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Lebensalltag, Natur und Universum Gedichte über den Lebensalltag, Universum, Pflanzen, Tiere und Jahreszeiten.

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Alt 14.03.2011, 21:27   #1
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Standard Erster Herbst danach

Die fast erloschne Fackel
voll von Dämmer, halbem Brand,
von letztem Blut den süßen Mund so scharf umrissen;
mit Kohlen, Dunst und Brodem -
mit dieser Fackel und mit warmem Laub gefüllt die Hand,
in seinen Augen alles Wissen,
alles Sein des Werdens, Gehens,
Scheidenmüssens
zieht wieder Herbst durchs Land.

In seinen braungefellten Lenden,
in seinem sommervollen Bauch,
an seinen weingetränkten Seiten
dehnt sich das Gras,
wird herb und schwer, wird Ruch und Hauch,
und schüttet seine Samen
hinaus in's düstre, freie Feucht,
in all die offnen Landesbreiten.
Sie sind bereit, draus die Welt zu spreiten.
Sommer fleucht,
er hat die Knospen hingereicht,
willig, warm, so voller Raps und Bergzyklamen.
Herbst steht bereit!
Rundum das Land,
Gauchheils voll,
wird unbemannt, wird fremd, wird weit,
bleibt unbesamt und schreit
vergeblich jetzt nach Fruchtbarkeit.

O Herbst!
Wie willst Du walten?
In Deinen prächtig vollen, alten
Wäldern haust's sich schwer.
Dich tragen Deine vollen Hüften nicht mehr weit,
denn, was Dich mästete, Dich breit
und fruchtbar machte,
ist dahin, ist leer.
Deines Felles, Pelzes, Haares Falten,
Deines wilden Blutes Speer
beugt sich Gewalten,
die Dir nicht mehr
Zweige, Blatt und Früchte halten,
Dich daran aufzuschwingen
in das Heer der Elementargestalten.
Deine Klagen?:
Ja, so sehr
liebt ich Butten, Astern, Schlehenbeer -
und kann sie nicht verwalten
bei dieser bösen Gegenwehr!"

D u bist dahin, mein Herbst,
bist nicht mehr der von einst,
bist schwach geworden,
nackt ,zerfressen, kahl und bleich.
D u bist jetzt der, der bang beweint
die alten Zeiten.
Was Du jetzt voller Tollheit färbst,
was Du mit brauner Trän begreinst,
sind Satans losgelassne Horden:
-so sanft, so blass, so gleich, so gleich,
so tastend, glänzend, silbern, weich -

und Dir und mir ist's Grab gezeigt,
in das wir sinnlos, leblos gleiten,
weil weder Dir noch mir,
noch unsrem unheilsvollen Schwangerschaftsgeschwür
das Leben, das Du gabst,
die Hand gereicht'.





(c) 1986
Herbst nach Tchernobyl, 1986

Jetzt ists zwar Frühling - das ändert nichts an den Fakten.
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.03.2011, 09:28   #2
männlich PeterB
abgemeldet
 
Dabei seit: 11/2010
Beiträge: 236

Daran sieht man, wie aktuell Literatur sein kann (und leider auch bleiben wird...). Danke.

P.
PeterB ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.03.2011, 09:17   #3
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Halli Hallo, Peter B.

Danke für die Rückmeldung!

Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
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