|
|
Philosophisches und Nachdenkliches Philosophische Gedichte und solche, die zum Nachdenken anregen sollen. |
|
Themen-Optionen | Thema durchsuchen |
29.07.2012, 15:45 | #1 |
abgemeldet
|
Glückskind
Im tiefen Winter wurde ich geboren.
Wie meinem Sternenbild, dem Capricorn, wuchs auf der Stirn mir links und rechts ein Horn und hätte ich kein Fell, wär ich erfroren. Und hätt ich meine Eltern früh verloren und hätt nicht mehr zu essen als ein Korn und spürte jeden Tag nur Hass und Zorn wie kalte Kugeln, die das Herz durchbohren, dann hätt ich keine Ruhe, keinen Frieden, könnt nicht mal meinen Namen buchstabieren und wäre auch kein sattes Wohlstandskind. So aber ist mir alles Glück beschieden. Ich habe jede Menge zu verlieren und bin doch frei so wie ein Blatt im Wind. |
29.07.2012, 16:25 | #2 |
Das ist mehr als so nett, Steinbock und gefällt mir. Gute Voraussetzungen zum Glück sind gegeben, das Glück daraus zu machen, möglich. Wie sich das Blatt im Wind fühlt, ob frei oder haltlos... ?
LG an Rosenblüte von gummibaum |
|
29.07.2012, 16:42 | #3 |
abgemeldet
|
Hallo gummibaum,
frei oder haltlos - was wir aus unserem Glück machen, liegt weitgehend in unserer Hand. Ich wünschte, alle Menschen könnten so frei entscheiden wie wir. Aber mit dem frommen Wunsch allein ist es leider nicht getan. Das gute Leben hat uns egoistisch und gleichgültig gemacht. Man muss immer wieder auf die Ungerechtigkeit hinweisen, dann wird sich hoffentlich was ändern. Das Schreiben bietet uns die Möglichkeit, einen kleinen Teil dazu beizutragen. Danke und lieben Gruß, Rosenblüte |
30.07.2012, 08:15 | #4 |
abgemeldet
|
Glückskind
Liebe Rosenblüte,
ein sauber geschriebenes Sonett, das davon zeugt, dass die Verfasserin nicht erst seit heute schreibt, und das man gern gelesen hat. Inhaltlich aber habe ich Schwierigkeiten mit ihm. Ich will nicht in den Fehler verfallen, das LI mit dem Ich der Verfasserin gleichzusetzen, obwohl eigentlich jeder literarische Text im Grunde auch immer ein autobiographischer Text ist, und ganz sicher gibt es da Übereinstimmungen und Abweichungen mit/vom Geschriebenen. Mit stört die Aussage des letzten Terzetts. Das satte Wohlstandskind, das jede Menge zu verlieren hat und doch so frei wie ein Blatt im Wind ist. Über das Blatt im Wind sollte klar sein, dass das ein sehr abgegriffener Vergleich ist. Aber darum geht es mir nicht. Das Wohlstandskind hat die Privilegien zu verlieren, die es durch eine gewisse "Wohlhabenheit" der Eltern, sei sie erreicht durch beruflichen Erfolg und das Beziehungsflecht, das sich darauf aufbaut, erhalten hat. Dieses "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern" trifft ganz auf das Wohlstandskind zu. Was nun aber "frei wie ein Blatt im Wind" angeht, da irrt sich das Wohlstandskind doch gehörig, und die Freiheit ist allerhöchstens prozentual, um nicht zu sagen: eingebildet. Niemand ist wirklich frei in einer Gesellschaft, die andere Menschen unterdrückt. Und wir leben in einer solchen Gesellschaft, es gibt ein Oben, es gibt ein Unten, und zwischen beiden tummelt sich das Wohlstandskind. Wo gehört es hin? Die Angst, nach unten abzurutschen, ist enorm in der Mittelschicht. Die heutigen Verhältnisse können das sehr leicht geschehen lassen. Nach oben aufzusteigen, das gelingt nur sehr skrupellosen Typen, die über Leichen steigen, und so weit möchte sich der Mittelstand nicht herabwürdigen. Dennoch schaut er immer nach oben. Und so verharrt er in dieser Zwitterstellung, nicht Fleisch noch Fisch, ist niemandes Kamerad, steht nur für sich selbst und seine Interessen. Schon die "Freundschaften" interessieren ihn nur minimal. Und das ist das Motto "Jeder ist seines Glückes Schmied". Und genau das sagst du in diesem Terzett. Nichts gegen Ehrlichkeit. Aber ich glaube, so neu ist das Ganze nicht. Ich glaube, du hast es selbst gemerkt und deshalb die Floskel "frei wie ein Blatt im Wind" gewählt. Mit liebem Gruß Nitribitto |
29.08.2012, 11:30 | #5 |
abgemeldet
|
Liebe Nitribitto,
bitte entschuldige, dass meine Antwort so lange auf sich warten ließ. Das Gedicht ist ganz und gar autobiografisch. Es bildet den Auftakt zu einem Sonettenkranz, also musste die letzte Zeile inhaltlich für das zweite Sonett passend sein, in dem es um meine Unrast geht. "Wie ein Blatt im Wind" ist jedoch, für das einzelne Gedicht genommen, irreführend und ich bin dir dankbar für deinen Hinweis. Habe die Stelle entsprechen geändert. Nun heißt es "wie ein Spatz im Wind". Obwohl ich ein Glückskind bin, gehöre ich nicht zu den Privilegierten. Ich entstamme einer Flüchtlingsfamilie, meine Eltern waren einfache Arbeiter. Meine Mutter war zudem alkoholkrank. Auf Betreiben meiner Grundschullehrerin kam ich aufs Gymnasium, wurde jedoch von meinen reichen Mitschülerinnen misstrauisch beäugt, warf alles hin und ging auf Reisen. Doch hatte ich das Glück, in einem Land zu leben, in dem es mir möglich war, eine Ausbildung zu machen, später meine Schulabschlüsse nachzuholen und einen sicheren Job zu bekommen, so dass es mir an nichts fehlt. Jedoch wollte ich nie Karriere machen, weil mir dieser Teil der Gesellschaft immer verhasst war. Ich denke, es war die richtige Entscheidung. Vielen Dank für dein Lob und deinen nachdenkenswerten Beitrag. Lieben Gruß Rosenblüte |
29.08.2012, 20:04 | #6 | |
R.I.P.
|
Zitat:
da siehst Du, welchen Interpretationsfreiraum Du gelassen hast! Ob wie ein Blatt im Wind oder wie ein Spatz in der Hecke - frei bleibst Du! Respekt und Gruß von Thing |
|
29.08.2012, 20:40 | #7 |
abgemeldet
|
Ja, witzig. Wohlstand ist eben ein relativer Begriff. Selbst ein Hartz-IV-Empfänger hat (noch) ein schönes Leben, verglichen mit einem armen Maya.
"Blatt im Wind" hat mir selbst nicht so gefallen, weil es getrieben wird. Ein Spatz hingegen ist autonom. Lieben Gruß Rosenblüte |
29.08.2012, 22:09 | #8 |
Hallo, Rosenblüte,
Danke schön für dieses außergewöhnliche Sonett. Ich habe es sehr gerne gelesen. lg simbaladung |
|
04.09.2012, 10:56 | #9 |
abgemeldet
|
Hallo simbaladung,
danke für deinen anerkennenden Kommentar. Lieben Gruß Rosenblüte |