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Alt 03.10.2005, 22:23   #1
Yggdrasill
 
Dabei seit: 10/2005
Beiträge: 2


Standard Dünne Wände

Diese Story ist entstanden, als ich mir meine Deutsch HAs ausgedacht habe. Wir sollten beschreiben, wie wir uns fühlen würden, wenn wir hinter dünnen Wänden wohnen würden. Ich habe dann ganz einfach eine fiktive Person genommen und sie in ein klaustrophobisches Szenario gepackt... Viel Spaß beim Lesen!



Dünne Wände



Es läuft mir wie immer kalt den Rücken runter, als ich meine kleine Wohnung im 4. Stock betrete. Ich erfahre wie immer eine große Resignation; ich senke meinen Kopf, starre auf die Kacheln am Boden... Dort entdecke ich eine Flüssigkeit, es ist Wasser. Ein seltsames Bild. Ich, stehe da, schaue auf den mit Wasser benetzten Boden... sind das Tränen? Tränen der Einsamkeit, des Alleingelassenwerdens? Ich schüttele meinen Kopf. ‚Fang jetzt bloß wieder nicht an zu Weinen, sonst können die Nachbarn dich hören’, denke ich mir.

Ich bin einsam. Die Wände sind dünn. Sie können mich hören...

Ich bewege mich schleichend, aber bestimmt zum Sessel. Ich gehe auf Zehenspitzen. Ich setze mich hin, schließe die Augen. Mir ist, als ob sich ein dunkler Schatten meiner bemächtigen würde... er flüstert „Hoffentlich weint der nicht wieder... verdammte Heulsuse.“ Ich öffne die Augen in der Hoffnung, dass diese Stimme nur eine Einbildung war. Dann höre ich dieselbe Stimme noch mal. Sie sagt: „Er sollte Ausziehen...“. Es ist mein Nachbar, der da spricht.

Ich bin einsam. Die Wände sind dünn. Sie können mich hören...

Ich stehe auf, mache mir etwas zu Essen. Spaghettis soll es heute Abend geben. Ich fange an, zu Kochen, pfeife dabei mein Lieblingslied „I´m Singing in the Rain“. Schon brüllt der Nachbar wieder: „Klappe, sonst gibt´s auf die Schnauze!“ Mein Magen verkrampft sich. Ich fühle, wie meine Augen wieder wässrig werden... Es ist wie Blut in den Pupillen. Dann ist es wieder still. Seufzend setze ich meine Arbeit fort.

Ich bin sehr einsam. Die Wände sind viel zu dünn. Sie können mich alle hören...

Meine haut ist trocken, spröde. Ich habe Sommersprossen auf der Hand. Will denn niemand mit mir befreundet sein? Ich habe Angst. Mein Schrei nach Liebe, Geborgenheit und Beisammensein wurde mit Hass, Ängstlichkeit und Einsamkeit beantwortet. Soll ich nach Tod schreien? Kommt dann die Erlösung?

Ich fühle mich sehr einsam. Die Wände sind viel zu dünn. Sie können mich alle viel zu gut hören...

Warum habe ich Angst? Was bedeutet es, Angst zu haben? Es sind nur dünne Wände... habe ich vor ihnen Angst? Oder habe ich vor dem Angst, was dahinter steckt? Erneut weicht der Mut aus meinen Knochen... Das Wasser, das ich vor ein paar Minuten aufgesetzt habe, ist inzwischen am Kochen, ich bereite die Soße zu und lasse die Nudeln ins Wasser ein. Jetzt habe ich nichts zu tun. Ich setze mich vor den Fernseher, schalte an und ackere mich durch die Programme... Ah! Meine Lieblingsserie! Ich werde jäh in der Vorfreude darauf, was meinen zwei Lieblingscharakteren wohl heute passieren mag, unterbrochen. Die unliebsame Stimme hinter der dünnen Wand meldet sich wieder... ich schalte daraufhin den Fernseher aus. Das Essen ist noch nicht fertig. Ich lehne mich zurück, fange an, zu lesen. Dabei träume ich wie üblich auch ein kleines bisschen...
Es ist tiefdunkle Nacht, der Wind stürmt, der regen peitscht gegen das Fenster, als ich aufwache und merke, dass ich geschlafen haben muss. Müde reibe ich mir die Augen... Nein! Das Essen ist verbrannt! Ich tue die Töpfe schnellstmöglich von der Kochstelle und in kaltes Wasser. Ich halte inne, verarbeite das Geschehene, als ich meine Nachbarn höre, wie sie sich im Liebesspiel befinden...

Sie fühlen sich nicht einsam. Die Wände sind viel zu dünn. ICH kann sie hören...

