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Alt 01.04.2008, 19:20   #1
Traumwächterin
 
Dabei seit: 08/2006
Beiträge: 112


Standard Alltäglicher Maskenball

Heute wachte Milea auf und sah die Welt. An dem 14-jährigen Mädchen war nichts Besonderes, außer, dass sie keiner der Menschen war, die sich selbst fehlten.
Sie ließ sich vom Tag in die Schule, durch die Pausenhalle, ins Klassenzimmer tragen. Ein gefühlstauber Raum blickte ihr hinterlistig entgegen; sie sah, dass er sich von ihren Empfindungen ernähren würde, um es gegen angepasstes Wissen zu tauschen.
„Milea, willst du gar nicht Guten Morgen sagen?“ Klarissa trat siegessicher auf sie zu; ihre Zähne blitzten bereits hungrig. „Das ist aber unhöflich.“ Um sie herum formierten sich Thorben, Markus und Anette. Die vier trugen graue Uniformen, die es ihnen erlaubten sich untereinander zu akzeptieren.
„Guten Morgen“, antwortete Milea freundlich und ihre sehenden Augen blickten Klarissa an. Sie hatte sich rote Lippen gemalt, damit die lächelnde, höfliche gute Laune ihre Hässlichkeit überspielen konnte. „Auch dir einen wundervollen Guten Morgen.“ Als der giftige Sarkasmus dieser Worte kurz vor Mileas Herzen ankam, stießen deren Augen auf Klarissas Mutter, die von ihrem Mann verlassen worden und mit der Tochter allein gelassen worden war. Sie gab der aufsässigen Klarissa gerade Schminktipps. „Du musst hübsch sein, dann mögen dich alle, denk daran“, säuselte sie.
„Ach lass es, Klarissa, die hat es doch gar nicht verdient, dass wir freundlich zu ihr sind. Ich meine, sie beleidigt uns ja ständig“, meinte Thorben und fügte auf die Frage „Womit denn?“ hinzu: „Na, durch ihr Aussehen.“ Sie lachten. Milea sah die Clownsmaske auf seinem Gesicht, unter der er die Tränenflüsse versteckte. In ihnen erkannte sie erstickende Erwartungen und betäubende Vorwürfe eines Vaters, der sich durch seinen Sohn verwirklichen wollte.
Milea schüttelte den Kopf und wollte an den Vieren vorbei treten. Aber sie ließen sie nicht. Markus trat ihr direkt entgegen. „Willst du durch? Magst du uns etwa nicht leiden?“ Er trug ein Gewehr bei sich, das ihn stärker machte. „Tja, Markus, sie will wohl nicht mit uns befreundet sein“, lachte Thorben. „Und da wunderst du dich, warum dich niemand mag, Milea? Du hast doch selbst Schuld.“ In Markus' Augen zeigte sich eine verlorene, aufzehrende Liebe, die nicht zuwachsen wollte. Sie sah einen Jungen, der immer geliebt und gehofft hatte, bis er sich an der Enttäuschung bitter verschluckt hatte. Klarissa bot ihm wenigstens die Illusion einer erwiderten Liebe.
„Unfreundlich und eklig – ich hab zwei Synonyme für Milea gefunden.“ Dumpfes, gefühlsloses Lachen ertönte. Anette versteckte ihr Gesicht hinter einem weißen, perlenbestickten Schleier und lachte mit. Ungewollt flüsterten ihre Lippen auch durch den feinen Stoff: „Es tut mir leid, aber wenn ich nicht mitmache, wäre ich es, über den sie sich lustig machen würden.“
„Ihr habt doch keine Ahnung. Also, lasst mich bitte einfach in Ruhe.“ Milea wollte sich gerade umdrehen, da sah sie ein Funkeln, einen roten Blitz. Sie fühlte wie die gierigen Vampirzähne von Klarissa, Thorben, Markus und Anette sich in ihr Fleisch bohrten. Sie labten sich an ihrem warmen Blut. Als sie satt waren, sprach Milea mit ruhiger, schwacher Stimme: „So wie ihr mich verachtet, seid ihr wohl auch unfähig euch selbst zu kennen oder zu mögen.“
Ein Knall. Die Schüler und der Raum wurden in ihren Grundfesten erschüttert.
„Guten Morgen, Herr Grätz“, begrüßte Anette den Lehrer freundlich. Die vier Uniformierten nahmen ihre Plätze im Klassenraum ein.
„Milea, was machst du denn da auf dem Boden? Und was soll das mit dem ganzen Blut?“ Rote Flüsse des Verbrechens rannen aus Mileas Bisswunden, drangen in die Klasse ein und versiegten im Teppich.
Die Augen des am Boden liegenden Mädchens richteten sich auf den Mann, der sich hinter den intelligenten Gläsern seiner Brille versteckte. Sie sah jemanden, dessen schwarzer Anzug eine leere, gefühlslose Hülle beherbergte.
Milea wollte gerade erklären, da fiel ihr Thorben ins Wort: „Ach, Herr Grätz, das war doch alles nur Spaß.“
„Ja also, Milea, so geht das nicht, stell dich nicht so an, hör auf zu bluten und setz sich auf deinen Platz.“
Traumwächterin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.04.2008, 14:56   #2
lichtelbin
 
