Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Geschichten, Märchen und Legenden

Geschichten, Märchen und Legenden Geschichten aller Art, Märchen, Legenden, Dramen, Krimis, usw.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 26.08.2006, 17:52   #1
cheri noire
 
Dabei seit: 08/2006
Beiträge: 29


Standard Er

Seine Haare streifen meine nackten Schultern. Sein Atem liegt kühl auf meiner Haut. Mein Gesicht in seinen Händen haltend sieht er mir tief in die Augen. Sein Blick verrät Lust, Vorfreude. "Hab keine Angst", ist das letzte, was ich vor dem Dunklen Kuss höre. Ich habe keine, lasse mich einfach fallen. Die Umgebung verschwindet. Seinen perfekten Körper an mich schmiegend, durchdringen seine scharfen Zähne meine Haut. Der Schmerz ist unwahrscheinlich schön. Ich küsse seinen blutgetränkten Mund und meine Lippen verletzen sich dabei an seinen Zähnen. Überall Blut. Dann beugt er seine Hand nach unten. Ich nehme sein Handgelenk und sauge daran. Es geht um mein Leben, mein zukünftiges.

Als ich wieder zu mir komme, liege ich auf dem alten Grab, außerhalb, allein. Das Moos ist feucht, doch das Wasser stört mich nicht, ich verstehe plötzlich die Tiere, es ist kurz vor Sonnenaufgang und ich bekomme riesige Angst. Als ich aufstehe, schleift mein dunkles Samtkleid auf dem blätterbedeckten Waldboden. Die Sonne blendet mich, sticht mir in die Augen und schmerzt auf meiner Haut. Ich bedecke mich mit meinem Umhang, setze die Kapuze auf und flüchte Richtung Kapelle. Ein alter Mann wird später behaupten eine Gestalt sei in schwarzem Cape durch den Friedhof gelaufen. Sicher nur so ein Jugendlicher. Überall klebt Friedhofserde, sie brennt. Ich werde immer schwächer, bald bin ich nur noch Staub. Soll das alles gewesen sein?

Unendliche Zeit später wache ich auf. Das erste, was ich sehe, ist er. Er, der es ist. Den ich sehe und weiß, er ist es. Er sitzt an meinem Lager und scheint sich zu sorgen. Er gibt mir zu trinken. Es schmeckt schwer, salzig, leicht metallisch. Mein Hunger ist gestillt. "Danke", flüstere ich ihm zu. Er legt seine Hand an meine Lippen und betrachtet meine Zähne. "Du hättest es fast nicht geschafft. Der Schmerz muss unerträglich gewesen sein. Kannst du mir verzeihen?" Aus meinem Blick spricht nur Liebe. "Ja. Du hast es gespürt, nicht wahr?" Er schaut mich aus traurigen Augen an. "Was ist dir?" Er aber steht nur auf und geht zum steinernen Tisch. Erst jetzt bemerke ich, dass wir uns in einer Kammer befinden. Vor dem Fenster hängen weinrote, schwere Vorhänge. Die Decke, der Boden und die Wände sind aus Stein. Genauso wie der Sarg, auf dem ich liege. Um mich herum sind große Brokatkissen und Samtdecken drapiert. Aus einer kristallenen Karaffe schenkt er mir wieder dieselbe, rote Flüssigkeit ein. Dann lässt er sich auf einem Sofa nieder. Es ist mit Messingfüßen verziert und der Bezug zu einem altrosa verblichen. Für einen Moment scheinen nur die flackernden Kerzen Geräusche zu machen. "Wie fühlt es sich an?" Er klingt neugierig. "Gut… Besser als vorher auf jeden Fall. Ich danke dir." "Urteile nie zu früh über etwas Unbekanntes. Die Nacht hat erst begonnen…" Sein schelmisches Grinsen verrät mir seine Absichten. "Lass uns gehen", ist alles, was ich ihm zuflüstere, schon sind wir wieder im Wald.

Das erste, an was ich mich gewöhnen muss, ist die Dunkelheit. Sie ist jetzt wie der Tag vorher. Ich kann mich schon kaum mehr an das Gefühl warmer Sonnenstrahlen erinnern. Hier im Wald ist es kühl, aber nicht kalt, ich sehe jedes Detail mit unglaublicher Schärfe. Meine Füße machen auf dem Boden fast keine Geräusche. Die Luft ist warm, aber ich empfinde weder Wohlbefinden noch Unbehagen. Er führt mich in die Altstadt. "Es ist ein Fest weiter oben im Gange. Du solltest dich Menschen, wenn überhaupt, nur mit Vorsicht nähern. Was sie nicht verstehen, macht ihnen Angst, dann werden manche gefährlich. Verhalte dich also unauffällig und bleib hinter mir." Auf der Straße angekommen, wächst meine Erregung, als sich uns ein Grüppchen Jugendlicher nähert. "Sieh nach unten und rede nicht. Wir warten noch." Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen beobachte ich meine Stiefel, wie sie über das nasse Kopfsteinpflaster gleiten. Außer ein paar irritierten Blicken haben die jungen Menschen nichts für uns übrig. Von oben höre ich jetzt Stimmengewirr und das Geräusch vieler Schritte, Musik und Schreie. "Lass uns am Rand bleiben. Mehr vertrage ich jetzt nicht." Er schaut mich nur verständnisvoll an. In einer dem Festplatz nahen Seitenstraße versuchen wir die Situation einzuschätzen. "Du weißt, dass ich keine Ahnung habe, was ich tun soll." "Du weißt, was du bei mir getan hast." Schon ist er weg.

