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Alt 15.10.2007, 23:12   #1
cute_fighter
 
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Standard Zusammenfassung

Es soll Menschen geben, die an Wunder glauben. An irgendeinem Punkt glaubt jeder mal an ein Wunder oder hofft auf eines. Wenn so ein Wunder der letzte Hoffnungspunkt für das Überleben eines Mannes ist, dann ist er sogar bereit, in die Fremde zu ziehen und Hoffnung zu entfachen, wo gewöhnlich keine sind...
Krebskranke zu heilen, an denen die derzeitige Medizin versagt, das könnte man als Wunder sehen. Aber sind solche Hoffnungen umsonst?


Wenn zwei Welten aufeinander stoßen, kann man ihnen zumuten, sich gegenseitig wahrzunehmen oder würden sie sich zerstören? Macht ist eine Sucht. Es gibt nur wenige, die das Geheimnis der Grenze kennen. Grenzgänger, die mit zwei verschiedenen Wirklichkeiten konfrontiert werden. Macht ermöglicht auch Wunder. Vielleicht...
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Alt 15.10.2007, 23:14   #2
cute_fighter
 
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Standard 00 Prolog

|+| Prolog |+|

In den Ecken lodern unsichtbare Flammen. Wasser rinnt in dünnen Strähnen von der Überdachung, doch die Kälte, die kann das dünne Wellblechzelt nicht abhalten. Die furchtbare Kälte. Jede Faser des Mannes ist davon bereits liebkost und durchdrungen worden. Jede einzelne Faser.
Irgendwo klirrt es kurz, ein Rattern folgt. Jemand hat eine Fahrkarte in die Sonne gezogen. Da ist er sich ganz sicher, denn niemand betritt den Zug, auf den er wartet. Wer will schon freiwillig nach Norden, in die Stadt? Dort wo sich graue Häuser gegenseitig anfauchen, einzelne Papiere oder Werbeflyer über die Straße huschen und versuchen, eine Startbahn und eine Erlaubnis zu ergattern.
Wer will schon freiwillig zurück? Er. Und er muss hart dafür bezahlen. Er kauert in einer Ecke, ohne Bank oder Sitz, auf den blanken Steinfliesen.
Er wartet doch nur, dass Sonnenstraßen einmal nach Süden zeigen, der Ball im Norden aufblitzt, die Welt sich verdreht. Oder zurückdreht?
Abgestandene Asche rasselt über den Boden zu seinen Füßen, vermischt sich mit Laubgerippen und ausgetretenen Kaugummis. Irgendwo surrt ein Zug heran. Er steht auf und stellt sich an das Gleis.
Vielleicht ist es der Richtige.
Wie abgestandener Wind schleichen sich die Wagons Schritt für Schritt an ihm vorbei, vielleicht haben sie ihn nicht bemerkt. Schließlich bleibt das Fahrzeug doch mit einem Quietschen stehen. Die Türen öffnen sich erst, als er auf den grünen Knopf und die Fahrkarte in seiner Hand ein wenig fester drückt.
Die Sitze sind in ein einladend neues Blau gekleidet und das Abteil, in dem er sich befindet, ist leer – wie erwartet.
Ohne Hektik steuert er auf einen der Vierer zu und lässt sich am Fenster auf den harten Sitz fallen. Sein Kopf lehnt erschöpft gegen die Scheibe – sie ist aus Sicherheitsglas.
Das Gleis war fast wie ein zweites Zuhause geworden - in den Stunden, die er hier gewartet hatte. Aber Geduld hatte er gelernt. Zwei Ratten hasten an dem Fleck kreuz und quer, an dem er eben noch gewartet hatte. Ihr Fell ist zottelig und verdreckt. Sie suchen nach dem Fragment von Wärme, das er dort hinterlassen hatte.
Die Türen schließen sich wieder und er spürt das Surren des Zuges lauter werden. Langsam beginnt sich die Welt draußen zu verschieben, rennt vor ihm weg und beginnt nach und nach zu fliegen. Er hofft nur, dass sie niemals abstürzen wird. Ja, das hofft er für die letzten Bäume, die grau-grünen Wiesen und die Menschen, die nach Süden strömen.
Sie rennen in die falsche Richtung, aber sie können ja noch lernen.
Langsam lehnt er sich zurück und schließt die Augen. Ihm wird bewusst, dass das hier vielleicht der letzte Zug nach Norden ist. Aber er hat genug vom Süden, er hat genug gesehen.
Von den Schrecken wird in den Medien natürlich nie berichtet, sie werden als übersinnlicher Schwachsinn abgetan, einem kranken Geist und schlichter Einbildung zugeschrieben. Aber irgendwann, werden auch die Fernsehsender ihre Augen öffnen müssen, irgendwann, wenn es wieder passiert. Trotzdem hofft er, dass es nicht noch einmal passiert. Es darf einfach kein weiteres Mal passieren.
Vielleicht hat alles angefangen, als der Befund aus dem Krankenhaus ankam. Wahrscheinlich aber war die Welt vorher schon nicht in Ordnung gewesen, nur für ihn eben hat es an diesem Punkt angefangen. Der 27.September, ein Tag, der sein Leben verändert hatte. Bitter bemerkt er, dass auch heute wieder Herbstwinde wehen und das Datum auf seiner Uhr zeigt dieselben Ziffern wie damals. 27.9. So viel Zeit war verronnen und trotzdem schienen die Zahlen sich immer wieder zu wiederholen. Welch eine Ironie, dass er an genau demselben Tag wieder seine heile Welt zu suchen begann, an dem vor einiger Zeit eben diese Welt zerbrochen war.
„Fahrkarte, bitte!“ Abrupt wird er aus seinen Erinnerungen gerissen und blinzelt verwundert. Harte Gesichtszüge begegnen ihm und er reicht den Fetzten Papier aus seiner Hand weiter. Der Kontrolleur runzelt kurz die Stirn, scheint jeden einzelnen Buchstaben kritisch zu betrachten und händigt ihm dann die Karte wieder aus. „Könnten Sie sich bitte ausweisen?“ Verwundert starrt der Reisende den Mann an. Dieser errötet leicht und murmelt erklärend: „Die Sicherheitsmaßnahmen sind erhöht worden, weil kaum jemand nach Norden möchte und..“ „Geht in Ordnung“, unterbricht ihn der Sitzende und zückt sein Portemonnaie aus der Hosentasche. Es sieht leicht mitgenommen aus. Kurz betrachtet er selbst das Bild auf seinem Personalausweis. Dennis Oberndorf, geboren 12.1.1980... Schnell gibt er die Karte ebenfalls an den Kontrolleur. Die Vergangenheit drückt ihm wie ein Messer auf die Kehle.
Der Uniformierte nickt kurz und gibt den Ausweis wieder zurück. Kurz bevor er den Wagon verlässt, dreht er sich noch einmal um. „Warum zur Hölle fahren Sie mit diesem verdammten Zug?“ Dennis Oberndorf hebt den Blick und sieht dem Mann direkt in die Augen. „Es ist die richtige Richtung.“ Kopfschüttelnd verlässt der Kontrolleur das Abteil. Wahrscheinlich hält er den Fahrgast einfach für verrückt, aber das ist er nicht. Da ist er sich ziemlich sicher.
cute_fighter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.10.2007, 23:15   #3
cute_fighter
 
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Standard 01 Kapitel

|+| Kapitel eins |+|

Der September fing langsam an, den Bäumen ihr Grün von der Krone zu pflücken. Der Sommer war in sich zusammengefallen und hatte nur noch eine leichte Spur auf manchen Gesichtern hinterlassen. Dennis drückte sich die Nase an der Scheibe seines Zimmers platt. Den laufenden Computer ignorierte er vollends in einer Ecke des Zimmers. Er spielte keine Rolle mehr für den Jungen. Bald würden die Ergebnisse aus dem Krankenhaus kommen, seine Schwester hatte ihm versprochen, dass er das nächste Mal mitkommen dürfe. Er wollte so gerne das vertraute Gesicht seines Vaters wiedersehen. Wollte seine eigene Hoffnung Wirklichkeit werden lassen. Er wusste, dass sein Vater die Therapie und die Operation überleben konnte. Er wusste es einfach.
Aber trotzdem war da diese Angst, diese Ungewissheit, die ihn von innen aufzehrte.
Schon von weitem sah Dennis die Scheinwerfer des weißen BMWs wie zwei stechende Glühwürmchen über den nassen Asphalt kriechen.
Er stieß sich vom Fenster ab und ging unsicher durch den Raum auf die Tür zu. Der Flur dahinter wirkte irgendwie tot und mit einem Mal war da diese schreckliche Vorahnung. Würgeschlangengleich hielt sie ihn in ihrer tödlichen Umarmung fest. Stumm blieb er mitten im Gang stehen und horchte auf die klackenden Absätze seiner Schwester.
Klick, der Schlüssel wand sich im Türschloss, bis die Tür nach innen aufschwang. Anna sah ihn nicht direkt an, doch das erste, was ihr kleiner Bruder bemerkte, waren die Schatten um ihre Augen, das Mascara war verschmiert und die Lippen wirkten einige Nuancen blasser als sonst. Was ist passiert?, wummerte es durch Dennis’ Kopf. Sonst war da nichts, kein Platz für andere Fragen, nur noch das Bild, die Erinnerung an seinen Vater. Seine starken Wangenknochen, die aderblauen Augen...
„Was ist passiert?“, stieß Dennis hervor und hastete auf seine Schwester zu. Noch immer hatte diese Tränen in den Augen, sie glitzerten wie Edelsteine in ihren Augenwinkeln. Manchmal war es ihm, als würde er seinem Vater in die Augen sehen, wenn sich sein Blick mit Anna traf und so war es auch in diesem Moment. Ohne, dass er wusste, was los war, schossen ihm selber Tränen hoch und aus einer plötzlichen Eingebung heraus nahm er seine Schwester in den Arm.
Die Tür fiel langsam von alleine hinter ihr zu. Noch immer schwieg sie, bis sie sich schließlich aus der Umarmung löste und ihn eine Armlänge von sich wegdrückte.
„Sie können ihn nicht behandeln.“
„Warum?“, Verständnislosigkeit hallte durch seinen Kopf. Er wollte nicht begreifen... konnte nicht verstehen...
„Es ist zu riskant, der Krebs ist so weit fortgeschritten... dass er sterben würde...“, Annas Stimme zitterte noch von den Tränen, die ihre Augen gerötet hatten.
„Aber... er muss doch auch so sterben, oder nicht?“
„Doch... aber so... bleibt ihm eine Schonfrist... Die Ärzte meinen...“, neue Tränen schossen ihr in die Augen, obwohl sie sie versuchte zu unterdrücken. „Sie meinen, dass ihm so noch ein paar Monate bleiben, vielleicht sogar ein Jahr.“
„Aber es muss doch eine Möglichkeit geben! Die Medizin ist doch so weit...“
Anna unterbrach ihn hart: „Nein, gegen Krebs gibt es noch immer nicht genug Mittel und die Ärzte haben mir alles genau erklärt... Morgen können wir ihn nach Hause holen, sie meinen... er soll sein Leben genießen können...“
In Dennis’ Kopf breitete sich plötzlich eine beklemmende Kälte aus. Er wollte es noch immer nicht begreifen, man konnte jemanden doch nicht fast ein Jahr vor seiner Schlachtbank warten lassen, ohne wenigstens den Versuch einer Flucht zu unternehmen.
Es würde doch nie so wie früher werden. Immer müssten sie vorsichtig sein, immer wüssten sie, dass der Tod nur wenige Meter in der Luft wartete. Er wartete in diesen Minuten bereits und es kam ihm vor, als wäre es in der Wohnung einen Tick kälter geworden, als könnte er schon den Atem des Sensenmannes auf seinem Nacken spüren. Vor seinem inneren Auge flackerte das Licht und Schemen zeichneten sich an den Wänden ab – überall waren sie.
„Dennis...“ Diesmal begann Anna die Umarmung. „Wir halten immer zusammen.“ Ihre Stimme hatte sich gefestigt, das Zittern war fast nicht mehr zu hören und trotzdem spürte er die warmen Tränen, die auf seine Schulter tropften, als würden sie einen Widerspruch in sich bilden.