Dabei seit: 07/2006
Beiträge: 626


Hi

ganz ehrlich, das kommt mir verdammt bekannt vor, denn es ist der ganz normale wahnsinn
es fällt mir nciht schwer, mich mit Milea zu identifizieren, aber mir fehlen an ihr noch einige komponenten, sie ist mir das zu perfekte arme Kind, sie ist mir zu gütig und weise
sie zeigt keine Anzeichen von Wut oder Rachelust, unsicherheit über sich selbst... Gefühle, die mich in solchen Momenten befielen oder befallen würden und bei denen ich mir nicht vorstellen kann, dass sie andere nicht empfinden
Was ich besonders finde ist die Bildsprache... Milea ist bestimmt etwas ganz besonderes, denn sie sieht, sie sieht anders und erkennt anders, das schreibst Du ja selbst
was mich außerdem stört, ist die fehlende "Action"(?)
Mir ist schon klar, worums geht, aber mir fehlt das gewisse etwas, der moment, in dems "klick" macht, denn es gibt ja keine richtige entwicklung, die charaktere der peiniger wird beschrieben... aber dann?
die geschichte an sich ist ja eigentlich nicht zu ende, denn es wird weitergehen und weitergehen und weitergehen
und solche Dinge, wie Mileas Endwort hätten höchstens noch weitere "Bisse" nach sich gezogen, sonst nichts.
Sie sind kein Ende und sie stoßen mich nicht in die kalte Unbarmherzigkeit des "jetzt musst Du selbst denken", die ich mir nach einer Kurzgeschichte immer erhoffe.
Das ganze erinnert mich mehr an eine Passage aus einem Roman
(oder Du musst Dein Ende nocheinmal überdenken)
Was mich aber wirklich (um das nochmal zu betonen) beeindruckt ist die Art, auf die Du die anderen oder die Umgebung beschreibst und das, was Milea sieht und fühlt, ich glaube, ich dachte zwei, dreimal "Ja, genau so ist es"

Engelsgruß, Lichtel
lichtelbin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.04.2008, 15:52   #3
Traumwächterin
 
Dabei seit: 08/2006
Beiträge: 112


Huhu Lichtel :-)

erst einmal Vielen Dank für deinen produktiven Kommentar.

