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Alt 27.12.2008, 16:43   #1
Trollbär
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Standard Das besondere Geschenk

" Sieh nur, wie die Sonne lacht. Und dass am heutigen Tag. Ist das nicht herrlich, mein Lieber?"
Als Marlis an diesem Morgen aus dem Fenster sah und ihr die Sonne ins Gesicht schien, wusste sie, dass dies ein ganz besonderer Tag werden würde.
Er war ohnehin schon etwas Besonderes, denn es war der Tag, an dem sie, wie jedes Jahr, den Geburtstag ihres Mannes Hans feierte. Allerdings, und das war heute anders, würde sie heute alleine sein, denn seit ungefähr einem halben Jahr war Marlis Witwe. Ihr Mann starb an einem Donnerstag. Daran konnte sie sich noch genau erinnern. Donnerstags war immer sein geliebter Skatabend. Doch an diesen Abend warteten seine Freunde vergeblich auf ihn.
An diesem Donnerstag schlief Hans ganz friedlich auf seiner Couch ein. Und das war nun schon wieder ein halbes Jahr her? Wie schnell doch die Zeit vergeht, dachte Marlis.
Marlis war eine Frau von nunmehr zweiundachtzig Jahren. Schon als Kind lernte sie ihren Hans kennen. Sie wohnten nicht weit voneinander entfernt und gingen in dieselbe Schulklasse. Aus der Freundschaft wurde Liebe und als sie einundzwanzig waren, feierten sie ihre Hochzeit. Nie hatte es ein böses Wort gegeben, kaum ein Streit, der nicht in einer liebevollen Versöhnung endete. Alles taten sie zusammen. Jeder war stets für den Anderen da. Nur heute, an seinem Geburtstag, dem ersten nach seinem Tode, war sie allein.
Nachdenklich öffnete Marlis das Schlafzimmerfenster um etwas frische Luft hineinzulassen, verließ den Raum und schloss hinter sich die Türe. In der Küche machte sie sich schnell etwas Wasser heiß und brühte sich einen Kamillentee.
Auf der Anrichte in der Küche, die wie immer sauber und aufgeräumt war, stand ein Foto, das Hans als jungen Marinesoldat zeigte. Marlis sah es an und sagte leise: "Ach Hans, siehst du. Heute ist dein Geburtstag. Ich wünsche dir alles Gute, da wo du jetzt bist. Weißt du, ich vermisse dich so sehr, dass es mir im Herzen weh tut. Ich werde dir deinen Kuchen backen, den du doch immer so gerne gegessen hast. Und ich richte dir deinen Geburtstagstisch. Und Kerzen bekommst du auch." Sie lächelte ein wenig, aber die Tränen konnte sie dennoch nicht zurückhalten. Sie nahm ihre Teetasse, hielt vorsichtig die Untertasse darunter und ging ins Wohnzimmer.
Alles war so wie immer und doch, heute schien etwas anders zu sein. Marlis dachte nach. Sie musste einen Kuchen backen und den Tisch decken. Und Kerzen sollen heute auch brennen, ja und ein Geschenk...
Sie brachte schnell ihre leere Tasse in die Küche zurück und ging wieder ins Schlafzimmer. Die Morgensonne hatte das Zimmer nicht wirklich aufgewärmt und so war es recht frisch geworden. Marlis schloss das Fenster, öffnete den Kleiderschrank und überlegte, was sie heute zur Feier des Tages anziehen sollte. Sie entschied sich für ein hellblaues Kleid mit gelben Blumen, was Heinz immer so sehr an ihr mochte. Im Bad brauchte sie heute doppelt so lang als sonst. Schließlich musste ja auch die Frisur richtig sitzen. Nachdem sie fertig war, stellte sie sich vor den Spiegel. Ja, so würde sie ihm wohl gefallen.
