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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken.

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Alt 26.06.2023, 06:10   #1
männlich Alfredo
 
Dabei seit: 12/2022
Ort: Wels
Beiträge: 128

Standard Die Pest

Die Nacht ist kalt, das Mondlicht fahl,
Totenstille herrscht im Tal.
Viele starben an der Pest,
vom Tod verschont, ein karger Rest.

Ob arm, ob reich, ob dick, ob dünn,
es raffte sie die Krankheit hin.
Niemand konnt' sich davor schützen.
Die Ratten trinken aus den Pfützen!

Wer nicht der Seuche Ursach' kennt,
ganz schnell in sein Verderben rennt.
Der Tod bricht jedem das Genick,
wer übrig bleibt, hat pures Glück.

Doch ganz schnell und überall,
erlosch die Pest im ganzen Tal.
Das Leben fasste wieder Fuß,
weil es weitergehen muss.

Der fromme Mensch zum Himmel blickt,
von wo Gott die Strafen schickt.
Gott ist so gnädig, ist so weise,
begleitet uns auf unsrer Reise.
Alfredo ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.07.2023, 23:48   #2
männlich Heinz
 
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Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879

ja, es ist wohl so: Gäbe es keinen Gott, man müsste ihn erfinden!
Gehts uns gut, dann danken wir ihm, loben ihn und sprechen vom lieben Gott.
Gehts uns schlecht, dann haben wir zur Abwechslung mal einen strafenden Gott und wenigstens jemand, bei dem wir uns dafür bedanken können, wenn es nicht noch schlimmer wird.
Da ich mich gerade mit dem berühmtesten Kastraten, Farinelli, beschäftige:
Er hatte doch auch allen Grund, sich für seine betörende Stimme zu bedanken, die Frauen reihenweise in selige Ohnmacht fallen ließ. Hätte die Kirche, natürlich im Namen Gottes, es nicht verboten, dass Frauen in Kirchen singen (dort aber die Soprane fehlten), hätten die noch nicht pubertierenden Knaben zwecks Erhaltung ihrer engelsgleichen Stimmen nicht kastriert werden müssen.
So sangen sie das Lob Gottes, der tatenlos zusah, wenn den Wehrlosen die Hoden entfernt wurden. Mann Gottes, mach die Augen auf und begreife es: Gott ist eine menschengemachte Schimäre!
Gruß,
Heinz
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.07.2023, 06:57   #3
männlich Alfredo
 
Dabei seit: 12/2022
Ort: Wels
Beiträge: 128

Hallo Heinz,
mit deinem Gottesbegriff hast du recht. Der Schluss des Gedichtes sollte daher auch ironisch verstanden werden.
LG Alfredo
Alfredo ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.07.2023, 07:11   #4
männlich Heinz
 
Benutzerbild von Heinz
 
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879

Lieber Alfredo,
das war eine beruhigende Antwort und ich gebe zu: Die Ironie in der letzten Strophe haben meine halbblinden Augen nicht erkannt.
Einen schönen Sonntag wünsch ich Dir!
Heinz
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.07.2023, 12:22   #5
männlich Erhard Gratz
 
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Alter: 90
Beiträge: 160

Vielleicht sollten, um die Ironie deutlich werden zu lassen, die vier letzten Verse etwas drastischer ausfallen.

Bescheidener Vorschlag:

Der fromme Mensch zum Himmel blickt,
von wo uns Gott die Strafen schickt:
Gott ist so gnädig, ist so gut!
Er lenkt uns und trinkt unser Blut.

Erhard
Erhard Gratz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.07.2023, 15:02   #6
weiblich Ilka-Maria
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Ort: Arrival City
Beiträge: 31.110

Achtung! Ilka, die Mecker-Hexe, kommt wieder auf ihrem Besen angeritten, nicht um zu zaubern, sondern um zu entzaubern.

Zunächst: Wenn in der letzten Strophe Ironie stecken sollte, hat sie sich gut versteckt; ich habe mit einem Bajonett in sie reingestochert, aber sie hat nicht "autsch!" geschrien.

Die Verse holpern, weil sie den Rhythmus nicht halten.

Grundsätzlich habe ich nichts gegen Inversionen, solange sie den Wohlklang beibehalten; wenn sie aber aufgrund von Reimzwang schräg daherkommen und obendrein zu oft bemüht werden, ist bei mir die Toleranzschwelle überschritten.

Was es mit den Ratten, die aus Pfützen trinken, auf sich hat, erschließt sich mir nicht. Der Erreger der Pest wird durch einen Floh auf Ratten übertragen, also sterben die Ratten zuerst. Doch bevor sie sterben, geben sie den Erreger an den Menschen weiter, die dann auch sterben. Da saufen keine Ratten mehr aus Pfützen, sondern sie liegen genauso tot darnieder wie die Menschen.

Was ist die Intention dieses Gedichts? Ich vermute, die Unwissenheit der Menschen früherer Zeiten als Aberglaube hinzustellen. Aberglaube war es, aber solange man es nicht besser weiß und für Besserwisserei keine Beweise hat, ist es weder Glaube noch Aberglaube, sondern einfach eine höhere Macht, die ihren Tribut einfordert. Was auch wieder mit Aberglaube zu tun hat. Aber dennoch fragten sich die Menschen: Wo habe ich gesündigt, um diese Strafe verdient zu haben?

Und war es wirklich so, dass immer nur Herrschaftsansprüche mit dem "dummen Aberglauben" untermauert wurden? Viele Herrscher waren genauso abergläubisch wie ihr Volk und unterwarfen sich dem höchsten und letzten aller Richter.

Okay. Ich hätte das Gedicht anders geschrieben, vor allem ohne die (in diesem Fall) unschönen Inversionen, mit mehr Rhythmus und mit weniger bemühten Reimen. Vor allem aber am Ende mit einer schärferen und klarer erkennbaren Ironie.

Die Nacht ist kalt, das Mondlicht fahl,
und Totenstille herrscht im Tal;
denn viele sterben an der Pest.
Vom Tod verschont: ein karger Rest.

Ob arm, ob reich, ob dick, ob dünn,
die Krankheit rafft sie alle hin.
Sogar den Ratten, sonst robust,
beschert sie den Totalverlust.

Wer nicht der Seuche Ursprung kennt,
erfährt, dass er ins Unglück rennt,
der Tod lenkt fortan sein Geschick
und bricht ihm gnadenlos das Genick.

Er muss ein Bote Gottes sein,
damit der Mensch, nicht gut und rein,
die Strafe spürt, die ihm geziemt,
denn er hat Gott nicht recht gedient.

Urplötzlich endet diese Qual:
Die Pest erlischt im ganzen Tal,
das Leben kehrt ins Dorf zurück,
mit Tanz empfängt man dieses Glück.

Der fromme Mensch blickt himmelwärts:
"Gottvater, danke für den Scherz.
Du bist so witzig und gescheit
und bringst uns Kurzweil - selbst im Leid."

Nichts für ungut. Und eine Empfehlung nebenbei: Camus lesen.

LG
Ilka
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
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