hmm, ja es stimmt schon, es wird wenig von Mileas Gefühlswelt klar. Ich habe es an einigen Stellen angedeutet, dass sie ja doch verletzt wird durch die „Angriffe“ also dadurch, dass ich z.B. geschrieben habe: „Als der giftige Sarkasmus dieser Worte kurz vor Mileas Herzen ankam ...“ Ich wollte schon klar machen, dass sie berührt wird davon. Aber auf der anderen Seite wollte ich sie auch als jemand darstellen, „der sich selbst nicht fehlt“ also jemand, der durchaus selbstbewusst ist und deswegen darüber steht.
Jedes Mal, wenn sie angegriffen wird, wird sie ja auch nicht wütend, bekommt sie keine Rachegedanken – stattdessen sieht sie, wie schlecht es eigentlich ihren Angreifern selbst geht. Daraus, dachte ich zumindest, könnte man durchaus schließen, dass sie eher Mitleid mit der Clique hat.
Ich verstehe deine Kritik daran, dass sie etwas „idealisiert“ ist und vielleicht auch für einen angegriffenen Menschen zu milde reagiert. Auf der anderen Seite wollte ich aber auch zeigen, wie man sich zumindest emotional vor solchen Angriffen schützen kann – nämlich dadurch, dass man sich klar macht, dass man selbst nicht Schuld ist und erkennt, dass die vermeintlichen bösen, gemeinen „anderen“ selbst noch schwerwiegendere Probleme haben müssen. Gerade deswegen habe ich sie nicht als wütend oder unsicher dargestellt. Ich hatte auch vor, mich klar von dem „typischen, unsicheren“ Opfer zu distanzieren. Von der Intention her finde ich es persönlich gerechtfertigt, dass sie so „idealisiert“ ist ... schade, dass das so nicht angekommen ist. Aber ich wüsste nicht, wie es besser machen sollte, ohne meinen angedachten Sinn zu sehr zu verändern.

Was das Ende anbetrifft, gebe ich dir auf jeden Fall Recht: Es ist sehr offen. Da muss ich zugeben, ist mir auch nichts besseres eingefallen, wie ich die Geschichte abschließen könnte. Am Ende ist es als symbolisch die Passage aus Mileas Leben, die an der Stelle endet – das Leben und das Mobbing wird allerdings weitergehen. Hmm, vielleicht überlege ich mir noch einmal ein eleganteres Ende, ist aber schwierig, mal gucken *g* Es fehlt vielleicht auch so eine Art Finale ... dadurch könnte man möglicher Weise auch noch ein bisschen zusätzliche "Action" produzieren ...
Auf jeden Fall Danke noch Mal für den Kommentar, gerade in Bezug auf das Ende hat er mir sehr weiter geholfen ;-)

liebe Grüße
Traumi

PS: habe jetzt ein "alternatives Ende" geschrieben, bzw. habe es einfach angefügt *g* Wäre sehr schön, wenn du es dir durchlesen könntest und mir sagen würdest, wie du es jetzt findest :-)
Traumwächterin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.04.2008, 22:17   #4
lichtelbin
 
Dabei seit: 07/2006
Beiträge: 626


mh... ok?
im ersten Moment etwas krass
im zweiten moment fällt einem dann auf, dass ja das andere auch nur metaphorisch gemeint ist und plötzlich... ich finde es gut, es gefällt mir wirklich
kann aber auch sein, dass andere Leute das übertrieben finden
milea wird wohl aufstehen und aufhören zu bluten... aber vielleicht wird sie trotzdem "sterben"
ja, das mag ich
zu dem Thema mangelnde Wut: wie gesagt, ich weiß es nicht so genau
ich glaube, ich würde schon alleine wütend werden, weil ich ganz genau weiß, dass die anderen keinen grund haben, mich so zu behandeln, eher umgekehrt
verzweiflung, weil man nichts tun kann, dagegen
man kann sich lange einreden, darüber zu stehen, man kann definitiv darüberstehen, aber ich glaube, dieses kleine quänchten wut bohrt sich immer durch

Engelsgruß, Lichtel
lichtelbin ist offline   Mit Zitat antworten
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