Es war ein Sonntag, der 28.September. Die ersten Sonnenstrahlen versuchten sich ihren Weg durch Straßenlabyrinthe und Häuserblöcke zu bahnen. Mit leerem Blick betrachtete Dennis die Menschen, die über den Bürgersteig gingen. Frauen und Männer mit Hunden, manche auf Fahrrädern, andere mit einer Tüte vom Bäcker in der Hand. Jeder von ihnen schien die überraschenden Sonnenstrahlen zu genießen, das Gefühl von Wärme auf ihrer Haut zu speichern so lange es noch ging.
In wenigen Minuten würde er an der Seite seiner Schwester ins Krankenhaus fahren. Aber er empfand nichts mehr, konnte nicht sagen, ob er Angst oder Freude verspürte, konnte nicht sagen, wie sie ein Leben mit ihrem Vater gestalten würden, wenn es doch nie wieder so wie vorher sein würde.
Eigentlich sollte Dennis jetzt für die anstehenden Klausuren lernen, die zwölfte Klasse zählte bereits für das Abitur und er war sich immer sicher gewesen, dass das sein Weg sein würde – die Bildung, die Schule.
Im Hintergrund nahm er den Nachrichtensprecher des Radios wahr – Anna sagte, sie müsse sich ablenken und rangierte in der Küche herum. Aber irgendwas stimmte nicht an der Geräuschkulisse. Langsam bemerkte Dennis, dass außer dem Nachrichtensprecher keine Geräusche mehr durch die Wohnung klirrten und rauschten. Nur die Straßenlärmkulisse vielleicht noch. Eben hatte seine Schwester doch noch aufgeräumt, abgewaschen und Stühle gerückt.
Dennis zuckte mit den Schultern und fokussierte seinen Blick wieder auf die Welt außerhalb. Auf die glücklichen Gesichter, die ausgelassenen Tiere, das Seufzen des Windes und die letzten leuchtenden Scheinwerfer im Tageslicht. Ob die Welt für ihn selbst jemals wieder so...
„Dennis!“ Erschrocken zuckte er von Fenster weg und wäre fast mit Anna zusammengestoßen. Er hatte sie gar nicht kommen hören.
Gerade wollte er sich über ihr Anschleichen beschweren, da bemerkte er die aufgeregte Röte ihrer Wangen, das Schimmern in ihren Augen.
„Was ist denn?“, fragte er unsicher, ob er wütend oder neugierig reagieren sollte.
„Wir sollten losfahren...“, murmelte sie verlegen und bedrückt.
Verwirrt sah er ihr noch einmal ins Gesicht, er musste sich getäuscht haben. Ihre Wangen waren allenfalls normal gerötet und ihre Augen wirkten groß und traurig. Schnell nickte er und verließ das Zimmer. Der Flur wirkte noch immer kahl und ein wenig ausgestorben, doch Dennis klammerte sich an die Bewegungen seiner Schwester, fast wie ein kleines Kind, aber er konnte einfach nicht anders. An irgendetwas lebendem musste er sich orientieren, wenn er nicht in den unendlichen Weiten unerkannter Abgründe verschwinden wollte.
Anna ging noch schnell in der Küche vorbei und drehte das Radio aus, bevor sie sich ihren langen Mantel überwarf und den Schlüssel sowie ihr Handy in einer der Taschen verstaute.
Das Auto schlich fast widerspenstig durch den morgendlichen Verkehr. Vielleicht spürte es die ungewisse Angst, die sich durch Dennis fraß, je näher sie dem Krankenhaus kamen. Ampeln wechselten von rot auf grün, Autos schwirrten um sie herum wie gierige Insekten, Menschen hasteten über die Straßen und genossen ihren freien Tag. Kleine Kinder zerrten begeistert an den Händen ihrer Mütter und Hunde beschnüffelten sich aufgeregt. Das alles drang gar nicht bis zu Dennis vor. Wie gebannt klemmte er hinter dem Armaturenbrett und dem Handschuhfach, fühlte sich erstarrt, als könnte er sich nicht bewegen. Der Sicherheitsgurt presste sich hart auf seine Brust, schien ihm den Atem abzuschnüren, obwohl der Kloß in seinem Hals daran Schuld war.
Besorgt sah er in den Rückspiegel, um zu sehen, wie sehr sich das alles in seinem Erscheinungsbild widerspiegelte. Er bemerkte erstaunt, dass man seinen grauen Augen aller höchstens einen traurigen Ausdruck nachsagen konnte und auch seine Gesichtszüge wirkten sehr kontrolliert, wie schaffte sein Spiegelbild das bloß?
Die braunen Haare waren wie immer leicht durcheinander und hingen trotzdem in ihrem perfekten Schnitt über Stirn und Kopf.
Er seufzte innerlich und hob den Blick wieder nach vorne. Der Gebäudekomplex, vor dem sie gerade im Zickzack hin und her fuhren, um einen Parkplatz zu ergattern, erschlug ihn fast. Glatte, weiße Wände, rechteckiger Bau. Über der großen gläsernen Eingangstür wellte sich ein einladendes Dach, unter dem eine Frau zusammen mit ihrer Zigarette stand und Rauch in die Luft blies. Ihre Hand schien leicht zu zittern.
Das Auto steuerte zielsicher auf einen der letzten freien Parkplätze in der Nähe zu und als Anna den Motor abstellte, schien sich eine schreckliche Stille in der Luft auszubreiten, sich zu vergrößern, auszudehnen und die beiden Geschwister in der Blechkiste zu zermalmen.
Schließlich konnte Anna es nicht mehr aushalten und öffnete die Fahrertür. Fast gleichzeitig drückte auch Dennis seine Tür auf und trat an die frische Luft.
Obwohl die Sonne schien, war es absonderlich kalt für den ersten Herbstmonat. Selbst unter seinem Pullover fröstelte Dennis noch, sog aber die kalte Luft gierig in seine Lungen auf, als könnte sie den Moment der soeben durchlebten Stille verbrennen und für immer in Vergessenheit kleiden.
Er brauchte nichts zu seiner Schwester sagen, als sie Seite an Seite auf den Eingang zuschritten. Jedes Wort wäre jetzt überflüssig gewesen.
Trotzdem hätte ein Gespräch vielleicht diese unbeschreibliche Leere, die sich seit dem Vorabend in ihm ausgebreitet hatte, ein wenig vertrieben. Ein wenig erträglicher gemacht.
Kleine, gestutzte Hecken zierten den Weg über die Pflasterstein. Dunkle Ränder erinnerten noch an den Regen der Nacht, die Frau vor dem Eingang war verschwunden, Rauch kräuselte sich aus dem Aschenbecher, den sie nun passierten.
Als die Glastüren aufschwangen, wehte den beiden bereits der krankenhauseigene Geruch nach Sterilität, Medizin und Tod entgegen. In der Eingangshalle versuchte man ihn mit diversen Blumengerüchen zu überdecken und freundlicher zu stimmen, doch es gelang nur spärlich.
Das Licht aus den Neonröhren schien jeglichen glücklichen Gedanken wie eine Zigarette auszudrücken und vorher verglühen zu lassen. Dennis wunderte sich, wie es die beiden Damen am Empfang schafften, trotzdem das Lächeln auf ihrem Gesicht zu behalten. Es wirkte fast wie ein surreales Gemälde.
„Komm, wir müssen in den zweiten Stock.“, Annas Stimme wirkte unsicher, fast als würde sie die Stimmung als genauso empfinden, wie Dennis. Fast als fürchtete sie, sich zu lange in diesem Gebäude aufhalten zu müssen.
Schnell schritten die beiden auf den Fahrstuhl zu, er war bereits offen, und drückten innen auf den entsprechenden Knopf. Ein Mann schlüpfte noch zwischen den Metalltüren hindurch, presste seinen Finger auf die ‚5’ und wartete ungeduldig, bis sie in die Luft katapultiert wurden. Dennis’ Magen machte einen kurzen Sprung, als der Fahrstuhl stehen blieb und sich die Türen wieder öffneten. Die ‚2’ hörte auf zu leuchten und er betrat zusammen mit seiner Schwester einen gelb gestrichenen Flur. Hinter ihnen schlossen sich die Türen wieder.
Es roch nach Blumenkohl und etwas Undefinierbarem. Anna drehte sich überzeugt nach links um und zerrte ihren Bruder mit sich den Gang entlang. Er schien sich ewig zu ziehen, nirgends waren Fenster, nur Türen. Links, rechts, links. 245,246,247... Das künstliche Licht schien hier düsterer zu wirken als pure Dunkelheit und Dennis fragte, nur um etwas zu sagen: „In welchem Raum liegt er?“ „258.“
Er hoffte inständig, dass die Zimmer schöner waren als dieser endlos scheinende Gang. Jede Zahl glich hier der anderen, jede Tür war in derselben Farbe gestrichen und alles wurde von demselben Licht beherrscht. Selbst die freundlich gestrichenen Wände konnten nichts an der Stimmung ändern, es schien, als wären sie ein kläglicher Versuch gewesen, Leben in dieses Haus zu pusten.
256,257,258... „Hier ist es.“, sagte dieses Mal Anna, um des Redens Willen. Kurz verharrte sie, die Hand auf dem Weg zur Klinke. Dennis atmete tief durch, obwohl ihm schon mulmig von dem Essensgeruch war. Er versuchte ihn zu ignorieren.
Mit einer schnellen Bewegung öffnete Anna die Tür, als hätte sie Angst, dass der Mut sie doch noch verlassen könnte und sie für immer auf dem Gang festwüchse.
Sonnenlicht schwappte ihnen übermütig entgegen. Überrascht zwinkerte Dennis mit den Augen, um die letzten Reste des Neonlichtes verschwinden zu lassen, bevor er das Zimmer überhaupt erst wahrzunehmen begann.
Zwar standen zwei Betten im Raum – eines am Fenster und eines an der Wand gegenüber –, aber es war nur eines belegt, Dennis’ Vater hatte auf ein Einzelbett bestanden, obwohl keines mehr frei gewesen war in dem entsprechenden Trakt.
Fast hätte Dennis ihn gar nicht gefunden mit seinem Blick. Sein Vater schien in die Kissen eingesunken zu sein und die Hautfarbe unterschied sich kaum noch von dem Bezug. Bleich und alt wirkte sein Antlitz, als es die beiden mit wachen Augen betrachtete. Aderblau erinnerten sie an die Farbe, die der Himmel manchmal annahm und schienen einen sofort zu durchbohren, egal, in welchem Zustand sich seine Gesundheit befand.
Unsicher trat Dennis von einem Fuß auf den andere, während Anna sich an das Bett ihres Vaters niederließ und ihm flüsternd erklärte, dass er nach Hause zurück kehren würde.
cute_fighter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.10.2007, 00:05   #4
Meta
 
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Standard RE: 00 Prolog

Hallo, cute_fighter.

Zitat:
Original von cute_fighter
...doch die Kälte, die kann das dünne Wellblechzelt nicht abhalten. Die furchtbare Kälte. Jede Faser von ihm ist davon bereits liebkost und durchdrungen worden. Jede einzelne Faser.
Diese Satzfolge ist etwas undurchschaubar. Besser wäre etwas wie "... doch die Kälte, diese furchtbare Kälte, die kann das ...", denn dann bezieht sich der folgende Satz "Jede Faser von ihm..." auch korrekterweise auf das Wellblechzelt.

Zitat:
Dort wo sich graue Häuser gegenseitig anfauchen, einzelne Papiere oder Werbeflyer über die Straße huschen und versuchen Komma eine Startbahn und eine Erlaubnis zu ergattern.
[...]
Er steht auf und stellt sich an den das (!) Gleis.
[...]
Die Türen öffnen sich erst, als er auf den grünen Blinkeknopf <- unschöne Formulierung drückt und die Fahrkarte in seiner Hand ein wenig fester quetscht. (Die Türen öffnen sich erst, als er den grün blikenden Knopf und die Fahrkarte in seiner Hand ein wenig fester drückt.)
Die Sitze sind in ein einladend neues Blau gekleidet und das Abteil, in dem er sich befindet, ist totenleer. Hm? Totenleer? Sollten da denn Leichen sein?
[...]
Der Das Gleis war fast wie ein zweites Zuhause geworden Komma oder Gedankenstrich in den Stunden, die er hier gewartet hatte.
[...]
Zwei Ratten hasten an dem Fleck kreuz und quer, an dem er eben noch gewartet hatte. Ihr Fell ist zottelig und verdreckt. Sie suchen nach der Erinnerung von an (oder aber "nach dem Überbleibsel/Relikt/... von Wärme) Wärme, die er dort hinterlassen hatte.
[...]
Es darf einfach kein weiteres mal Mal passieren.
Vielleicht hat alles damit das "damit" weglassen oder nach dem Komma das "als" durch "dass" ersetzen angefangen, als der Befund aus dem Krankenhaus ankam.
[...]
Was Besser: Welch eine Ironie, dass er an genau demselben Tag wieder seine heile Welt zu suchen begann, an dem vor einiger Zeit eben diese Welt zerbrochen war.
[...]
Dieser wird leicht rötlich im Gesicht besser: Dieser errötet leicht und murmelt erklärend: „Die Sicherheitsmaßnahmen sind erhöht worden, weil kaum jemand nach Norden möchte und...“
[...]
„Warum zur Hölle fahren sie Sie mit diesem verdammten Zug?“
[...]
Wahrscheinlich hält er diesen Herr Herrn Oberndorf für verrückt, aber das ist er nicht. Ich würde den Satz jedoch etwas umschreiben. Vielleicht einfach nur "Wahrscheinlich hält er den Fargast einfach für verrückt, ..."?
Allgemein gefällt mir Deine Geschichte so weit ganz gut.
Manchmal merkt man jedoch, dass Du etwas zu formulieren suchst, das Dir nicht so gelingt, wie Du gerne möchtest.

Meiner Meinung kannst du noch mehr Wirkung erzielen, wenn du hie und da ein Komma durch einen Punkt, ein Semikolon oder einen Gedankenstrich ersetzt. In beschreibenden Abschnitten darf ein Satz auch ruhig mal unter fünf Worten haben - das wirkt seinen Teil zum Ganzen!