Mir geht es... mies. Mein Leben ist ein Höllengang. In meinem Kopf sind kleine, nagende Dämonen, die sich von meinem Selbstzweifel zu ernähren scheinen. Inzwischen sind die Nachbarn mit ihrem Liebesspiel fertig... kurz darauf vernehme ich ein Telefonat meines Nachbarn. Er lädt viele Freunde zu sich ein. Ich bekomme eine leise, schleichende, immer stärker werdende Vorahnung dessen, was mich heute Nacht erwarten wird.

Warum sind die Wände zu dünn? Warum fühle ich mich einsam? Warum können sie mich hören? Warum kann ICH sie hören?

Ich könnte mein Leben leicht beenden. Ich habe alles dazu da. Eine Pistole, um mir in den Kopf zu schießen. Ein Strick zum Erhängen. Gift aus den Universitätslaboren, das mir für meine Forschung zur Verfügung gestellt wurde. Ein Fenster, aus dem man springen kann. Ein Messer zum Erstechen. Nur... mir fehlt der Mut dazu. Ich lasse meine Suizid-Gedanken beiseite und spüle das angefallene Geschirr. Meine Hände tauchen in das warme Spülwasser und arbeiten... Dabei schweifen meine Gedanken wieder ab.
Inzwischen liege ich in meinem Bett und will einschlafen. Ich bin froh. Es ist still. Die Wände scheinen dicker geworden zu sein. Ich kann keinen hören.
Nach ca. einer Stunde kommen dann die Gäste meines Nachbarn. Er begrüßt sie lauthals, lacht laut, redet laut, bewegt sich laut. Selbstverständlich werde ich dadurch wieder wach. Die Wände scheinen wieder dünner geworden zu sein.

Ich kann sie hören, doch SIE können MICH nicht hören...

Ich lache leise. Das Leben scheint meine Spielchen mit mir zu treiben. Soll ich gegen das Leben kämpfen? Das Leben selber ist ein Kampf, so sagt man, den man nicht gewinnen kann. Man wird geboren, die Zeit verrinnt und man stirbt. Gibt es eine Lösung für all das? Nein. Das Leben ist wie ein unlösbares Rätsel, nur schwerer. Genauso rätselhaft erscheint mir der Griff zu meiner Pistole in meinem Nachtschränkchen, den ich gerade tätige. Wie mechanisch stehe ich auf, ziehe meine Alltagsklamotten an. Ich gehe aus dem Schlafzimmer raus. Mir ist, als ob ich mich nicht mehr selber kontrollieren kann, als ob die Dämonen in meinem Kopf das Steuer übernommen hätten und mich zu ihren Sklaven gemacht hätten.

Ich höre sie lachen – durch die dünnen Wände, doch sie hören MICH nicht, wie ich langsam aus meiner Haustür gehe, mich vor ihre Tür stelle, klingele und warte, bis jemand aufmacht. Die Pistole ist schussbereit in der rechten Hand, meine Linke, immer noch am Klingeln, zuckt nervös hin und her... Mir wird geöffnet. Wie ein Automat schnellt die rechte Hand hoch...

Die Wände sind viel zu dünn. Sie werden mich nicht mehr hören, doch JEDER wird MICH jetzt hören, durch die viel zu dünnen Wände...

Ich erkenne, dass ich den Kampf verloren habe. Doch jetzt ist es zu spät...

© by Andreas Lutter alias Yggdrasill
Yggdrasill ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.10.2005, 22:56   #2
Riif-Sa
 
Dabei seit: 11/2004
Beiträge: 253


mich würde ja mal interessieren, was der/die Lehrer/in dazu gesagt hat. Ich finde die Geschichte sehr schön und kann mich auch ein wenig in die Figur hineinversetzen. Nur hätte ich sowas für die Schule geschrieben, hätte meine Tutorin besorgt meine Eltern angerufen und psychologische Betreuung vorgeschlagen.

LG, Riif-Sa
Riif-Sa ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.10.2005, 23:00   #3
Yggdrasill
 
Dabei seit: 10/2005
Beiträge: 2


Zitat:
Original von Riif-Sa
mich würde ja mal interessieren, was der/die Lehrer/in dazu gesagt hat. Ich finde die Geschichte sehr schön und kann mich auch ein wenig in die Figur hineinversetzen. Nur hätte ich sowas für die Schule geschrieben, hätte meine Tutorin besorgt meine Eltern angerufen und psychologische Betreuung vorgeschlagen.

