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Alt 24.10.2012, 10:54   #1
männlich Desperado
 
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Standard St. Kateri

Ich mag diese Showdown Stimmungen nicht.

Ob nun high noon oder after midnight, es gibt jedes Mal zwangsläufig Tote, und das kann ich nicht so besonders gut leiden. Nicht, dass ich Reue empfinden würde, wenn ich einen feigen Heckenschützen vom Dach holen muss, das hat der sich ganz allein selbst zuzuschreiben, aber Spass hab ich weiß der große Geist keinen dabei, nie gehabt.

Nicht nur Billy The Kid hat schon eine Frau erschossen, aber bei dem war’s pure Mordlust und bei mir aufgezwungene Notwehr, das ist dann doch ein nicht ganz unbedeutender Unterschied, das Ergebnis freilich ist das gleiche. Wenn du in den abgesägten Doppellauf einer Schrotflinte schaust und mit Gewissheit davon ausgehen musst, dass die Trägerin desselben augenblicklich abdrücken wird, bleiben dir genau zwei Möglichkeiten: Entweder du lässt es geschehen oder du bist schneller. Und die Lady hatte einfach nur das verdammte Pech, dass ich an diesem Tag schlicht keine Lust hatte, so mir nichts dir nichts das Zeitliche zu segnen, wenigstens glückte mir eher zufällig ein todsicherer Plattschuss und sie musste nicht leiden.

Obwohl sie eine Lady zu nennen eine Beleidigung für sämtliche Ladies des Westens bedeutet, denn das verruchte Frauenzimmer war nichts weiter als ein bösartiges Miststück, ohne Hemmung und Skrupel bereit zu töten, wenn es um ihren Vorteil ging, und den suchte und fand sie bei jeder Gelegenheit. So brauche ich mich zumindest nicht mit dem Vorwurf herumzuschlagen, eine Blüte der Menschheit gepflückt zu haben, bei nüchterner Betrachtung kann ich ohne Zögern sagen, derselben einen Gefallen getan zu haben mit meinem Akt bloßer Selbstverteidigung.

Ich musste schon Kerlen das Gehirn aus dem Kopf pusten, noch ehe die dahintergekommen waren, überhaupt ein solches zu haben. Und da fragst du dich natürlich, ob da vielleicht nicht doch eines Tages so etwas wie ein Gedanke hätte aufblitzen können drin, wie durch ein Wunder, nein, durch ein Wunder, ein gewaltiges dazu, denn ein solches hätt’s mit Sicherheit gebraucht, und ich hab ja nun grundsätzlich nichts gegen Wunder. Aber diese todessüchtigen Holzköpfe geben dir weder die Gelegenheit, darüber nachzudenken, noch lassen sie dir eine Wahl, die wollen ganz offensichtlich unbedingt erschossen werden, was soll man da machen?

So wie der Unhold, der da glaubte, unbedingt über eine Nonne herfallen zu müssen, ich glaube, für den war alles, was einer Frau ähnlich sieht, nichts weiter als ein gefundenes Opfer, jedenfalls ließ er auch nach mehrmaliger Schußdrohung meinerseits nicht von ihr ab, der ich zufällig des Weges kam, oben an der Ostküste, die Gegend um New York rum, im herrlichsten Indian Summer, den man sich vorstellen kann. Ich seh mich schließlich gezwungen, ihm meine Peitsche um den Knöchel zu schlingen und ihn ein kleines Stück Rittes mit mir zu ziehn. Kaum zum Stehen gekommen, nestelt er im Liegen seinen Colt aus dem Holster und legt auf mich an, ein Schuss in den Oberschenkel hält ihn ebensowenig ab von seinem Vorhaben wie ein zweiter in den Arm, immer wieder beißt er die verrotteten Zähne zusammen und zielt aufs Neue, so dass mir letztendlich garnichts anderes übrig bleibt, als seinem völlig unsinnigen Ansinnen ein endgültiges Ende zu bereiten.

Die junge Nonne ist zwar sehr dankbar über meine geleistete Hilfe, aber nicht weniger unglücklich über deren unglückseligen Verlauf, wie das nunmal so ist mit diesen seltsamen Pinguinen, die sind immer gleich völlig außer sich, erschüttert, tief bestürzt und völlig entsetzt, wenn da einer bekommt, was er nicht nur verdient sondern um jeden Preis haben wollte. Es kostet mich einiges an Überzeugungskraft ihr beizubiegen, dass es nunmal keine andere Möglichkeit gegeben habe, so leid es mir auch um die arme verlorene Seele tut. Man muss den Gutgläubigen ja nicht immer gleich ausdrücklich unter die Nase reiben, dass zweifelsohne eine gewisse, tief verborgene Genugtuung damit einhergeht, jemanden zum Teufel zu schicken, auf den der Pferdefuß schon lange gewartet hat, es handelt sich dabei doch lediglich um eine kleine Gefälligkeit.

Wie dem auch sei, jedenfalls gibt die Ordensfrau solange keine Ruhe, bis sie mich zu einem Abstecher in ihr nahegelegenes Kloster überredet hat, weil ich ob meiner schweren Sünde unbedingt mit dem Pater sprechen müsse und ihm meine Schuld beichten zum Zwecke der Vergebung, denn sie könne nicht weiterleben mit dem Gedanken, dass da ein völlig Unbeteiligter ihretwegen einen Menschen getötet habe und ohne Läuterung seines Weges ziehen müsse. Die sind da ein bisschen seltsam, die Bräute Christi, die unterscheiden nicht ausreichend zwischen völlig berechtigt und ungerechtfertigt, weshalb ich denn auch zwingend einer Rechtfertigung bedürfe.

