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Alt 28.07.2008, 16:17   #1
weiblich Orange
 
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Standard Alle Wege kreuzen sich...

Schicksal

I.
Mark war als Einziger – wie er glaubte – in der Mittagspause in dem Büro zurückgeblieben. Sein Blick wanderte über die Reihen von Rechnern und leeren Stühlen. Beinahe gespenstig wirkte der große, sonst oft überfüllte, Raum jetzt da alle Arbeitsplätze frei waren. Mark wartete noch eine Minute um sicherzugehen, dass er alleine war, dann durchquerte er hastig den Raum und kniete vor einem der Tische nieder. Hektisch riss er eine Schublade nach der anderen auf. Erst in der untersten Schublade fand er das was er gesucht hatte: einen Geldbeutel. Mit zittrigen Fingern zerrte er zerknitterte Scheine aus ihrem Fach und stopfte sie in die eigene Jackentasche. Er richtete sich wieder auf und wollte gehen, aber da stand jemand, nur ein paar Arbeitsplätze von ihm entfernt. Gegen das grelle Mittagslicht, das durch das Fenster drang, erkannte er nur die schmale Gestalt einer jungen Frau, die ihn aus grünen Augen beobachtete.
„Jane!“, keuchte er entsetzt. Sein Gesicht verriet Panik, seine panische Angst.
„Mark! Du hast das Geld genommen! Du hast es gestohlen!“ Ihre Stimme klang merkwürdig laut und schrill in dem leeren Raum.
„Ich lege es zurück! Jane, bitte verrate mich nicht! Ich werde es nicht mehr tun!“, stammelte er verzweifelt und sah sie flehend an.
„Natürlich werde ich das melden!“, gab Jane zurück. „Du hast die ganze letzte Zeit, all die Sachen gestohlen, die verschwunden sind. Du bist ein Dieb.“
„Jane, bitte! Ich bin ruiniert, wenn das auffliegt! Ich werde es zurückzahlen! Ich hatte immer vor es zurückzuzahlen. Ich habe das Geld so dringend gebraucht. Für Marie, du weißt schon. Jane, verrate mich nicht.“ Sein bittender, nahezu anklagender Blick, ruhte auf Jane. Sie glaubte sogar Tränen in seinen Augen zu sehen. Marie, natürlich. Warum war sie da nicht eher drauf gekommen? Marie war Marks extrem anspruchsvolle Freundin. Mark konnte sie nur mit teuren Geschenken halten und das gab sein Gehalt offensichtlich nicht her. Jane musterte ihn kühl. Natürlich würde sie nicht auf seine Bitten hören. Warum sollte sie auch? Er hatte schließlich nicht gestohlen, um jemanden das Leben zu retten, oder sich selbst vor dem Hungertod zu bewahren. Es war eben einfach nicht richtig.
Wortlos drehte sie sich um und ging auf die Tür zu.
„Jane, warte! Bitte, ich kann das erklären! Bitte!“
Jane wartete nicht.

II.
„Ich danke Ihnen für die Information.“, sagte der Chef mit neutraler Stimme. Jane, die ihm gegenüber auf der anderen Seite des massiven Schreibtisches saß, erhob sich langsam. Ihre Hände, auf denen sie während des ganzen Gespräches gesessen hatte, waren eingeschlafen. Ihr Chef lächelte ihr kühl und freundlich zu. Seine tief liegenden Augen verrieten keinerlei Regung. Jane wusste, dass er immer fair war, aber noch niemals Gnade vor Recht gehen hatte lassen. Sie ahnte, dass er Mark, um der Firma willen nicht verklagen würde, aber auf andere Weise dafür sorgen würde, dass er keine Arbeit mehr fand. Immer noch lächelnd hielt er ihr die Tür auf. Jane zögerte, als wollte sie noch etwas sagen, verließ den Raum dann aber nahezu fluchtartig. Sie hörte noch wie der Chef zu seiner Sekretärin sagte: „Schicken Sie mir bitte Mark Schmitt. Sagen Sie ihm es ist dringend.“
Jane umklammerte ihre Handtasche krampfhaft und durchquerte mit gesenktem Blick das Großraumbüro. Trotzdem kam sie nicht umhin Mark zu bemerken, der ihr entgegen kam. Er war bleich, Schweiß stand auf seiner Stirn und seine Schritte waren unsicher. Mit glasigem Blick schien er durch sie hindurch zu sehen.