Grüße,
Meta
Meta ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.10.2007, 00:06   #5
männlich Roan Eck
 
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servus
nach einer längeren pause bin ich nun wieder hier und will wieder mehr comments schreiben und mehr veröffentlichen, deshalb fange ich gleich an:

ich mag diesen Prolog. er beginnt ruhig und schneidet erst gegenende den wahren grund warum dennis nach norden will. ich bin gespannt wies weiter geht.

ich finde deinen sprachstil passt sehr gut zu dem erzählungsstil und zum thema.

noch etwa szum Inhalt:
>>Jemand hat eine Fahrkarte in die Sonne gezogen. Da ist er sich ganz sicher, denn niemand betritt den Zug, auf den er wartet.<<
also wenn jemand einen schein hoch hält und es blitzt in der sonne auf, dann ist e rnicht allein im bahnhof bzw auf dem bansteig. hab ich was überlesen, oder wir da snur hier angesprochen und später gesagt er ist allein im zug (mit dem Kontrolleur ) wr. ich dachte da shätte allgemein gegolden.
wie dem auch sei, mir gefällt der anfang.

servus roan
Roan Eck ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.10.2007, 00:33   #6
männlich Roan Eck
 
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hey
nun komm ich zum 1. kapitel:
also folgendes:

- >>Der Flur dahinter wirkte irgendwie tot und mit einem Mal erfasste ihn eine beklemmende Vorahnung, gleich einer Würgeschlange.<<

irgendwas stört mcih an dem satz. erst hab ich flüssig gelesen, aber den musste ich 2 x (min.) lesen bis ich ihn hatte
(1. Absatz ziemlich weit oben)

- >>Nie hätte er sich erträumen lassen, dass alles anders kommen sollte.<<
ich würde den satz weg lassen. durch den prolog ahnt manja schon, dass die bildung nebensächlich wird. anders fändeich es besser
(2. absatz)

- der teil des 2 absatzes, in dem Dennis seien Umwelt nicht war nimmt, wie wäre es wen du es praktisch aus seiner sicht schilderst, was er statt dessen sieht. also mich würde es so mehr interessiere, denn du hast einen altäglichen Sonntag näher beschrieben und ich fände es halt interessanter was dennis sieht bevor er ins auto steigt. (PS: die szene mit dem rückspieleg finde ich sehr gut)

- >> Er wusste, dass sie ähnliche Gedanken wie er hatte und jedes Wort wäre jetzt überflüssig gewesen. << finde ich irgendwie doppelt. ich persönlch wäre davon ausgegangen, dass sie beide ziemlich die selben gedanken haben. aber naja nsichtssache würde ich sagen

also ich will nochmal sagen dass ich deine beschreibungen mag (besoners das krankenhaus hats mri angetan). auch find eic gut wie du den vater beschreibst.
ich bin gespant wie du weite rmachst.

servus roan
Roan Eck ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.10.2007, 01:21   #7
Meta
 
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Standard RE: 01 Kapitel

Zitat:
Original von cute_fighter
Bald würden die Ergebnisse aus dem Krankenhaus kommen, seine Schwester hatte ihm versprochen, dass er das nächste mal Mal mitkommen dürfte dürfe.
[...]
„Doch... aber so... bleibt ihm eine Schonfrist... Die Ärzte meinen...“, neue Tränen schossen ihr in die Augen, obwohl sie sie versuchte zu unterdrücken "obwohl sie sie zu unterdrücken (ver)suchte" oder "obwohl sie versuchte, sie zu unterdrücken.
[...]
„Nein, gegen Krebs gibt es noch immer nicht genug Mittel und die Ärzte haben es mir alles "es" oder "alles" streichen genau erklärt...
[...]
Nie hätte er sich erträumen "träumen" oder aber "erträumt" lassen, dass alles anders kommen sollte.
[...]
Über der großen gläsernen Eingangstür wellte sich ein einladendes Dach Komma unter dem eine Frau zusammen mit ihrer Zigarette stand und Rauch in die Luft blies.
[...]
Obwohl die Sonne schien, war es bereits absonderlich eines der beiden vorigen Worte streichen kalt für den ersten Herbstmonat.
[...]
Er brauchte nichts zu seiner Schwester sagen, als sie Seite an Seite auf den Eingang zu schritten zuschritten.
[...]
Link Links, rechts, links.
[...]
Mit einer schnellen Bewegung öffnete Anna die Tür, als hätte sie Angst, dass der Mut sie doch noch verlassen könnte und sie für immer auf dem Gang festwachsen würde besser: festwüchse (Mir gefällt der echte Konjunktiv besser, du kannst das doch! ).
Du hast eine sehr schöne Bildsprache!
Was die Geschichte bringt, wird die Zeit noch zeigen... Sie gefällt mir bislang jedoch gut!

Eigentlich bleibt mir nur noch zu sagen, was ich bereits im Prolog erwähnte: ersetze ein paar Kommata, um mehr Vielfalt zu schaffen und dem Lesefluss dienlich zu sein.

Grüße,
Meta
Meta ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.10.2007, 11:13   #8
cute_fighter
 
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Morgen ihr beiden *freu*

Erstmal danke für so schnelle Antworten, der Fortsetzungsgeschichtenbereich sei gelobt!

Mal unchronologisch vorgehen.
Zu Roan...
Ja, ganz ehrlich hatte ich da selbst noch keine Ahnung, um was es genau gehen soll...
Also ich hatte mir ihn allein auf dem Bahnsteig gedacht, aber wo du's sagst, muss ich da nochmal nachsehen, ob das auch so geschrieben steht.
Im Zug ist er auf alle Fälle allein, denn der "Fahrschein in die Sonne" ist ja nicht für den Zug, den er nimmt, sondern für einen in die Gegenrichtung...

So, Meta... Hast schon richtig erkannt, ich mag Kommata . Aber eigentlich dachte ich, dass ich schon genug Punkte in den Raum werfe... werde nochmal drauf achten...

Zitat:
Diese Satzfolge ist etwas undurchschaubar. Besser wäre etwas wie "... doch die Kälte, diese furchtbare Kälte, die kann das ...", denn dann bezieht sich der folgende Satz "Jede Faser von ihm..." auch korrekterweise auf das Wellblechzelt.
Aber wie soll den jede Faser von einem Wellblechzelt durchdrungen sein? Deshalb steht die "furchtbare Kälte" ja wieder dazwischen, damit sich der nächste Satz darauf bezieht?!...

Ansonsten werde ich nochmal Fehler ausmerzen gehen müssen. Thanks!

glg.
cute_fighter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.10.2007, 11:20   #9
cute_fighter
 
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Hi ihr beiden.

Nochmal danke . Man sieht, dass ich die Geschichte noch nicht überarbeitet habe - bin dazu auch meistens zu faul - aber ein wenig glätten werd ich sie noch müssen.

Mehr kann ich gar nicht antworten...hm...

ganz liebe grüße
cute_fighter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.10.2007, 11:38   #10
Meta
 
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Zitat:
Original von cute_fighter

Zitat:
Diese Satzfolge ist etwas undurchschaubar. Besser wäre etwas wie "... doch die Kälte, diese furchtbare Kälte, die kann das ...", denn dann bezieht sich der folgende Satz "Jede Faser von ihm..." auch korrekterweise auf das Wellblechzelt.
Aber wie soll den jede Faser von einem Wellblechzelt durchdrungen sein? Deshalb steht die "furchtbare Kälte" ja wieder dazwischen, damit sich der nächste Satz darauf bezieht?!...
Ähm, nun ja, dass (Well-)Blech an sich nicht fasrig ist, ist mir klar - ich dachte, das sei bildlich gemeint.

Aber, wer oder was bitte schön ist denn dann von Kälte durchdrungen?
Das geht aus den vorigen Sätzen überhaupt nicht hervor. :-/

Grüße,
Meta
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Alt 16.10.2007, 12:04   #11
cute_fighter
 
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hm...der Mann?
oO deshalb war ich so verwirrt... vielleit muss ich das "von ihm" ersetzten, damit es klarer ist, dachte eigentlich, dass das logisch ist...

glg.
cute_fighter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.10.2007, 12:38   #12
Meta
 
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Zitat:
Original von cute_fighter
hm...der Mann?
oO deshalb war ich so verwirrt... vielleit muss ich das "von ihm" ersetzten, damit es klarer ist, dachte eigentlich, dass das logisch ist...
Ja, jetzt, wo du alles andere ausgeschlossen hast, bleibt ja auch nicht mehr viel übrig.

Wenn du das geschickt ersetzt/umstrukturierst, wird das bestimmt eindeutig(er).

Meta
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Alt 16.10.2007, 14:15   #13
cute_fighter
 
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Standard 02 Kapitel

|+| Kapitel zwei |+|

Dennis konnte die Bedrücktheit fast sehen, die sich zwischen die drei geschlichen hatte. Sie war wie eine silbern schimmernde Gestalt, geistähnlich und doch irgendwie fest und stabil. Er hatte keine Vorstellung davon, wie sie das aushalten könnten. Keine Vorstellung, wie das alles weiter gehen sollte.
Im Hintergrund schienen sich die Stimmen aus den Fernsehlautsprechern in Unendlichkeit zu verlaufen, schienen von den Gedanken des Jungen abzuprallen und durch den Raum zu schwirren wie vergessene Waisenkinder auf der Flucht vor dem nichts.
„...das verlorene Land... die Wunder sind...“
Dennis schreckte verstört hoch und bemerkte, dass Anna und sein Vater wie gebannt an den Worten des Nachrichtensprechers und den Bildern des grauen Kastens hingen. Wollten sie sich ablenken? Vorsichtig tastete sich Dennis’ Wahrnehmung an den großen grünen Schalter in seinem Inneren heran und drückte ihn. Schlagartig strömten die Informationen in sein Trommelfeld, ergaben wieder Sinn und bauten Brücken zwischen den Lauten, die der Mann in der Tagesschau von sich gab.
„...nicht bewiesen, dass das verlorene Land tatsächlich existiert, aber es wurden eindeutige historische Spuren zurückverfolgt und man hat Kontakt zu Menschen aufgenommen, die an der Grenze zu diesem unberührten Kontinent leben. Sie berichteten, dass dort tatsächlich Wunder geschehen könnten, Kranke manchmal geheilt oder Greise als junge Männer zurückkamen...“
Dennis bemerkte, wie er selbst den Atem anhielt und jedes Wort des sympathischen Sprechers aufsaugte. So gerne würde er das alles glauben, aber es hörte sich eher an wie Hirngespinste, denen man nicht trauen durfte. Wie Märchen von ein paar Menschen, die von der Realität abgedriftet waren. Aber würden die Medien es dann aller Welt zeigen? Würden sie so einen globalen Skandal riskieren können?


Es war verrückt. Es war vollkommen verrückt.
Regen schlängelte sich in dünnen Streifen über die Fenster und Dennis wollte, konnte es immer noch nicht glauben, was sie hier taten. Hals über Kopf hatten sie die Sachen gepackt, ein Bahnticket besorgt und im Internet zufällig und auf gut Glück eine Wohnung am Randgebiet ergattert, gegen eine relativ niedrige Miete. Aber es fühlte sich so falsch, so schwachsinnig an. Als wären sie senil und hätten von den Wundern einer neuen Medizin gehört, die sie zwar nicht begreifen, an die sie aber glauben wollten.
Jeder normale Mensch hätte den Kopf über diese Familie geschüttelt. Als ob ein anderes Land den Krebs heilen konnte, gegen den kein Medizinwissenschaftler eine Lösung fand.
Aber vielleicht brauchte man eine unsinnige Idee, um wieder Hoffnung zu schöpfen, um sich aus dem gähnenden Loch der Todesgewissheit zu hangeln. Die letzten Tage waren der blanke Horror gewesen, das gab sogar Dennis zu und er ertappte sich, wie seine Augen tastend und neugierig über die Landschaft schweiften. Vielleicht steckte ja doch ein Funke Wahrheit in diesen Wundern... Sein Verstand heulte protestierend auf, doch manchmal war es so viel einfacher, wenn man nur dem Herzen und nicht dem Kopf glaubte.
Ein leises Schnarchen kitzelte sein Trommelfeld. Sein Vater dämmerte bereits im Schlaf durch das große Unbekannte. Ihm gegenüber saß Anna, sie hatte ihr Gesicht hinter einem Buch vergraben, doch schon lange weilten ihre Augen auf derselben Zeile und ihre Finger blätterten keine Seite mehr um. Ob ihre Gedanken genauso widersprüchlich waren? Dennis war sich da ziemlich sicher. Er war froh, dass die Herbstferien nächste Woche anfangen würden und er seinem Verstand immer noch vorgaukeln konnte, dass sie nur Urlaub machten, um die Realität ein wenig zu vergessen.
„Hmm...“, brummte er, um irgendein Geräusch zu machen, vielleicht ein unbestimmtes Gespräch zu beginnen.
Anna zog eine Augenbraue hoch und sah ihn über den Rand ihres Buches hinweg an. „Du glaubst immer noch nicht wirklich dran, oder?“, fragte sie schließlich nüchtern.
„Ich würde gerne dran glauben... ob unser Vater wenigstens dran glaubt?“ Bedächtig sah er noch einmal über das bleiche Gesicht neben ihm. Es war fast maskenhaft. Puppenbehaftet und irgendwie realitätsfremd.
Anna zuckte mit den Schultern. „Vielleicht.“, meinte sie und hob das Buch wieder an.
Seufzend lehnte sich Dennis gegen die kalte Scheibe und lauschte dem Rattern des Zuges. Vielleicht flogen sie einer neuen Welt entgegen, einer Wunderwelt, einem Märchenland. Vielleicht aber auch einer Stadt wie jede andere und einem Land dahinter, das einfach nur unbewohnbar war.
Nervös begann er mit seinen Fingern auf den Oberschenkeln herum zu klopfen und sang in Gedanken ein Lied. Über seine Lippen aber dran kein Laut, während der Zug langsam zum Halten kam, Leute ein und aus stiegen. Trotzdem wirkten die Abteile noch viel zu leer, viel zu einsam.
Sie fuhren in die falsche Richtung, dachte Dennis sich. Das musste es gewesen sein. Deswegen war so wenig Betrieb und die Gesichter der Mitreisenden waren eher gestresst oder traurig nach einer wohl längeren Arbeitsstrecke. Sie nahmen keine Notiz von der kleinen Familie mit ihren Koffern. Beachteten nicht die nachdenklichen grauen Augen des Jungen, die an ihnen klebten.