LG, Riif-Sa
Meine Lehrerin war begeistert von dieser Story. Ich habe ja nicht meine eigenen Gedanken da mit reingebracht, mindestens 95% der Story sind fiktiv, das Einzige, was stimmt, ist, das die Nachbarn zu laut sind Ansonsten ist alles, wie schon gesagt, fiktiv und beruht nicht auf wahren Gegebenheiten.

Meine Lehrerin hat auch zuerst ein bisschen geschockt geschaut, denn sie hat gedacht, ich würde das alles denken... als ich ihr dann ber erklärt habe, das das rein fiktiv ist, musste sie dann lachen

MfG
Yggdrasill
Yggdrasill ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.10.2005, 23:05   #4
Nothingness
 
Dabei seit: 12/2004
Beiträge: 140


Oh, das ist traurig. Der arme.
Aber gut geschrieben. Ich mag die sich wiederholenden Sätze und wie sie sich im Laufe seiner Gedanken verändern.

Noch ein paar Schönheitsfehler:

Zitat:
Ich, stehe da, schaue auf den mit Wasser benetzten Boden
Komma gehört dort nicht hin.

Zitat:
‚Fang jetzt bloß wieder nicht an zu Weinen,
Ist die Satzstellung nicht eher "Fang jetzt bloß nicht wieder an zu Weinen"?

Zitat:
Ich fange an, zu Kochen
Ich bin mir nicht sicher, würde aber vom Gefühl her das erste Komma weglassen und kochen klein schreiben, kann aber auch falsch sein (Riif konnte mir auch nicht helfen)

Zitat:
„Klappe, sonst gibt´s auf die Schnauze!“
Fehlt da nicht ein "was"? Wenn du Umgangssprachlich bleiben willst, könntest du natürlich auch "Klappe, sonst gibt's was auf'e Schnauze" schreiben.

Zitat:
Meine haut ist trocken
Haut groß geschrieben.

Zitat:
der regen peitscht gegen das Fenster
Regen groß geschrieben.

Zitat:
Ich tue die Töpfe schnellstmöglich von der Kochstelle
"Tue" finde ich hier wirklich unpassend. Wie wärs mit "stellen"?

Zitat:
Ich lasse meine Suizid-Gedanken beiseite
Suizid-Gedanken zusammen?! Also ohne Bindestrich.

Zitat:
Ich lasse meine Suizid-Gedanken beiseite und spüle das angefallene Geschirr.
Da hätte ich mir nen schönes Bild vorstellen können; dass er seine Gedanken wie den Dreck vom Geschirr wegspühlt oder so ähnlich. Aber das nur so am Rande.

Zitat:
Das Leben scheint meine Spielchen mit mir zu treiben.
Öhm, du meinst "seine", oder? Sonst kenn ich die Redewendung nicht...

Zitat:
meine Linke, immer noch am Klingeln
Klingeln klein.

Den Satz "Ich erkenne, dass ich den Kampf verloren habe. Doch jetzt ist es zu spät..." hätte ich weggelassen. Ich finde das kursive Ende irgendwie passender, schöner. Aber Ansichtsache natürlich..

So, hoffe mal, dass du nicht böse bist, wegen den möglichen Verbesserungen. Ich selbst achte sehr in meinen Texten auf Rechtschreibung und bin eigentlich froh, wenn mich jemand darauf aufmerksam macht. Aber wenn du das nicht so siehst... ignorieren

Liebe Grüße, Nothingness
Nothingness ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.07.2006, 13:42   #5
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007


Hallo, eine wirklich gelungene Hausaufgabe! Respekt.
Die Idee mit den sich wiederholenden Sätzen finde ich genial.

Nun zu den Verbesserungen von Nothingness - ein paar davon muss ich nämlich verbessern:

Zitat:
Zitat:
Ich fange an, zu Kochen
Ich bin mir nicht sicher, würde aber vom Gefühl her das erste Komma weglassen und kochen klein schreiben, kann aber auch falsch sein (Riif konnte mir auch nicht helfen)
Ja, man kann das Komma weglassen, muss aber nicht. Und kochen wird kleingeschrieben. Ganz sicher.

Zitat:
„Klappe, sonst gibt´s auf die Schnauze!“
Das finde ich so ok, wie es ist. Ein "was" halte ich nicht für notwendig.

Zitat:
Suizid-Gedanken zusammen?! Also ohne Bindestrich.
Laut neuer Rechtschreibung kann man es durchaus mit Bindestrich schreiben. Stellt sich nur die Frage, was besser aussieht.

Zitat:
Zitat:
meine Linke, immer noch am Klingeln
Klingeln klein.
Definitiv groß, denn "Klingeln" ist hier substantiviert. Das erkennt man am "am".
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
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