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Alt 09.04.2007, 20:42   #1
Lorelai
 
Dabei seit: 03/2006
Beiträge: 354


Standard Was nicht verloren werden darf

Nachdenklich saß sie im Bus. Sie wusste nicht, was sie fühlen sollte. Da waren so viele Gedanken in ihrem Kopf. Sie war traurig, wütend, verletzt, zornig, sicher, selbstbewusst. Aber sie wusste nicht, was sie wirklich fühlte.
Es ist einfach vorbei, dachte sie nüchtern. Das Leben geht weiter- so, wie es vorher ohne ihn auch war.
Aber ich war so glücklich mit ihm- wir waren so glücklich. Ich war noch nie zuvor in meinem Leben so glücklich, dachte sie wehmütig.
Sie seufzte. Sie wusste nicht, was sie als nächstes tun sollte. Sie war überstürzt aus dem Haus geflohen, hatte ihn stehen lassen, war weg gerannt.
Das war das einzig richtige!, dachte sie. Er hat nichts anderes verdient. Und ich habe etwas Besseres verdient.. Es hätte keinen Sinn mehr gehabt. Es wäre ewig so weiter gegangen.
Aber ich habe ihn doch so sehr geliebt... Wir waren so glücklich... All die schönen Momente, die wir gemeinsam hatten... Ich weiß gar nicht, was ich ohne ihn machen soll...
Wegzurennen war die einzige Möglichkeit, wieder frei leben zu können. Du fühltest dich doch eingesperrt- jetzt hast du die ganze Welt für dich!
Aber ich bin allein... Wieder allein. Und das was ich hatte...
...Musst du vergessen! Das Leben geht weiter! Schau nicht zurück, guck geradeaus und du wirst sehen- so hat das Leben dir viel mehr zu geben!
Ich weiß nicht...
Ihre Gedanken spielten verrückt. Sie bekam Kopfschmerzen. Sie schaute aus dem Fenster, auf die Felder, die an ihrem Fenster vorbei flitzten.
Dort hinten, an dem Baum, da hatte er sie zum ersten Mal geküsst...
Und dort an der Ecke hatte er seine Jacke schützend über sie gehalten, als es angefangen hatte zu regnen... Sie hatten so viel Spaß gehabt.
Da vorne in dem Café hatte sie ihn zum ersten Mal gesehen...
Es war eine Fahrt der Erinnerungen für sie. Und sie war überrascht, denn sie erinnerte sich nur an die schönen Dinge. Gab es nur schöne Dinge, die sie mit ihm erlebt hatte...? Nein... Sie hatten so oft gestritten- sie waren sich so uneinig gewesen... Es war schon richtig so...oder?
„Entschuldigung, ist hier frei?“, riss sie eine Stimme aus ihren Gedanken. Sie blickte in das freundlich lächelnde Gesicht einer etwas älteren, kleinen Frau. Sie nickte.
„Fahren Sie nach Hause?“, fragte die Frau sie.
„Nein...“, sagte sie freundlich lächelnd.
„Ich hätte schwören können, Sie fahren nach Hause.“ Die alte Frau schaute sie weiterhin lächelnd an.
„Wieso?“, fragte sie überrascht.
„Nun, Sie hatten diesen... Blick in Ihren Augen... Als wenn Sie es kaum erwarten können, nach Hause zu kommen...“, sagte die Frau und schaute sie erwartungsvoll an.
Das Lächeln auf ihren Lippen erstarrte. Sie schluckte. „Nein... wir haben uns... eben getrennt...“ Ihr Blick wich wieder aus dem Fenster.
Sie spürte eine Hand auf ihrer Schulter. Sie schaute der Frau neben ihr in die Augen. Die Frau fragte sie mit sanfter Stimme: „Sicher, dass alles verloren ist?“
Verwirrt schaute sie in die tiefen Augen der kleinen Frau neben sich.
„Es ist nie zu spät... aus dem Bus wieder aus zu steigen...“, sprach die Frau leise weiter.
Sie war verunsichert. Sie dachte nach. Wollte sie wirklich ohne ihn leben..? „Würden Sie mich raus lassen?“, fragte sie die Frau eifrig.
Freundlich lächelnd nickte sie und ließ sie raus. Zum Busfahrer gewandt rief sie: „Könnten Sie vielleicht anhalten? Ich habe vergessen, auszusteigen...“
