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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

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Alt 12.03.2006, 00:06   #1
Lex
 
Dabei seit: 06/2005
Beiträge: 146

Standard Beileid

Beileid

Lex

Mein Neffe starb, der kleine Jan.
Trauer ist hier angebracht.
Noch heut werd ich zur REWE fahrn,
praktisch, hab ich mir gedacht.

Beileidskarten gibt es grad,
im Angebot und Apfelsinen,
Um die mich meine Freundin bat,
ein gutes Kilo mitzubringen.

Ausgesegnet wird er noch,
diese Woche glaube ich.
Vielleicht ist es am Donnerstag
lieber Gott ich hoffe nicht.

Denn im Fernsehn läuft da grad
was ich jede Woche seh
weil ich da zur Abwechslung
ohne Denken viel versteh.

Am Sonntag wär es angebracht
da haben die Geschäfte zu
Da könnt ich zwischen 6 und 8
zur Stätte seiner letzten Ruh

Obwohl, ich mach mir nur was vor,
Zeit für den Tod hatt' ich noch nie.
Der steht nicht im Kalender
und kommt doch immer, irgendwie.

Den kleinen Jan vermiss ich sehr,
schon seit Gestern ist er fort.
Er steht und lacht an meinem Grab
denn ich bin toter als er dort.
Lex ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.03.2006, 00:26   #2
Maya
Gast
 
Beiträge: n/a

Ich finde es makaber; die letzte Strophe soll zwar Deine Gefühlslage ausdrücken, doch bekommst Du die Kurve nicht rechtzeitig. Klar versucht man in solchen Situationen zu verdrängen, sich an Banalitäten des Alltags zu klammern, aber diese Gedankengänge sind mir einfach zu krass...Vor allem die die Anfangszeilen der zweiten Strophe finde ich geschmacklos...Sorry, ist echt nicht mein Fall.

lg yamaha
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Alt 12.03.2006, 00:33   #3
MutedStoryteller
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 307

Ich mag es...
Ich habe selber ein ähnliches geschrieben und es ist doch wirklisch Geschmaklos, wie teilweise über Tote hergefallen wird, oder wie sie "ignoriert" werden im Alltag. Oder dieses geheuchelte Beileid, ala "entfernter Verwanter gestoben. Oh wie schrecklich". Sorry ne.

Das Gedicht drückt schon aus (wenn auch extrem) das wir oder zumindest viele Menschen garnicht weiter denken als "Oh er ist Tod... Wie schrecklich..." Wie Viele stehen "doof" auf der Trauerfeier rum ohne den jenigen näher gekannt zu haben und heucheln ihre trauer.
Das finde ich Makaber...

Schönes Gedicht, Lex
MutedStoryteller ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.03.2006, 03:09   #4
Guardian
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 597

Au, das ist böse. Trifft den Nagel mit einem Vorschlaghammer da, wo's richtig wehtut. Lob.

@yamaha: Geschmacklos? Schon möglich, leider aber zu einem großen Anteil geschmacklose Wirklichkeit.
Guardian ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.03.2006, 03:12   #5
Maya
Gast
 
Beiträge: n/a

Vielleicht, wenn es einen Erwachsenen betrifft, der Dir nicht nahe steht...hier geht es um ein Kind, dazu handelt es sich um den eigenen Neffen.
Ich bleib bei meiner Meinung - und gönne Dir Deine...

lg yamaha
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Alt 12.03.2006, 04:00   #6
TobiL.
abgemeldet
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 280

Ich finde dieses Gedicht wirklich außerordentlich gelungen!

Die Ironie springt einem geradezu ins Auge. Den Vergleich mit "Rewe" und den "Apfelsinen" finde ich wirklich toll, auch den, mit den "Beileidskarten".

Geschmacklos finde ich hier überhaupt nichts. Wie man sich über so ein Gedicht eschofieren kann, ist mir vollkommen unverständlich. Es ist ja nicht ernst gemeint. Ich denke eher, dass die Wahl des Neffen, als jungen Menschen, als Kind, sicher bewusst gewählt wurde, um klar zu machen, dass sich diese "Gewohnheiten" eingeschlichen haben, egal bei welcher Altersklasse oder Gesellschaftsgruppierung.

Einziger kritikpunkt sind die vier Fehler in der Reimstruktur. Man gerät ins Stocken beim Lesen. (Strophe 3,4,5 und 6 weisen "ungereimtheiten" auf.)

Aber sonst wirklich toll gelungen. Gefällt mir sehr gut.