Flüchtig zogen Minuten und Stunden an der kleinen Familie vorbei. Später konnte Dennis nicht einmal genau sagen, wie lange sie gefahren waren, wenn er nicht den Ziffern auf seiner Armanduhr Glauben schenken würde.
Die Landschaft veränderte sich kaum merklich. Lauernde Hochhäuser und facettenreiche Städte wichen einsamen Gehöften, Wäldern und weiten Ebenen. Sie kehrten ins Niemandsland ein. Flüsse schlängelten sich durch zerschnittene Landschaften, Moore quetschten sich schlammig und zäh zwischen sonnigen Lichtungen und Baumstämmen hindurch. Seen wirkten wie mit Wasserfarbe hingetröpfelt und am Horizont zeichneten sich bereits gezackte Hügelketten ab.
Dennis wusste, dass hinter einer diese Erhebungen, noch weiter entfernt, als es wirkte, das Dorf liegen musste, auf dem sie ihre gesamte Hoffnung abgeladen hatten. In kleinen Päckchen hatten sie diese schon einmal vorgeschickt und konnten nicht wissen, ob sie auch planmäßig gelandet war. Die Hoffnung ihrer kleinen Welt.

Endstation, alles aussteigen bitte. Die Türen öffneten sich automatisch.
Wie viele Lieder, wie viele Gedichte schon über „Endstationen“ oder „Bahnhöfe“ geschrieben worden waren. Sie waren ein beliebtes Thema, man konnte so vieles in sie interpretieren. Das ständige Gewimmel von verschiedensten Kulturen war faszinierend und erschreckend zugleich. Menschen verabschiedeten sich unter Tränen, Taschentücher flatterten aus den abfahrenden Zügen. Andere Menschen vielen sich in die Arme und vergaßen den Rest der Welt. Manche fingen genau an solchen Gleisen einen neuen Abschnitt ihres Lebens an, vergaßen endlich ein Stück weit die Folter der Vergangenheit. Ließen Erinnerungen zurück und streiften sich neue Gefühle über.
Dieser Bahnhof aber war anders.
Der Zug, aus dem sie stiegen war der einzige, der auf den drei Gleisen zu sehen war, nirgends konnte man andere Menschen erkennen. Der Zug selbst hatte sich schon länger geleert, sodass keiner mit ihnen ausstieg und es schien auch keiner auf das Eintreffen des Fahrzeugs zu warten.
Einsame Blätter raschelten bereits über den schmalen Bahnsteig, eine Unterführung gab es nicht um zu den anderen Bahnsteigen zu gelangen. Das Hauptgebäude erhob sich wenige Meter von ihnen entfernt, der Putz blätterte munter von den Wänden, Graffitis waren nur einsam über die Mauern verteilt.
Es blieb einfach nur ein Bahnhof.
Kein Neuanfang, kein erster Eindruck unbekannter Welten. Nichts, einfach nur Gleise, ein Zug und heruntergekommene Gebäude. Grauer Asphalt, eine Straße mit zwei Taxen und eine kleine Familie mit Koffern und Taschen.
cute_fighter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.10.2007, 14:40   #14
Meta
 
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Standard RE: 02 Kapitel

Hi cute_fighter!

Zitat:
Original von cute_fighter
...
Sie war wie eine silbern schimmernde Gestalt, geistähnlich und doch irgendwie fest und stabil besser: "greifbar", "fassbar" oder "materiell" oder so.
[...]
Keine Vorstellung, wie das alles weiter gehen weitergehen sollte.
Im Hintergrund schienen sich die Stimmen aus den Fernsehlautsprechern in Unendlichkeit zu verlaufen, schienen von den Gedanken des Jungen abzuprallen und durch den Raum zu schwirren wie vergessene Waisenkinder auf der Flucht vor dem nichts Nichts.
[...]
Schlagartig strömten die Informationen in sein Trommelfeld Trommelfell, ergaben wieder Sinn und bauten Brücken zwischen den Lauten, die der Mann in der Tagesschau von sich gab.
[...]
Dennis bemerkte, wie er selbst den Atem anhielt und jedes Wort des sympathischen Sprechers aufsaugte aufsog.
[...]
Regen schlängelte sich in dünnen Streifen über die Fenster und Dennis wollte, konnte es das "es" kannst du weglassen immer noch nicht glauben, was sie hier taten.
[...]
Aber es fühlte sich so falsch, so schwachsinnig "schwachsinnig" klingt etwas fehl am Platze - besser: "naiv" oder "unüberlegt" an. Als wären sie senil und hätten von den Wundern einer neuen Medizin gehört, die sie zwar nicht begreifen "begreifen konnten" oder "begriffen", an die sie aber glauben wollten.
[...]
Ein leises Schnarchen kitzelte sein Trommelfeld Das Wort heißt Trommelfell - echt jetzt! .
[...]
Er war froh, dass die Herbstferien nächste Woche anfangen würden besser: anfingen und er seinem Verstand immer noch vorgaukeln konnte, dass sie nur Urlaub machten wenn du das doppelte "dass" umgehen willst, einfach: "vorgaukeln konnte, sie machten nur Urlaub, um...", um die Realität ein wenig zu vergessen.
[...]
ob unser lass "unser" weg Vater wenigstens dran glaubt?“
[...]
Nervös begann er mit seinen Fingern auf den Oberschenkeln herum zu klopfen herumzuklopfen und sang in Gedanken ein Lied. Über seine Lippen aber dran drang kein Laut, während der Zug langsam zum Halten kam, Leute ein und aus stiegen ein- und ausstiegen.
[...]
Die Landschaft veränderte sich kaum merklich lass "merklich" besser weg.
[...]
Dennis wusste, dass hinter einer diese Erhebungen, noch weiter entfernt, als es wirkte, das Dorf liegen musste, auf dem das sie ihre gesamte Hoffnung abgeladen besser: geladen hatten.
[...]
Endstation, alles aussteigen bitte. Vielleicht kursiv oder in Anführungszeichen?
[...]
Andere Menschen vielen fielen sich in die Arme und vergaßen den Rest der Welt.
[...]
Der Zug, aus dem sie stiegen Komma war der einzige, der auf den drei Gleisen zu sehen war, nirgends konnte man andere Menschen erkennen.
[...]
Einsame Blätter raschelten bereits über den schmalen Bahnsteig, eine Unterführung gab es nicht Komma um zu den anderen Bahnsteigen zu gelangen. Das Hauptgebäude erhob sich wenige Meter von ihnen entfernt, der Putz blätterte munter von den Wänden, Graffitis waren nur lass das "nur" weg, das ist der Aussage dienlicher - oder? einsam über die Mauern verteilt.
[...]
Nichts, einfach nur Gleise, ein Zug und heruntergekommene herunter gekommene Gebäude.
...
Sehr schöne Formulierungen und Umschreibungen.

Grüße,
Meta
Meta ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.10.2007, 16:11   #15
Joana
 
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-
Joana ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.10.2007, 17:15   #16
männlich Roan Eck
 
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servus
auch ich bin mit kapitel 2 durch. schon im ersten kapitel fühlte ich mich melancholisch, aber jetzt erst recht.
ich finde es gut dass du den leser irgendwie zwingst sich selbst ein bil dzu machen von diesem neuen land. birgt es hoffnung ode rnicht. in diesem moment stellst du uns vor die wahl und wirst es wohl erst zu späteren kapiteln aufdecken, dann hat sicher aber jeder schon eine meinung.
ich finde gut wie du schreibst udn freu mcih auf teil 3
servus roan
PS: über die beschreibungen udn umschreibungen brauch ich ja nciht wieder etwas zu sagen. klasse.
Roan Eck ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.10.2007, 11:46   #17
cute_fighter
 
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Morgen ihr beiden

Auch hier danke für die Überarbeitung, Meta, werde mich gleich wieder dransetzten müssen.

Hm ja, Roan, ich selber habe auch nur ein ganz vages Bild von dem, was passieren wird *immer noch planlos schreibt*, aber danke für das Lob =). Freut mich.

glg.
cute_fighter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.10.2007, 12:06   #18
cute_fighter
 
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Morgen Joana .

hm ja, du hast schon recht. Mein Problem war, dass die Geschichte noch lange nicht zu Ende geschrieben ist und ich irgendwie die zwei Hauptgedanken als Zusammenfassung nehmen wollte... Werde es wohl bei Zeiten doch noch überarbeiten müssen.

Kritik ist immer erwünscht .

glg.
cute_fighter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.10.2007, 14:10   #19
cute_fighter
 