Der Bus hielt an der nächsten Einbuchtung. Die beiden stiegen aus.
„Aber...“, begann sie die alte Frau mit fragendem Blick zu fragen. Doch diese unterbrach sie mit der Hand abwinkend. „Ich habe nur noch einen kurzen Weg. Aber du, du musst dich beeilen- damit es nicht zu spät ist...“ Sie lächelte sie an.
„Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll...“, stotterte sie aufgeregt.
Doch die kleine Frau legte ihr ihre alte kleine Hand auf die Stirn. „Für die Liebe muss man schon mal Opfer bringen...“
„Danke!“, sagte sie und schüttelte die Hand dieser kleinen, alten, wundersamen Frau. Dann rannte sie über die Straße und wollte nur noch so schnell es ging nach Hause.
Nach Hause, dachte sie. Ja, das ist, wo ich hin gehöre- mein Zuhause.
Sie rannte und rannte. Sie war noch nie so schnell gelaufen. Ein Lächeln lag auf ihren Lippen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
Sei da, dachte sie. Bitte, sei da.
Sie rannte die Verandatreppen hinauf und riss die Türe auf. „Nate?“, rief sie, weiterlaufend. Er stand im Wohnzimmer, mit dem Rücken zu ihr.
Überrascht drehte er sich zu ihr um. Sie stürzte ihm in die Arme. Benommen fing er sie auf. „Julia...?“, fragte er überrascht.
„Es tut mir so leid. Ich war so feige, ich hätte nicht wegrennen sollen...“, sie überschüttete ihn mit Worten, wie ein sprudelnder Wasserfall. „Ich wusste einfach nicht, was ich machen sollte- ich hasse es, mit dir zu streiten...“
„Ich auch...“, sagte er noch immer verwirrt.
„Ich bin in den Bus gestiegen und wollte einfach nur noch weg.. Und dann,... Oh, ich bin so froh, dass du zu Hause warst.. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn du nicht da gewesen wärst...“
Verwirrt schüttelte er den Kopf. Er wusste nicht, wovon sie sprach, konnte ihr nicht folgen, konnte sich nicht erklären, was sie dazu bewegt hatte, doch zu ihm zurückzukehren. „Julia, ... ich verstehe nicht... Erst läufst du auf einmal davon und ich weiß nicht, was los ist,... und dann stürzt du mir... wortwörtlich in die Arme und... warum... bist du wieder hier, Julia? Ich versteh das alles nicht...“
„Ich auch nicht“, lachte sie. „Aber das ist egal. Denn ich bin wieder hier und... wir können da weitermachen, wo wir eben aufgehört haben...“
„Ich weiß nicht... Wo waren wir denn stehen geblieben...?“, fragte er noch immer verunsichert.
„Ist doch egal...“, lachte sie. Sie schaute ihm in die Augen. Dann schaute sie sich um. Ja, hier war sie zu Hause. Sie war glücklich.
„Und was machen wir jetzt?... Hast du wieder vor auf einmal aus dem Haus zu stürmen...?“ Mit hochgezogener Stirn schaute er sie fragend an.
„Nein,... das verspreche ich...“, sagte sie leise und schaute ihm dabei tief in die Augen.
„Und was... machen wir jetzt?“, fragte er sie sichtlich verwirrt.
„Wie wär's, wenn du mich einfach küsst?“, fragte sie ihn und schmiegte sich an ihn.
Er seufzte verwirrt. Doch dann sah er ihr in die Augen. Wer konnte ihr schon wiederstehen? Er wusste nicht, was da eben passiert war, aber er war froh, dass sie wieder da war...
Und auch sie war glücklicher, als jemals je zuvor. Danke, kleine Frau, dachte sie und schmiegte sich in die starken Arme von Nate. Sie seufzte zufrieden.

Denn sie wusste, was sie beinahe verloren hätte... Die Liebe hatte ihr die Augen geöffnet... Die Liebe?... Die kleine Frau..., oder?...
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