III.
„Hast du schon von Mark gehört?“, fragte Margarete mit einem genüsslichen Lächeln. Jane schreckte von ihrem Kaffee auf und starrte Margarete, die sich inzwischen eine Zigarette anzündete, an. „Was denn?“, fragte sie, indem sie fasziniert Margaretes knallrote Fingernägel mit den Augen folgte. Margarete ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. Aber schließlich strich sie sich ihre blondierten Haare aus den Augen und sagte: „Was soll schon sein? Hast du ihn noch mal gesehen?“
Jane schüttelte den Kopf. Sie hatte Mark das letzte Mal gesehen, als er seine Schreibtischschubladen geleert hatte.
Margarete, die viel Übung in der Verbreitung von Neuigkeiten und Gerüchten hatte, legte eine weitere Spannungspause ein. „Er ist immer noch arbeitslos. Und jetzt nach fünf Jahren ohne Arbeit wird er wohl kaum noch etwas finden. Außerdem hat ihn Marie verlassen. Und deswegen hat er – na was wohl? – das Trinken angefangen.“ Margarete lächelte triumphierend.
Jane vertiefte sich in die Betrachtung der roten Lippenstiftspuren an Margaretes Tasse und versuchte nicht über das soeben Gehörte nachzudenken. Auch wenn sie nach wie vor der Meinung war, keinen Fehler gemacht zu haben, hatte sie doch ein ungutes Gefühl. War es nicht irgendwie dann doch sie, die Marks Leben ruiniert hatte? Nein, das war er schon selber, sagte sie sich bestimmt
„Hey Jane, was ist denn?“, fragte ihre Gegenüber.
„Nichts.“, entgegnete Jane und riss sich aus ihren Gedanken.
„Wie steht es eigentlich mit dir und Paul?“, plapperte Margarete weiter.
„Wir sind verlobt.“

IV.
„Na wie war es heute in der Schule?“, fragte Paul, indem er seine Tochter auf dem Rücksitz im Spiegel begutachtete.
„Geht schon.“, sagte Ellinor. „Aber ich denke man muss es einfach ertragen, wegen der Bildung und so.“
Paul lachte über diese zehnjährige Weisheit und konzentrierte sich wieder auf die Straße.
„Papa, warum hast du Mama diese Rosen gekauft?“, wollte Ellinor wissen und streckte ihren Kopf zwischen den beiden Vordersitzen hindurch. Paul lächelte und strich ihr über die blonden Locken. „Weil wir heute vor zwölf Jahren geheiratet haben.“, antwortete er. Wie ähnlich Ellinor Jane sah. Die gleichen honigblonden Haare, die gleichen grünen Augen.
Sie kamen in den Ort. Paul bremste ab. Es war wirklich schwer bei dem Regen irgendetwas zu sehen, alles schien in strukturlosem Grau zu versinken.
Ellinor, die in der Zwischenzeit nachgedacht hatte, beugte sich wieder nach vorne und fragte: „Wie hast du Mama kennen gelernt?“ Paul lächelte, als ihm die Erinnerung wieder kam und richtete für einen Augenblick die Aufmerksamkeit nicht auf die Straße vor ihm, sondern auf die Vergangenheit. Den Mann, der mit einem Mal auf der Fahrbahn stand, sah er zu spät und verriss das Steuer. Er hörte seine Tochter noch schreien und dann nichts mehr.

