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Alt 31.03.2012, 10:57   #1
männlich Desperado
 
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Standard Bürgerwehr und Ächtung

Aus dem Schattengrund steigen sie auf.

Grobschlächtige Gestalten mit rohen Gesichtern neben feingliedrigen Brillenträgern, bewaffnet mit Bärentötern, Schrotflinten und Pistolen, bekleidet wie Handwerker, Krämer und Pauker, keine Frage, wer da mein verglühendes Lagerfeuer umstellt hat, ist die ehrenwerte Gesellschaft der Bürgerwehr.

Harmlos und zivilisiert der Marshall, respektvoll und menschlich der Texas Ranger, umgänglich und fair der Kopfgeldjäger verglichen mit ihrer illustren Schar. Brave biedere anständige Bürger der Stadt, rechtschaffen und redlich, unauffällig und friedliebend, Männer ohne Fehl und Tadel, die zu blutrünstigen grausamen Bestien mutieren, wenn sie sich unbeobachtet fühlen und sich die Gelegenheit dazu bietet. Sämtliche schlafenden Dämonen erwachen in ihren unkontrollierten Gemütern und machen sie fähig zu Gräueltaten, die ihresgleichen suchen, wenn sie der hehre Ruf nach Gerechtigkeit und Ordnung in die Sättel peitscht.

Keine Gelegenheit, auch nur die Frage zu stellen, was ich denn bitte verbrochen haben soll und vor allem ihnen angetan. Allein die theoretische Mutmaßung, dass ich einem der Ihrigen zufügen könnte, was manch honorige Obrigkeit an Gehässigkeit von mir hat einstecken müssen, macht mich zum gefährlichen Outlaw und vogelfreien Geächteten, zum Freischärler und Rebellen, Galgenstrick und Finsterling.

Wer ohne Auftrag und in eigener Mission unterwegs ist, hat keine Legitimation zu offenem Widerspruch, hat er aber eine staatliche Organisation im Rücken, besitzt er die Lizenz zum Töten. So steht ihr sanktionierter Auftrag der Aufspürung und Festsetzung meinem ruhelosen Freigeist als gerechte und wohlgefällige Sache der aufrührerisch verbrecherischen Machenschaft gegenüber, kurzum- ich bin erledigt.

Namen, Hintermänner, Verbindungen, ich habe keine Ahnung was sie von mir hören wollen, als sie mich erst mal ordentlich verprügeln, wüst beschimpfen, verschnüren und saufend auf den Sonnenaufgang warten. Bis auf die Unterhose ausgezogen pflocken sie mich im Morgenrot mit gespreizten Beinen und gestreckten Armen an den steinigen Boden und lassen mich den halben Tag in der Sonne braten, bis ich rot bin wie ein Truthahnhals.

Dann peitschen sie mich mit Lederriemen und Stöcken aus, streuen Salz in meine Striemen, legen mir eine Schlinge um den Hals und zerren mich im Schlepptau mit auf den Rücken gefesselten Händen im Trab hinter sich her durch Dornengestrüpp und Kakteenfelder bis zum nächsten Wasserloch. Dort binden sie mich an einen toten Baum und trinken geräuschvoll gluckernd vor meinen Augen, halten mir ihre Wasserflaschen vors Gesicht und lassen das kühle Nass knapp an meiner lechzenden Zunge vorbei genüsslich in den Sand tropfen.

Als der Himmel im Abendrot glüht, habe ich endlich den Verstand verloren. „Mein Auftraggeber“, schrei ich irre, „ist der Leibhaftige selbst, er hat viele Namen, Satan, Luzifer, Belzebub, Gottseibeiuns und weiß der Teufel, der Gouverneur ist ein aufgedunsener stinkender Fettsack, der Viehbaron ein blutsaugender Vampir, der scheinheilige Oberpfaffe ein Knabenschänder, der Senator ein machtgeiler alter Sack, der Sheriff ein vertrottelter Hampelmann, und nun hängt mich endlich auf ihr verfluchten Bastarde!“

Das wäre Verschwendung hier draußen, wo es niemand sieht, grölen sie zufrieden, packen mich brutal in meine Klamotten, binden mich auf meinen Luzifer, den sie nur mit Einsatz eines Lassos zum Mitgehen bewegen können und transportieren mich in die Stadt. Vom Sheriff kommentarlos in Empfang genommen und ins Jail gesteckt, kühle ich schlotternd meine geschundene Haut an der kalten Wand und ziehe mir ihre Fetzen in langen Streifen von den Schultern, der Doc kommt rein, sieht meinen Zustand, flucht grässlich, reicht mir seinen Flachmann für einen Schluck, leert den Rest in einem Zug und verschwindet wieder.

