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Alt 25.09.2020, 16:36   #1
männlich Jason
 
Dabei seit: 09/2020
Beiträge: 31


Standard Archivebetrachtungen

Als M. von seiner Freundin verlassen, mit nassen Klamotten (…es regnete ständig und das seit Wochen…) bei seinem Arbeitsplatz verspätet und von Kopfschmerzen geplagt erschien, fand er einen leeren Schreibtisch vor. Dass er sich so beeilte, war jedoch bedeutungslos, niemand hätte seine Verspätung bemerkt, denn er war bis auf Herrn Ahmed, der täglich die Büros putzte, alleine. Ohrenbetäubend ertönte ein Staubsauger im benachbarten Flur. Er blickte auf das Wandbild eines Flugzeuges, das im Hintergrund der amerikanischen Freiheitsstatue flog. Die Statur steckte ihre linke Hand siegreich in die Luft… der Chef kam plötzlich, er trug eine Sonnenbrille und einen dunklen Sakko. Er ging direkt in sein Büro, das in der obersten Etage lag und schloss die Glastür mit einem lauten Knall. M. beschloss, seinem Chef zu folgen und es fiel ihm spürbar schwer, die vielen Stufen zu erklimmen. So offensichtlich mühselig war der Aufstieg für ihn.

Er klopfe an. „Ja, eine Sekunde“, sagte der Chef, nicht ohne eine Minute zu warten... „Ich habe keinen Platz mehr!“, sagte M. und ihm waren seine Klamotten merklich unangenehm. „Wir haben beschlossen, dass du dein Büro im Archiv bekommst“, sagte der Chef nüchtern. „ Es ist sogar schon alles vorbereitet. Das hatte man gestern, nachdem du früh weg warst, gemacht“. „Gehst du jetzt…, ich habe ein wichtiges Meeting“ sagte, der Chef, drehte seinen Stuhl zum Fenster und genoss die Sonnenstrahlen des Morgens, die nur für ihn gemacht waren, als ein sicheres Zeichen seines Erfolges. M. schloss die Tür vorsichtig und hörte ein lautes und gekünsteltes Lachen, das die Umgebung aus ihrer sonst herrschenden Lethargie zu befreien schien.
M. traf Herrn Ahmed im Flur. „Ich kann dir sagen, die Wahlen gewinnt niemand, der langfristig plant, die Menschen wollen schnelle Resultate!“, sagte er und begann die Fensterbänke zu putzen.

„Ja weiß ich auch, weiß ich auch!“, antworte M. freundlich. Er stolperte ins WC. Er blickte in den Spiegel, bespritzte sein Gesicht mit Wasser und überlegte, ob er wirklich immer, so Elend aussah. Das gesamte Bürogebäude hatte vier Etagen, einen Keller und darunter drei weitere Kellerräume, in dem sich das Archiv befand. Das bemerkte M. schnell, nicht ohne vorher an verschlossenen Türen zu klopfen und vergeblich zu hoffen, dass er im richtigen Raum war. Irgendwann fand M. sein neues Plätzchen mit der Raumnummer – 3 C.
Herr Wagner, ein altgedienter Mitarbeiter hatte ebenfalls sein Büro im Archiv. „Machst dir gemütlich, du kommst hier vielleicht raus... Für mich gibt es jedoch keine Hoffnung mehr!“, sagte Herr Wagner und öffnete eine Schreibtischschublade und nahm einen tiefen Schluck aus einer schwarzen Flasche. Das wäre nur Medizin gegen Rheuma, deutete er kurz an. Die Flasche ließ er immer sehr schnell verschwinden. Die Schublade war mit Watte ausgekleidet...

Beide Leidensgenossen freundeten sich schnell an, sie unterhielten sich vornehmlich über Bücher und Filme. Wagners Lieblingsbuch war Robinson Crusoe und Film Harald und Maud, und er betonte immer wieder, dass M. für ihn auch eine Art Robinson wäre. Nur, dass es keine Ziegen gab. Eindeutig wusste M. nicht, wer Wagner wirklich war. Er schien sehr belesen, aber beschimpfte gleichzeitig alle. Beides schloss sich nicht aus, wenn man es tatsächlich ehrlich meinte. „Mich kann hier eh niemand mehr hören, meine Stimme ist doch eigentlich lange verstummt“, sagte Wagner einmal, nachdem er eine halbe Flasche getrunken hatte. Die Ratlosigkeit stand beiden Männern immer mehr ins Gesicht geschrieben…
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