzapparat anprangern würdest. Spekulanten, Makler, Finanzjongleure, reiche Erben, Aufsichtsräte, Bankvorstände.
Hier hat sich in der Tat eine Finanzblase entwickelt, die unverhältnismäßig viel verdient und relativ wenig zum sozialen Gleichgewicht der Gesellschaft beiträgt.

Aber: Dein Gedicht rüttelt wach. Und das finde ich gut.

Viele Grüße von
Georg
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Alt 05.06.2023, 18:57   #3
weiblich DieSilbermöwe
 
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Beiträge: 6.721

Hallo Die Preussin,

gesellschaftskritische Gedichte sind zurzeit angesagt. Ein Thema, zu dem mir selbst in Gedichtform so gar nichts einfällt. Umso lieber lese ich dann solche Gedichte wie deines.
Die knabbern die Gedanken an.

Ist dir gut gelungen!

LG DieSilbermöwe
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Alt 05.06.2023, 20:28   #4
weiblich Ilka-Maria
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Wenn es so einfach wäre, mit Investitionen an der Börse ("Spekulationen" sind etwas anderes als z.B. Aktien, Anleihen oder ETFs) stinkreich zu werden, wie es das Gedicht suggerieren will, würden alle Menschen Beteiligungen an Wirtschaftsunternehmen kaufen. Das läuft manchmal gut, manchmal weniger gut. Im Extremfall ist die Beteiligung futsch. Außerdem gewinnt der Staat an den Gewinnen, denn diese werden besteuert (wenn auch nicht überall, z.B. sind sie in England und Irland steurfrei).

Die Superreichen werden durch ihre Unternehmen reich, und dann kaufen sie neue Beteiligungen oder erweitern ihre Unternehmen. Je besser es läuft, umso mehr Geld häuft sich an, das reivestiert werden muss. Anders geht das gar nicht. Kein Mensch kann ständig Dinge kaufen, die er nicht braucht, und rumliegen lassen kann man Geld auch nicht. Abgesehen davon, dass es ohnehin nur um Buchungsgeld geht, das real gar nicht existiert.

Verwerflich sind für mich nicht die Bosse von Amazon, Google oder Microsoft (schließlich wird niemand gezwungen, bei denen einzukaufen), sondern die wahren Spekulanten sind die Typen, die Termingeschäfte mit Grundnahrungsmitteln machen. In Indien, um ein Beispiel herauszugreifen, verhungern in manchen Regionen die Menschen, obwohl Reis in Fülle vorhanden ist. Den halten die Spekulanten aber unter Planen bewacht und warten darauf, dass die Weltmarktpreise steigen und sie ihn dann mit hohen Gewinnen exportieren können. Bevor sie den Reis günstiger an die eigene Bevölkerung verkaufen, lassen sie ihn bei schlechtem Wetter lieber verrotten. Die Regierung tut nichts dagegen, sondern die Hilfsorganisationen aus den anderen "reichen" Industriesstaaten rücken an, um zu helfen.

Statt "Reichen-Bashing" sollte man lieber mal über schlechte, vor Zynismus triefende Regierungen schreiben, die so etwas wie diese Spekulationen mit Termingeschäften zulassen. Allgemeingüter zur Grundversorgung der Bevölkerung gehören in die Regulierung des Staates, nicht in private Hände.
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Alt 05.06.2023, 21:28   #5
weiblich Die Preussin
 
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Beiträge: 158

Lieber Georg, liebe Ilka Maria
erstmal vielen dank für eure Anmerkungen. Ihr habt völlig recht die Börse greift zu kurz. Sie ist für den Handel, als Marktplatz sicher sinnvoll und nötig. Es geht mir um die Auswüchse, das ungehemmte Gewinnstreben -spekulieren-. Das gibt es nicht nur dort und wird durch politische Entscheidungen oft nicht, wie erforderlich (über Gründe ließe sich spekulieren) eingehegt.
Ich bin aber auch kein Freund des bedingungslosen Umverteilens .
Was mich stört ist das reale Arbeit auf diese Weise herabgewürdigt und nicht mehr als die wirkliche Wertschöpfung wahrgenommen wird.

Die Preussin
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Alt 05.06.2023, 21:30   #6
weiblich Die Preussin
 
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Liebe Silbermöwe,

herzlichen Dank für deinen Kommentar. Wenn das Gedicht dir das Thema präsent sein lässt und zum Nachdenken anregt - Ziel erreicht. Ich glaube gesellschaftskritische Gedichte gab es schon immer, ich denke da gern an Heinrich Heine. Und wenn sie zur Zeit "angesagt sind" liegt es wahrscheinlich nicht an den Gedichten, sondern der Zeit.