Lieben Gruß, Tobi.
TobiL. ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.03.2006, 06:46   #7
Maya
Gast
 
Beiträge: n/a

@ Tobi,

bevor ich das Wort *echauffieren* auf die Liste der ungeliebten Wörter setze, sei es hier noch mal aufgegriffen, um klar zu stellen, dass ich mich übers Gedicht nicht echauffiert habe (zu deutsch: aufgeregt, bestürzt sein)...
Nö, nö, nö, ist vielleicht durch meine Wortwahl (krass, makaber) so rübergekommen - aber nein, ich war und bin noch ganz ruhig und warte darauf, dass das Koffein durch meine Adern pulsiert, ich richtig wach werde und Du mich zur Arbeit (e)chauffieren kannst...

lg yamaha
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Alt 12.03.2006, 14:07   #8
amadeus_storm
 
Dabei seit: 03/2006
Beiträge: 7

Großes Lob an den Schreiber. Echt gut umgesetzt!
Versmaß hattest du wohl nicht im Hinterkopf, was aber nicht auffällt...alternieren tut es ja durchweg.
Auch ein Lob geht an die vorletzte Strophe - grade an Vers 3:
Der liest sich irgendwie so rasant runter, dass man meinen könnte, man befände sich in der letzten Strophe, und diese klingt dadurch wie ein weicher Ausklang des Ganzen *daumzeig*

Sehr gern gelesen!

Gruß, amadeus s.
amadeus_storm ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.03.2006, 14:56   #9
Alpha
 
Dabei seit: 11/2004
Beiträge: 312

Ich weiß gar nicht, ob ichs mögen oder "unangebracht" finden soll. Letzteres denke ich weniger. Es ist Lyrik - Kunst - und die darf das bekanntlich, Regeln / Werte / Akte der Höflichkeiten etc sprengen. Der Inhalt bzw der Umgang mit diesem bietet natürlich einigen Diskussionsstoff, bspw, inwieweit das Erbringen von Achtung und Höflichkeit NACH dem Tot mit der eigentlichen Achtung und Wertschätzung der verstorbenen Person einheim geht. Und sowas. Von daher hat der Text erfüllt, was ich von einem Text (mindestens) erwarte: er war anregend.

db.A
Alpha ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.03.2006, 20:41   #10
quillathe
 
Dabei seit: 10/2005
Beiträge: 246

Also, ich für meinen Teil finde es unangebracht und markaber. Wie vorher schon geschrieben wurde bekommst du zu spät die Kurve und das macht es in meinen Augen auch so markaber. Ich denke, wenn du früher die Kurve gekriegt hättest, dann würde es den Schrecken der Leserschaft - die wie ich denken - etwas nehmen.
Die Wendung des Textes findet erst in der letzten Strophe statt und somit vermittelst du mir das Gefühl, dass du sie nur aus gesellschaftlich ethischen Gründen hinzugefügt hast, sie aber eventuell am liebsten hättest weglassen wollen.
quillathe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.03.2006, 22:51   #11
Lex
 
Dabei seit: 06/2005
Beiträge: 146

Ich sehe eine Vielzahl von Standpunkten und ehrlichgesagt kann ich nichts makaberes an meinem Gedicht finden.

Ich sage das keinesfalls um mein Gedicht zu verteidigen obwohl ich vom Gegenteil überzeugt bin.

Nein, nein, nein.

Ich denke, dass es daran liegt, dass ich zu den Menschen gehöre die nur mit wenig von dem ausgestattet ist, was man gefühlsorientiertes Denken nennt.

Ich gebe ja zu, dass mir vieles was hier einige als erschütternd finden für banal halte aber das liegt nich an dem Willen aufzufallen sondern an der mir anerzogenen Gefühlskälte.
Lex ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.03.2006, 15:41   #12
Ex Mondsüchtig
abgemeldet
 
Dabei seit: 10/2005
Beiträge: 265

So makaber wie die Wirklichkeit leider nun mal ist...ich finds prima. Sogar richtig gut Deine Gedanken. Denn leider sind die meisten Menschen genau so wie hier beschrieben...der Alltag steht an erster Stelle und für Gefühle und Trauer ist im angesprochenen Terminkalender keine Zeit. Und um all das zu verdeutlichen den "Neffen" zu nehmen, den die meisten als Kind interpretieren, finde ich genau gut getroffen...nur so wirkt es! (mal abgesehen davon, dass der Neffe bereits ein alter Mann und das lyrische ich ein noch Älterer sein könnte...) Also, alles Interpretationssache...
Ex Mondsüchtig ist offline   Mit Zitat antworten
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