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Standard 03 Kapitel

|+| Kapitel drei |+|

Selbst der Regen hing noch als Erinnerung von dem Holzdach, unter das ich mich kauerte. Nebelspuren zogen sich noch immer meine Nasenflügel entlang. Das Unwetter war bereits seit Stunden verebbt, aber das Prasseln des Wassers hallte noch immer in meinem Trommelfell nach. Es hatte sich vermischt mit den Hammerschlägen eines dunklen Pferdes. Der Reiter hätte mich nicht erspähen können.
Holz und Gestrüpp stapelte sich vor mir auf wie eine kleine Festung.
Wenn es nicht so kalt gewesen wäre... So kalt und so klamm.
Meine Finger ließen sich kaum noch bewegen, spüren konnte ich sie ohnehin nicht mehr.
Aus meinen Lungen stiegen dunstige Wolken auf, die die Luft verspeisten und mich in ihrem hellen Schein gefangen nahmen.
Aus, ein, aus, ein...
Wenn es nicht ein Zeichen von Leben gewesen wäre, diese kleine Regung der Luft, ich hätte meinen Gedanken Glauben geschenkt, dass ich nicht mehr existierte.
Mein Körper fühlte sich so reglos an wie das Holz, an dem ich lehnte.
Neben mir blinzelte Sam verschlafen auf. Er wirkte so zerbrechlich in der hereinbrechenden Dämmerung. Seine Züge gaben sich der Illusion her, aus Porzellan gemeißelt zu sein und seine Lippen, obwohl die eines Jungen, wirkten ungewöhnlich rot.
Ich gewahrte die suchende Bewegung seiner Hände. So gerne hätte ich ihm die Wolldecke gereicht, die er dort unbewusst zu finden gehofft hatte.
Aber noch war es zu früh, sich aus dem Versteck zu wagen. Noch konnten wir gefunden und mitgeschleppt werden.
Weit in der Ferne konnte ich die warmen Lichter erspähen, wenn ich die Augen zusammenkniff. Weit, zu weit entfernt türmten sie sich in der Dunkelheit übereinander. Dort ruhte meine Hoffnung, wenn wir das Dorf wieder erreicht hätte, wären wir in Sicherheit.
Ich wusste zwar nicht recht, was diese Neuen zu bedeuten hatten und konnte die Visionen über sie nicht zuordnen, aber wenigstens für eine Weile vor den unbestimmten Schrecken geschützt zu sein, war unglaublich in diesen Zeiten. Zeiten, die der Rest der Welt wohl nie mitbekommen wird.
Ich kannte mich aus mit ihren Ideologien, mit dem Glauben, den sie aus Fernsehserien und Computerspielen herauszulesen versuchten. Jeder von uns Grenzgängern kannte die Gefahren zweier grundverschiedener Welten und auch die Gefahren, wenn diese aufeinanderprallen würden.
Aber dieses Wissen würde nie, nie zum Ausdruck kommen drüben in der Medienwelt mit ihren globalen Chatrooms. Genauso wenig würde es zum Ausdruck kommen in einer Welt voller Mythengestalten, Hass und Kälte.
Manchmal dachte ich mir, dass diese beiden Welten eigentlich recht gut zusammen passten. Eigentlich.
Sie hatten sich einfach nur anders entwickelt. Und das war das Gefährliche. Jeder war überzeugt, dass seine Entwicklung die bessere wäre.
So kam es, dass wir, die Grenzgänger, uns in keiner der Wirklichkeiten befanden, weil wir beide Welten verstanden, ehrten und zugleich verachteten.
Letzte Regentropfen purzelten gleichgültig von den nassen Ästen.
Ein Knacken.
„Wann können wir weiter?“, fast zerbrochenes Flüstern. Widerhallend. Laut. Gefährlich laut.
Ich legte den Finger an die Lippen und spähte auf den Weg hinüber.
Tiefe Wagenspuren hatten die Erde verformt. Abdrücke von Pferden waren noch im matschigen Mittelstreifen auszumachen. Pfützen hatten sich in ihnen aufgestaut und reflektierten den aufgehenden Mond.
Ich nickte und versuchte vorsichtig meine Finger zu bewegen. Erst den Zeigefinger, dann den Rest. Meine Muskeln fühlten sich fremd und irreal an, aber sie schienen meinen Befehlen noch Folge zu leisten.
Behutsam stützte ich mich ab und stand beinahe lautlos auf. Das Holzdach war gerade hoch genug, dass ich stehen konnte ohne mich zu krümmen.
Sam neben mir hatte noch genug Raum. Manchmal machte es mich traurig, meinen kleinen Bruder im brutalen Leben der Grenzgänger wieder zu finden. Andererseits war ich auch nicht älter gewesen, als meine Eltern mich eingeweiht hatten. Damals war das alles noch ein Spiel gewesen. Ein gefährliches Spiel natürlich, aber nichts desto trotz ein Spiel. So etwas wie Murmeln werfen oder Kästchen auf der Straße ziehen.
Einem Gefühl der Wärme nachgebend streckte ich Sam meine linke Hand entgegen und nickte in richtung des Dorfes in dem nun zusehends mehr Licht entzündet wurde.
Dankbar nahm er sie entgegen und versteckte seine zerbrechlichen Finger wie Eiszapfen zwischen meinen.
Zwischen den Schutz der Nacht und die Schatten mehrer Bäume geduckt, begannen wir den letzten Teil unserer Wanderung, um endlich wieder heim zu kehren. Nach so langer Zeit.
Ob die anderen uns vergessen hatten?
Nein.
Eigentlich waren drei Monate keine ungewöhnliche Zeit für Erkundungen und dergleichen.
Ob sie sich gesorgt hatten?
Das wohl eher, denn schließlich war Sam noch nicht ausgebildet und auch ich war noch mit viel zu viel Angst angereichert, um länger als nötig in einer der beiden Welten zu verbleiben.
Gleichzeitig waren da aber noch diese Fremden... Sie hätten nicht herkommen dürfen, der Alte Narr hätte niemals seine Wohnung vermieten sollen. Früher oder später würden sie doch die Geheimnisse des Dorfes lüften oder an der Geheimnistuerei zerbrechen.
Für Wunder waren sie hergekommen, das hatte ich in ihren Augen gesehen, Wunder würden sie sehen, aber lange nicht die, die sie brauchten.
Traurig blieb ich vor der Dorfmauer stehen. Sam sah fragend zu mir auf. Irgendwie wusste ich, dass nicht alles wie vorher sein würde, wenn wir den Schutz unserer Heimat wieder betraten. Irgendetwas würde anders sein, auch wenn es der Argwohn zu den Neuen und die Angst vor deren Neugierde war.
Ich riss mich zusammen und klopfte dreimal mit den Knöcheln meiner rechten Hand gegen das harte Holz der geschlossenen Tore. Augenblicklich öffnete sich der linke Flügel einen Spalt breit und das bekannte Gesicht des Wächters starrte mir mit seinem Eulenblick entgegen. Willkommen zu Hause!
Er erkannte uns und nickte, bevor er das Tor noch ein Stück weiter öffnete, sodass Sams und meine schmale Gestalt gerade so durchschlüpfen konnten, bevor hinter uns wieder geschlossen wurde.
Für einen Außenstehenden mussten die Häuser des Dorfes wie zufällig hingeworfen aussehen. Im Prinzip waren sie das auch, nur kannte ich mittlerweile jeden Stein zwischen den Seitengassen und Hinterhöfen. Bevor ich eingeweiht worden war, hatte ich kaum Gleichaltrige gekannt und mich deshalb die meiste Zeit rumgetrieben. In meinen Gedanken war sie eine detailgetreue Karte aller Gebäude und Wege entstanden. Später hatte diese sich dann auf die Umgebung ausgeweitet. Die Welt der X-Box-Krieger, die Welt der Blutbäder. Wieder erstaunte es mich, wie ähnlich sich die beiden Welten doch waren, wenn man sie direkt verglich.
„Kommt! Beeilt euch!“, murmelte der Wächter und schubste uns in eine der überschatteten Gassen. Ohne Probleme streifte ich wieder den Mantel der Unsichtbarkeit über, den einem die Dunkelheit der Nacht zu bieten hatte.
Das warme Gefühl, endlich in Sicherheit zu sein, stellte sich dieses Mal nicht sofort ein. Ich hatte die Spannung gespürt, die über allem lag wie eine dunstige Vorahnung, die Spiegelung in einer Pfütze, in die noch immer Wasser tropfte. Der Gesichtsausdruck des Wächters. Die Stille, die über allem lag. Das alles war künstlich, das alles war noch nicht so gewesen, als wir gegangen waren.
Die Neuen, dachte ich. Die werden dran schuld sein. Einen Sündenbock findet man immer.
Noch ein paar Schritte. Ich spürte den verwirrten Ausdruck auf Sams Gesicht.
Eins, zwei, drei. Abrupt wand ich mich nach links, Sam ebenso. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass er seine Finger noch immer Hilfe suchend in den meinen vergruben hatte. Behutsam löste ich den Halt und stieß mit der nun frei gewordenen Hand die Tür auf, die sich aus dem Nichts aufgetan hatte. Das Holz roch leicht modrig. Fast schon süß, fand ich.
Der Steg war breit und einladend. Einladend zum Sprung in ungewissen Tiefen, in verzweigte Mächte. Er endete in der nächsten Tür. Sam lief leichtfüßig und ohne Angst auf den Abgrund zu. Ich folgte nur zögernd. Meine Gedanken waren noch in der einen Welt gefangen. Ich musste aufpassen, dass sie nicht irgendwo verloren gingen, zwischen den Bodenbrettern.
Ein Grenzgänger muss stark sein. Ich bin nie stark gewesen.
Trotzdem ging ich weiter. Auf den Abgrund zu, die einfache Tür zwischen den Wänden.
Zum ersten Mal schienen mich die Wandteppiche zu erschlagen. Schienen näher zu rücken.
Nein!
Ich wusste, dass die Visionen des Jungen nicht ganz verschwunden waren. Sie hingen noch an mir wie der Geruch eines Fremden. Rissen meine Gedanken in einem Feuerwerk auseinander und hinderten mich daran, den Schutz des Dorfes zu akzeptieren.
Schnell sprang ich Sam hinterher durch die Türöffnung.
Warmes Kerzenlicht. Wachsgeruch. Sorgenfalten. Fensterläden. Heimat.
Ein Lächeln stahl sich über mein Gesicht und aufatmend schloss ich die Tür hinter mir. Sam lag bereits in der Umarmung unserer Mutter. Mein Vater erspähte nachdenklich die Dunkelheit draußen. Für einen kurzen Augenblick drehte er mir sein Gesicht zu, suchte mein Lächeln und warf mir seines an einem dünnen Seil zu.
Nun – eigentlich war es nicht mein Vater. Es war der Anführer der Grenzgänger. Ich wusste aber, was meine Mutter und ihn verband. Und sonst hatten wir keinen Vater mehr. Also war er mein Vater geworden. So einfach konnten solche Sachen sein.
Ich nahm mir den freien Stuhl und setzte mich zu meiner Mutter an den Tisch. Man konnte noch einige Krümel als Überreste des Abendessens auf der Holzoberfläche erspähen. Ohne Nachzudenken schnippte ich ein paar von ihnen auf den Boden. Erst jetzt sah mich meine Mutter an, schenkte mir ebenfalls eine Brise warmem Lächelns.
„Es sind neue hier.“, bemerkte Vater kühl.
„Ich weiß, ich konnte sie sehen...“, flüsterte ich.
Er zog eine Augenbraue hoch. Normalerweise erhielt ich solche Visionen nur bei wirklich wichtigen Gegebenheiten. Darüber hatte ich noch nicht nachgedacht. Vielleicht lag es an den Gefühlsströmen, die in mir verrückt spielten, dass ich jetzt schon solche Visionen bekam.
Es gab schon immer Zeiten, in denen ich zwischen Gefühls- und Gedankenwelt keine Anlegestelle fand und deshalb in den Schicksalen anderer kramte. Es war gefährlich und doch konnte ich nichts dagegen unternehmen.
„Wir haben nachher eine Versammlung. Ihr beide werdet auch mitkommen.“
„Aber, Carlos...“, wand Mutter ein.
„Sie sind alt genug. Außerdem wird eine Vertreterin der Vampire kommen. Die Neuen machen nur Probleme...“
„Ihr wollt doch nicht etwa?“, fragte ich und meine Augen weiteten sich ein Stück weit. Ich wusste nicht warum, aber mir war diese Junge sympathisch gewesen. Visionen verbanden immer.
„Nein, eben deshalb ja.“, erhielt ich als Antwort. Genervtes Zischen.
Am liebsten würden sie die Neuen wohl wieder verjagen. Aber so einfach war das alles nicht.
cute_fighter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.10.2007, 18:49   #20
Meta
 
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Standard RE: 03 Kapitel

Zitat:
Original von cute_fighter
...
Selbst der Regen hing noch als Erinnerung von dem Holzdach, unter das ich Jetzt plötzlich ein "ich"? Na, ich bin mal gespannt... mich kauerte.
[...]
Es hatte sich vermischt mit den Hammerschlägen "Hammer"? Na, das Pferd will ich mal sehen. Muss ein Zentaur sein. Meinst du vielleicht "Hufschläge"? Wobei ich das Wort auch nicht kenne... eines dunklen Pferdes.
[...]
Holz und Gestrüpp stapelte stapelten sich vor mir auf wie eine kleine Festung.
Wenn es besser noch ein "nur" hier hin nicht so kalt gewesen wäre...
[...]
Er wirkte so zerbrechlich in der hereinbrechenden zwei Mal eine Form von "brechen"... Dämmerung. Seine Züge gaben sich der Illusion her, aus Porzellan gemeißelt Ich bin mir ziemlich sicher, dass man Porzellan nicht meißelt! "aus Stein gemeißelt zu sein" oder "aus Porzellan zu bestehen" zu sein und seine Lippen, obwohl die eines Jungen, wirkten ungewöhnlich rot.
...
Bis hier hin erst mal, jetzt wir gegessen.

Ich mach dann später weiter.

Ich bin gespannt, was das hier noch wird.
Jetzt ist man in der "Parallelwelt", nehme ich an?!

Grüße,
Meta


22:20 Uhr, 19.10.2007 - (zusammengefügt von cute_fighter)


Und weiter geht's...
Nein, ich habe keinen Tag lang gegessen!

Zitat:
Original von cute_fighter

...
Dort ruhte meine Hoffnung Punkt oder Semikolon, wenn wir das Dorf wieder erreicht hätte "erreicht hätten" oder noch viel schöner "erreichten" , wären wir in Sicherheit.
[...]
Aber dieses Wissen würde nie, nie zum Ausdruck kommen ich würde hier ein Komma setzen drüben in der Medienwelt mit ihren globalen Chatrooms. Genauso wenig würde es zum Ausdruck kommen in einer Welt voller Mythengestalten, Hass und Kälte. Der Satz ist verdeht! -> Genauso wenig würde es in einer Welt ... zum Ausdruck kommen.
[...]
„Wann können wir weiter?“ Punkt , fast zerbrochenes Flüstern.
[...]
Das Holzdach war gerade hoch genug, dass ich stehen konnte Komma ohne mich zu krümmen.
[...]
Manchmal machte es mich traurig, meinen kleinen Bruder im brutalen Leben der Grenzgänger wieder zu finden wiederzufinden. [...]
Ein gefährliches Spiel natürlich, aber nichts desto trotz nichtsdestotrotz ein Spiel. So etwas wie Murmeln werfen oder Kästchen auf der Straße ziehen. Huh? Ja, das sind in der Tat sehr gefährliche Spiele. Entweder erst JETZT erwähnen, dass es jedoch gefährlich ist oder den letzten Satz streichen.
Einem Gefühl der Wärme nachgebend Komma streckte ich Sam meine linke Hand entgegen und nickte in richtung Richtung des Dorfes Komma in dem nun zusehends mehr Licht entzündet wurde.
[...]
Zwischen den Schutz der Nacht und die Schatten mehrer Bäume geduckt, begannen wir den letzten Teil unserer Wanderung, um endlich wieder heim zu kehren heimzukehren.
[...]
Irgendetwas würde anders sein, auch Komma wenn es der Argwohn zu den Neuen und die Angst vor deren Neugierde war waren.
Ich riss mich zusammen und klopfte dreimal drei Mal mit den Knöcheln meiner rechten Hand ist es von Bedeutung, dass es die rechte Hand ist? gegen das harte Holz der geschlossenen Tore.
[...]
In meinen Gedanken war sie so eine detailgetreue Karte aller Gebäude und Wege entstanden.
[...]
Die werden dran schuld Schuld sein.
[...]
Einladend zum Sprung in ungewissen ungewisse Tiefen, in verzweigte Mächte.
[...]
Ohne Nachzudenken nachzudenken schnippte ich ein paar von ihnen auf den Boden. Erst jetzt sah mich meine Mutter an, schenkte mir ebenfalls eine Brise warmem warmen Lächelns.
„Es sind neue "Neue" - zumindest hast du sie zuvor groß geschrieben, also personifiziert hier.“, bemerkte Vater kühl.
[...]
Es gab schon immer Zeiten, in denen ich zwischen Gefühls- und Gedankenwelt keine Anlegestelle fand und deshalb in den Schicksalen anderer kramte. Der Satz müsste eine Zeit nach hinten rücken oder? "Es hat schon immer Zeiten gegeben, ..."
[...]
„Ihr wollt doch nicht etwa?“, fragte ich und meine Augen weiteten sich ein Stück weit ein Stück weit weiten?. Ich wusste nicht Komma warum, aber mir war diese dieser Junge sympathisch gewesen.
...
Cool Vampire!

