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Alt 28.03.2018, 13:25   #1
weiblich DieSilbermöwe
 
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Standard Am Ufer

Er stand im Hafen der kleinen Stadt und betrachtete die Schiffe. Viele kannte er; sie legten immer wieder hier an und begaben sich immer wieder auf die gleiche Route. Mit einigen konnte man - über Umwege - nach Holland gelangen. Wahrscheinlich müsste er erst mit einem der Schiffe in einen größeren Hafen einlaufen - Köln, Hamburg oder Kiel oder so - und dann auf einen Kreuzfahrtriesen umsteigen. Er stellte sich vor, wie er auf eines dieser riesengroßen Schiffe gehen würde, mit wiegendem Schritt, lässig, die Hände in den Hosentaschen. "Nach Amsterdam" würde er dem Kapitän oder vielleicht doch eher dem Steward oder wer auch immer dafür zuständig war, nonchalant hinwerfen. Und dieser würde respektvoll nicken und "Selbstverständlich, gerne" sagen. Vielleicht wäre es besser, Englisch zu sprechen, dann könnte der Steward "Yes, Sir", "Of course, Sir" oder so etwas Ähnliches sagen. Hauptsache, es käme das Wort "Sir" darin vor.
In Amsterdam angekommen, würde er alles besichtigen, was sich anbot, vor allen Dingen das Van Gogh-Museum, aber auch die kleineren Museen und natürlich Madame Tussaud, die Zweigstelle in Amsterdam. Ganz bestimmt Madame Tussaud, vielleicht sogar noch vor dem Van Gogh-Museum. Soviel er wusste, war sie 1970 eröffnet worden. Damals war er noch nicht mal geboren worden. Ganz schön lange her.
Und dann, nach all den Besichtigungen, würde er sich mitten ins Stadtleben stürzen. Vielleicht würde er sogar einen Joint rauchen oder ein Freudenhaus aufsuchen. Vielleicht sogar beides. Und einfach das Leben genießen.
Auf dem Weg nach Hause pfiff er ein Liedchen vor sich hin, nach der Melodie des Liedes "Ein Schiff wird kommen". Lale Andersen hatte das gesungen. Wenn auch nicht alles vom Text zu ihm passte, eine Zeile passte besonders gut:
"Ein Schiff wird kommen und meinen Traum erfüllen und meine Sehnsucht stillen, die Sehnsucht mancher Nacht".

Als er die Haustür aufschloss, hörte er schon das Greinen der 2 Monate alten Zwillinge. Offenbar war gerade Zeit, die beiden zu füttern. Seine Frau kam ihm mit dem Jungen auf dem Arm entgegen. Das Mädchen war aus dem Wohnzimmer zu hören, wo es lautstark protestierte.
"Wo warst du denn so lange?"
Doch eine Antwort wartete sie gar nicht ab. "Fütterst du die Kleine? Ich muss Tom wickeln." Sie verschwand im Kinderzimmer. Er ging ins Wohnzimmer und fütterte das Mädchen.

"Ich hatte keine Zeit zum Kochen", sagte seine Frau, als sie mit dem Jungen zurück kam.

Später in der Nacht versuchte er, seine Frau zu streicheln. Sie drehte sich um und schlief weiter.

Aber eigentlich war er sicher, dass sie nur so tat.
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.03.2018, 15:15   #2
weiblich Ex-Letreo71
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Dabei seit: 01/2014
Ort: Niedersachsen
Beiträge: 4.032


Liebe Silbermöwe,

klasse deine Geschichte, sie hat mich gepackt. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass das LI
später Mal zu dem Liedchen "Ich war noch niemals in New York..." pfeifen wird.

Sehr nah am Leben geschrieben.

Lieben Gruß

Letreo
Ex-Letreo71 ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 29.03.2018, 07:52   #3
weiblich DieSilbermöwe
 
Benutzerbild von DieSilbermöwe
 
Dabei seit: 07/2015
Alter: 60
Beiträge: 6.687


Liebe Letreo,

schön, dass ich dich mit meiner Geschichte begeistern konnte. Der Anfang fiel mir spontan vorgestern ein, der große Teil floss dann gestern recht sprudelnd aus der Feder. Sie ist also ziemlich spontan entstanden.

Eigentlich sollte es Kurzprosa sein, allerdings habe ich selbst nicht so richtig den Unterschied zwischen Kurzgeschichte und Kurzprosa herausgefunden. Ich habe mal versucht, mich an einige Merkmale der Kurzgeschichte zu halten (ich habe Verschiedenes darüber gefunden): keine Namen, offenes bzw. abruptes Ende, Alltagssituation, wenige Protagonisten und das für mich Verblüffendste: Die Figuren bleiben blass und eindimensional, d. h. dass sie sich im Text nicht verändern. Das steht genau entgegengesetzt zum Schreiben eines Romans, wo die Figuren dreidimensional sein und sich im Laufe der Handlung ändern sollen.

LG DieSilbermöwe
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 29.03.2018, 20:56   #4
weiblich Ex-Letreo71
abgemeldet
 
Dabei seit: 01/2014
Ort: Niedersachsen
Beiträge: 4.032


Liebe Silbermöwe,

dein Ehrgeiz ist wirklich lobenswert.

Letreogrüße
Ex-Letreo71 ist offline   Mit Zitat antworten
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