Die Nacht in der kahlen Zelle ist kalt und endlos. Nie mehr werde ich in die Nischen der mannshohen Wurzeln des alten Baumes gekauert dem leisen Rascheln der Blätter lauschen, ins tanzende Sonnenlicht blinzeln, den betörenden Duft seiner Blüten riechen und gebannt seinen unglaublichen Geschichten folgen können, denke ich müde, traurig und schicksalsergeben, vorbei alles vorbei, mein wissender Freund, an totem Holz werden sie mir den Hals strecken.

Dann höre ich jemanden eilig am Gitterfenster herumhantieren, sehe zwei behandschuhte Hände einen Strick um die Stäbe knüpfen, von draußen ist das Stampfen und Schnauben eines Pferdes zu vernehmen, der Strick spannt sich, das Eisen knirscht und ächzt, der Mörtel bröckelt, die Verankerungen reißen und der Rost verschwindet surrend in der Nacht. Ehe ich richtig zu mir komme, habe ich mich bereits durch die Öffnung gezwängt und lande keuchend vor den Hufen eines Rappen, ein Reiter ganz in schwarzem Leder beugt sich amüsiert zu mir herab und flüstert aus überschattetem Gesicht: „Machen wir, dass wir hier fortkommen!“

Er führt meinen Luzifer am Zügel, ich schinde mich in den Sattel und wir lassen die Stadt hinter uns, noch bevor der Gitterrost aufgehört hat zu singen. Nach einem wilden Ritt verfallen wir in ruhigen Galopp, den Reiter immer vor Augen rufe ich in seinen Rücken: „Darf man sich erkundigen, mit wem ich die Ehre habe?“

Die Antwort ist ein Lachen, das keine Frage offen lässt: „Dein Gaul trägt meinen schönsten Namen, Desperado, ich nehme mir dafür den deinen.“

Und weg ist er, als hätte die Nacht ihn verschluckt.

Kann ja nicht schaden, seinen Auftraggeber persönlich zu kennen, denke ich benommen und schlage den Weg zu meinem Versteck in den Bergen ein. Dabei werde ich das beunruhigende Gefühl nicht los, als würde mir jemand folgen nein regelrecht im Nacken sitzen, und diesmal handelt es sich leibhaftig nicht um die Bürgerwehr.

Die taucht erst ein paar Tage später unvermutet auf, ich weiß beim besten Willen nicht wie sie mich finden konnte, der restliche Verlauf der Treibjagd ist wieder eine andere Geschichte.

Dieser schwefelstinkende Neidhammel hat mir zwar das Leben gerettet, die Ehrabtragung seines holden Titels durch die Namensgebung für ein gemeines Pferd jedoch bitterböse gerächt. Und mir noch dazu meine Berufsbezeichnung geklaut, so dass dem wertfreien Begriff „Hoffnungsloser, Verzweifelter“ in Zukunft für immer der Ruch böser Verfallenheit anhaften wird. Und im Nu ist ein im Grunde wohlklingend schöner Name beim Teufel. Hätte mich schon gewundert, wenn’s bei dem Halunken was umsonst gibt.

Tja, so war das damals. Wenn man vom Teufel spricht... Darum heißt man heutzutage die gewissenlos raubend, mordend und plündernd bis an die Zähne bewaffneten Banden, die brandschatzend das Land unsicher machen, ohne Nachforschung und Unterscheidung Desperados, und keinen Menschen kümmert mehr, was die Bezeichnung Desperado ursprünglich einmal bedeutet hat. Dass es früher eine Ehre war, sich Desperado nennen zu können.

Habe die Ehre.
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Alt 01.04.2012, 12:47   #2
männlich Twiddyfix
 
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Standard Hallo Desperado

ich habe Deine Geschichte mit steigendem Interesse gelesen, verdammt gut geschrieben. Möchte nicht in deiner Haut gesteckt haben, soetwas halten nur die härtesten Burschen aus.

Sei in Zukunft vorsichtiger.

Gruß von mir
Twiddyfix ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.04.2012, 15:20   #3
männlich Desperado
 
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Hallo Twiddyfix,

Die härtesten... oder die dümmsten.
Ist ja schon eine ganze Weile her, da konnte ich derlei noch gut wegstecken. In der Form ist es mir nie wieder passiert, da kannst Du Schlangengift drauf nehmen.

Gruß zurück
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Alt 01.04.2012, 15:26   #4
Thing
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Ein tolles Stück Prosa mit einem unerwarteten Ende und einer bitteren conclusio.
Respekt und viel Lob (nicht zuletzt für die überaus gepflegte Sprache!)

von
Thing
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Alt 01.04.2012, 16:42   #5
männlich Desperado
 
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Oho, Dankeschön, Thing, tut tatsächlich gut so ein ermutigendes Lob, geb ich unumwunden zu.

Das "verdammt gut" natürlich genau so, before I forget.

LG !!!
Desperado ist offline   Mit Zitat antworten
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