Wieder einmal sind hier einige Sätze enthalten, die gerne in zwei oder sogar drei gespalten sein könnten.
Nicht nur, weil sie schwer verständlich sind, sondern weil sie so auch weitaus besser wirken.

Der Strang macht die Geschichte spannend!
Weiter so!

Grüße,
Meta
Meta ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.10.2007, 11:16   #21
Askeron
 
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Moin Moin cute_fighter

endlich hab ich auch mal die kurze Gelegenheit mir Deine Story anzuschauen Der Titel ist schonmal interessant. Mal schauen was der Rest bringt.
Der Prolog ist gut, wenn auch für meinen Geschmack etwas Drive-arm, aber es muss ja nicht alles zwingend mit einem Feuerwerk beginnen.
Die Stimmung auf dem verregneten Bahnhof schilderst etwas eigen, dennoch wirkt es in den meisten Momenten überaus passend.
Die bisherige Plot weckt den Wunsch nach mehr. Was wartet im Norden, was ist im Süden geschehen? Übernatürliches. Scheint Großes zu werden. Bin ich ja mal gespannt was dahinter stecken wird. Vielleicht Ufos, ein Militärexperiment oder Himmel und Hölle?
Alles in allem hat es mir gut gefallen. Rechtschreibfehler konnte ich nicht entdecken und Verständnisprobleme hatte ich auch keine.(nach einer kleinen Eingewöhnungsphase) Bin mal gespannt wie es weitergehen wird.

MfG

Askeron
Askeron ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.10.2007, 14:04   #22
cute_fighter
 
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Haaallöle

Ja, mit dem Prolog hatte ich die Idee, mal die Gegenwart zu zeigen und dann Vergangenes zu erzählen, irgendwo hab ich das mal aufgegabelt... Schön, dass es auch ohne 'Feuerwerk' Interesse weckt! Normalerweise stolper ich gerne mitten in die Handlung, aber ich wollte mal was anderes ausprobieren...

Danke für den Kommi und fürs lesen =) .

glg.
cute_fighter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.10.2007, 14:09   #23
cute_fighter
 
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Hej .

Wirklich keinen Tag gegessen? (oh, mir fällt auf, dass ich deinen Doppelpost zusammenfügen müsste...hm..erstmal antworten und dann überlegen xD)

Hier auch wieder vieeeelen Dank fürs Lesen und Fehlerchen aufdecken. Werde gleich wieder ans verbessern gehen...

Zitat:
Ein gefährliches Spiel natürlich, aber nichtsdestotrotz ein Spiel. So etwas wie Murmeln werfen oder Kästchen auf der Straße ziehen. Huh? Ja, das sind in der Tat sehr gefährliche Spiele. Entweder erst JETZT erwähnen, dass es jedoch gefährlich ist oder den letzten Satz streichen.
ehm... ich hab doch absichtlich solche "Kinderspiele" genommen, sonst würde da ja nicht "nichtsdestotrotz ein Spiel stehen" und dann absichtlich, um den Kontrast zu haben, diese "harmlosen" Spiele... Danach erst erwähnen, dass es gefährlich ist finde ich irgendwie komisch vom Lesefluss hier... öO hm...
gleich mal überlegen, erstmal einkaufen gehen...

glg.
cute_fighter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.10.2007, 17:46   #24
cute_fighter
 
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Standard 04 Kapitel

Nachdenklich betrachtete ich mich im Spiegel.
Natürlich hatte die neue Familie nicht erzählt, warum sie hier waren und trotzdem wussten es alle. Das verlorene Land, die Wunder, die Krebskranke heilen könnten. In gewisser weise hatten diese Gerüchte natürlich recht, so wie jede Geschichte ihren wahren Kern hat, doch niemand der Dorfbewohner glaubte mehr an solche Märchen. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis hier Fremde nach Hoffnung suchen würden.
Mein Blick wirkte irgendwie verloren in den Weiten der Glasreflektion. Die Haare umspielten dunkelrot den hellen Teint, fielen wie Samt über die Schultern, und die Augen funkelten wie zwei verlorene Edelsteine. Trotzdem fand ich mich selbst nicht hübsch. Die Haare waren ein wenig zu widerspenstig und meine Züge ein wenig zu glatt.
Unauffällige Seide, dunkler Stoff. Ein schöner Kontrast zu meiner Haut. Mutter hatte darauf bestanden, dass ich mich umziehen solle, bevor die Versammlung begann.
Anklagend strahlte der Mond mit seiner immer weißen Weste durch das Fenster. Langsam trat ich näher und betrachtete ihn wie in Trance. Perlmuttkleid. Stummer Betrachter! Ja, nie mischst du dich ein, aber trotzdem scheinst du dich zu beklagen über uns. Egal, was wir falsch machen. Hinter dem Rücken über die Neuen diskutieren anstatt zu ihnen zu gehen, falsche Fährten in beiden Welten legen, Geheimnisse entdecken und archivieren.
Ja, du hast leicht Reden, du stummer Betrachter! Trotzige Marzipankugel, du!
Plötzlich kam es mir lächerlich vor, einsame Hetzreden gegen den Mond zu halten. Er lebte doch noch nicht mal. Leuchtete eben nur.
Ich schüttelte den Kopf. Meine Gedanken waren immer noch zu zerstreut, um sich wieder auf das Leben zu konzentrieren. Vielleicht war ein Teil von ihnen unten auf dem Steg geblieben und wartete dort, unfähig, hinterher zu springen. Von Angst geschüttelt und festgeklammert.
Schwachsinn! Ich war einfach nur müde und erschöpft. Sam und ich hatten nicht viel geschlafen die letzten Wochen und als die Herbststürme dann eingesetzt waren, kamen Kälte und Frost hinzu. Ich sollte mich ausruhen. Sobald wie irgend möglich.

*

Die Decke wies eine unregelmäßige Holzmaserung auf. Dennis beobachtete sie lustlos, während er über die seltsame Stadt nachdachte, in die sie gekommen waren. Wenn man es recht betrachtete, konnte man diese Anhäufung von Häusern gar nicht Stadt nennen. Dorf vielleicht.
Alles wirkte wie in einem schlechten Mittelalterfilm. Irgendwie.
Der Brunnen auf dem Marktplatz war noch in Benutzung, die Häuser größtenteils aus Holz und Steinen, wenige aus Fachwerk. Trotzdem fanden sich zu seiner Erleichterung Steckdosen und Waschbecken sowie eine Dusche in ihrer Wohnung wieder.
Am seltsamsten muteten aber wohl die Menschen selber an. Er hatte erst wenige kennen gelernt, doch diese schienen ihnen gegenüber verschlossen und missmutig. Der Vermieter ihrer Wohnung hatte ihnen eingeschärft, das Dorf nicht in Richtung des verlorenen Landes zu verlassen. Begründen aber hatte er dies nicht gekonnt.
Und genau da war sich Dennis mehr als sicher: Die Bewohner dieser seltsamen Siedlung hatten ein Geheimnis. Er fantasierte sogar bereits, was sie alles geben würden, damit es ungelüftet bleiben würde. Wären sie zu Mord fähig? War das Unentdeckte so wichtig, dass sie selbst den Tod eines Menschen nicht fürchten würden?
Aus diesen Überlegungen wuchs eine Angst in ihm auf, streckte sich immer mehr in seinem Inneren je länger er in den Gängen seiner Gedanken verweilte. Tausend Möglichkeiten. Hundert Türen, die er öffnen könnte.
Gleichzeitig aber empfand er auch Neugierde. Sie wuchs zusammen mit der Angst und löste in seinem Inneren eine explosive Mischung aus, deren Feuerwerk er nicht noch länger aushalten konnte.
Er stand auf und griff nach der Zigarettenpackung neben seinem Handy.
Er hatte nie geraucht.
Aber jetzt war ihm danach.

Brennender Weg, mit Kreuzstichen genäht, direkt durch die Kehle. Bisswunden grauen Rauches.
Ein plötzlicher Husten erzitterte die kühle Luft. Hallte von den Wänden der Häuser wieder, wand sich in Schlangenlinien über den unregelmäßigen Asphalt der Straße.
Die Spannung vor einem Gewitter strich sich durch die Luft.
Wenn man sich konzentrierte konnte man das letzte Laub der Bäume säuseln hören und wenn man einige Meter richtung Stadtzentrum gehen würde, könnte man auch gedämpfte, vage Stimmen hören. Aber Dennis blieb stehen wo er war. Vielleicht war es gut so. So spürte er nicht die unsichtbaren Augen, die an ihm klebten wie Fliegen. So erahnte er noch nicht, dass sich mehrere Geheimnisse durch dieses kleine Dorf zogen, als er dachte.
Ein letztes Mal glühte das Ende der Zigarette auf, bevor es sich am Boden unter seinem Schuh verlor. Kalter Rauch bäumte sich ein letztes Mal vor seinem Mund auf. Erinnerte ihn an zu Hause. Seine Schwester hatte früher geraucht.