Der Padre nun ist ein gebeugter Mann in der Reife seiner Jahre, ich erzähl ihm den Vorfall so knapp wie möglich, er lächelt hintergründig, hebt seine Segenshand, macht das Kreuzzeichen über mir und murmelt: „Absolvo te, mein Sohn, das hast du ganz hervorragend gemacht, ich hätt an deiner Stelle genauso gehandelt.“ War also halb so wild mit der Todsünde, immer wieder schön, einem vernünftigen Menschen zu begegnen, wo du eigentlich am Allerwenigsten damit rechnest. Worauf ich von den Mitschwestern der Geretteten, die aufgeregt zusammengelaufen kommen und gebannt ihrem Abenteuerbericht lauschen, flugs in den Stand des rettenden Engels erhoben werde, vom Himmel daselbst geschickt, ihre geliebte Schwester vor der Befleckung durch den Bösen zu bewahren.

Ich lass mir alles gern und mit demütiger Bescheidenheit gefallen, weil ich ganz einfach der Meinung bin, dass sich die Guten schon irgendwas dabei gedacht haben werden, auf männlichen Begleitschutz und die Aufzucht einer Kinderschar zu verzichten, wenn ich mich so umschaue, frag ich mich garnicht einmal so selten, ob man ihre Wahl überhaupt einen Verzicht nennen soll, also so ungeheuer groß wie allgemeinhin behauptet ist er jedenfalls bei Weitem nicht. Dessen ungeachtet werd ich herzlich zu Tisch geladen und reich bewirtet.

Und während ich sehr zufrieden am Schmatzen und Schlürfen bin, erzählen mir die Plappernonnen die Geschichte ihrer Heiligen, was nun so außergewöhnlich nicht wäre, weil jedes Kloster mindestens eine oder einen davon für sich gepachtet hat, wenn es sich dabei nicht um eine waschechte Indianerin handeln würde, eine Mohawk namens Kateri Tetakwitha, der sie da einhellig den Stand der Seligkeit bescheinigen.

Soweit ich ihren blumigen Schilderungen entnehmen kann, geht es dabei zweifelsohne um eine Heilerin, eine jugendliche Schamanenschülerin, die in der Missionsstation zum Christentum konvertiert war und ihre geheimnisvolle Begabung nun unter dem Namen des mitgebrachten Erlösers ausübte, sprich alle möglichen Kranken gesund machte und ihnen zur Heilung verhalf, wie’s ihrem Stand entspricht. Da ich diesbezüglich schon so einiges gesehen habe zwischen Himmel und Erde, was sich der begrenzten Begriffsfähigkeit eines menschlichen Gehirns verschließt und entzieht, höre ich ihren Lobpreisungen mit freudiger Gelassenheit zu und bin lediglich etwas betroffen, als mir die Nonnen von ihrem frühen Tod berichten.

Im Alter von nur vierundzwanzig Jahren ist die gütige Kateri gestorben, anno 1680, in der Englishfrench-Zeit also mit ihrem ganzen Kuddelmuddel, da hatte sie jedenfalls mit Sicherheit genug zu tun, die zerschlagenen und leidgeplagten Leute wieder auf die Beine zu bringen. Sie selbst war ja nun auch an Pocken erkrankt, schon als Kind, hatte die entsetzliche Epidemie zwar überlebt, allerdings war ihr Gesicht fortan von Pockennarben übersäht und entstellt, das arme Ding. Und, wie die Schwestern des Weiteren mit Feuereifer zu berichten wissen, auf dem Sterbebett seien diese spurlos verschwunden und die junge Frau sei mit reinem und anmutigem Gesicht verschieden und in die Herrlichkeit des Herrn eingegangen.

Ich hab nun schon erlebt und mit eigenen Augen gesehen, wie Greisengesichter auf dem Sterbebett sich zu fast jugendlich faltenloser Glätte straffen und zu seltsam umflorter, unverbrauchter Schönheit zusammensinken, als würden die Dahinscheidenden in die lange zurückliegende Zeit ihrer jungen Jahre zurückreisen vor dem letzten Übergang, aber derlei ist mir noch nie zu Ohren gekommen. Andrerseits und wie gesagt, vieles und noch viel mehr gibt es zwischen Himmel und Erde, was sich mit menschlichem Geist und Verstand einfach nicht erklären lässt, also warum dann nicht auch dieses? Die Schwestern jedenfalls sind felsenfest überzeugt davon, und ich sehe keinen Grund, an ihren Aussagen zu zweifeln, wieso sollten sie mich auch belügen und wofür? Vielleicht wars ja irgendeine rätselhafte Fieberhäutung oder sowas, keine Ahnung.

Das war diese merkwürdige Begebenheit damals, eine gute Tat und eine ungewöhnliche Geschichte dazu, was will ein Desperado mehr erwarten von einem milden Herbsttag, der weiter seines Weges zieht unter dem strahlenen Gold und üppigen Rot und leuchtenden Gelb der Bäume und endlosen Wälder, und dessen Auge sich nicht sattsehen kann an all der unwirklichen Pracht und Schönheit, die den Gedanken an einen Schöpfergott so selbstverständlich werden lassen wie die letzten warmen Sonnenstrahlen im Gesicht.

Kateri Tetakwitha, naja, kann man sich ja mal merken, für alle Fälle.
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