Die Preussin
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Alt 06.06.2023, 05:50   #7
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Die Preussin Beitrag anzeigen
Was mich stört ist das reale Arbeit auf diese Weise herabgewürdigt und nicht mehr als die wirkliche Wertschöpfung wahrgenommen wird.
Guten Morgen, Preussin,

richtig ist, dass sich die Sicht unserer Gesellschaft auf Arbeitsverhältnisse verändert hat und in weiten Teilen der Beschäftigung Menschen ausgebeutet werden und nicht mehr von nur einem Job leben können. Sinkende Arbeitslosenquoten sind sicherlich auf zeitlich beschränkte Arbeitsverträge, außertariflich vereinbarte Löhne oder Lohndrückung durch Überstunden, Einsatz von Subunternehmern usw. zurückzuführen. Aber das Problem ist viel komplexer und deshalb systemisch und strukturell zu sehen. Die Bildungsmisere in Deutschland, die kaum von jemandem noch abgestritten wird, zu hohe Steuerbelastung, wachsende Sozialabgaben, steigende Energiekosten u.v.m. treiben Unternehmer ins Ausland, wo sie billiger produzieren können und vielleicht weniger Steuern und Sozialversicherungen zahlen müssen. Ist alles bekannt.

Wir stecken so tief in jahrzehntelangen Fehlentwicklungen drin, dass es schwierig ist, aus dieser Situation rauszukommen.

Dazu kommt, dass bei den Menschen mit Propaganda Hass und Neid geschürt wird. Beispiel: Die Schelte der Last Generation auf die "Reichen", die beispielsweise zu viel fliegen, und obendrein noch in ihren Privatjets. Dazu müsste man die ketzerische Frage stellen, wie diese Leute "die Reichen" definieren. Gehören diejenigen Geldgeber dazu, die bislang eineinhalb Millionen Euro an Spendengeldern für die Aktionen der Last Generation springen ließen, oder bleiben diese als "die Guten" oder zumindest "Wohlmeindenden" über jede Kritik erhaben?

Stammt Luisa Neubauer, ihres Zeichens Klimaaktivistin, nicht auch aus einem reichen Elternhaus? Hat sie als Jugendliche nicht schon dutzende von Ländern (per Flugzeug!) bereist und sich auf ihrer Website damit gebrüstet? Bis ihr Heuchelei entgegengehalten wurde und sie die Beiträge löschte. Würde man einen Namen wie "Reemtsma" im Armenhaus vermuten? Obendrein kann man in solchen Rollen noch einen schönen Nebenverdienst einstreichen, indem man reißerische Bücher veröffentlicht (natürlich mit Unterstützung eines Phantomschreibers).

Ich bin immer skeptisch, wenn ich sog. "Zukurzgekommene" und "Abgehängte" auf die Reichen losgehen höre, wobei immer Neid, wenn nicht gar Missgunst eine Rolle spielt, aber übersehen wird, welche Vorleistungen, Risiken,persönliche Einschränkungen (z.B. durch die Notwendigkeit von Body Guards) und Engangements hinsichtlich sozialer Einrichtungen eingesetzt werden. Die Metzlers in Frankfurt sind eine solche Familie, die sich immer sozial engagiert und von ihrem Mammon abgegeben hat; dafür wurde ihnen der Sohn, noch ein Schulkind", von einem habgierigen Studenten (Jura!) ermordert.

Ich könnte noch über einen Zweig meiner Familie sprechen, in den U.S.A. trotz schwierigen Starts zu Reichtum gekommen, da früh (50er Jahre) ausgewandert und angepackt. In diesem Staat ist es Ehrensache, zu spenden. Meine Verwandten haben z.B. die Universität in Millersville, Pennsylvania, mit einer Million Dollar unterstützt. Von ihrem riesigen Anwesen mit Herrenhaus haben die Nachkommen jedoch nichts, denn die Erbschaftssteuer ist bei einer solchen Größenordnung so hoch, dass sie unbezahlbar ist. Alle fünf Kinder mussten selber sehen, dass sie etwas lernen und wie sie ihr Geld verdienen. Das Anwesen wurde inzwischen zu einem Museum umfunktioniert.

Das ist die Kehrseite der Medaille.

LG
Ilka
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