*

Natürlich hatte man meinen Blick bemerkt. Die Grenzgänger und Vampire hatten ihre Gespräche beendet und mit mir den Neuen fixiert. Wie er draußen so lässig auf der Straße stand und seine Sorgen und Ängste zusammen mit dem Tabak verbrannte, inhalierte und kurzfristig zu vergessen im Stande war. Kurz beneidete ich ihn, wie er sein einfaches Leben führen konnte. Dann aber fiel mir ein, dass er schon viel zu tief drin steckte, näher an ihrem Geheimnis war als es irgendein anderer jemals gewesen war, der nicht ausgewählt wurde.
Er verschwand wieder.
Die Gespräche fanden wieder ihre Anfangsfäden zurück.
„Irgendwann werden sie dahinter kommen oder gar allein in die andere Welt spazieren...“
„Ja, es wird zu gefährlich, denn wenn noch mehr Medienwirbel entsteht haben wir hier bald ein ganzes Fernsehteam und dazu noch ein paar tausend Menschen, die ein Wunder verlangen, das wir nicht haben.“
„Aber es dauert zu lange, das Tor zu schließen und eine neue Grenzsiedlung zu errichten. Die Fremden sind jetzt hier und vertreiben können wir sie nicht einfach. Das würde ebenfalls zu viel Wirbel machen und die Neugierde dieser törichten Menschen nur noch mehr schüren.“
„Und wenn wir sie einweihen?“, fragte ich. Mir war klar, welche Empörung diese Frage auslösen würde, aber ich sah keine andere Möglichkeit.
Und auch tatsächlich spiegelte sich auf den umliegenden Gesichtern Empörung bis hin zu blankem Entsetzten. Jaja, das Geheimnis der Grenzgänger. Ihr edler Hochmut, dass andere Menschen an dem Wissen um andere Welten zerbrechen könnten, die Kultur der anderen nie begreifen könnten. Aber was war, wenn der Junge ausgewählt war? Hatten sie einen Moment darüber nachgedacht?
Vater lachte in die angespannte Stille hinein. „Sicher, Amanda, sicher.“ Andere stimmten in das Lachen ein, klammerten sich daran, dass es nur ein Scherz von mir gewesen war. Ich hätte mit darauf eingehen können, mir den Ärger des Anführers ersparen können, aber ich fühlte mich übergangen und wollte richtig stellen, was Vater schief gerückt hatte.
„Das war kein Scherz.“, sagte ich kühl, als das allgemeine Gelächter verebbt war und ich bereits spürte, wie neue Ansätze aufkommen wollten. Neue Gesprächsrichtungen.
„Was ist, wenn der Junge ausgewählt ist? Vergesst nicht, dass ich ihn gesehen habe. Ihn und seine Familie, seine Hoffnungen, seine Ängste. Für kurze Momente konnte ich in ihm lesen wie in einem offenen Buch.“, fügte ich hinzu.
Erneut breitete sich diese schreckliche Stille aus. Diesmal konnte Vater sie nicht zerbrechen, dachte ich hämisch. Diesmal nicht!
Wie eine schützende Glaskuppel wölbte sie sich um das, was ich in den Raum geworfen hatte. Wahrscheinlich war es ein Fehler gewesen. Ich hatte Partei ergriffen für die Fremden, die keiner haben wollte.
Immer dicker und unzerbrechlicher wurde das Glas. Es schien, als würde die Ewigkeit sich für kurze Zeit zu uns hinunterbeugen, als würden wir ein Teil von ihr. Ich wagte es kaum zu atmen, so sehr drückte sich das Schweigen auf unsere Häupter nieder.
Unerträglich.
Bleiern.
Ein Riss!
Trocken und sachlich.
Unbetont. Vampirgesäusel.
„Sie könnte Recht haben.“
Alle Blicke wandten sich mit einem mal von mir weg auf den, der gesprochen hatte.
„Der Junge! Er ist unsere Anknüpfstelle, er könnte verhindern, dass die anderen beiden auf dumme Gedanken kommen.“
Ein anderer schüttelte den Kopf.
„Igor, er wird diese Last nicht lange tragen können. Er ist doch nur ein Mensch.“
„Na und? Wir waren alle mal Menschen!“, warf ich hoffnungsvoll ein. Und trotzdem wusste ich, dass Vater wieder Recht behielt. Ich sah bereits, wie der Junge sich zunächst hilflos in all den Geheimnisse verheddern würde und dann doch alles ans Licht käme.
„Sie wollen doch ein Wunder, nicht? Der Alte soll geheilt werden. Meint ihr nicht, sie verschwinden, wenn sie ihr Wunder haben? Er könnte bereit sein, den Preis zu bezahlen...“, Igor leckte sich verstohlen über seine spitzen Eckzähne, während er sprach.
„Nein! Es werden andere kommen, mehr und mehr, ehe wir das Tor schließen können. Wissen ist Macht und Macht bedeutet früher oder später Krieg und Zerstörung. Der Untergang von zwei Welten könnte also auf unseren Schultern lasten. Außerdem wir der Alte nicht einschätzen können, was es bedeutet ein Leben als Ausgestoßener zu führen... Was es bedeutet, Blut zu brauchen... Was es bedeutet, dem Tod entgangen zu sein...“, klinkte sich der andere anwesende Vampir, Darec, in das Gespräch mit ein.
Vater stand auf. Ich konnte ahnen, was jetzt kam und es machte mich ein wenig traurig. Er war dagegen, soviel war mir bewusst.
„Schluss, wir werden weder dem Jungen noch seiner Familie etwas von der anderen Welt sagen. Die Wachen werden verstärkt und wir versuchen das Tor für immer zu schließen. Solange kein neuer Wirbel entsteht, werden die Medien uns noch nicht auf die Pelle rücken und wir laufen keine Gefahr, unsere uralten Geheimnisse einfach so an jemanden Preis zu geben, der sie nicht verdient.“
Ich hatte Bedenken. Ruhelose Zweifel. Aber ich wusste, dass es nichts mehr half, die Sitzung war beendet. Der Anführer hatte gesprochen.
cute_fighter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.10.2007, 12:56   #25
Meta
 
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Standard RE: 04 Kapitel

Hidiho!

Zitat:
Original von cute_fighter
...
Natürlich hatte die neue Familie nicht erzählt, warum sie hier waren "war" - oder "hatten die Neuen nicht erzählt..." und trotzdem wussten es alle.
In gewisser weise Weise hatten diese Gerüchte natürlich recht ich finde die Formulierung etwas unschön. "Gerüchte haben kein Recht und auch kein Unrecht" , so wie jede Geschichte ihren wahren Kern hat, doch niemand der Dorfbewohner glaubte mehr an solche Märchen.
...
Anklagend strahlte der Mond mit seiner immer weißen Weste durch das Fenster "anklagend" und "weiße Weste" - soll das eine provokante Kontrastierung sein? Finde ich eher merkwürdig.. Langsam trat ich näher und betrachtete ihn wie in Trance. Perlmuttkleid. Stummer Betrachter! Ja, nie mischst du dich ein, aber trotzdem scheinst du dich zu beklagen über uns. Egal, was wir falsch machen. Hinter dem Rücken über die Neuen diskutieren anstatt zu ihnen zu gehen, falsche Fährten in beiden Welten legen, Geheimnisse entdecken und archivieren. Und es wird zunehmend merkwürdiger.
...
Der Brunnen auf dem Marktplatz war noch in Benutzung, die Häuser größtenteils aus Holz und Steinen, wenige aus Fachwerk. Fachwerkhäuser bestehen aus Holz und Stein (und Lehm).
...
Begründen aber hatte er dies nicht gekonnt können.
...
Hallte von den Wänden der Häuser wieder wider, wand sich in Schlangenlinien über den unregelmäßigen Asphalt der Straße.
...
Wenn man sich konzentrierte Komma konnte man das letzte Laub der Bäume säuseln hören und wenn man einige Meter richtung Richtung Stadtzentrum gehen würde, könnte konnte man auch gedämpfte, vage Stimmen hören ich würde den zweiten Teil umschreiben, damit du nicht wieder "hören" verwendest. Beispielsweise "Wenn man sich konzentrierte, konnte man das letzte Laub der Bäume säuseln hören und ging man einige Meter Richtung Stadtzentrum, so mischten sich gedämpfte, vage Stimmen hinzu.".
...
Ein letztes Mal glühte das Ende der Zigarette auf, bevor es sich am Boden unter seinem Schuh verlor. Kalter Rauch bäumte sich ein letztes Mal "ein letztes Mal" wiederholt vor seinem Mund auf.
Gefällt mir gut, der Tei! Weiter so.

Und noch etwas in persönlicher Sache: versuche doch mal ein paar "würde(n)" durch echt-konjunktivische Konstruktive zu ersetzen.
Das gäbe der Geschichte mehr Breite.

Die Geschichte hat übrigens etwas von "Spektrum" und "Weltengänger" - beide von "Sergej Lukianenko". Kennst du die Bücher?
Nur halt mit Vampiren und so... *g*

Grüße,
Meta
Meta ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.10.2007, 16:10   #26
cute_fighter
 
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Hallöle.

Von Sergej Lukianenko kenne ich nur Wächter des Tages und der Nacht. Weiter bin ich noch nicht gekommen, aber ich mag seinen Schreibstil sehr. Trotzdem bin ich auf die Vampire eher anders gestoßen. Gibt leider bereits unendlich viele Geschichten über Vampire. Und mit den verschiedenen Welten hab ich es schon öfters mal...

Danke, werde nachher wieder korrigieren
Very nice!

glg.
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Alt 23.10.2007, 20:11   #27
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servus
auch ich habe weiter gelesen, zwar habe ich etwas viel zeit verstreichen lassen, aber so kann ich zuminderst kapitel 4 gleich mit lesen

der erste teil erinnert mich stark an Herr der Ringe. Nicht nur, weil der kleine Bruder des Protagonisten Sam heißt . Sondern auch wegen der Umgebebung, die Kälte, die Dunstwolken beim Ausatmen, das schwarze Pferd usw.
Du hast eine sehr schöne Idylle gestallten, die ich halt damit verbinde in meiner Phantasie.

Ich war erst mal überrascht, als ich den Wechsel der Erzählungen entdeckte (und musste noch einmal sicher gehn, dass ich die richtieg geschichte angefangen hab zu lesen). ich finde sowas immer sehr interessant. 2 Blickwikel.
Und die Wendung mit den vampiren finde ich auch sehr spannend. ich werde jetzt erst mal weiter lesen.
lg roan
Roan Eck ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.10.2007, 20:29   #28
männlich Roan Eck
 
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so fertig mit part 4

jetzt bin ich auch hier durch, erst mal will ich kurz erwähnen, dass ich so von Herr der Ringe or eingenommen war, dass es mich überraschte, dass die grenzgängerin eine grenzgängerin ist und kein grenzgänger
Aber nun ist alles kla gestellt und es erscheitn auch logischer. Nur eine Frage noch: wie alt ist der kl. Sam?

Dass dieses Kapitel mehr Fragen aufgeworfen hat als es beantwortet hat, ist wohl sogewollt. Schade

Ich will auf jeden fall mehr wissen!
lg roan
Roan Eck ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 24.10.2007, 15:26   #29
cute_fighter
 
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hehe... jetzt, wo dus sagst, erinnert mich das schwarze Pferd auch daran. Den Sam (aus herr der ringe) hatte ich total verdrängt irgendwie öO. Aber normalerweise tue ich mich bei Namensgebungen immer sehr schwer, nur der, der hatte irgendwie einfach seinen Namen. (Eigentlich heißt er Samuel, aber alle nennen ihn Sam... KA, ob ich das erwähnt hab oder noch erwähnen werde...)

Ansonsten: Zum Blickwinkel: Ursprünglich ist mir der Anfang von dem Kapi einfach in den Kopf geflogen und ich wollte eine neue Geschichte anfangen, aber dann haben sich die beiden irgendwie in meinem Köpfchen verbunden und deshalb der vlt etwas drastische Blickwechsel.

glg und danke fürs lesen
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Alt 24.10.2007, 15:30   #30
cute_fighter
 
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Hallo...

Amanda ist 17 und ihr kleiner Bruder... nun ja... 12 würde ich sagen, hab es aber noch nicht genau festgelegt *hast mich ertappt*, bin da manchmal recht faul bei sowas...

Es geht ja bald weiter, vielleicht beantworte ich irgendwann ja die Fragen... *geheimnisvoller Blick*

Thx auch hier

glg.
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Alt 22.12.2007, 15:33   #31
cute_fighter
 
