Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Sonstiges und Experimentelles

Sonstiges und Experimentelles Andersartige, experimentelle Texte und sonstige Querschläger.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 04.06.2006, 18:11   #1
Torsten
 
Dabei seit: 11/2005
Beiträge: 69

Standard Prostituierte

Prostituierte

Ich hatte auch in der DDR davon gehört: daß es Frauen (noch später wurde mir bewußt: auch Männer) gibt, die nicht aus Liebe oder Vergnügen, sondern für Geld sexuelle Handlungen ausführen.

Angeblich wurden die beispielsweise zu Tausenden - natürlich streng geheim, denn Prostitution ist im Sozialismus keine anerkannte Berufstätigkeit - auf Anweisung „von ganz oben“ zur Leipziger Messe gekarrt, um den westlichen Messebesuchern zu Diensten zu sein. Hier tauchen aber einige Fragen auf: Welcher Idiot würde wohl darauf setzen, daß solche Frauen (und Männer) so vertrauenswürdig sind, daß das nicht zu BILD und SUN durchdringt? Und warum sollte man immer innerlich und oft auch äußerlich häßlichen Kapitalvertretern ihren von zu Hause gewohnten unwürdigen und entwürigenden Lebensstil ermöglichen? Die paar Tage, bis sie wieder in ihrem Hurensystem von ihren Huren bedient werden, können sie ja wohl mal selbst Hand anlegen.

Kurz und gut: In der DDR kannte ich Prostitution nur gerüchteweise. Natürlich gabs sicher Frauen, die hier das Angenehme mit dem Nützlichen verbanden - oder auch das Unangenehme mit dem materiellen Nutzen, den man aus hübschem Gesicht und/oder niedriger Hemmschwelle ziehen kann.

Das änderte sich 1990 schlagartig. Mangels Bordellen, die dann aber auch schnell wie Pilze aus dem Boden schossen, tatens erst mal paar Straßen voller Wohnwagen. Naja, man hört eben davon oder fährt vorbei - aber eines Tages schlug die Stunde, das auch selbst zu sehen. Ich arbeitete eine Weile in München und manchmal fuhr ich über die Tschechische Republik. In der dafür berüchtigten Gegend um Dubi standen sie massenhaft am Straßenrand: junge, zumindest aus der Entfernung hübsche Mädchen und Frauen, die mir aus Verzweiflung, sich verkaufen zu müssen, teilweise vors Motorrad sprangen - worauf ich zunächst auszuweichen versuchte, mich aber dann daran gewöhnte, daß die rechtzeitig vor dem Aufprall wieder zur Seite treten. Mein Zweifel bestand darin, daß sie das vielleicht mal doch nicht schaffen, weil sie, während ich schon in dicken Thermoklamotten friere, in kurzen Sachen vielleicht ein wenig langsam sind.

Da war die Hamburger Reeperbahn schon gemäßigt, wo mich eine recht hübsche junge Frau im Skianzug ansprach, ob ich etwas Liebe will. Naja, ich habe ja nichts gegen Liebe und auch nichts gegen darauf beruhendem Geschlechtsverkehr, aber auch sie meinte offensichtlich nicht das, was ich unter Liebe verstehe.

Wenn ich solche Frauen (oder Männer) treffe, schaue ich ihnen traurig genau in die Augen, um zu sehen, was sie wohl dabei empfinden. Abgestumpftheit, Fügsamkeit in das, was sie tun müssen, ohne es zu wollen, Entschlossenheit, das auch bis zur letzten Konsequenz zu tun, um wenigstens dieses miese kleine Stück unwürdigen, sich prostituierenden Lebens zu erhalten.

Gestern kam ich wieder an Hundert(schaft)en dieser hoffnungslosen, zu Allem bereiten, erbarmungswürdigen männlichen und weiblichen Kreaturen vorbei, die sich für ein paar Brosamen vom Tisch ihrer Herren prostituieren und an die Straße stellten, wo sie benutzt, aber nicht gemocht werden. Nur wenige dieser armen Opfer und gleichermaßen Täter, darunter viele hübsche junge Frauen, in ihren grünen Einheitsanzügen hielten meinem traurigen Blick durch ihr heruntergeklapptes regennasses Visier stand - und auch die nur kurz.

Gestern war die zentrale Demonstration gegen Sozialabbau in Berlin, deren friedlicher Verlauf nur durch Gewaltexzesse der Polizei gestört wurde.
Torsten ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Prostituierte




Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.