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Alt 17.07.2007, 07:44   #1
Syrinx
 
Dabei seit: 06/2007
Beiträge: 61


Standard Ophelia

Nachdem meine Lyrik nur wenig Anklang gefunden hat, versuche ich es mit einem halben Pfund Prosa:

Ophelia

Ich krieche zurück unter meine Decke, in eine Märchenwelt, und Du gehst in das verlassene Dorf.
Ein Weg durch den Wald alter Bäume, mit Erinnerungen in den Ästen. Ich sehe Dich aus dem Wolkenhimmel.
Da steht das zerfallene Haus. Ophelia wohnt dort. Sie hat es sich hergerichtet, mit bunten Tüchern ausgekleidet. Ophelia hat flammendes Haar und eingeflochtene Federn, Augen, wie meine, durch die schau ich deine, wie du durch die die Tür eintrittst. Du weißt, sie ist verrückt. Sie hat sich dort versteckt. Mit Freude über deinen Besuch, strahlt sie dich an und streichelt deine Seele. So viele Jahre kennst du sie schon, und immer hat sie dir was geschenkt. Unnütze Dinge scheinbar, wie heute einen Stein.
"Sieh doch, ist er nicht schön, er gefällt mir wirklich gut, der ist für Dich." Du freust dich über ihre Freude, dir eine gemacht zu haben. Wie einfach es ist, sie glücklich zu machen. Sie scheint eigentlich immer, glücklich zu sein. Es ist vielleicht der Grund, warum du schon so oft dort warst. Du erinnerst dich, warum du heute kamst: "Ophelia, du mußt Dich woanders verstecken!" "Warum denn", stahlt sie, "hier habe ich doch alles, was ich brauche." "Ich weiß", sagst du und mußt ein Stück Traurigkeit schlucken, "sie wissen im Dorf, daß du hier lebst". "Oh, dann kommen sie vielleicht mich besuchen. Ich kann ihnen viele schöne Dinge geben." "Nein, Ophelia, sie sind nicht wie ich." "Das macht doch nichts; ich mag auch Menschen, die anders sind." "Ja, Du schon, aber sie mögen keine Menschen, die anders sind." "Warum wollen sie mich dann besuchen kommen?" "Sie wollen dich nicht besuchen kommen. Sie sagen, es ist nicht gut, daß du hier lebst; es ist gegen ihr Gesetzt. Sie sagen, es ist nicht dein Haus." "Oh, ich kannte die Oma, die hier lebte, und ich hielt ihre Hand, als sie starb.“ Sie lächelt dich an und du lächelst zurück, weil du weißt, du sollst auf ihr Haus aufpassen. "Das wissen die Menschen im Dorf nicht. Sie sagen, du kannst dir hier nicht helfen und es ist gegen ihr Gesetzt." "Ich brauche mir nicht helfen, ich bin nicht in Not. Hier habe ich alles. Willst du auch etwas Brennesseltee?" "Ophelia, sie sind auf dem Weg zu dir. Lauf lieber weg, sonst werden sie dich einsperren." "Warum denn? Ich habe niemandem etwas getan." "Ich weiß, du bist zu jedem nett und gastfreundlich." "Reicht ihnen das nicht?" "Sie haben Angst vor Leuten, die anders sind." "Wo wollen sie mich denn hinbringen?" "Ein großes Haus ist es, in der Stadt. Dort sind Ärzte, die dir helfen sollen." "Aber ich brauche doch keine Hilfe." "Ophelia, du musst hier weg, sie sind schon auf dem Weg hierher." "Ach, ich sag es ihnen am besten selbst." "Ich habe schon mit ihnen gesprochen. Sie lassen nicht mehr mit sich reden." "Ich schenke ihnen etwas", strahlt sie, "dann reden sie bestimmt mit mir." "Ophelia, du hast mir schon so oft geholfen, aber heute muss ich dir helfen. Du mußt deine Sachen packen und mitkommen, wir laufen durch den Wald weg." "Ich kann meine Sachen nicht packen, es ist zu viel. Ich kann es nicht alles tragen. Sieh doch." Sie zeigt durch das Zimmer.
Überall liegt, steht und hängt etwas. Es sind eigentlich alles unnütze Dinge, wie Zapfen, Steine, Holzrinde, getrocknete Pflanzen, alte Puppen, Bilder und so viele Dinge, die andere weggeworfen haben. "Nein, ich möchte hierbleiben." Sie strahlt dich an, als sie ihren Reichtum überschaute. Du weißt, du kannst sie nicht überzeugen. So sitzt ihr auf dem Boden, trinkt euren Tee und schweigt. Du hörst den Krankenwagen vorfahren, die Türen klappen, siehst Ophelia traurig an.
Schritte kommen und es klopft. "Oh, Besuch." Sie geht und öffnet, mit einem selbstgemachten Gesteck aus Moos, Tannenzweigen, Holz und einem Stein in der Mitte, in der Hand. Drei Männer und zwei Polizeibeamte stehen vor der Tür. Der Arzt: "Vanessa Kreuzfeldt?" "Oh, ja, so wurde ich früher gerufen. Woher kennen sie mich?" "Ich kenne sie nicht. Sie müssen mit uns mitkommen." "Wenn sie mich nicht kennen, und ich kenne sie auch nicht, dann komme ich nicht mit. Aber kommen sie doch rein. Bitte."
Sie macht die Tür mit einer einladenden Bewegung auf. Der Arzt dreht sich zu den Sanitätern und Polizisten: "Lassen sie mich mit ihr alleine reden." Er tritt ein und weißt dich hinaus. Du gehst und siehst Ophelia traurig an. "Du kannst ruhig bleiben", sagt Ophelia, "Du störst mich nicht." "Ich möchte aber gerne mit ihnen alleine sprechen", sagt der Arzt. "Na gut", sagt sie. Du gehst. Eine Kreuzotter schlängelt sich durch die Tür, ein Eichelhäher fliegt auf und schreit heiser seine Warnung in den Himmel.
Ich sehe das Haus von oben, aus meiner Wolkenperspektive, die Autos davor, wie ein sterbender entfernt. Ich schreie hinunter: "Lauf weg, Ophelia!" Aber sie hört mich nicht. Dann sehe ich, wie die Sanitäter und die Polizisten sie rauszerren, sie schreit zu mir hoch. Ich bin zu schwerelos und komme nicht herunter. Sie starrt hoch und alles erstarrt. Ich sehe zu ihr runter und sehe ihr Gesicht deutlich vor mir, immer tiefer in ihre traurigen grünen Augen und sie werden meine, durch die ich schaue - in deine.
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