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Alt 05.03.2008, 22:28   #1
Jan J. Badenari
 
Dabei seit: 02/2008
Beiträge: 17


Standard Die Versuchung

Es war in einer klaren Vollmondnacht, als der Teufel den Maler auf einen hohen Berg führte. Verführerisch schmiegte er sich an ihn, deutete mit seiner Rechten über die im Mondlicht kalt glänzende Landschaft und sagte: „Schau dir die prächtige Schönheit dort unten an. All das will ich dir schenken, wenn du mich anbetest.“ Grinsend blickte er dem Mann in die Augen; dieser jedoch drehte sich um und schüttelte den Kopf. „Warum?“ zupfte das dämonische Wesen den Künstler am Ärmel. „Ich weiß doch wie sehr sich deine Seele nach dem Schönen sehnt.“ Der Maler aber blieb stumm und mit dem Rücken zu ihm gewandt. „Warum?“ fauchte der Teufel erneut. Da drehte sich der Mann um und sah dem Dämon ohne Angst in die feurigen Augen.

„Weil mich in der letzten Nacht ein Gott in eine tiefe Schlucht führte und mir anbot, mir all die Schönheit, die ich über den hohen Felsen erblickte, zu schenken, wenn ich vor ihm auf die Knie fallen würde.“ Da zuckte der Teufel vor Schreck zusammen und wich einige Schritte zurück. „Du bist vor Gott in die Knie gegangen?“ „Nein“, sagte der Maler ohne Regung in der Stimme. „Genauso wenig wie ich mich vor dir verneige. Dieser Gott versprach mir Schönheit in den Höhen und du jene in den Tiefen. Ich aber sehne mich nach jener Schönheit, die einzig in meiner Seele zu tanzen vermag. Dort jedoch reichen all euere Schönheiten nicht hin.“ Da drehte sich der Teufel um und schlich bitterlich weinend von dannen.

„So verließ mich gestern auch jener Gott - weinend und enttäuscht“, sagte der Künstler leise vor sich hin und trat nahe an eine Felskante heran, von wo er einen weiten Blick in die nächtlich glänzende Landschaft hatte. Er schaute noch eine Weile auf sie hinab und ging dann traurig zurück in die Kälte seiner Kammer. Seit dieser Nacht weiß er, dass er lieber von Göttern und Teufeln verlassen sein will, als die Sehnsucht nach jener Schönheit, welche die Tiefe seiner Seele zum Singen bringt, zu verlieren.
Jan J. Badenari ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.03.2008, 22:51   #2
Schattenwolf
 
Dabei seit: 09/2006
Beiträge: 62


Wenn es doch mehr von dieser Qualität in dieser Sektion gäbe, wenn ich mir auch nicht sicher bin, ob der Text hier überhaupt hingehört.

Ich war beim Lesen wirklich beeindruckt von der Atmosphäre, gelegentlich war ich versucht zu denken, man hätte es länger gestalten können, doch am Ende bin ich zu der Meinung gelangt, diese Kürze sei die Richtige. Es wundert mich, dass noch niemand auf den Text reagiert hat.

Ein Lob!
Schattenwolf ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.07.2008, 00:12   #3
Tanais
 
Dabei seit: 03/2008
Beiträge: 119


Das ist die wohl beste Geschichte die ich hier in diesem Forum bis jetzt gelesen habe!
Du schreibst Kunstmärchen in der Manier eines O.Wilde! Echt der Wahnsinn, dennoch fänd ich es vielleicht noch besser, wenn du den letzten Satz wegließest, da der Leser ja die Entscheidung des Künstlers kennt, ich finde diese Art Moral am Ende ist überflüssig
Aber auf jeden Fall sehr glücklich, diese Geschichte gelesen zu haben,
lg Tanais
Tanais ist offline   Mit Zitat antworten
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