Voller Ungeduld stehe ich einige Minuten herum. Bei der Vorstellung einen jungen Körper auszusaugen sind mir die Augenzähne aus den Kieferscheiden geglitten. Sie spießen sich leicht in meine Lippen, gierig lecke ich einzelne Tropfen davon auf. Plötzlich nehme ich Geräusche wahr, es klingt wie ein Betrunkener, doch dauert es noch gute fünf Minuten, bis ich ihn auch sehe. Er kommt direkt auf mich zu und ich überlege mir, was ich tun werde, sollte er mich ansprechen. Meine Gesichtsmuskeln zucken unkontrolliert, doch noch beherrsche ich mich, was mir aber ziemlich viel Mühe bereitet, denn als er etwa auf halber Höhe mit mir ist, rieche ich sein Erbrochenes. Er muss sich vor nicht allzu langer Zeit übergeben haben. Eigentlich steht er noch zu weit weg, aber es entströmt seinem Körper wie die Pest. Angewidert verziehe ich das Gesicht, dabei entringt sich meiner Kehle ein unmenschlicher Laut. Ich erschrecke leise, doch der Säufer stiert mich nur aus vernebelten Augen an und geht schwankend weiter. Mir wird bewusst, wie mächtig ich geworden bin, mein Schutz bin ich selbst. Während ich noch über diese Erkenntnis nachsinne, taucht er wieder auf.

In seinen Armen hält er einen Jüngling von großer Schönheit. "Nur für dich. Ich habe schon gespeist. Es war nicht mehr genug übrig." Hilflos schaue ich ihn an. Plötzlich fällt mir auf, wie kräftig die Hauptschlagader unter der hellen, zarten Haut seines Halses pocht. Ich nehme ihn hoch, als wäre er eine Feder und ritze ihm mit dem Fingernagel in die Schulter. "Beiß einfach zu." Für einen kurzen Moment treffen sich unsere Blicke. Ich grinse. Er sieht mich nur erwartungsvoll an. Zum ersten und letzten Mal sehe ich in die Augen des Jünglings. Sie blicken mich an wie ein verschrecktes Tier. Gut so. Bald wird es vorbei sein. "Hab keine Angst", ist das letzte, was er hört, dann beiße ich zu. Das Gefühl ist kaum zu beschreiben. Der Moment, in dem meine Zähne seine Haut durchdringen, verstärkt das Gefühl die Macht über Leben und Tod des Opfers zu haben bis zum äußersten. Er ist mein Abendmahl. Doch noch bin ich eins mit ihm, bis er stirbt. Erschöpft lasse ich den leblosen Körper fallen. Mir schwindelt. "Du darfst nicht zu viel auf einmal trinken. Das ist nicht gut. Lass uns jetzt gehen." Sanft nimmt er mich in den Arm und hält mich für einen Augenblick fest. "Diesen Rausch wirst du nun jedes Mal erleben und seine Intensität nimmt eher zu. Dies ist es, was ich die geben kann. Dies und die Nacht als dein Begleiter. Genieße es, auch wir sind vernichtbar." Mittlerweile kann ich wieder laufen, ich verstecke mich in meinem Umhang und verschwinde mit ihm zusammen in der Nacht.

Als es Morgen wird und die Vögel zu singen beginnen, liege ich im steinernen Sarg, satt und zufrieden. Nur die Kerzen auf dem Altar spenden Licht. So wird es jetzt immer sein. Dunkelheit, Jagd und Rausch. Als die Polizei den bereits erstarrten Leichnam findet, lächle ich im Schlaf.

- Kommentare äußerst erwünscht -
cheri noire ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.08.2006, 18:42   #2
Appelschnut
 
Dabei seit: 07/2006
Beiträge: 279


Hallo cheri,
sehr beeindruckend. Makaber, klar, aber ein Thema, das die Menschheit schon immer beschäftigt hat und irgendwie ja auch für Faszination gesorgt hat. Ich sagte schonmal, dass du wunderbar Atmosphäre schaffst und das ist dir auch hier gelungen. Man kann förmlich selbst riechen, was die Erzählerin riecht und fühlen, was sie fühlt. Sehr schön!

Du hast dich mit deiner Kurzgeschichte an ein großes Thema herangewagt, das mich persönlich bis dato immer abgeschreckt hat. Vampirismus ist ein interessantes Thema, was manche Menschen aber auch als abstoßend oder eklig empfinden. Von daher habe ich großen Respekt für deine Arbeit.

Von daher eine gelungene Arbeit!
Liebe Grüße
Appelschnut ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.08.2006, 10:21   #3
Nachtschatten
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 270


Liebe Cheri,
Zu ersteinmal ein Lob, der erste Absatz gefällt mir sehr, denn er enthält so viel Verbundenheit und Vertrauen.
Schade ist nur, dass dieses Vertrauen im weiterem Text zu kurz kommt. Du hast praktisch den ganz normalen Vampirmythos (Blut trinken, auf Friedhöfen wohnen, nur nachts heraus kommen) aufgegriffen und kaum deine eigene Fantasie mit eingebracht. Zwar sind die beschriebenen Bilder, des Raumes oder des Festes, dir gut gelungen, aber mir fehlt an dem Text dein Individueller Einfluss auf das Thema Vampire.

Liebe Grüße
Nachtschatten
Nachtschatten ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Er




Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.