V.
Jane wusste nicht, wie sie es zum Unfallort geschafft hatte, aber da stand sie nun im dichten Regen auf einen jungen Polizisten gestützt. Da neben dem ausgebrannten Autowrack, war ein Notarztwagen, die Feuerwehr, die Polizei, die doch alle nichts mehr tun konnten. Jane schluchzte wieder hilflos.
Ein fetter Mann in Uniform watschelte auf sie zu. Er hatte einen einstudierten Ausdruck der Trauer und des Mitgefühls aufgesetzt. „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie Leid mir das tut.“, sagte er, wobei er Janes Hand ergriff.
Jane versuchte sich zusammen zu reißen, auch wenn sie das nicht konnte. Mit zitternder Stimme flüsterte sie: „Wie ist es passiert?“ Sie musste wissen wie ihr Mann und ihr einziges Kind gestorben waren.
„Ihr Mann musste einem Betrunkenen ausweichen.“, erklärte der dicke Polizist mit tragischer Stimme. Beide sahen sie zu der Mauer, die das Ausweichen verhindert hatte. Der junge Beamte, der Jane immer noch stützte reichte ihr ein weiters Taschentuch. „Wo…wo ist der Betrunkene?“, schluchzte sie. Der Dicke wies auf einen zerlumpt aussehenden Mann, der etwas abseits stand. Als er merkte, dass man von ihm sprach taumelte er ein paar Schritte nach vorne. Der Alkohol hatte sein Gesicht verändert, aber Jane erkannte die braunen Augen, erkannte den ganzen Mann und er erkannte sie. „Mark.“, keuchte sie. Dann schrie sie: „Es ist meine Schuld. Ich habe sie umgebracht!“
Die beiden Polizisten sahen einander besorgt an, dann versuchten sie die schreiende Frau zu beruhigen.
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Alt 11.08.2008, 15:25   #2
Macy
 
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Hi Orange,

sprachlich finde ich deine Geschichte ganz gut. Wirklich angenehm zulesen, auch da keine Komma- oder Rechtschreibfehler drin sind

„Na wie war es heute in der Schule?“, fragte Paul, indem er seine Tochter auf dem Rücksitz im Spiegel begutachtete.

Dieser Satz hat mich als einziger etwas gestört, da würd ich das 'indem' durch 'während' ersetzen, ich finde das logischer und das 'begutachtete' vielleicht durch 'betrachtete'.

Sonst ist die Geschichte ganz nett obwohls schon bisschen krass ist. So die Folgerung: Jemand stiehlt und du meldest es --> Die Person kriegt nie wieder nen Job (bisschen hart, oder?) --> rutscht ab --> verursacht tödlichen Unfall --> die "Petze" gibt sich die Schuld...naja, trotzdem gern gelesen.

Grüße,
Macy
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Alt 12.08.2008, 11:18   #3
weiblich Orange
 
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Ort: dort, wo Orangen vom Schreibtisch gepflückt werden...
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Beiträge: 92


Hi!

Hilfe! Meine Aussage ist nicht rüber gekommen! So war das gar nicht gemeint! Die Aussage war: Du kannst nie die Konsequenzen deiner Handlung absehen. In meiner Meinung hat Jane vollkommen richtig gehandelt. Es sollte eher so wie die griechischen Tragödien rüberkommen. Man kann sein Schicksal nicht verstehen, keineswegs als Strafe für das "petzen". Dass sie sich am Ende die Schuld gibt, liegt daran, dass ihr klar wird, dass es - so indirekt es auch sein mag - eine Folge ihres Handelns ist.

1000 Dank für deine Kritik, Macy. Hat mich sehr gefreut, dass es jemand gelesen hat. Mit dem Satz hast du Recht, klingt verdammt komisch, aber nach sieben Jahren Latein

Viele Grüße
Orange
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Alt 12.08.2008, 16:32   #4
Macy
 
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Hi Orange,

mach dir keine Sorge weil ich die Geschichte missverstanden hab. Sie hat mir ja trotzdem gefallen und ich bin sicher es lag an mir und die andern die sie gelesen haben, haben sie besser verstanden als ich

Lg, Macy
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