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Alt 22.11.2012, 14:30   #1
männlich Desperado
 
Benutzerbild von Desperado
 
Dabei seit: 03/2012
Ort: Erde, Europa, Deutschland, Bayern
Beiträge: 1.747

Standard Altersmilde

Die jungen Leute gehen davon aus, dass du irgendwann genug Fehler gemacht hast und klug genug davon geworden bist, keine mehr zu begehen.

Es gibt so unzählig viele Möglichkeiten im Leben, Fehler zu machen, dass du nie damit fertig werden wirst. Wenn du glaubst, die Palette vollgemacht zu haben, bist du grade dabei, den nächsten Bock zu schießen. Du darfst ja schon heilfroh sein, wenn es dir gelingt, wenigstens nicht andauernd die selben Fehler aufs Neue zu machen. Oder einen großen nicht öfter als zweimal oder dreimal.

Die Jungen glauben immer, die Qual der Wahl würde sich mit dem Älterwerden legen und besser werden. Die Wahrheit ist, dass es dir immer schwerer fällt Entscheidungen zu treffen je älter du wirst. Irgendwann würdest du am liebsten überhaupt nicht mehr vor eine gestellt werden, wenn da einer käme und sagte, das lassen wir jetzt alles so wie es ist, hättest du da absolut nichts dagegen.

Außerdem hörst du damit auf, dich ständig mit der Frage zu quälen, ob und wie viel du deinen Nachkommen im weitesten Sinne mitgegeben und was davon du versäumt hast, weil du eingesehen hast, dass es sowieso kein Schwein mehr interessiert. Du bist eben einfach noch da, weil du noch nicht gestorben bist, und das ist alles was dir bleibt von dem großen Gezeter, Mordio und Geschrei, dass du dir hast anhören müssen dein ganzes bekacktes Leben lang.

Die Alten trösten sich damit, dass sie ihre Ansammlung an Gestern reiche Erfahrung nennen und ihre ernüchterte Erschöpfung Weisheit, und es sei ihnen vergönnt. Denn sie wissen sehr wohl, dass sich sowieso niemand darum schert, schon gar nicht von denen, die ihnen am Herzen liegen.

Die Jugend weiß ohnehin alles besser, das liegt in ihrer Natur und soll so sein, die Erwachsenen in ihrer Vollkraft verlieren keinen unnötigen Gedanken daran, eines Tages auch so zu enden wie die senilen Vorgänger ihrer Elterngeneration, die Graumelierten sind eitel froh, noch dazugehören zu können und wollen schon gar nichts wissen von der anstehenden Gebrechlichkeit, und die Gleichaltrigen behalten wohlweislich für sich, im Grunde genau dieselben Trottel zu sein wie immer schon gewesen und ohne was dazu gelernt zu haben.

Die Frucht des Alters erschöpft sich im Großen und Ganzen darin, sich das eine oder andere einfach sparen zu können, weil man oft genug schmerzhaft auf die Nase gefallen ist, um diese Erfahrung nicht unbedingt erneut machen zu müssen. Die gereifte Altersklugheit ist nichts anderes als angewandte Schadensvermeidung infolge schwindender Belastbarkeit.

Die listigen Alten, die sich die Fürsorge und Zuneigung der Jungen nicht verscherzen wollen, werden sich hüten das zuzugeben. Sie machen bei allem Unverständnis einen auf offenes Ohr und wissendes Herz, was natürlich jedes Greenhorn gerne mal für sich in Anspruch nimmt und den verstaubten Ratgebern das Gefühl gibt, wenigstens noch für irgendetwas gut und brauchbar zu sein.

Die unverbesserlichen Alten indessen, zu denen zweifellos der Desperado gehört, scheren sich nicht um ihre Versorgung und ob die Jungen sie leiden mögen oder hassen, sie machen sich nichts aus der erwarteten alles verzeihenden Güte und dem endlosen Langmut, wenn allüberall der nackte Wahnsinn um sich greift. Sie reden Klartext noch aus dem Grab heraus, so sie denn gefragt werden, was für gewöhnlich sowieso nicht der Fall ist.

Denn wer hört schon gern, dass er ein hoffnungsloser Idiot ist, der getrost alles ausprobieren und nur eines tunlichst lassen soll, nämlich auf den Quatsch der Alten hören. Weil der altgewordene Desperado niemandem was Verbindliches zu sagen hat, schreibt er auch keinem was Bindendes vor. Allerdings nimmt er sich die Freiheit, über die Torheiten zu lachen, durch die er sich selbst geplagt hat in der festen Überzeugung das Richtige zu tun.

Und schert sich den Teufel drum, ob das nun seinem Beliebtheitsgrad förderlich oder abträglich ist.


Auzug aus dem Federhut
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Alt 22.11.2012, 20:07   #2
männlich nightwalker
 
Dabei seit: 11/2012
Ort: nighttown
Alter: 62
Beiträge: 4

Juten Abend, Desperado!

Unterhaltsamer Text mit Klugheit gewürzt. Ich denke, dass Alter und Klugheit, oder gar Weisheit, nicht zwangsläufig in Wechselwirkung stehen. Bei den Indianern mag das wohl noch so gewesen sein.

Zitat:
Die gereifte Altersklugheit ist nichts anderes als angewandte Schadensvermeidung infolge schwindender Belastbarkeit.
Gereifte Altersweisheit ist vielleicht auch die Erkenntnis, die Dummheit bei sich selbst zuallererst suchen zu müssen, anstatt bei anderen.

Gruß
nightwalker
nightwalker ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.11.2012, 17:56   #3
männlich Desperado
 
Benutzerbild von Desperado
 
Dabei seit: 03/2012
Ort: Erde, Europa, Deutschland, Bayern
Beiträge: 1.747

Zitat:
Zitat von nightwalker Beitrag anzeigen
Gereifte Altersweisheit ist vielleicht auch die Erkenntnis, die Dummheit bei sich selbst zuallererst suchen zu müssen, anstatt bei anderen.
Mehr noch, nightwalker,

...die Dummheit bei sich selbst gefunden zu haben, anstatt sie bei andern suchen zu müssen.
Hat schon was befreit Entspanntes, ohne Frage.

Gruß
Desperado
Desperado ist offline   Mit Zitat antworten
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