Sie packte sich ihre Handtasche, warf noch einen Blick auf den leeren Geburtstagstisch im Wohnzimmer und verließ ihre Wohnung. Nur ein paar Häuser weiter, kam sie an den kleinen Lebensmittelladen, in dem sie schon seit vielen Jahren ihre Einkäufe erledigte und wo man ihr auch schon so manches Mal die schweren Tüten nach Hause brachte. Hier ging sie regelmäßig einkaufen um Vorräte für die kommende Woche zu besorgen. Heute aber, beschränkte sie sich auf die Zutaten, die sie brauchte, um für ihren Hans den Lieblingskuchen zu backen. Es war nicht viel und es passte alles in das Einkaufsnetz, das sie einmal vor vielen Jahren aus dem Urlaub mitbrachte und das ihr noch immer gute Dienste leistete. Auf dem Weg nach Hause machte sie einen Umweg. Sie kannte hier jedes Haus. Auch das Geburtshaus ihres Mannes, das schon seit Jahren unbewohnt war, ließ sie auf ihrem Weg nicht aus. Andächtig blieb sie eine Weile davor stehen und lief dann langsam weiter. In einer Seitengasse bog sie nach links ab und gelangte so zu einem Kinderspielplatz. Sie musste lachen. Auf diesem Spielplatz begegnete sie ihm zum ersten Mal. Damals mussten sie so fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein. Aber genau hier, an dieser Stelle hatten sie sich kennen gelernt. Damals war das hier noch eine Wiese. Die Jungen hatten Tore abgesteckt und mit zusammengebundenen Stoffballen Fußball gespielt. Die Mädchen sahen zu und feuerten ihre Mannschaft an. Marlis setzte sich auf eine der Bänke und sah den spielenden Kindern zu. In ihren Gedanken hörte sie jetzt wieder die Stimmen der Jungs wie sie sich gegenseitig dazu aufforderten den Ball abzugeben, oder "schieß doch!", riefen. Eine Stimme aber erkannte sie sofort. Es war die von Hans. Ihrem Hans. Wie oft verbrachte sie die Nachmittage damit, den Jungs beim Fußball zuzusehen, nur um in seiner Nähe zu sein. Marlis genoss diese Gedanken daran. Mit geschlossenen Augen erlebte sie noch einmal, wie sie ihn dazu brachte, mit ihr auszugehen. Sie erlebte den ersten schüchternen Kuss, ihre Verlobung und dann die Hochzeit. Eine Traumhochzeit für damalige Verhältnisse.
Der Ball, der sie plötzlich an den Füßen berührte, riss sie aus ihren Träumen. Sie schaute hinab, bückte sich und warf den Ball zu einem der wartenden Jungen zurück. Abermals musste sie lachen. Viel hat sich nicht geändert, dachte sie noch und hörte die Glocke der kleinen Kapelle schlagen. "Was, schon elf?", murmelte sie und stand auf. Sie strich mit der linken Hand den Sand von ihrem Kleid und beeilte sich jetzt nach Hause zu kommen. Sie hatte noch einen Kuchen zu backen und musste den Tisch herrichten. Beinahe wäre sie durch ihreTräumereien zu spät zu der Geburtstagsfeier gekommen.
Es war fast drei Uhr am Nachmittag, als Marlis fertig war. Der Tisch war mit dem Tischtuch gedeckt, das sie immer dann hervorholte, wenn es etwas ganz Besonderes zu feiern gab. Die Teller mit dem goldenen Rand und die dazu passenden Kaffeetassen, hatten wie jedes Jahr ihren Platz und auch die verzierten Kerzenhalter fehlten nicht. In der Mitte des Tisches stand der große, runde Erdbeerkuchen, daneben ein Sahneschälchen, in dem ein silberner Löffel steckte. Marlis holte schnell noch ein paar Zündhölzer und steckte die Kerzen an.
Den Nachmittag verbrachte sie damit, in alten Fotoalben herumzustöbern. Sie hatte es sich auf der Couch, auf der Ihr Mann immer so gerne gelegen hat, gemütlich gemacht und sah sich die alten Aufnahmen an. Es schien, als sei sie nun mit sich und der Welt zufrieden. Eines der Bilder, auf dem Hans als stolzer Besitzer eines Volkswagens zu sehen war, hielt sie ganz lange fest.
"Sein ganzer Stolz", sagte sie und wieder ging ein Lächeln über ihr Gesicht. "Ach", bemerkte sie plötzlich, "ich habe ja noch ein Geschenk für dich, mein Lieber. Warte, noch. Ich muss die Fotos erst ein wenig sortieren. Es muss doch jetzt alles seine Ordnung haben." Die Turmuhr der Kapelle war wieder zu hören. Sieben Schläge waren es diesmal. Die Kerzen waren fast heruntergebrannt und Marlis blies sie aus. Ja, alles sollte seine Ordnung haben. So wollte sie es immer.
Als die Uhr neun schlug, konnte Marlis sie nicht mehr hören. Zu dieser Zeit befand sich bereits auf dem Weg. Auf dem langen Weg zu ihrem geliebten Mann, um ihm sein Geschenk persönlich überbringen zu können. Und bald schon würde Hans sein ganz besonderes Geschenk wieder in die Arme schließen können.



Detlev Zesny
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