Das Seminar

[talking head]

Vorgeschichte: Seminar in Berlin, zweiter Abend, anregendes Gespräch, guter Wein, Abschied zur Nacht, Austausch von Visitenkarten; ihre ist noch nicht fertig, es fehlt noch eine Blüte; die nicht mehr ganz so fremde Schöne kommt näher, um mir den dafür noch freien Platz zu zeigen...

„Da fehlt noch eine schöne Blüte“
sagte die fremde Schöne.

„Bist selbst doch eine.“

sprang's mir aus dem Gemüte

auf den Tanzboden ihres Lächelns,
warm und zart in rote Wangen,
lockte glitzernd
aus zweifachem Kristall.

„Wie weiches Wasser aus tiefem Quell
sind Deine Worte mir;
eben noch erzitternd,
ist meine Seel' nun seltsam glatt.

Ich nehm's so gern, verlangt nach mehr,
bin noch nicht satt;
doch dank ich nicht dafür,“

stehen nah einander in der Jugend
unseres kundigen Alters;

elektrisch knistert's im Zauber
von 127 Jahren;

ich denk' dabei an alles, nur an Tugend
nicht; von Moral enthoben,
beginnt's in mir zu schweben,
zu reißen und zu toben.

„Zu lang ist meine Handynummer,
drum merk dir lieber ohne Kummer
meine kurze Zimmernummer.“

sprach's, berührte ungewollt,
ganz eben meine Hand.

Warum geht jetzt mein Blick nach oben:
Moral wird wach, beginnt zu toben,

um mich dann aber doch zu loben,
weil's Hirn verwarf die kurze Nummer;

so ging ich in des Nachtlichts Schummer
lieber nicht zu ihrer Nummer,

vermied so manchen schweren Kummer
bin nun also ich ein Dummer?

Manchmal ist Vergessen klug
bewahrt sogar dich vor Betrug;

sich zu begnügen,
erspart zu Hause dir das Lügen.