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Standard Grenzgänger

Die Sonne schien träge auf meine Bettdecke. Ich war noch immer erschöpft und hätte am liebsten wieder die Augen zugemacht. Das Reisen raubte mir doch mehr Kraft, als ich es mir eingestehen wollte.
Im Nachhinein kann ich gar nicht genau sagen, warum ich letztendlich doch aufgestanden war, viel früher als geplant. Mein Bruder schien noch immer friedlich durch seine Träume zu stromern. Zumindest vernahm ich nicht das kleinste Geräusch von nebenan und ich meinte fast, seinen regelmäßigen Atem durch die Holzwand zu spüren. Eine Selbstverständlichkeit wie der Tag- und Nachtwechsel. Ein regelmäßig geebneter Weg, den seine jungen Gedanken Traum für Traum weiter schritten.
Ich streifte mir einen grünen Mantel über und suchte mit meinen Füßen den Weg über die unebenen Holzbohlen. Das Fenster war über Nacht auf gewesen. Kaum erkennbare Gänsehaut breitete sich auf meinen Füßen aus.
Der Flur war ausgestorben. Es war zu früh zum aufstehen, die Sitzung war zu spät gewesen um jetzt schon zu arbeiten. Vor dem Einschlafen hatte ich gehört, wie Vater sich zu meiner Mutter geschlichen hatte. Sie wussten nichts von meinem Wissen, dachten Sam würde ebenfalls nichts ahnen. Uns war es egal, wir waren sogar froh, wenn Mutter nicht wieder in ihre Trauer verfiel, wenn sie wieder Hoffnung und Liebe spüren konnte. Nein, uns machte es nichts, aber solange sie es geheim hielten, wussten wir auch nicht offiziell, dass der Anführer nicht nur ab und an bei uns im Gästezimmer nächtigte.
Draußen hielt die Welt noch den Atem an. Die Sonnenstrahlen schienen erst vor wenigen Momenten über den Horizont gewandert zu sein und wirkten noch zerbrechlich, unbekümmert. Kristallklar bohrte sich die Luft in meine Lungen. Begehrte mich.
Da stand er wieder. Jetzt könnte ich nicht mehr genau sagen, ob ich wegen ihm das Haus verlassen hatte oder nicht. Jedenfalls schien die Zeit sich in diesem kurzen Moment in dem wir uns wahrnahmen verirrt zu haben. Die Sekundenbruchteile dehnten sich zu Jahren und irgendetwas in meinem Inneren veränderte sich. Noch konnte ich es nicht genau benennen, später habe ich es als Vorahnung zu etwas Großem abgestempelt, vielleicht war es auch ein Hauch von Liebe, der mich durch den frühen Tag umfing, oder aber einfach nur die Kälte, die sich über Nacht in den Boden gefressen hatte und jetzt an meinen Füßen hoch züngelte.
Er erwiederte meinen Blick, nahm mich in seiner grauen Welt gefangen. Ich sah wieder den Funken Hoffnung, die Angst und Ungewissheit über die Fremde und vor allem den Kummer über den Vater.
Diese Einsamkeit. Ich konnte es nicht ertragen, ohne Nachzudenken ging ich schräg über die Straße auf ihn zu. Jede Bewegung hallte leicht wieder und ich hatte das Gefühl, das gesamte Dorf zu wecken.
Eine Katze lauerte in der Seitenstraße, ich konnte ihre Umrisse sehen, beachtete sie aber nicht. Rauch wirbelte durch die Luft. Unterdrücktes Husten. Er war wohl kein regelmäßiger Raucher.
Als ich vor ihm stand, wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Kam mir dumm vor, badete mich in grauen Wellen, faszinierenden Geschichten, unbändiger Schönheit...
„Äh... Hallo... Ich bin Dennis, wir sind hier gestern erst hergezogen...“ Ungelenk streckte er mir seine Hand hin. Glücklich, dass der Moment nicht peinlich geworden war, nahm ich seine Finger und umschloss sie vorsichtig. „Ich weiß...“ Als er meine Hand losgelassen hatte, fügte ich noch schnell hinzu: „Ich bin Amanda.“
Er lächelte.
Ich könnte ihm stundenlang zusehen, wie er lächelt. Seine Mundwinkel schrieben Geschichte. Sammelten alles Glück der Welt und verteilten es großzügig an andere.
Es war das erste Mal, dass ich ihn lächeln sah. Und das erste Mal, dass er mich überhaupt sah, dass wir uns gegenüberstanden. So richtig bewusst war mir das nicht gewesen, als ich zu ihm gegangen war. Es war mehr ein Hauch von Schicksal gewesen... Lächerlich, nach siebzehn Jahren an Schicksal zu glauben, aber es war so.
„Hier ist nicht wirklich viel los, oder? Ich könnte mir gar nicht vorstellen, hier immer zu leben, wie ist das?“, fragte Dennis nachdem er gedankenverloren die Zigarette ausgetreten hatte und die letzten Reste grauer Luft aus sich raus gepumpt hatte.
Wenn du wüsstest... „Nein, du hast schon recht, aber man gewöhnt sich dran...“ Man wird sogar süchtig nach der Macht des Wissens, eine große Gefahr.
„Warum seid ihr hier?“, ich fragte nicht aus Neugierde, sondern als Gesprächsfüllung.
„Das ist eine komplizierte Geschichte... Wir machen eigentlich nur Ferien, mein Vater... ihm geht es nicht so gut...“
„Krebs?“, fragte ich, leicht mitfühlend.
„Ja... Woher weißt du das?“
„In so einem Dorf spricht sich einiges herum, aber man sollte nicht allen Gerüchten trauen. Das ist wohl überall so...“
„Da hast du recht.“
Seine Mundwinkel kräuselten sich erneut. Eine Weltverschiebung. Grenzgänger waren das doch gewohnt, warum verwirrte es mich bei ihm so sehr?
Plötzlich spürte ich noch etwas anderes. Ein stechender Blick im Rücken. Ohne mich umzudrehen, war ich mir sicher, dass Vater am Fenster stand und mich hier sah, bei der Ursache unserer Probleme. Freundlich quatschend.
Beschämt über diese Gedanken sah ich nach unten. Wusste selbst nicht, was in mich gefahren war und murmelte nur zum Boden: „Ich glaube, ich muss wieder gehen. Wir sehen uns sicherlich noch...“
Ohne eine Antwort abzuwarten drehte ich mich um und hastete zurück. Kleine Steine pieksten in meine bloßen Fußsohlen, warum hatte ich sie vorhin nicht bemerkt?
Man konnte hören, wie die Katze weghuschte.
Als ich die Holztür öffnete sah ich mich noch einmal um. Er stand noch genau da, wo ich ihn zurückgelassen hatte. Seine Augen drohten mir, wollten mich wieder in sich einschließen, doch ich riss mich los. Unbestimmtes Gefühl im Bauch.
Das Türschloss klackte leise hinter mir. Bekanntes Terrain. Ich hörte bereits die Schritte von Vater die Treppe herunter staksen. Sie wirkten zum ersten Mal wie eine Bedrohung auf mich.
Ich wartete auf ihn, machte mich auf alles gefasst, überlegte schon Rechtfertigungen, als er auf meiner Höhe ankam. In seinem Blick lag etwas berechnendes, kaltes. Er schüttelte nur den Kopf... und ging weiter. Unentschlossen blieb ich stehen. Hinterher oder lieber nicht? Gewitter oder doch nur Sommerregen?
Ich entschied mich schließlich, in mein Zimmer zu flüchten und erstmal eine Hose überzuziehen. Der Mantel reichte zwar bis zu den Knien, aber der Sommer war nun einmal vorbei, auch zwischen den Welten. Erst jetzt fiel mir auch auf, wie eiskalt meine Zehen waren.

Die Wasserstrahlen trafen wie Schläge auf mein Gesicht. Ich war froh, dass sie die Tränen mit weg wischten, die über meine Wangen stolperten. Ich wusste nicht einmal, warum sie da waren. Oder doch? Ich weinte, weil es keinen Grund gab, weil mein Vater nichts gesagt hatte über meine morgendliche Begegnung, weil alle so taten, als wäre nichts passiert, als müssten wir keinen Schlussstrich ziehen und das Tor schließen.
Ja, ich weinte, wegen nichts und trotzdem brach alles irgendwie aus mir heraus. Falten zerfurchten die Stirn zwischen meinen Augenbrauen wie Narben. Mein Schluchzen wurde zum Gluckern und auch dieses Zeichen meines Gefühlsausbruches wurde von der Dusche geschluckt.
Schließlich war alles weggewischt, Wasser und Schaum im Ausguss verschwunden. Meine Augen nur noch leicht rot, vielleicht von dem Shampoo, dass hineingeraten war. Draußen hörte man erste Stimmen, ein Auto.

*

Dennis kaute lustlos auf dem Brötchen herum. Seine Schwester hatte schon am Vortag einen kleinen Bäcker entdeckt. Ein paar Zeichen von Zivilisation schienen hier doch noch hängen geblieben zu sein.
„Es ist doch ganz schön hier...“, murmelte Anna zwischen zwei Bissen. Ob sie es ernst meinte?
Das seltsame Verhalten dieses Mädchens hatte mich in all meinen stillen Theorien bestätigt. Dieses Dorf war nicht normal. Gut, das hatte man auch nicht erwartet, bei den Gerüchten im Fernsehen, aber irgendwie war es auch nicht unnormal.
Es schien einfach nur tausend Geheimnisse in sich zu tragen. Auch diese Amanda vorhin. Wie plötzlich sie weggerannt war, als hätte sie die Gestalt am Fenster ihres Hauses gesehen. Hingeguckt aber hatte sie nicht, Dennis hat den Mann bemerkt, als Amanda die Flucht ergriffen hatte.
Anscheinend konnte seine Schwester das Schweigen nicht ertragen, das sich wieder auszubreiten drohte. Den Atem rauben wollte. Fragend sah sie Dennis an und ließ weitere Worte aus ihrem Mund purzeln. „Ich werde nachher mal mit dem Zug in die nächste Stadt fahren. Wir müssen dringend ein paar Sachen einkaufen. Vielleicht hätten wir das Auto doch mitnehmen sollen... Kommst du mir?“
„Und Dad?“, fragte Dennis lustlos. Schnell sah ihr Vater auf und meinte ruhig: „Ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen, schließlich geht es mir ja nicht mehr so schlecht, aber ich würde doch lieber hier bleiben. Ihr schafft das schon.“
Dennis zuckte mit dem Schultern. „In Ordnung. Hier gibt’s ja ohnehin nichts besseres zu tun...“
Seine Gedanken waren aber wo anders. Erst jetzt bemerkte er, dass sie irgendwo zwischen den Augen des fremden Mädchens und ihren Worten hängen geblieben waren. Er rätselte ohne es zu merken, wer diese Amanda war. Also wer sie wirklich war...
Auch sie hatte dieses Geheimnis an sich, dieses verschlossene Wissen. Vorhin, da standen sie nur einen halben Meter oder weniger voneinander entfernt und trotzdem hat er gemerkt, wie weit weg sie doch von ihm war, hat ihre Fremdheit gespürt und gleichzeitig ihre freundlichen und offenen Gesichtszüge. Er würde das Geheimnis das Dorfes wohl nicht so schnell lüften, aber vielleicht könnte er wenigstens einen kleinen Teil davon begreifen. Einen kleinen Teil mit roten Haaren und grünen Augen.
Vielleicht würden die Wochen hier doch nicht ganz so langweilig, wie der erste Eindruck es versprochen hatte.

*

Natürlich blieb es nicht unausgesprochen. Ich hatte mir gar keine Hoffnungen gemacht, aber trotzdem schien mir die Szene am Frühstückstisch zugleich makaber und lächerlich. Dass Vater sauer sein könnte, das hatte ich mir gedacht, aber er schien sich an dieser Kleinigkeit geradezu aufzubauschen. Fuhr mich in einer Stimmlage an, dass selbst Mutter kurz zusammenzuckte.
„Wie kannst du es wagen? Gerade von dir, Amanda, hätte ich nicht erwartet, dass du sofort zur feindlichen Front rennst und unser Geheimnis vorwärts in die Öffentlichkeit schubst. Je mehr wir mit den Fremden reden, desto mehr erfahren sie auch und desto eher werden sie über die andere Welt bescheid wissen! Willst du das?“
Seine Wut kam mir lächerlich vor und zugleich wusste ich, dass sie nur deshalb so stark war, weil er sie gestern im Zaum gehalten hatte. Jetzt stürzte alles aus ihm raus. Der Groll über die eine Sendung im Fernsehen, der Zorn und die Angst über das Erscheinen der kleinen Familie, das Empören über meinen Vorschlag und die Niedergeschlagenheit der Sitzung, die zu keiner Lösung geführt hatte. Schließlich hatte wohl die kleine Szene heute morgen das Fass in seinem Inneren zum überlaufen gebracht.
Dann sprang er auf. „Willst du das?“, schrie er erneut. Verzweiflung.
Ich versuchte ruhig zu bleiben und antwortete: „Nein, natürlich nicht. Aber du kannst mir nicht verbieten, mit unseren neuen Nachbarn zu reden. Er ist übrigens in Ordnung und du brauchst dir keine Sorgen zu machen, dass ich ihm gleich nach fünf Minuten Gespräch begeistert erzähle, dass wir ein Tor zu einer anderen Welt haben, zu keiner der beiden Welten wirklich gehören, aber alles über diese beiden hier wissen, manchmal sogar zu Frieden verhelfen, manchmal einfach nur zusehen.“
Er schien sich ein wenig zu beruhigen, setzte sich wieder und sagte nichts mehr.
Niemand traute sich, die entstandene Stille zu brechen. Alle hatten wir Angst vor der lauernden Wut in Vater und gleichzeitig konnten wir ihn verstehen.
Schweigen spannte sich wie ein übergroßes Bettlaken über die Küche. Draußen hörte man gedämpfte Gespräche, Motorsurren von Zeit zu Zeit und ein paar Vögel.
„Du wirst uns helfen, das Tor zu schließen.“ Kalte Stimme. Risse, Schweigen lag am Boden verteilt und erinnerte an die letzten Minuten. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie sehr ich die Stille gemocht hatte, das geräuschlose Essen, die Gedanken, die sich durch das Labyrinth im Kopf tasteten.
Natürlich empörte sich Mutter. „Jetzt ist aber Schluss, sie ist noch viel zu jung...“ Und so weiter und so fort. Ich hörte ihr gar nicht zu, erwiderte nur den Blick unseres Anführers. Mitten in Mutters Sorgentiraden antwortete ich: „Wenn unser Anführer das befiehlt, werde ich es auch machen. Ich verstehe unsere brisante Situation.“
Er nickte, Mutter sah nur verständnislos zwischen uns hin und her. Sie sah, dass sich nichts mehr ändern ließ und wollte trotzdem nicht begreifen, dass ihre einzige Tochter helfen sollte, zwei Welten voneinander zu trennen, die so lange nebeneinander gewesen waren.
„Ich erwarte dich in einer Stunde am Tor.“, sagte er immer noch gefühllos. Worte aneinandergereiht, nebeneinander gestellt und ausgespuckt.
Er erhob sich und verließ den Raum, man konnte die Haustür zufallen hören. Mutter stand ebenfalls auf, räumte kommentarlos den Tisch ab und schnippte die letzten Krümel von der Decke. Ich flüchtete mich in mein Zimmer. Kurz darauf hörte ich auch Sams polternde Schritte.
cute_fighter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.12.2007, 17:41   #32
männlich Roan Eck
 
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hey
neues Kapitel neue Infos. Zar ehr wenig, aber es baut die Story schön auf. Amandy trifft Dennis. was wird wohl daraus werden? eine verbotene Liebe? ein kind? (mein egdanken führen schon zuweit )
wie werden sie das Tor schließen, erden sies überhauptschließen? wird Dennis vater wieder geund?
Das sind alles fragn auf die antworten suche. Ich werde auch im nächsten Teil fleißig nach hnen ausschauhalten
War wie immer sehr schön zu lesen. Deine Beschreibungen und vergleiche sind herrlich.
Bis zum nächsten ´mal
gruß roan
Roan Eck ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.12.2007, 18:26   #33
cute_fighter
 
Dabei seit: 02/2006
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Hi =)

Dankeschön fürs rasche lesen . Werd versuchen jetzt in den Ferien endlich mal weiter zu schreiben, war ja schade um die Geschichte, sie so vor sich hingammeln zu lassen.

glg.
cute_fighter ist offline   Mit Zitat antworten
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