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Alt 06.09.2019, 21:06   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Energie sparen! (Eine Kolumne)

Ich müsse Energie sparen! Diesen kleinen Mahner der Vernunft setzen mir Politiker und Medien gebetsmühlenartig ins Ohr. Und ich antworte artig: Stimmt, ich bin ein Sünder, aber ab sofort werde ich mich auf den rechten Weg begeben.

Deshalb rücke ich mit einem Stromverbrauchmessgerät meinen Haushaltsgeräten zu Leibe und setzte alles auf den Index, bei dem die Messwerte durch die Decke gehen: Zuerst fliegen die Tisch- und Stehlampfen raus, dann die Deckenlampen. Um trotzdem abends Licht zu haben, lasse ich den Kühlschrank offen und das Fernsehgerät eingeschaltet. Guter Grund, ihren Stromverbrauch zu messen. Beide fliegen raus.

Ich mache nur noch einmal pro Woche den Wasserkocher an, brühe drei Kannen Fertigkaffee auf, trinke den ersten heiß bis lauwarm, den Rest an den anderen Tagen kalt. Fertiggerichte schmecken auch kalt aus der Dose gelöffelt noch gut.

Die Haare werden nach dem Waschen nicht mehr gefönt, sondern müssen an der Luft trocknen, was sie nicht hübscher, aber umweltfreundlich macht.

Der Sachbearbeiter meiner Hausratversicherung versicherte mir (angeblich müsste es „versicherte mich“ statt „versicherte mir“ heißen), dass versicherungstechnisch eine Beteiligung der Hausratversicherung an der Wiederbeschaffung der ehemals versicherten Geräte nicht im Rahmen der gesetzlich versicherten Regelungen durchführbar sei.

Mir schwirrte vor lauter Versicherungstechnik nach dieser Auskunft das verunsicherte Gehirn, und ich blieb auf ungefähr 5.000 Euro (man ist ja bescheiden) Neuanschaffungskosten sitzen. Diese Phase der Verwirrung überlebte ich unbeschadet durch das gesunde Grundgefühl, immerhin die erste Schwelle überwunden zu haben, denn ich hatte Lampen, Kühlschrank und Fernsehgerät ein One-Way-Ticket zum nächsten Müllplatz bezahlt und mir dadurch einen zumindest eingebildeten Ablasszettel verdient, der mir alle vergangenen und künftigen Vergehen in der Grünen Hölle ersparen würde.

Danach zwang ich mich, mein Gehirn auf die Aufgaben zu konzentrieren, die der Tag einem Individuum wie mir abverlangten: Da waren zunächst jede Menge Geräte aufzuladen, allen voran das Smartphone, die digitale Spiegelreflexkamera und die Pocket-Camera. Das Epiliergerät. E-Book-Reader. Laptop. Und absolut wichtig: der Bosch-Akku-Schrauber.

Ab und zu müssen auch mal Batterien gewechselt werden, am häufigsten in den kleinen Radios, die wie Gartenzwerge in Schrebergärten die heimischen Räume bevölkern: Küche, Badezimmer, Kinderzimmer, Flur, Balkon, Besenkammer, Hundehütte, Hühnerstall, Keller und Waschküche – aus jedem Winkel dröhnt Grönemeyeres: „Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist …“

Den Kot dieser zylinderförmigen Gartenzwerge habe ich in einem Plastikbeutel gesammelt, von dem ich mich immer noch weigere, ihn öffentlich entsorgen zu lassen, seit ich weiß, dass er als „Exportware“ an ein afrikanisches Land geliefert wird. Also lasse ich ihn lieber hier. Er stinkt ja nicht. Und ich will ja was für die Umwelt tun, auch wenn mir in diesem Fall niemand sagen kann, was sinnvoll ist.

Also abwarten. Vielleicht kommt ja noch was.

Abwarten, ob noch etwas kommt, ist sowieso eine schlaue Strategie. Da muss man sich nicht festlegen. Keine klare Position beziehen. Man weiß ja nie, welcher Schlaumeier um die nächste Ecke kommt, und zwar genau um die Ecke, von der man nie gewusst hat, dass es sie gibt, weil man selbst nie an ihr vorbeigekommen ist. Da bekommt jemand wie ich erst einmal gesagt, dass es diese Ecke gibt.

Während ich abwarte, überlege ich, ob nicht die beste Energie-Einspar-Strategie wäre, beim eigenen Kopf und Körper anzufangen. Einfach mal runterfahren, die eigenen Resourcen inspzieren und ein Fazit ziehen, was für mich wichtig und richtig ist. Also einfach mal selbstsüchtig sein und den „Rest“ der Welt zu vergessen.

Denn eins steht fest: Ich kann die Welt nicht retten, und sie kann mich nicht retten. Aber ich kann mich selbst retten. Zumindest kann ich dafür meine gesamte Energie einsetzen, denn dazu ist sie mir gegeben worden.

Bis die große Lösung kommt, muss ich in der Welt leben, wie sie mir gegeben ist oder wie ich ihr gegeben bin, und in ihr kommt der Strom bekanntlich aus der Steckdose. Also anders gesagt: Steckdosen waren schon vor meiner Geburt da.

Oder kennt ihr das anders?
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